Wie leben arme Kinder in Deutschland?
Um diese Frage zu beantworten, muss erst der Begriff "Armut" definiert werden: In der EU gilt als arm, wer über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügt, dass eine Lebensweise, die als Minimum hinnehmbar wäre, nicht möglich ist. Neben dem finanziellen Aspekt von Armut geht es auch um die Chancen auf soziale Teilhabe. Die Bundesregierung bezeichnet in ihrem Armut- und Reichtumsbericht als weitere Aspekte von Armut "das Fehlen individueller Ressourcen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die für eine aktive Lebensgestaltung notwendig sind". Die materielle Armut wird durch die Armutsrisikoquote ausgedrückt. Sie gibt den Anteil der Bevölkerung an, der in relativer Armut lebt, also über weniger als 60 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens verfügt. Die absolute Armut bedeutet hingegen, dass die Betroffenen unter dem jeweiligen Existenzminimum leben. Anfang des 21. Jahrhunderts betraf das 1,2 Milliarden Menschen weltweit. Ihnen stand weniger als 1 Dollar am Tag zur Verfügung.Das Armutsrisiko (60 Prozent-Schwelle) von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist laut Bundesfamilienministerium seit Ende der 90er in der Tendenz gestiegen und lag 2006 4,6 Prozentpunkte über dem Niveau von 1996.
Arm fühlt sich ein Kind nicht nur dann, wenn es keinen Gameboy und auch keine Playstation besitzt, sondern vor allem, wenn es sich vernachlässigt und ungeliebt fühlt. Das ergab die Bepanthen-Studie, die Bayer Vital, das Kinder- und Jugendwerk Arche und die Bielefelder Universität durchgeführt haben. Dafür wurden 200 Kinder aus sozial benachteiligten Familien zwischen 6 und 13 Jahren befragt. 17,6 % der Kinder nannten als "wichtigsten Besitz" Familie und Freunde, elektronische Geräte lagen mit 16,7 % ebenfalls weit vorn, gefolgt von persönlichen und Einrichtungsgegenständen (je 8,1 %). Voraussetzungen für ein gutes Leben sei, so die Kinder, "von ihren Eltern geliebt zu werden", "genug zu essen bekommen", "gute Freunde zu haben" und "immer jemanden zu haben, der sich um mich kümmert". Trotz der schwierigen Lebensbedingungen blickten die meisten Kinder - so die Studie - vertrauensvoll in die Zukunft: 85,1 % waren überzeugt, "viele Dinge gut zu können" und 89,2 % glaubten, "ihr Leben wird richtig schön", 70,8 % gaben an, "Probleme lösen zu können". Nachdenklich stimmt hingegen, dass 11 % der befragten Kinder zwischen sechs und 13 glaubten, "ihr Leben wird nicht richtig schön". Sollten diese Kinder aus sozial schwachen und oft bildungsfernen Familien nicht entsprechend gefördert werden – durch schulische und außerschulische Angebote – wird es ihnen kaum gelingen, Bildungsdefizite aufzuholen und sich als Erwachsene in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu integrieren.Hier geht's zur Bepanthen-Studie und zum Video
Als die Initiativgruppe Berliner Frauen e.V. 1993 die erste deutsche Tafel gründete, ging es ihnen hauptsächlich darum, den Obdachlosen zu helfen. Heute zählt der 1995 gegründete Bundesverband Deutsche Tafel e.V. bundesweit 800 Tafeln mit mehr als 2000 Tafel-Läden und Ausgabestellen. Versorgt werden längst nicht nur Obdachlose. Zu der 1 Mio. Menschen, die von 40.000 Ehrenamtlichen werden, zählen Bedürftige mit den unterschiedlichsten Lebensumständen. Viele arbeiten sogar, verdienen aber zu wenig, um ihre Familien ernähren zu können. 23,5 % der Tafelkunden sind Kinder und Jugendliche. Die Lebensmittel werden von Supermärkten gespendet, kurz bevor oder nachdem das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist.Frisches Fleisch, Milch, Obst, Gemüse sind für viele oft nicht bezahlbar. Mögliche Folgen: Mangelernährung, hohe Krankheitsanfälligkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Suchtprobleme. Auch die Zahl der Kleiderkammern und Sozialkaufhäuser ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen – ein deutliches Indiz für die wachsende Armut und dafür, dass immer mehr soziale Schichten von Hilfsbedürftigkeit betroffen sind. Inzwischen kann in Deutschland von 250 Sozialkaufhäusern ausgegangen werden. Typische Namen sind "Fairkauf", "Das Kaufhaus" oder "Secondo". Die Caritas bestätigt den Boom sozialer Hilfseinrichtungen: Während der Verband 1990 nur 130 Suppenküchen, Kleiderkammern und Sozialkaufhäuser zählte, waren es 2006 bereits 338.