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Wie sieht das Innere eines Neutronensterns aus?

Neutronensterne sind die Extremisten unter den Himmelskörpern: Kein anderes kosmisches Objekt ist so kompakt. Ein einziger Teelöffel mit Neutronenstern-Material wiegt mehr als 15 Erdmonde zusammen. Diese enorme Dichte hat Folgen: Das Innere eines Neutronensterns steht unter so hohem Druck, dass sich selbst normale Atome und Atombausteine auflösen. Doch woraus bestehen diese exotischen Sternenreste dann? Und wie groß und schwer können sie werden?
NPO, 27.09.2023
Neutronenstern

© Nazarii Neshcherenskyi, GettyImages

Wenn ein massereicher Stern sich dem Ende seines Lebenszyklus nähert, bläht er sich erst zu einem Roten Riesen auf, wird dann aber instabil: Der sterbende Stern fällt in sich zusammen und explodiert in einer Supernova. Dabei werden die äußeren Hüllen des Sterns ausgeschleudert, während sein Kern immer dichter und kompakter wird. Bei sehr schweren Vorgängersternen resultiert dies in einem Schwarzen Loch, bei Sternen von bis zu acht Sonnenmassen entsteht dagegen ein Neutronenstern.

Wenn ein Teelöffel Milliarden Tonnen wiegt

Auf den ersten Blick ist ein solcher Sternenrest unspektakulär: Ein Neutronenstern leuchtet meist hell-bläulich, weil er heißer ist als unsere Sonne, und besitzt oft ein starkes Magnetfeld. Doch mit einem Durchmesser von rund 20 bis 30 Kilometern ist er im Vergleich zu unserer Sonne geradezu winzig – selbst ein Planet oder unser Erdmond nehmen sich neben ihm geradezu gigantisch aus. Der Unterschied jedoch:  Ein Neutronenstern wiegt trotz seiner geringen Größe noch immer so viel wie ein bis zwei Sonnen. Der schwerste bekannte Neutronenstern, ein Pulsar in unserer Milchstraße, ist sogar 2,3 Sonnenmassen schwer.

Damit vereinen diese Sternenreste enorme Massen auf kleinsten Raum. Entsprechend gewaltig ist auch die Gravitationswirkung eines Neutronensterns. Auf seiner Oberfläche ist die Schwerkraft rund 200 Milliarden Mal höher als auf der Erdoberfläche. Ein einziger Teelöffel voller Material würde auf dem Neutronenstern daher einige Milliarden Tonnen wiegen – mehr als 15 Erdmonde zusammen.

Wegen dieser enormen Anziehungskräfte könnten selbst zentimetergroße Berge auf einem Neutronenstern nicht bestehen bleiben, ohne einzubrechen. Die enorme Gravitation des dichten Sternenrests erlaubt stattdessen nur Erhebungen von etwa einem Zehntel Millimeter Höhe, wie Astronomen ermittelt haben. Neutronensterne sind damit die wahrscheinlich perfektesten Kugeln des Kosmos.

Neutronensterndarstellung über Satellitenkarte des Großraums Hannover.
Ein typischer Neutronenstern ist mit einem Radius von elf Kilometern etwa so groß wie die deutsche Großstadt Hannover.

©  NASA's Goddard Space Flight Center

Zerfallene Atome und superfluide Teilchen

Noch dramatischer aber geht es im Inneren eines solchen Neutronensterns zu: Der Druck im Inneren dieser Sternenreste ist so hoch, dass Elektronen in die Atomkerne hineingedrückt werden und mit den Protonen zu Neutronen verschmelzen. Im Zentrum eines Neutronensterns gibt es demnach keine Atome mehr, sondern nur noch Neutronen – daher der Name. Gleichzeitig ist die Energie durch die extreme Kompression so hoch, dass sich das Innere des Sternerests bis auf mehr als ein Milliarde Grad aufheizt. Diese höllischen Bedingungen können Wissenschaftler nicht einmal in Speziallaboren nachbilden.

Als Folge dieser extremen Bedingungen nimmt die Materie im Inneren der Neutronensterne exotische, sonst nirgendwo vorkommende Zustände an. Zum einen verlieren die dicht gedrängten, heißen Neutronen jede Reibung: Obwohl sie durch die enorme Kompression eng aneinandergepresst werden, verhalten sie sich wahrscheinlich wie ein Superfluid – eine extrem flüssige Flüssigkeit, in der es keine Reibung gibt und die daher problemlos selbst bergauf und durch jede Ritze fließen würde.

Querschnitt eines Neutronensterns
Aufbau eines Neutronensterns Die spezifische Dichte ist in Einheiten von ρ0 angegeben. Das ist die Dichte, bei der die Nukleonen sich zu berühren beginnen.

Eine "Suppe" aus freien Quarks?

Doch es wird noch exotischer: Es könnte sein, dass die Neutronen unter dem ungeheuren Druck sogar „schmelzen“. Normalerweise besteht ein Neutron aus drei Quarks, die durch die starke Kernkraft und ihre Trägerteilchen, die Gluonen, zusammengehalten werden – wie mit einem Gummiband oder Kleber. Doch unter dem Druck und der Hitze im Neutronenstern-Zentrum könnte es sein, dass sogar die Bindung der starken Kernkraft bricht und die Quarks sich frei umherbewegen.

Eine solche "Quark-Suppe" gab es im Universum schon einmal: Wenige Sekundenbruchteile nach dem Urknall war das gesamte Universum von einer solchen dichten „Ursuppe“ aus Quarks und Gluonen erfüllt. Erst als sich der Kosmos weiter abkühlte, banden die Gluonen – Trägerteilchen der starken Kernkraft – die Quarks in Zweier- und Dreierpaaren zusammen. Dadurch entstanden die ersten Protonen und Neutronen und damit die ersten Bausteine der Atomkerne.

Heute lässt sich ein solches Quark-Gluon-Plasma nur für extrem kurze Momente in starken Teilchenbeschleunigern erzeugen – beispielsweise, wenn im Large Hadron Collider (LHC) am Forschungszentrum CERN schwere Blei-Ionen fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden und dann aufeinanderprallen. Bei diesen Kollisionen entsteht wenige Sekundenbruchteile lang eine ähnliche Quark-"Suppe" wie sie nach dem Urknall und möglicherweise im Inneren von Neutronensternen herrscht.

Künstlerische Darstellung einer Neutronenstern-Kollision
Die Kollision zweier Neutronensterne bringt nicht nur die Raumzeit zum Beben, sondern erzeugt auch neue, schwere Elemente wie Strontium.

© ESO / L. Calçada / M. Kornmesser, CC BY 4.0

Was Kollisionen verraten könnten

Doch ob das Innere von Neutronensternen wirklich einer solchen Quark-Suppe gleicht oder ob die Neutronen doch noch intakt bleiben, ist bisher völlig ungeklärt. Weil niemand in das Innere eines solchen Sternenreste hineinsehen kann und selbst der nächstgelegene von ihnen für einen Besuch zu weit entfernt ist, können Astronomen bisher nur darüber spekulieren.

Mehr Aufschluss könnte allerdings ein Ereignis geben, das erst 2017 zum ersten Mal beobachtet wurde: die Kollision zweier Neutronensterne. Die dabei freigesetzte Energie in Form von Strahlung und Gravitationswellen kann verraten, in welcher Form die Materie im Inneren der beiden Kollisionspartner vorlag. Astronomen hoffen daher, mithilfe von Gravitationswellen-Observatorien und Teleskopen noch weitere Kollisionen dieser Art beobachten zu können. Dies könnte helfen, das Geheimnis der Neutronensterne zu lüften.

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