wissen.de Artikel

Wundermittel Vitalpilze?

Wenn man dem Internet glauben darf, können sogenannte "Vitalpilze" so ziemlich alles, sogar Krebs heilen und ewig jung halten. Hierzulande sind sie in Form von Nahrungsergänzungsmitteln erhältlich. Doch was steckt wirklich hinter dem angeblichen Wundermittel aus Asien? Sind Vitalpilze nur ein Marketing-Gag oder tatsächlich ein unterschätztes Heilmittel? Und unter welchen Umständen können sie uns sogar schaden?
AMA, 09.08.2023
Symbolbild traditionellen asiatischen VolksheilkundeIn der
In der traditionellen asiatischen Volksheilkunde spielen auch Pilze eine wichtge Rolle.

© marilyna, GettyImages

Bei Vitalpilzen – auch Heilpilze oder Medizinalpilze genannt – handelt es sich um Pilze aus der traditionellen asiatischen Volksheilkunde, denen heilende oder vorbeugende Wirkungen nachgesagt werden. Dazu gehören unter anderem der Raupenpilz, die Schmetterlingstramete und der Lackporling. Sie werden zerkleinert und dann als Pulver oder Extrakt in Tabletten- beziehungsweise Kapselform zum Verkauf angeboten – auch hierzulande.

Angeblicher Alleskönner

Was genau die Pilze können? Angeblich alles. Im Internet ist unter anderem davon die Rede, dass sie gegen Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma, Akne und Diabetes helfen. Auch eignen sie sich angeblich als Wundermittel gegen Depressionen, Asthma, Allergien, Bluthochdruck, Gicht, HIV und Wechseljahresbeschwerden. Selbst Anti-Aging-Effekte sollen die Pilze draufhaben.

Interessanterweise steht von all diesen Wunderwirkungen allerdings kein einziges Wort auf den Verpackungen der Vitalpilze. Wer mehr über ihre Effekte erfahren will, muss stattdessen online nach Informationen suchen. Dort stößt man dann auf unzählige als redaktionelle Beiträge getarnte Texte und Social-Media-Platzierungen durch Influencer. Diese Geheimnistuerei hat einen simplen Grund, denn hierzulande sind die Wunderpilze als Nahrungsergänzungsmittel deklariert. Das bedeutet, dass sie offiziell keine Versprechungen zu medizinischer Wirksamkeit machen dürfen, die zuvor nicht in umfangreichen Studien bestätigt wurden.

Chinesischer Raupenpilz (Ophiocordyceps sinensis)
Gewöhnungsbedürftig: Der Chinesische Raupenpilz wird nicht nur in der traditionellen asiatischen Volksheilkunde verwendet, sondern gilt in Teilen Ostasiens auch als Delikatesse.

© shamanoo, GettyImages

Mangelnde Studienlage

Und damit wären wir direkt beim ersten Punkt, den Experten an Vitalpilzen kritisch sehen. Ihre Wirkung ist noch nie offiziell in einer klinischen Studie belegt worden. Die wenigen Studien, die es zum Thema Vitalpilze gibt, haben ihre Wirkung lediglich im Reagenzglas oder Tierversuch untersucht, was sich allerdings nicht auf den Menschen übertragen lässt. Außerdem verwendeten die Forschenden dabei vor allem fein säuberlich isolierte Pilzstoffe und nicht das gesamte Präparat, so wie ein Mensch es letzten Endes einnehmen würde.

So zeigte sich zwar, dass verschiedene sekundäre Inhaltsstoffe von Vitalpilzen – darunter Lektine, Beta-Glucane, Ergosterol und Arginin – theoretisch an bestimmte Rezeptoren binden und unter anderem tumorunterdrückende Wirkungen entfalten können, aber wie ein komplettes Pilzpräparat im menschlichen Körper wirkt, ist noch unklar. Anhand des aktuellen Forschungsstands können wir also weder sagen, wie und ob Vitalpilze wirken, noch wie sicher sie sind und welche Nebenwirkungen ihre Einnahme zur Folge haben könnte.

Intransparente Pilzmischungen

Selbst wenn wir all diese Daten zu einem einzelnen Präparat hätten, würde das immer noch keine allgemeingültigen Aussagen über Vitalpilze erlauben. Denn jedes Mittel ist anders zusammengesetzt und aufbereitet und von unterschiedlicher pharmazeutischer Qualität. Generell kann man bei Vitalpilz-Produkten nie wirklich wissen, welche Pilze darin verarbeitet wurden. Zum Beispiel hat sich gezeigt, dass statt des echten Chinesischen Raupenpilzes, der bis zu 80.000 Euro pro Kilogramm kostet, häufig billigere Pilzarten beigemischt werden, ohne dies offiziell kenntlich zu machen. Dadurch lässt sich auch nicht ausschließen, dass vielleicht giftige Pilze reingerührt wurden. Und selbst wenn das nicht der Fall ist, können auch ungiftige Pilze zur Gefahr werden – etwa, weil sie durch falsche Lagerung mit Schimmelpilzen befallen sind oder weil sie allergische Reaktionen auslösen. 

Fazit

Aus all diesen Gründen ist es absolut nicht empfehlenswert, die Pilzextrakte auf eigene Faust zu nehmen und für sie vielleicht sogar eine erfolgsversprechende medizinische Therapie abzubrechen. Auch von einer Einnahme parallel zu einer bestehenden Therapie wie etwa einer Chemotherapie ist abzuraten, denn es steht im Raum, dass die Vitalpilze womöglich die Wirkung der Chemo schwächen und ihre Nebenwirkungen verstärken können. Trotz der Versprechungen, die die Pilze machen, sind sie nun einmal keine offiziellen Arzneimittel und wir wissen im Grund nichts über ihre Wirkung und Inhaltsstoffe.

Wer trotzdem unbedingt Vitalpilze testen möchte, sollte die Einnahme vorher mit seinem Arzt absprechen und nur zertifizierte Produkte aus Apotheken beziehen, um das Risiko einer Verunreinigung zu minimieren.

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch