Grenzen verschwimmen
Sie wanderten von den Ohren über den Bauchnabel in die Nasenflügel: Piercings. Und dann wanderten sie weiter. Mittlerweile blitzen die silber, golden oder anders schillernden Schmuckstücke eigentlich auf jedem Fleckchen Haut, das sich durchbohren lässt. Zunge, Brustwarze – der Fantasie sind wohl nur schmerzhafte Grenzen gesetzt. Infektionen durch mangelnde Hygiene beim Durchstechen und die Schädigung oder Zerstörung eines Knorpels zählen zu den häufigsten Komplikationen.
Beim Tattoo geht es letztlich nicht allein um das Motiv, das man sich in sein Fleisch stechen lässt, sondern auch um die Körperstelle, die derart geziert werden soll. Ist das Tattoo prominent sichtbar oder erst nach eingehender Suche zu entdecken? Der Tätowierer hat unabhängig von der Körperstelle die Aufgabe, steril zu arbeiten, um Entzündungen und Infektionen vorzubeugen.Obwohl die Bezeichnung A....-Geweih für eine Tätowierung auf dem unteren Rücken auf eine leichte Abwertung hindeutet, sind Tattoos durchaus gesellschaftsfähig. Eine Tätowierung ist zwar auch reversibel, doch wer sich dafür entscheidet, denkt sicherlich eher langfristig. Zumindest für eine kleine Ewigkeit.
Was schon seit vielen Jahren für das Gewicht gilt, trifft seit geraumer Zeit auch für die Körperbehaarung zu: Weniger ist mehr. War es in den 80er Jahren für eine Frau geradezu revolutionär, ihrer Beinbehaarung zu Leibe zu rücken, tragen viele Frauen heute eigentlich nur noch ihr Kopfhaar. Männer stehen da in nichts nach – und zwar nicht nur Schwimmer und Radsportler.
Letztlich lebt und praktiziert jede Kultur ihre eigene Geschichte in Sachen Körperschmuck. In einigen Volksstämmen werden Lippen und Ohrläppchen zu Tellern geformt und Wangen gepierct. In den westlichen Industriestaaten gelten trainierte Muskeln und eine schlanke Figur als erstrebenswert. Die ästhetische Chirurgie in diesen Ländern dient demselben Zweck – dem subjektiven Schönheitsideal näher zu kommen und das Selbstbewusstsein zu steigern. Dabei ist eindeutig: Die Grenzen zwischen Körperbewusstsein und Schönheitswahn sind fließend. Wenn jedoch die eigene Identität über eine zweifellos schmerzhafte Veränderung des Körpers erfahren und gelebt wird, fängt der Körperkult an.