Wikinger für einen Tag

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Die Wettervorhersage ist alles andere als beruhigend: "Zwischen 9 und 13 Grad, herbstliches Schauerwetter". Und so tritt Sigrid Eichler in "wetterfester" Kleidung aus dem Hotel Olschewski in Schleswig. 20 Minuten später stehen wir vor den Wikinger-Häusern von Haithabu. Und erleben - eine neue, alte Welt. 2008 wurden auf dem Siedlungsgelände von Haithabu sieben wikingerzeitliche Gebäude fertig gestellt. Hinter dem Eingangstor endet die Zivilisation - zumindest für heute. Und für uns.

Jörg Peter Urbach

2/20

Handys? Fehlanzeige. Fernseher oder Radio? Gibt es hier nicht. Strom? Wozu denn? Stattdessen laufen hier merkwürdig gewandete Menschen mit Helmen oder Filzhüten auf dem Kopf und weichen Lederschuhen an den Füßen zwischen den Häusern herum. Ausgerüstet mit Gürteln, an denen Dolch, Trinkhorn und Ledertäschchen baumeln. Manche halten Äxte, Schilde und Speere in der Hand. Schottische Hochlandrinder grasen auf den Wiesen. Wir sehen reetgedeckte Häuser, aus denen Rauch quillt. Die Zeit scheint stehengeblieben. Und dann kommt er, Reinhard Erichsen. Hauptberuflich angestellter Wikinger! Fester Blick und starker Händedruck. Er wird uns in den nächsten Stunden fachkundig begleiten und die Grundkenntnisse des Wikingeralltags vermitteln. Schnell kommen wir ins Plaudern und Sigrid fühlt sich angekommen.

Jörg Peter Urbach

3/20

Reinhard Erichsen führt uns erst einmal durch die kleine Siedlung am Noor und erzählt, dass an diesem Wochenende die Mitglieder des Wikinger-Vereins "Opinn Skjold e.V." (Offener Schild) in den Wikinger-Häusern leben und arbeiten. Und wir spüren schnell, dass das keine "Freaks" sind oder Menschen, die einfach dem Alltag entfliehen wollen. Nein, hier leben sie nicht wie Wikinger, sondern als Wikinger. Plötzlich Kampfeslärm vom Wasser! Zwei Jungs kämpfen mit Schwert, Axt und Schild (natürlich aus Holz!). Und tun das so geschickt, dass kein Erwachsener auch nur auf die Idee käme, hier einzugreifen.

Jörg Peter Urbach

4/20

Wir lernen Sven kennen, den freiberuflichen Wikinger von Haithabu, der auch als Erlebnispädagoge tätig ist. Und pädagogische Fertigkeiten muss er jetzt auch an den Tag legen, denn Sigrid soll lernen, Feuer zu machen. Und zwar ohne Streichhölzer oder moderne Hilfsmittel. Lediglich mit Feuerstein, Moos und Pilzen. Und natürlich Svens Hilfe!

Jörg Peter Urbach

5/20

"Meine Güte, ich schaff' es wirklich nicht!", resigniert Sigrid nach ihren zahlreichen Fehlversuchen mit einem Blick auf den von ihr ziemlich abgeschlagenen Feuerstein (und ihre Finger). Auf den richtigen Winkel zwischen Schlagwerkzeug und Stein kommt es an, damit Funken entstehen, die dann "eingefangen" werden müssen, wie Sven fachmännisch erklärt. Bei ihm sieht das ganz einfach aus. Wozu wir das Feuer brauchen?

Jörg Peter Urbach

6/20

Um Glasperlen herzustellen! Sigrid nimmt am doppelten Blasebalg Platz und versucht, die entstandene Flamme gleichmäßig mit Sauerstoff zu versorgen, damit die für das Glasschmelzen benötigte Temperatur nicht nur erreicht, sondern auch konstant bleiben kann. Hier ist vor allem eines gefragt: Koordination!

Jörg Peter Urbach

7/20

Sigrid Eichler betrachtet aufmerksam, wie Sven mit der Zange das Rohglas erst ins Feuer hält, es dann während des Schmelzprozesses auf eine in flüssigen Ton getauchte Stange laufen lässt und dabei verschiedene Perlenformen "gießt". Wir sind erstaunt und begeistert vom handwerklichen und künstlerischen Geschick der Wikingerhände. Und so entstehen filigrane, kleine Kunstwerke, die am Stand erworben werden können.

Jörg Peter Urbach

8/20

Reinhard Erichsen, der gelernte Tischler, weiß auf jede von Sigrids zahlreichen Fragen eine Antwort - und die holt er sich in der Regel nicht aus dem Computer oder dem Internet, sondern aus seinem riesigen Erfahrungsschatz, den er im Laufe seiner Wikinger-Berufsjahre angesammelt und sich vor allem selbst angeeignet hat. Auch wenn durch diesen Satz ein Klischee bedient wird: Durch Menschen wie ihn, werden Museen (wie das von Haithabu) lebendig.

Jörg Peter Urbach

9/20

Karneval ist die Siegburgerin Sigrid Eichler zwar gewohnt, als Wikingerin "habe ich mich aber bisher noch nie verkleidet". Wobei schnell klar wird, dass es sich hierbei nicht um ein billiges Kostüm von der Stange handelt, sondern um handgenähte Kleidung, die im Wikingeralltag nützlich ist. Auch wenn sich die Wettervorhersage nicht bewahrheitet. Der Clou von Sigrids Kleidung ist jedoch der Name der dunkelbraunen Haube: Gugl ... Sigrid kichert: "Wenn google das wüsste!"

Jörg Peter Urbach

10/20

Sigrid Eichlers erste Amtshandlung als nun stilecht eingekleidete Wikingerfrau ist ein Besuch im Gemüse- und Kräutergarten der Wikinger-Siedlung. Wir werden von Reinhard Erichsen aufgeklärt, dass "der Fasan" für die traurigen Hirseüberreste verantwortlich sei. Wir lernen "dicke Bohnen" kennen und schnuppern an verschiedenen Kräutern. Für Flora-Fans: Im Juli 2011 können interessierte Besucher dann vor dem Museum Wildstauden bewundern, wie sie schon vor mehr als 1000 Jahren hier wuchsen. Aber so lange können wir nicht warten.

Jörg Peter Urbach

11/20

Etwa 80 Mitglieder leben ihr Wikingerdasein im Verein "Opinn Skjold" aus - von Jung bis Alt. Und wir spüren im Kreis dieser Menschen deutlich jene "Authentizität", von der heute gerne so viel geredet wird. Echtheit, Originalität nicht nur im archäologischen Sinne füllt den Tag für uns mit lebendiger Geschichte. Und dazu gehört natürlich auch der "Schnack" auf der Straße.

Jörg Peter Urbach

12/20

Es wird handfest - auch für Sigrid Eichler, die nun einen selbstgeschnitzten Bogen in die Hand gedrückt bekommt. Reinhard Erichsen leitet die Schießstunde mit einer kleinen Anekdote ein. Vor kurzem habe sich Bundespräsident Wulff in Haithabu in seine Obhut begeben und mehrere Pfeile abgeschossen. Seitdem hört Erichsen auf einen neuen Spitznamen: "Der mit dem Wulff schießt". Viel wichtiger ist es dem Berufswikinger allerdings, Sigrid etwas über das "instinktive Schießen" zu vermitteln. "Man muss die Flugbahn verinnerlichen - und natürlich die Energie des Bogens". Dass er das getan hat, merken wir an seinem Probeschuss, bei dem er einen Pfeil auf ca. 130 m Entfernung ins benachbarte Feld jagt. Sigrids Blick geht zögerlich nach links, wo ein etwa siebenjähriger Junge in Seelenruhe seine Pfeile zielsicher versenkt. "Das kann ich nie!", prophezeit sie.

Jörg Peter Urbach

13/20

Wir lernen jetzt die Konstruktion der Ebenholzbogen kennen und betrachten staunend die große Auswahl an Pfeilspitzen und -schäften, die alle hier im Dorf produziert wurden. Erichsen malt uns bildlich aus, wofür welcher Pfeil am besten geeignet ist. "Spitze Spitzen durchschlagen selbst Kettenhemden, breite Spitzen durchtrennen rasch die Schlagadern der gejagten Tiere.". Wir schlucken, das wäre also klar.

Jörg Peter Urbach

14/20

Jetzt muss Sigrid ran. Nach den ersten mutlosen Versuchen zieht sie die Sehne aus gewachster Leinfaser kraftvoll zurück, visiert an - und trifft den Keiler aus Plastik mit einem satten Blattschuss, der in etwa 10 m Entfernung nichtsahnend auf der Wiese grast. "So, der wäre jetzt tot", bemerkt Reinhard Erichsen knochentrocken. Sigrid grinst.

Jörg Peter Urbach

15/20

Aber Reinhard Erichsen ist nicht nur Bogen- und Bootsbauer, auch seine Brote im Lehmofen sind in Haithabu eine allseits geschätzte Delikatesse. "Dabei probieren wir immer wieder neue Dinge aus", sagt Erichsen. Als der Ofen die richtige Temperatur erreicht hat, wird die heiße Asche mit Zweigen ausgefegt und das Sauerteigbrot hineingeschoben. "In etwa einer Stunde ist es fertig".

Jörg Peter Urbach

16/20

Beim Kochen mischt sich Erichsen dann diesmal nicht ein. Zumindest nicht für das Abendessen, denn hier wird von den Frauen und jungen Mädchen eifrig Gemüse geschnippelt. Aber eben nicht mit einem Sparschäler aus dem Supermarkt, sondern mit selbst geschmiedeten Klingen. Und die Handgriffe mit den Wikingermessern wollen gelernt sein. Aber um diese Aufgabe kommt Sigrid herum.

Jörg Peter Urbach

17/20

Vielmehr macht sie es sich auf einem Platz bequem, der den Frauen in der Blütezeit von Haithabu nicht wirklich offenstand: auf dem "Thron" im Versammlungshaus. Es ist das einzige Gebäude, das exakt an seinem ursprünglichen Standort wiedererrichtet wurde. Hier war ein Gemeinschaftsort, an dem man sich in größerer Runde an Tischen und Bänken traf, Versammlungen abhielt und Feierlichkeiten. Natürlich nach strenger hierarchischer Ordnung. Aber Reinhard Erichsen drückt für die wissen.de-Siegerin am heutigen Tag beide Augen zu ... Auch wenn es uns angesichts des schönen Wetters schwer fällt, wir müssen uns von Erichsen und den Wikingern von Opinn Skjold verabschieden, da der nächste Programmpunkt auf Sigrid wartet - eine VIP-Führung durch das "neue" Haithabu-Museum. Sigrid schlüpft zögerlich wieder in die Alltagskluft des 21. Jahrhunderts ("Die Lederschuhe waren so schön warm!") und wir wandern zügig in Sportschuhen am Ufer der Noors in Richtung Museum, vorbei an Schafen und Rindern, die Wikingerhäuser bald hinter uns lassend.

Jörg Peter Urbach

18/20

Im 2010 völlig neu konzipierten Haithabu-Museum erwartet uns Museumsführerin Eva Rönnau - und eine der modernsten archäologischen Ausstellungen Europas. Fast neunzig Minuten tauchen wir in ein Konzept ein, das neben den zahlreichen Originalfunden aus Haithabu vor allem durch seine mediale Vermittlung voll überzeugt und mitreißt. Sigrid Eichler begeistert der Rundgang durch die wabenartigen Hallen, denen thematische Schwerpunkte wie Handwerk und Handel, Schmuck und Waffen, Schiffe, Leben und Sterben der Oberschicht zugeordnet sind. Dabei erfahren wir von Eva Rönnau viele Details, die sich der "normale" Museumsbesucher selbst erlesen muss. Und wir treffen hier auch auf die mannshohen Fotos der Menschen wieder, denen wir vor wenigen Stunden in den Wikingerdörfern noch begegnet sind. So schließt sich der Kreis zwischen Gegenwart und Vergangenheit.

Jörg Peter Urbach

19/20

Im Raum "Schauplatz der Macht" schreckt Sigrid kurz zurück. Der Runenstein spricht! Doch Eva Rönnau klärt uns auf - über eine Lichtschranke wird eine Projektion gestartet. Eine Stimme liest den Text auf dem Runenstein vor und gleichzeitig wird der gelesene Teil auf dem Stein belichtet, mit eingeblendeter Übersetzung auf dem Boden in Deutsch, Dänisch und Englisch! Mehr als 5500 dieser zum Gedenken an gefallene Krieger errichteten Steine hat man im skandinavischen Raum gefunden. Eine weitere Weisheit aus Eva Rönnaus wissendem Mund nehmen wir im letzten Raum, der Schiffshalle, erstaunt zur Kenntnis, da sie unser beider Wikinger-Wissen erschüttert: Wikingerhelme hatten KEINE Hörner! Mit dem Ausstellungskatalog als Extra-Geschenk verlässt Sigrid das Haithabu Museum.

Jörg Peter Urbach

20/20

Der Tag bei den Wikingern neigt sich dem Ende zu. Sigrid Eichler ist voll von Eindrücken und Informationen und kann nicht wirklich sagen, was ihr am besten gefallen hat. Wir sitzen zum Abschluss in Odins historischem Gasthaus, nur wenige Minuten vom Wikinger Museum Haithabu entfernt. Beim ersten Blick in die Speisekarte erstarrt Sigrid. "'Tote Tante', was ist das denn?!", fragt sie flüsternd. Tja, der Norden hat so seine Geheimnisse, die aber von der Bedienung schnell gelüftet werden. "Das ist ein heißer Kakao mit einem Schuss Rum - und manchmal mit einer Portion Schlagsahne". Sigrid ist erleichtert und muss grinsen, als die "Tote Tante" mit den Worten "Vorsicht, die is noch warm ..." serviert wird. Ihr Fazit zum Wissenstag bei den Wikingern fällt dann nahezu philosophisch aus: "Man muss nicht die Freiheitsstatue sehen, um das Gefühl von Freiheit zu spüren. Und ich glaube, ich habe heute auch ein Stück weit meine eigenen Wurzeln gefunden."Lesen Sie hier den Bericht vom 1. WissenstagSie wollen selber einen Wissenstag erleben - hier können Sie sich bewerben!

Jörg Peter Urbach