Ein Land wächst zusammen

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Zweimal hintereinander schien der Sieg bereits so nah! Doch erst bei der Weltmeisterschaft 1990 in Italien kann sich Deutschland den Titel gegen den Favoriten Argentinien sichern. 1982 und 1986 ist die deutsche Elf jeweils noch im Endspiel gescheitert. Das einzige und entscheidende Tor am 8. Juli 1990 in Rom schießt Andreas Brehme und kratzt damit gehörig am Image des argentinischen Torhüters Sergio Goycochea, der bis dahin als "Elfmeterkiller" gehandelt wurde. Mit seinem Treffer zum Titel löst Andi Brehme nicht nur bei seinen Mannschaftskollegen, die ihn schier überrennen, großen Jubel aus - sondern auch bei der erstmals vereinten deutschen Fußballnation. Die hat sich im Jahr 1990 - mit drei WM-Siegen und drei Vize-Titeln - den Platz 1 im internationalen Fußball erkämpft. Noch vor Brasilien und Gastgeber Italien. Mit kilometerlangen Flaggenparaden feiern die Deutschen den Sieg. Das Land erlebt einen Vorgeschmack auf das deutsche Fußball-Sommermärchen 2006.

Corbis-Bettmann, New York

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Das Ende der Ost-Mark hat sich zwar bereits direkt nach dem Mauerfall im November 1989 abgezeichnet: Die Menschen tauschen, was das Zeug hält, auch wenn die illegalen Marktkurse zeitweise bei bis zu 1:10 liegen und selbst der offizielle Umtauschkurs mit 1:3 nicht gerade attraktiv ist. Das engültige Aus für die "Mark der DDR" kommt allerdings erst am 1. Juli 1990, dem Tag, an dem die Währungsunion in ganz Deutschland in Kraft tritt. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Einheit ist getan. Allerdings deckt er auch die gewaltigen Differenzen zwischen Ost und West auf: Die Einführung der D-Mark auf dem gesamten Gebiet der Bundesrepublik enthüllt und verstärkt die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der ostdeutschen Betriebe. Viele Menschen werden arbeitslos und ins soziale Elend gestürzt. Der Niedergang im Osten macht sich mit einiger Verzögerung auch im Westen bemerkbar. Bald überwiegt die Diskussion über die Kosten der Einheit über die Anfangseuphorie.

pixelio.de / Harald Wanetschka

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Am 29. Mai 1993 erlebt die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland einen weiteren traurigen Höhepunkt. Jugendliche Neo-Nazis legen - aus Ärger über einen Rausschmiss von einer Familienfeier - im Treppenhaus eines Solinger Fachwerkhauses Feuer. In den Flammen sterben zwei türkische Frauen und drei Mädchen zwischen vier und zwölf Jahren. Bereits ein halbes Jahr zuvor sind bei einem Brandanschlag in Mölln drei Türkinnen umgekommen. In beiden Fällen sind die Opfer keine Flüchtlinge, sondern seit Jahren in Deutschland lebende Mitbürger. Auch die tagelangen Krawalle am 22. August 1992 in Rostock haben sich vornehmlich gegen Asylanten gerichtet. Auf dem Foto sind hunderte von trauernden Türken vor der Brandruine in Solingen zu sehen. Die Anschläge lösen in ganz Deutschland großes Entsetzen aus. Viele Deutsche solidarisieren sich mit den Ausländern durch Demonstrationen und Lichterketten: Der neu auflodernde Ausländerhass soll in Deutschland keine Chance bekommen.Weitere Fotostrecke: Schumi, Schiffer, Schröder und Co. - die Köpfe der 90er Jahre

Corbis-Bettmann, New York

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Da gab's keine Diskussion. Sobald eine Frau heiratete, verlor sie ihren Mädchennamen und hieß fortan wie der Gatte. Am 1. April 1994 ändert sich das allerdings, denn an diesem Tag trifft das neue Namensrecht in Kraft: Der Zwang zum gemeinsamen Ehenamen entfällt. Bereits 1991 hat das Bundesverfassungsgericht die Neuregelung erzwungen. Es hatte festgestell: "Dass der Mannesname von Gesetzes wegen Ehename wird, wenn die Ehegatten keinen ihrer Geburtsnamen zum Ehenamen bestimmen, ist unvereinbar mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung." Das neue Namensrecht zieht jedoch seltsame Konsequenzen nach sich: So gibt es Ehepartner, die als solche gar nicht zu erkennen sind, weil jeder seinen Geburtsnamen trägt. Sehr beliebt ist auch der Doppelname, wobei der Partner, dessen Namen nicht zum Ehenamen bestimmt wurde, seinen Geburtsnamen wahlweise voranstellen oder anhängen kann. Richtig kompliziert wird es, wenn Kinder ins Spiel kommen. Denn die erhalten entweder den Namen des Vaters oder der Mutter. Und das kann schon mal dazu führen, dass Vater oder Mutter bei Ämtern oder Flugreisen erst einmal beweisen muss, dass das Kind auch das eigene ist.

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Bis zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen darf eine Frau abtreiben? Diese ethische Frage sorgt im wiedervereinten Deutschland für heftige Kontroversen. Während in der DDR nach der Fristenlösung eine ungewollte Schwangerschaft bis zur 12. Woche straffrei beendet werden durfte, galt im Westen § 218, der einen Abbruch nur unter bestimmten medizinischen oder sozialen Voraussetzungen erlaubte. Erst am 29. Juni 1995 billigt der Bundestag das neue Abtreibungsrecht. Eine große Mehrheit von 486 Abgeordneten stimmt für das neue Gesetz, 145 sind dagegen, 21 enthalten sich. Wobei die Fronten quer durch die Parteien verlaufen. Die Neuregelung sieht eine Abtreibung weiterhin als Verbrechen an. Es wird aber nicht bestraft, wenn der Abbruch in den ersten 12 Woche geschieht und - darin besteht die Neuerung - sich die Frau zuvor beraten lässt. Bevor das Gesetz in Kraft treten konnte, waren nicht nur zahlreiche Abtreibungsgegner sowie BefürworterInnen der Fristenlösung auf die Straße gegangen. Auch das Bundesverfassungsgericht musste sich einschalten, weil Bayern gegen das neue Gesetz geklagt hatte.

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Jedenfalls dann, wenn der Wert von 240 mg Ozon /m³ an mindestens drei 50 bis 250 km auseinanderliegenden Messstellen überschritten wird - und die Wetterlage ähnlich hohe Werte für den nächsten Tag erwarten lässt. Ganz schön viele "Wenns" finden Kritiker des neuen Ozongesetzes, das am 26. Juli 1995 in Kraft tritt. Sie bemängeln, der Grenzwert sei viel zu hoch angesetzt. Außerdem haben sie sich eigentlich ein Tempolimit und ein Fahrverbot für alle Fahrzeuge gewünscht - Katalysator hin oder her. Bereits fünf Jahre zuvor haben Politiker und Experten die schädlichen Folgen der Massenmobilität für die Umwelt erkannt. Wissenschaftler beobachteten, dass das Ozon in Bodennähe gefährlich anstieg. Sie wussten bereits um die Gefahren durch den Treibhauseffekt. Straßenmessungen am Kölner Neumarkt ergaben 1990 einen Stickoxid-Wert von 245 Mikrogramm/m³ Luft, im Frankfurter Zentrum sogar von 253 mg. Um 1995 immer noch trotz Ozonalarms fahren zu dürfen, braucht man nur eine orangene Plakette an der Windschutzscheibe - oder eine gute Ausrede: Taxifahrer, Berufspendler, sogar Urlauber haben weiterhin freie Fahrt.

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Am 1. Juli 1996 ist sie beschlossene Sache: die für den gesamten deutschen Sprachraum gültige "Reform zur Vereinfachung der Rechtschreibung". Aber das letzte Wort in Sachen "Orthografie" - oder Orthographie? - ist längst nicht gesprochen. Denn noch im Oktober 1996 fordern über 300 Autoren (darunter Günter Grass und Ilse Aichinger), Journalisten und Germanisten in der "Frankfurter Erklärung" die Rücknahme der Reform. Österreich sowie einige deutsche Bundesländer haben da aber bereits die neuen Schreibregeln - und natürlich auch neue Schulbücher eingeführt. Dagegen wiederum klagen 1997 zahlreiche Eltern, die erst noch abwarten wollen, ob man in Zukunft tatsächlich "Schifffahrt" schreiben muss oder bei "Schiffahrt" bleiben kann. Besonders vertrackt wird das Ganze, weil die Gerichte in jedem Bundesland anders entscheiden: 13 Gerichte sagen, dass schon vor Inkrafttreten der Reform nach den neuen Regeln unterrichtet werden soll, neun Gerichte sind dagegen. Erst nachdem das Bundesverfassungsgericht im Juli 1998 die Rechtmäßigkeit der Reform bestätigt, kann sie in Kraft treten. Oder heißt das jetzt "Inkrafttreten"?Weitere Fotostrecke: Schumi, Schiffer, Schröder und Co. - die Köpfe der 90er Jahre

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Bonn war immer nur als Übergangshauptstadt gedacht. 1999 erlebt sie einen Exodus. Die Regierung zieht um. Am 19. April tagt zum ersten Mal nach 66 Jahren wieder ein demokratisch gewähltes Parlament im Berliner Reichstag. Es soll aber noch den ganzen Sommer dauern, bis die gesamte Regierungstätigkeit vom Rhein an die Spree verlagert ist. Der einzige Tagesordnungspunk der letzten Sitzung in Bonn am 1. Juli 1999 lautet "50 Jahre Demokratie - Dank an Bonn". In Berlin betont Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wiederum die politische Kontinuität: "Auch nach diesem Umzug werden wir der föderale, rechtsstaatliche und soziale Bundesstaat sein, der sich in Bonn über Jahrzehnte hinweg bewährt hat." Traditionsbewusstsein strahlt auch der Umbau des Reichstags aus: Der britische Architekt Sir Norman Foster hat die Originalstrukturen des Gebäudes - inklusive Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg und Graffiti sowjetischer Soldaten - wieder sichtbar gemacht. Die Hauptattraktion ist jedoch unbestritten die riesige Glaskugel über dem Plenarsaal, die auf unserem Foto zu sehen ist und unzählige Besucher anlockt.

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Lange haben Schwule und Lesben dafür gekämpft. Sie wollen heiraten dürfen und dieselben Rechte und Pflichten wie heterosexuelle Ehepaare bekommen. Am 6. Mai 1999 gehen sieben schwule und lesbische Paare als erste Deutsche die "Hamburger Ehe" ein. Dabei lassen sie sich in ein Partnerschaftsbuch eintragen und von dem Standesbeamten Rolf Paschen trauen. Natürlich werden auch Ringe getauscht. Möglich gemacht hat das die Hamburger Bürgerschaft, die am 8. April die Regelung gegen die Stimmen der CDU-Opposition beschlossen hat. Voraussetzung für die "Hamburger Ehe" ist, dass mindestens ein Ehegatte in der Hansestadt lebt. Durch die Zeremonie ergeben sich jedoch weder Rechten noch Pflichten, genauso wenig wie steuerliche Vorteile oder Unterhaltsansprüche. Auf ein Gesetz über die "Eingeschriebene Lebenspartnerschaft" müssen Lesben und Schwule allerdings noch bis Februar 2001 warten. Doch auch das garantiert die völlige Gleichstellung mit einer Ehe zwischen heterosexuellen Partner noch nicht. So dürfen verheiratete Homosexuelle keine Kinder gemeinsam adoptieren.Weitere Fotostrecke: Schumi, Schiffer, Schröder und Co. - die Köpfe der 90er Jahre

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