Auf Kufen talwärts
Al diavolo gli inglesi! - "Zum Teufel mit den Engländern", hörte man die Einwohner des sonst so friedlichen schweizerischen Kurortes St. Moritz schimpfen. Seit die verrückten Briten auf die Idee gekommen waren, für ihre spektakulären Schlittenrennen die bestehenden Wege und Strassen zu benutzen, war man seines Lebens nicht mehr sicher. Der "Village Run" schockierte Kurgäste und Einheimische gleichermaßen und machte die Pferde scheu. Wer konnte inmitten dieses Chaos schon ahnen, dass sich die Geburtsstunde des modernen Schlittensports vollzog.
Zunächst einmal musste man der Konkurrenz entscheidende Sekunden abnehmen und so legte sich der Brite M. Cornish 1887 bäuchlings auf seinen Schlitten und sauste kopfvoran die legendäre Cresta Strecke - von Davos ins 157 Meter tiefergelegene Cresta-Celerina - hinunter. Skeleton, heute noch die Spektakulärste aller Schlittensportarten, war geboren. Wie Ritter vor einem mittelalterlichen Turnier sahen sie aus, die Helden der Eisbahn, dick gepolstert, mit Sturzhelm (der mehr einem Kochtopf ähnelte), stahlüberzogenen Ellbogen und Knieschützern und Kratzeisen an den Stiefeln, um die tollkühne Fahrt wenigsten ansatzweise steuern zu können. Wenn Skeleton in Salt Lake City zu späten olympischen Ehren kommt, so bieten die Fahrer einen ästhetischeren Anblick, der Nervenkitzel aber bleibt der Gleiche.
Wo dem Wagemut der Piloten nichts mehr hinzuzufügen war, da musste an der Technik gefeilt werden. Die modernen High-Tech-Flitzer als "Schlitten" zu bezeichnen, erscheint denn auch reichlich antiquiert. "Rodeln sei nichts anderes, als Erbsen zählen und Bohnen sammeln. Man muss jedes kleine Teil, das Zeit kostet, eliminieren", so der dreimalige Olympiasieger Georg Hackl. Das sportliche Altenteil vor Augen, hat sich der "Schorsch" von den Ingenieuren der Autofirma Porsche einen Schlitten designen lassen, maßgeschneidert für die Olympiabahn. Nichts bleibt dem Zufall überlassen im Kampf um Tausendstelsekunden.
Zumindest sind die Zeiten vorbei, als der Körperumfang der Teilnehmer den entscheidenden Vorteil brachte. In Oslo 1952 fuhr der Viererbob Deutschland 1 dank 463 Kilogramm Lebendgewicht der Konkurrenz auf und davon. Die Siegerehrung glich einer Krisensitzung der "Weight Watchers".
Dass der Schlittensport in den letzten Jahren einen großen Popularitätsschub erfuhr liegt nicht zuletzt an den Exoten, die den Winterspielen immer wieder einen Farbtupfer hinzufügen. Wenn Jamaica 1 an den Start geht ist das Medieninteresse oft größer als bei manchem Favoriten. Seit Calgary 1988 behaupten sich die Männer aus der Heimat des Reggaes und des Rums im internationalen Geschäft und relativieren auf angenehme Weise die Verbissenheit, die über manchem Wettkampf schwebt: Dabeisein ist eben doch noch manchmal alles!