Der Blaue Reiter

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Wassily Kandinsky unternahm in seinen Werken das tollkühne Unterfangen, sich der Musik anzunähern, da diese, seiner Meinung nach, der reinste Ausdruck der Seele sei. In seiner theoretischen Schrift "Über das Geistige in der Kunst", erschienen 1912, formulierte er sein Kunstverständnis, wonach Farben und Formen Klänge und Eigenschaften besäßen. Und setzte auf die Idee der Kraft reiner Farben und unabhängiger Formen. Seine Kunst war abstrakt, ein Zusammenspiel aus Bewegung, Spannungen und Harmonie. Jeder Farbe ordnete er eine Eigenschaft zu. Gelb sei spritzig und aggressiv, Rot dynamisch und voller Energie, Grün die Farbe der Ruhe und Blau die Farbe des Himmels, des Transzendenten. Haben Kandinsky und Marc ihre Künstlervereinigung deshalb "Der blaue Reiter" getauft? "Den Namen 'Blauer Reiter' erfanden wir am Küchentisch... beide liebten wir Blau, Marc Pferde, ich Reiter", so Kandinsky rückblickend. So einfach, so gut. Außerdem wurde mit der Namensgebung eine bewusste Parallele zu "der blauen Blume", dem Sehnsuchtssymbol der Romantiker gezogen. Für das 1912 erschiene Almanach "Der Blaue Reiter" steuerte Kandinsky das Titelbild eines blauen Reiters mit aufgebäumten Ross bei. Doch zum eigentlichen Pferde-Spezialisten innerhalb der Gruppierung, die im engeren Sinn eigentlich gar keine war, avancierte Franz Marc.

Corbis-Bettmann, New York

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Sie gehören zu den bekanntesten Werken des Blauen Reiters - die Pferde Franz Marcs. Zwischen 1911 und 1914 schuf der Maler eine ganze Serie von Bildern mit Pferden und anderen Tieren, wie das hier abgebildete Werk "Blaues Pferd I". Im Gegensatz zu Kandinsky ging es Franz Marc in dieser Schaffensphase nicht darum, den Empfindungen der Seele durch abstrakte Formen Ausdruck zu verleihen. Er sah die Reinheit, nach der die "Blauen Reiter" strebten, am weitesten in Tieren verwirklicht, da sie im Einklang mit der Natur lebten, wie er rückblickend schrieb: "Ich empfand schon sehr früh den Menschen als 'häßlich'; das Tier schien mir schöner, reiner; aber auch an ihm entdeckte ich soviel gefühlswidriges u. häßliches, so daß meine Darstellungen […] instinktiv immer schematischer, abstrakter wurden." Nicht direkt als hässlich, aber doch als schockierend empfanden damals manche Ausstellungsbesucher Marcs Tierdarstellungen.

wissenmedia, Gütersloh

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Als Expressionist und Experimentist waren die Tiere bei Marc natürlich nicht wirklichkeitsgetreu dargestellt - sondern leuchteten in allen Primärfarben von seinen Bildern. Eine Ausstellungsbesucherin fand diese Art der künstlerischen Freiheit ungeheuerlich, weswegen sie Marc mit der Tatsache, dass Pferde doch nicht blau seien, konfrontierte. Marc soll geantwortet haben, dass es sich ja auch nicht um ein Pferd handle, sondern um das Bild eines Pferdes. Wassily Kandinsky tolerierte die unterschiedlichen Kunstweisen innerhalb es "Blauen Reiters". Ihm ging es nicht darum, die Künstler zu einem einheitlichen Verständnis von Kunst zu führen. Alle Kunstformen sollten gleichberechtigt nebeneinander existieren. So war es auch kein Problem, dass Marc seine eigene Farbtheorie entwarf.

The Yorck Project, Berlin

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In der von Franz Marc entwickelten Farbtheorie heißt es: "Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig. Gelb das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich. Rot die Materie, brutal, schwer und stets die Farbe, die von den anderen bekämpft und überwunden werden muss". Der Künstler räumte Blau den Vorzug vor den anderen Farben ein - und damit auch dem Geistigen den Vorzug vor dem Materiellen. Beim Kampf der Farben untereinander blieb es für Franz Marc jedoch leider nicht.

The Yorck Project, Berlin

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1914, gleich zu Beginn des Ersten Weltkrieges, meldete sich Franz Marc als Freiwilliger für die Front - und fiel am 4. März 1916 in Verdun an seinem letzten Tag im Einsatz. Er war nicht der einzige junge Künstler, der dem Ersten Weltkrieg zunächst postiv gegenüberstand. Wie auch Vertreter des italienischen Futurismus, erhoffte er sich vom Krieg eine Reinigung des Lebens. Seinen Freund August Macke, ebenfalls am "Blauen Reiter" beteiligt, ereilte ein ganz ähnliches Schicksal.

wissenmedia, Gütersloh

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August Macke hatte sich bereits einen Namen als Künstler gemacht, zunächst als Impressionist, später als Expressionist, ehe er über seinen Freund Franz Marc mit dem "Blauen Reiter" in Berührung kam. Macke beteiligte sich sowohl redaktionell am Almanach, als auch mit Kunstwerken an beiden großen Ausstellungen, hatte jedoch stets ein ambivalentes Verhältnis zum "Blauen Reiter" und beendete die Zusammenarbeit 1912 im Streit. Das lag nicht zuletzt an Wassily Kandinskys schwierigem Charakter und einer gefühlten Benachteiligung der eigenen Werke. Bei der ersten Ausstellung in München, Köln, Berlin, Hagen und Frankfurt war August Macke nur mit drei Bildern vertreten gewesen. Auch in Mackes Werken spielten Farben die zentrale Rolle. Und wie die meisten Künstler des "Blauen Reiters" zog er Farbharmonien den Dissonanzen vor, was sie von Bewegungen wie den Brücke-Malern unterschied.

The Yorck Project, Berlin

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Mackes Bilder zeichnen sich durch kräftige, leuchtende Farben, die miteinander harmonieren aus, wie das Bild "Mit gelber Jacke" aus dem Jahr 1913 verdeutlicht. Er malte gerne Alltagssituationen und, im Gegensatz zu Kandinsky und Marc, bevorzugt Menschen und Szenen des bürgerlichen Milieus. Die Beschäftigung mit dem Kubismus und dem Futurismus hinterließ ebenfalls ihre Spuren in Leben und Werk des 1887 geborenen Künstlers.

The Yorck Project, Berlin

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Das Werk "Männer auf der Terasse am See" aus dem Jahr 1914 hat, wie die meisten Werke August Mackes, der sich intensiv mit der Wirkung von Licht auseinandersetzte, eine positive Grundstimmung und strahlt Lebensfreude aus. Tatsächlich aber zogen dunkle Gewitterwolken des nahenden Ersten Weltkrieges auf.

The Yorck Project, Berlin

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Am 8. August 1914 wurde August Macke zum Kriegsdienst eingezogen und fiel am 26. September mit nur 27 Jahren in der Champagne. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich "Der Blaue Reiter" bereits wegen des Krieges aufgelöst. Die von einigen Kritikern als Schwäche empfundene Uneinheitlichkeit der Werke der "Blauen Reiter"-Mitglieder, die zu der Betitelung eines "zusammengewürfelten Haufens schwärmerischer Geister" führte, tat ihrem Nachruhm keinen Abbruch. Schließlich ging es den Künstlern nicht darum, zu einem einheitlichen Stil zu finden, sondern um den Anspruch, anders zu malen, als alle anderen Künstler vor ihnen.

wissenmedia, Gütersloh

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Wassily Kandinsky hatte den "Blauen Reiter" ins Leben gerufen, um "die bisherigen Grenzen des künstlerischen Ausdrucksvermögens zu erweitern". Sie wollten mit Farben und Formen nicht die unmittelbare Wirklichkeit wiedergeben - und wurden so zu Wegbereitern der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts. Noch heute sind die Werke Anziehungspunkt für Kunstliebhaber. Die Bilder des "Blauen Reiter" werden unter anderem im Münter Haus in Murnau am Staffelsee, im Franz-Marc-Museum in Kochel und im (derzeit geschlossenen) Lehnbachhaus in München ausgestellt oder befinden sich - anlässlich des Jubliäums - gerade auf einer Tour durch die ganze Welt.

The Yorck Project, Berlin