Sind Breitreifen wirklich sicherer?

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Referent Eugen Geyer führt durch den Workshop und die ausnahmslos männlichen Teilnehmer pädagogisch geschickt in die komplexe Theorie der Reifen ein. Auf seine Frage "Wie viele Aufbauteile hat denn wohl ein moderner Pkw-Premiumreifen?" gibt es ein buntes Sammelsurium an Antworten. Nur die richtige kennt keiner. Geyer klärt uns auf: Zwischen 40 und 50 Teile werden verbaut! Ich fahre zwar schon seit über 25 Jahren unfallfrei Auto und habe so manchen Reifen gewechselt, höre heute aber erstmals von Wulstverstärkern, Hornprofilen, Bandagen sowie von Cap, Base und Skirt. Erfahre, dass ein Reifen gerade mal auf der Fläche einer handelsüblichen Postkarte den Kontakt zur Straße hält! Und auf dieser winzigen Fläche wirken dann natürlich alle physikalischen Kräfte - bei Kurvenfahrten, extremen Geschwindigkeiten, Nässe und Schnee. Kein beruhigendes Gefühl ...

Jörg Peter Urbach

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Aber heute geht es im Besonderen um Breitreifen. Und Eugen Geyer erläutert, dass die Tendenz eindeutig in eine Richtung gehe - vom Standard- zum Breitreifen. Denn die Fahrzeughersteller entwickelten stets neue Pkw-Segmente und dafür immer neue Modelle. Die natürlich ihrer Zielgruppe entsprechend bereift sein wollen. Unser Referent verweist immer wieder auf den Megatrend "Sicherheit", denn die gehe schließlich auch beim Breitreifen über alles. "Viele Autofahrer entscheiden sich erst einmal für Breitreifen, weil sie die Optik ansprechend finden und damit auch ihr Fahrzeug aufgewertet wissen wollen. Aber der Sicherheitsaspekt, der mit den verbesserten Fahreigenschaften eines Breitreifens natürlich Hand in Hand geht, wird immer wichtiger!"Wir erfahren, dass ein großer Anteil der Entwicklung neuer Reifen mittlerweile in digitalen Prozessen liege, damit ließe sich nicht nur die Entwicklungszeit erheblich verkürzen, sondern auch eine relevante Kostenerparnis erzielen. Oberste Prio habe für die Entwickler dabei, so Geyer, die Rollwiderstandsreduzierung. Hierfür werden heute vor allem Silica- statt Rußmischungen in den Reifen verwendet, die einen besseren Nassgriff und optimierte Wintereigenschaften des Reifen ermöglichen. Weiterhin verfügen moderne Breitreifen über Spulbandage, Rayonkarkasse und Wulstverstärker, die im Zusammenspiel für Sicherheit sorgen. Und auch über viel versprechende Zukunftstechnologien berichtet Eugen Geyer noch: Multi Component Tread-Reifen heißt da ein Zaubertwort. Reifen, deren Laufstreifen aus mehr als 20 verschiedenen Komponenten bestünden und somit in jeder Straßensituation optimale Sicherheit böten.

Jörg Peter Urbach

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Doch grau ist alle Theorie, die vor der Praxis sicherlich verblassen wird, glauben wir. Am nächsten Morgen werden wir die Breitreifen, die uns theoretisch alle überzeugt und deren Querschnitte wir in den Händen gehalten haben, selber "er-fahren". Die Teilnehmer werden in zwei Gruppen eingeteilt und von zwei Testfahrern in die Aufgaben eingewiesen. Wir sollen drei Kurse absolvieren: den Nass-Handlingskurs, den großen Trocken-Handlingskurs, Slalom-Fahren - und am Ende wartet dann noch eine besondere Überraschung auf uns.

Jörg Peter Urbach

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Dabei kommen Autos mit Front- und Heckantrieb zum Einsatz, die einmal mit Standardbereifung (16 Zoll) und einmal mit Breitbereifung (19 Zoll) ausgestattet sind. Und los geht's auf der permanent bewässerten, kurvenreichen Strecke. Vorneweg unser Trainer, der die Anweisungen über Funk erteilt. In der Einfahrphase kann ich ihm noch bequem folgen, doch ab der vierten Runde, merke ich, wie ich zusehends verkrampfe, wenn mein Vordermann mit etwa Tempo 80 auf die 90 Grad-Kurve einbiegt und ich selber das Tempo abrupt drossele. Doch langsam werde ich sicherer, vor allem nach dem Umstieg auf den breitbereiften Wagen. Ist das nur ein Gefühl, dass der Wagen deutlich weniger ausbricht bzw. meinen Lenkbewegungen zielsicherer folgt?

Jörg Peter Urbach

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Denn als nächstes geht es in den Slalomparcours durch die in unregelmäßigen Abständen aufgestellten Pylonen. Die Trainer-Anweisung: Nach dem Start schnell hochschalten, Geschwindigkeit erzielen und dann ab dem 4. Hütchen dauerhaft Vollgas! Beim ersten Versuch sträubt sich alles in mir, denn ich bin keine Rennfahrerseele! Normalerweise sind auf der Rückbank meines Kombis immer zwei Kindersitze mit den dazugehörigen Kindern platziert - da fährt man nun mal ruhiger. Aber unser Trainer beruhigt mich per Funk "Da kann nichts passieren!". Ok, die Autos haben sämtliche elektronische Fahrerassistenzsysteme. Der zweite Anlauf. "Volle Kette, nun mach schon!", knistert es aus dem Funkgerät. Und ich mache! Am Ende der etwa 1 km langen Strecke erreiche ich knapp über 100 km/h. Das Herz bumpert zwar etwas schneller als normal - aber es hat geklappt. Ich habe zwar einige Hütchen sauber abgeräumt, aber das sollte sich bei den nächsten Fahrten doch ändern lassen. Auch hier fahre ich die ersten fünf Versuche mit der Standardbereifung und steige dann auf die breiten Puschen um. Auch auf dieser Strecke fühle ich mich mit den Breitreifen auf Anhieb um Längen sicherer! Eugen Geyer, der als stiller Beobachter an der Strecke steht, grinst. Er wusste das wohl vorher ...

Jörg Peter Urbach

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Der große Trocken-Handling-Kurs. Und wir fahren jetzt mit vier Autos in Reihe. Ich darf dem Führungsfahrzeug des Trainers direkt folgen. Vielleicht sollte ich lieber sagen: Ich darf versuchen, ihm zu folgen. Doch plötzlich macht es klick. Ist da vielleicht doch ein klitzekleines Schumi-Gen in mir? Oder ist das eine zusätzliche Portion Adrenalin? Wenn man einem Profi direkt auf den Hacken sitzt, kann man seiner Ideallinie folgen. Die man alleine natürlich so nie fände! Dass ich dennoch angespannt bin, merke ich, als wir nach etwa 20 Minuten die Fahrzeuge durchtauschen. Meine Schultern tun weh. "Tja, ihr sollt auch die Lenkräder nicht so quetschen, bis das Wasser rauskommt", kalauert unser Trainer. In der Tat, meine Hände sind schweißnass...

Jörg Peter Urbach

7/10

Wir fahren zur nächsten Station. Eugen Geyer teilt uns in Zweierteams ein, die auf regennasser Straße - ohne Breitreifen! - einen Hindernisparcour gegen die Zeit absolvieren müssen. Der Clou: Beim Testauto ist die Bord- und Sicherheitselektronik ausgeschaltet! Geyer beruhigt uns mit den Worten "Aber der Bremskraftverstärker geht noch." Davon merken wir allerdings nichts, als unser Team als erstes auf die Strecke geht und das Auto auf dem glitschigen Kopfsteinpflaster sofort sauber in mehrere Umdrehungen versetzt. Das gibt Strafpunkte!

Jörg Peter Urbach

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"Jetzt wird's lustig", meint Eugen Geyer und bereitet uns auf die finale Überraschung des Workshops vor. Wir fahren mit unseren Trainern durch die Steilkurve im Contidrom. Dass man dort mit einer gewissen Geschwindigkeit unterwegs sein sollte, erfahren wir am eigenen Leib, als wir am Scheitelpunkt der Kurve von den physikalischen Grundgesetzen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Die Wagen werden eingeteilt. Ich entscheide mich, diesen Highspeed-Ritt zu fotografieren.

Jörg Peter Urbach

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Ein immer lauter werdendes Brummen kündigt den ersten Wagen an. Und plötzlich ist er da, mit knapp 200 km/h schießt das Auto durch die Steilkurve direkt an mir vorbei. Gleich darauf folgen die Autos zwei und drei. Mehrere Runden werden gedreht. Und die Fahrgäste steigen zwar mit leicht wackeligen Knien aber glücklichen Gesichtern aus. "In der Kurve kannst Du Deine Arme nicht nach oben heben, keine Chance!", berichtet einer der Mitfahrenden begeistert.

Jörg Peter Urbach

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In der Abschlussrunde stimmen alle Teilnehmer des Workshops überein. In sämtlichen Fahrsituationen, die wir heute gemeistert haben, gehen die Breitreifen als Sieger von der Strecke. Egal ob nass, trocken oder beim Slalom - das individuelle Gefühl von Sicherheit hat sich bei uns allen ausgebreitet. Die Theorie mag noch so sehr einleuchten, die eigene Praxiserfahrung kann sie nicht ersetzen.

Jörg Peter Urbach