Gewürz der Gegensätze
Anis ist das Gewürz der Gegensätze. Es schmeckt zur französischen Fischsuppe ebenso wie zu indischen Fladen. Es passt zum rustikalen Bauernbrot ebenso wie zu den schönsten aller Weihnachtsplätzchen, den kunstvoll mit Holzmodeln geformten Springerle. Die halbmondförmigen Samen riechen nach Lakritze und sehen aus wie Kümmel - "süßer Kümmel" wird das Gewürz deshalb auch genannt.
Im Mittelmeerraum ist Anis Kult. Sein Aroma kommt in drei Nationalschnäpsen zur Geltung. Was den Griechen ihr Ouzo, ist den Türken ihr Raki und den Franzosen ihr Pernod. Verdünnt man die edlen Tröpfchen mit Wasser, verwandeln sie sich wie durch Zauberhand in eine milchige Lösung. So wird das Trinken zum Ritual.
Ob "jamas", "şerefe" oder "á votre santé" - wenn sich Alkohol und Anis ein Stelldichein geben, beginnt der Feierabend. Der scharf-süße Duft entspannt und entkrampft nicht nur den Magen; er hilft auch abzuschalten. Als Heilkraut wird Anis unter anderem zur Beruhigung empfohlen.
Dies wussten wohl schon die alten Römer. Jedenfalls fand man bei Ausgrabungen im Römischen Kolosseum zwischen den Sitzreihen Anisfrüchte. Offensichtlich knabberten die Zuschauer der blutigen Gladiatorenkämpfe Anisgebäck für ihre aufgewühlten Nerven.