Die Stadt vom Reißbrett

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Die Kathedrale (Oscar Niemeyer), ein Rundbau, trägt als Dachbekrönung die monumental stilisierte Dornenkrone Christi. Der Innenraum der Dom-Bosco-Kapelle erhält durch große Fenster aus blauem Glas eine besondere Lichtwirkung.Die Grundkonzeption der Stadtplanung (Lúcio Costa) geht von einem als "Vogel" oder "Flugzeug" bezeichneten Grundriss aus, der von einer 13 km langen, parabelförmigen Hauptverkehrsachse mit den versorgungsmäßig fast autarken quadratischen Wohngebieten (240 × 240 m) und einer senkrecht dazu verlaufenden, kreuzungsfreien, 5 km langen Monumentalachse, an der Ministerien und andere Regierungsgebäude sowie Theater und die Kathedrale liegen, geprägt wird.

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Im "kulturellen Teil" der Stadt stehen das Theater und die Kathedrale, am Kreuzungspunkt der Busbahnhof für den Fernverkehr. Auf den breiten Straßen sorgen Brücken und Autobahnkreuze für staufreien Verkehr.Zur Entstehung: Bald nach der Erringung der Unabhängigkeit Brasiliens (1822) war vorgeschlagen worden, die Hauptstadt in die zentralen Gebiete des Landes zu verlegen. Seit 1891 war der Bau von Brasília vorgesehen. Die endgültige Entscheidung über die Verlegung der Hauptstadt fiel 1956. Den nur national ausgeschriebenen städtebaulichen Wettbewerb gewann Lúcio Costa. Am 21. April 1960 wurde Brasília als neue Hauptstadt Brasiliens eingeweiht und löste damit Rio de Janeiro ab.

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1957 wurde der brasilisanische Architekt Oscar Niemeyer Mitglied der Gründungsorganisation für Brasília; er entwarf den Palácio da Alvorada (Sitz des Präsidenten, 1957–59), den Obersten Gerichtshof (1958–60), die Kathedrale (1960 und 1969) sowie den Platz der drei Gewalten mit Regierungs- (1958–60), Kongress- (1958–70) und Justizgebäude (1966–72).Aufgrund der Machtübernahme der Militärs in Brasilien 1964 war er als Kommunist politischen Repressalien ausgesetzt, erhielt Berufsverbot und wurde mehrmals verhaftet, so dass er für einige Zeit ins Exil gehen musste. In Europa und Algerien bekam er neue Aufträge (u. a. Universität in Constantine, 1972 eröffnet; Kulturzentrum in Le Havre, 1981 eingeweiht). Niemeyer, der als "Legende der Moderne" bezeichnet wird, hat auch im Alter seine Schaffenskraft bewahrt. 2002 eröffnete das von ihm entworfene NovoMuseu in Curitiba, 2004 wurde die Konzerthalle in São Paulo fertiggestellt, 2010 das Auditorium in Ravello (Italien). 1988 wurde er mit dem Pritzker-Preis und 2004 mit dem Kunstpreis Praemium Imperiale ausgezeichnet.

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Die Reißbrettstadt verschlang Milliarden und ist bis heute sehr umstritten. Schon Simone de Beauvoir urteilte vernichtend: "Diese Stadt wird nie eine Seele haben." Und sie blieb mit ihrer Kritik nicht allein, denn insbesondere Städteplaner halten nichts von der künstlichen Stadt: Brasília ist die zu Beton, Glas und Grünflächen erstarrte Vorstellung, Städte ließen sich ebenso auf dem Reißbrett planen wie Maschinen. Nicht nur das Scheitern der "aus dem Boden gestampften" brasilianischen Hauptstadt, sondern der Blick auf die tatsächlichen Entwicklungen, die Städte rund um den Globus durchlaufen haben, zeigt, dass dieses mechanistische Verständnis von Stadtplanung viel zu kurz greift. Viel besser verständlich werden urbane Entwicklungsprozesse, wenn man die Stadt als System, als eine Art sich selbst schaffenden und verändernden Superorganismus begreift, der aktiv auf neue Anforderungen und Situationen reagiert, so die Kritiker.

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