Berlin: Wende und Wandel
"Thüringer Fleisch- und Wurstwaren" verspricht ein Schild vor dem Ladenlokal an der Ecke des großen Wohn- und Geschäftshauses in Berlin Mitte. Doch in dem leerstehenden Gebäude unweit der feinen Kulisse des Gendarmenmarktes gibt es schon längst keine Rostbratwürstchen mehr, alle Türen sind verriegelt, die Fenster mit Pressspanplatten vernagelt.
Ein Blick durch die zerbrochenen Scheiben in den Hinterhof...
Grillen im Grünen - eines der Hauptvergnügen der Berliner. Als der Bezirk Mitte 2012 den Tiergarten aufgrund der Müllreste zur Sperrzone für Selbstgebrutzeltes erklärte, brachen vehemente Proteststimmen los. In anderen Parks ist das Spiel mit dem Feuer noch erlaubt, im Schlesischen Busch in Alt-Treptow sogar mitten auf dem ehemaligen Todesstreifen.
Kein Spaziergang - aber eine spannende und zudem preiswerte Stadttour: die Fahrt mit der U1 auf der historischen Hochbahntrasse. Kurz nach dem Wittenbergplatz (Charlottenburg) taucht sie aus dem Untergrund auf und fährt dann einmal quer von West nach Ost - hoch über Schöneberg und Kreuzberg bis zum S-Bahnhof Warschauer Str. (Friedrichshain).
Auch unter der Erde eine Reise wert: die Berliner U-Bahnhöfe überraschen durch ihren Stilmix, ob Jahrhundertwende oder wilde 70er. Diese farbenfrohe Wandbemalung ziert den Bahnsteig der U2 an der Bismarckstraße. Die U2 ist übrigens auch die einzige U-Bahnstrecke, auf der noch der Fahrzeugtyp G-I aus DDR-Produktion unterwegs ist.
Graffiti bedecken heute den Wachturm der ehemaligen Führungsstelle Schlesischer Busch zwischen Kreuzberg und Treptow. Von hier aus wurden insgesamt 18 Wachtürme der DDR-Grenztruppen entlang der Mauer beaufsichtigt. Die Szene im Hintergrund ist ein häufiges Bild, knapp 25 Jahre nach dem Mauerfall: Flaschensammeln im Park zum Aufbessern der Rente.
Aus einer Brauerei-Ruine in der Saarbrücker Straße (Prenzlauer Berg) entstand ein florierender, genossenschaftlich organisierter Gewerbehof. Auf rund 11.000 Quadratmetern Nutzfläche arbeiten hier Künstler, Handwerker oder Medienunternehmen Tür an Tür. Im Jugendhaus Königstadt wird vor allem Musik gemacht. Ein Team von Pädagogen unterstützt die Jugendlichen, eigene Ideen in die Tat umzusetzen.
Beim Bau im Jahr 1927 war die Berliner Omnibushalle die größte freitragende Halle Europas. Ab 1961 war sie praktisch unbetretbar - das Gebäude lag mitten im Mauerstreifen. Seit 1995 Schritt für Schritt behutsam umgestaltet und erweitert, ist die Arena in Treptow heute eine der hippsten Locations der Stadt. Die Industriearchitektur bietet Raum für Messen, Tanzparties und eine Badeplattform mit Pool mitten in der Spree.
Von Kitsch über Kunst bis zur Haushaltsauflösung - der Hallentrödelmarkt an der Eichenstraße gleich neben der Arena, ist voll gepfropft mit einem bunten Sammelsurium von kuriosen Fundstücken und mehr oder weniger Alltagstauglichem.
Verfallen und versteckt - Nachbarskinder träumen, sich in dem Häuschen im Hinterhof ihr Bandenquartier einzurichten.
Mit Altbaucharme und umfangreichen Sanierungen mauserte sich der zu Ostzeiten ungeliebte Prenzlauer Berg nach der Wende zum Szeneviertel für Künstler und Nachschwärmer. Alle, die schon vorher dort wohnten und ihrem Kiez die Treue hielten, leiden heute unter den steigenden Mieten.
Rund 45 Eisenbahnbrücken spannten sich ehemals über die Yorckstraße zwischen Schöneberg und Kreuzberg. Heute ist ein Großteil der Yorckbrücken außer Betrieb und die Natur hat sich diese Flächen zurückerobert. Gleich nebenan: der 2011 eröffnete Park am Gleisdreieck, der mit weitläufigen Grünflächen und urbanem Charme zum Radfahren, Spazierengehen, Fußballspielen oder Skaten einlädt. Zwischendurch liegen Biotope wie Inseln entlang der alten Gleisanlagen - Gleiswildnis werden diese genannt.