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Woher stammt der Ausdruck „verballhornen“?

»Man muss die Sache noch einmal Paroli passieren lassen...« Wer sich gewählt ausdrücken möchte wie ein Fußballtrainer im Jahr 2000 und dabei den Ausspruch erst recht verhunzt, der verballhornt die Sprache. Es wäre jedoch abwegig, bei dieser lautmalerischen Redensart an Walt Disneys lustiges Fußballspiel der Tiere zu denken, in dem ein Nashorn den Ball aufspießt und platzen lässt. Denn wie bei der Litfaßsäule, dem Kasseler Braten und dem Zeppelin stand auch bei der Verballhornung ein Eigenname Pate.

Es war der Lübecker Buchdrucker Johann Balhorn der Jüngere (um 1550-1604), der ganz unverschuldet auf diese Weise der Lächerlichkeit preisgegeben wurde. Von ihm und seinem kaum weniger bedeutenden Vater Johann Balhorn d. Ä. (= 1573) sind über 220 Druckschriften überliefert, darunter Reformationstraktate, historische und juristische Abhandlungen, Volksbücher und Kinderfibeln. Die beiden legten offenbar Wert auf ein gutes Lektorat und auf die Aktualität ihrer Erzeugnisse, jedenfalls vermerkten sie auf vielen Titelblättern »corrigiret« oder »auffs Newe vbersehen«. Heute, wo »zweite, verbesserte Auflagen« zum guten Verlagsbrauch und Presse-Enten samt Berichtigungen fast schon zum Redaktionsalltag gehören, würde derlei niemanden aufregen, aber damals war diese Praxis neu und erregte entsprechend Aufsehen.

Dass die Bücher von Vater und Sohn Balhorn generell vor Fehlern strotzten und die Nachdrucke verschlimmbesserte Ausgaben waren, ist indes böse Verleumdung. Wie die moderne Forschung herausgefunden hat, trug vielmehr ein einziges Buch dazu bei, den Ruf des Verlegersohnes schon zu dessen Lebzeiten zu ruinieren. 1586 musste der Junior unter Zeitdruck eine Revision des neuen Lübecker Gesetzbuches herausbringen, das das weit über die Stadtgrenzen geltende Recht enthielt. Schon die erste Ausgabe hatte mit schikanösen Vorschriften für große Teile der Bevölkerung eine Unzahl von Prozessen hervorgerufen, die zweite »korrigierte« Version, die bezeichnenderweise anonym erschien, verschärfte den Konflikt durch noch absurdere Bestimmungen.

Da sich die verantwortlichen Mitglieder des Lübecker Senats aus Feigheit nicht namentlich nennen ließen, traf der Volkszorn den bedauernswerten Verleger, dessen Name allein auf dem Titel prangte. Und weil die verqueren Gesetze bis ins 17. Jahrhundert gültig blieben, setzte sich die diffamierende Redensart vom »verballhornisieren« im Volksmund fest. Noch immer kann man im holsteinischen und mecklenburgischen Plattdeutsch Redensarten wie »Dat is verbetert dör Johann Ballhorn« hören. So geriet der tüchtige Überbringer schlechter Nachrichten völlig zu Unrecht in den Ruf eines Pfuschers, während die Politiker ungeschoren davonkamen - ein nach wie vor wohl bekanntes Phänomen.