Wer öffnet den Vorhang?
Unsere Gewinnerin Laura Knoll hat keine Schwierigkeiten, unseren vereinbarten Treffpunkt zu finden. Die Bayerische Staatsoper liegt mitten in München, prominent am Max-Joseph-Platz. Nachdem wir auf der Außentreppe herzlich von einer Mitarbeiterin des Hauses begrüßt werden, nimmt uns die Inspizientin Nadine Göpfert in den glanzvollen Eingangshallen in Empfang. Die Führung kann beginnen …
Wir stehen in einem geschichtsträchtigen Haus. Erbauer der Bayerischen Staatsoper war König Max I. Joseph. Seine Königliche Hoheit wollte ein Theater nach dem Vorbild des Pariser Odéon schaffen. Den Zuschlag für den Bau erhielt der erst 20-jährige Architekt Karl von Fischer. Den König überzeugten die Pläne des jungen Architekten wegen des streng klassizistischen Stils und des großen Zuschauerraums. Es sollte ein Theater für das Volk werden. Es dauerte sieben Jahre, bis die Bayerische Staatsoper im Jahr 1818 ihre Tore öffnete.Im Ionischen Saal, der im griechisch-römischen Stil errichtet wurde, sind die Grundfarben dem bayerischen Volk gewidmet – nämlich weiß-blau. Aber allzu volksnah sollte es auch nicht sein. Auf einen purpurroten Königs-Saal wollte man dann doch nicht verzichten. Er befindet sich gleich nebenan und führte seinerzeit direkt zur Loge des Königs.
Wir sitzen in der Sponsoren-Loge und blicken auf die Zuschauerraum mit 2101 Sitzen. Heute gibt es, neben der Sponsoren-Loge und der Wittelsbacher-Loge, weitere Logen für wichtige Mitarbeiter wie den Intendanten oder den musikalischen Leiter des Hauses. In der ehemaligen Königs-Loge genießt die Bayerische Staatsregierung prominent sitzend die Aufführungen.Und gut zu wissen: Gäste, die zu spät zu der Aufführung kommen, müssen ganz oben, von der Engels-Loge aus, das Bühnengeschehen beobachten.
Wissen Sie eigentlich, wo und wie Inspizienten arbeiten? Auf der Bühne gibt es rechts und links – für den Zuschauer nicht sichtbar - zwei kleine Kammern. Von hier aus halten Inspizienten wie Nadine Göpfert während der Probe und der Aufführung alle Fäden in der Hand. Mit Hilfe von drei Monitoren und unzähligen Knöpfen, so erklärt die Bühnenangestellte und studierte Theaterwissenschaftlerin, hält sie mit dem Dirigenten und den Solisten Kontakt. Auf ihr Kommando treten die Sänger auf die Bühne oder öffnet und schließt sich der Bühnenvorhang.
Das Haus sei zu 98 Prozent ausgelastet, lässt uns Nadine Göpfert stolz wissen. Das führt sie auf das hohe Sängerniveau, die Offenheit der Münchner und die zahlreichen Abonnements zurück. Und noch ein paar Zahlen, die die Größe des Hauses untermalen: Die Oper zählt, neben London, New York, Wien und Paris, zu den "A-Häusern" der Welt. Insgesamt 280 bis 300 Veranstaltungen werden pro Jahr gezeigt, davon ein Drittel Ballett-, zwei Drittel Opernaufführungen. Die Bühne besteht aus einer Haupt- und einer Hinterbühne sowie zwei Seitenbühnen und ist insgesamt 2.400 m2 groß.800 bis 1000 Menschen arbeiten direkt für die Bayerische Staatsoper. Das fängt beim Kartendienst an und geht über die Bühnentechniker, Musiker, Leuchttechniker bis zu Bühnenbildnern, Statisten und Kantinenmitarbeitern. Das Haus beherbergt auch Werkstätten - beispielsweise eine Schneiderei, eine Wäscherei, eine Hutmacherei und eine Schusterei.
Bleiben wir bei der Schusterei, die wir nach einer Fahrt mit dem Aufzug in den 4. Stock betreten. Hier arbeitet Schustermeister Hein mit einem Kollegen und zwei Auszubildenden. Es reihen sich unzählige Schuhpaare in den Regalen - schwarze Absatzschuhe für jeden Chorsänger, Ballettstiefel, Lederschuhe, Schuhe in allen Facetten und Farben und aus unzähligen Epochen.Herr Hein erklärt Laura Knoll ein kurioses Schuhwerk – nämlich einen Pferdefuß. Er und seine Mitarbeiter haben übrigens einen wunderbaren Blick über München hinaus in die Alpen. Da kann man über den etwas strengen Schuhgeruch im wahrsten Sinne des Wortes hinwegsehen.
Für welche Aufführung der samtene Mantel in der Schneiderei ausgebessert wurde, konnten wir nicht herausfinden. Aber vielleicht ist es noch ein Kleidungsstück aus den ersten Stunden des Theaters nach dem 2. Weltkrieg. Erst 1963 öffnete das Haus wieder seine Türen, denn es war im Krieg bis auf die Außenmauer zerstört. Die Münchner sprachen sich damals gegen eine moderne architektonische Lösung aus und wollten lieber "ihr" Theater wiederhaben - was sie auch durch eine hohe Spendenbereitschaft demonstrierten.
Manchmal sind es die unspektakulären Dinge die begeistern. Laura Knoll ist fasziniert von dem engen Kasten unter der Bühne – der Souffleurs-Kabine. "Ich wollte schon immer wissen, wie es darin aussieht", sprudelt es aus der Studentin heraus. "Das werde ich noch meinen Enkelkindern erzählen", meint sie.
"Puccini wäre sicher von der Aufführung begeistert gewesen", resümiert Laura Knoll und strahlt, nachdem wir am späten Abend die Oper verlassen und wieder in das nächtliche Treiben Münchens eintauchen. "Es war ein wunderbares musikalisches Ereignis. Heute hat alles gestimmt: Die Musiker waren konzentriert, der Dirigent begeisternd, die Solisten hervorragend und ich werde noch lange von diesem Abend zehren", schwärmt uns bei einer zufälligen Begegnung ein Geiger des Bayerischen Staatsorchesters vor.Hier erfahren Sie mehr über die Bayerische Staatsoper