Großes Wörterbuch der deutschen Sprache

Nation

Na|ti|on
f.
durch gemeinsame Herkunft, Sprache, Kultur und politische Entwicklung gekennzeichnete Menschengemeinschaft, Staatsvolk
[< 
lat.
natio,
Gen.
onis,
„Geburt, das Geborenwerden“, übertr. „Volksstamm, dessen Angehörige durch gemeinsame Abstammung verbunden sind“, zu
nasci
„geboren werden“]
Nation:
Im Lateinischen heißt
natio
„das Geschlecht“, „das Geborenwerden“, „der Volksstamm“, „das Volk“ (der Genitiv lautet
nationis
). Dieses Wort wiederum kommt von
nasci
„geboren werden“ (das Partizip „geboren“ ist
natus
). Daraus entwickelte sich die heutige Bedeutung von
Nation
als einer nach Abstammung, Sprache, Sitte, kultureller und geschichtlicher Entwicklung zusammengehörige, innerhalb der gleichen Staatsgrenzen lebende, bewusst gewollte und geformte politische Gemeinschaft.
Für die Römer war das Volk das Höchste, mit der Bezeichnung
nationes
belegten sie fremde Völker. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein wurde Nation nur mit dem Adel oder bestenfalls noch den Ständen gleichgesetzt. Der oben definierte Begriff der
Staatsnation
entstand durch die amerikanische Revolution 1776 und die französische Revolution 1789. Im damals zersplitterten Deutschland entwickelte sich dagegen wie in anderen Ländern Mitteleuropas und in Osteuropa ebenfalls im 18. Jahrhundert der Begriff der
Kulturnation
im Sinn einer über staatliche Grenzen hinausgreifenden ethnischen und sprachlichen Gemeinschaft, wie zum Beispiel Deutschland, Österreich und die deutschsprachige Schweiz. Der Staat musste mithin die Nation nicht umfassen (was für Deutschland zum Beispiel von 1949 bis 1990 der Fall war), umgekehrt konnten mehrere Nationen in einem Staat leben (zum Beispiel in der 1918 untergegangenen Donaumonarchie oder im ehemaligen Jugoslawien). Die Kehrseite des Begriffs
Nation
ist die Abgrenzung von anderen und die Ausgrenzung bestimmter Gruppen im Inneren. Diese Tendenzen traten im 19. Jahrhundert, das auch
Zeitalter der Nationalstaaten
genannt wird, in den Vordergrund. In Deutschland ist das Verhältnis zur Nation nicht zuletzt durch die Erfahrungen eines aggressiven
Nationalismus
geprägt, der zwei Weltkriege, Diktatur und Massenmord auslöste.
Ein ungebrochenes Verhältnis zur Nation dokumentiert sich in der erstmals von Napoleon I. gebrauchten Bezeichnung
Grande Nation
für die Franzosen, die heute noch verwendet wird. In Deutschland gehörte der Begriff zeitweise zum Staatsnamen: Das „Alte Reich“, das im 9. Jahrhundert aus dem fränkischen Reich hervorgegangen war und bis zu seiner Auflösung 1806 bestand, trug in seinem Namen „Heiliges Römisches Reich“ seit dem 15. Jahrhundert den Zusatz „deutscher
Nation
“.