Audio

"Ein Quäntchen Trost" - die aktuelle Filmkritik zum neuen James Bond-Film (Podcast 20)

0:00

Wem kann man in aktuellen Krisenzeiten schon noch trauen. Seinem Banker? Eher weniger. Seinem Finanzminister? Zumindest nicht, wenn er Erwin Huber heißt. James Bond? Nun, bisher war auf die britische Doppel-Null immer Verlass. Mit hoher Zuverlässigkeit gab er in 20 Filmen den Weltenretter und erledigte Super-Schurken quasi im Vorbeigehen. Die Frage nach Gut und Böse stellte sich nicht. Seit dem fulminanten Remake des ersten Bond-Films "Casino Royale" aus dem Jahr 2006 ist allerdings vieles, wenn nicht gar alles anders im Bond-Universum. 007 zeigte auf einmal tiefe Gefühle, legte Züge eines Frauen-Verstehers an den Tag, fand sogar die große Liebe! Es war ein Tabubruch mit dem alten Rollenklischee, der vor allem dem Zeitgeist geschuldet war. Zotige Altherrenwitze und Macho-Sprüche gehörten glücklicherweise der Vergangenheit an. Bond war zu seinen Wurzeln zurückgekehrt.
 

Die Vertrauensfrage
 

Im aktuellen Bond-Film mit dem leicht kryptischen (und auch irreführenden) Titel "Ein Quantum Trost" (Original: "Quantum of Solace") setzt sich dieser Trend fort. Regisseur Marc Forster und die Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson haben sich entschieden, dem Spitzenmann des britischen MI 6 noch menschlichere Züge zu verleihen. Und deshalb verfügt "Ein Quantum Trost" neben der pyrotechnisch reichlich gesättigten und rekordverdächtig actionreichen Story auch über eine durchaus ansprechende psychologische Meta-Ebene: Ist Vertrauen heute noch eine moralische Dimension, die unser menschliches Zusammenleben und unser Tun bestimmen kann? "Vertrauen" ist laut Wahrig-Wörterbuch die "Überzeugung, dass etwas oder jmd. zuverlässig und berechenbar ist". In "Ein Quantum Trost" wird die Vertrauensfrage eigentlich permanent gestellt - und nahezu über die gesamte Länge von 90 Minuten negativ beschieden. Die Protagonisten und ihre Beziehungen untereinander durchlaufen permanent eine Art emotionaler Systemüberprüfung, die verzweifelt versucht, das Gegenüber in Kategorien von Gut und Böse einzusortieren. Klingt nach Psychodrama, oder? Nun, wenn man die früheren Regiearbeiten von Marc Forster betrachtet, ist diese Aussage gar nicht so weit hergeholt. Dennoch kann "Ein Quantum Trost" nicht das zugegeben hohe Niveau des Vorgängerstreifens erreichen. Und das liegt nicht primär an der Story, sondern eher an der dramaturgischen Gestaltung der Figuren.
 

Kenner des Films "Casino Royale" sind übrigens deutlich im Vorteil. Nicht nur, weil sie dort dem neuen, menschlichen Bond bereits begegnet sind, sondern auch, weil die Handlung von "Ein Quantum Trost" direkt, sozusagen 10 Minuten nach dem Ende von "Casino Royale" ansetzt. Nachdem ihn seine große Liebe Vesper Lynd verraten hat und in den nassen Freitod gegangen ist, hatte sich Bond den verantwortlichen Drahtzieher "Mr. White" gegriffen. In der der furiosen Anfangsszene muss er sich in seinem Aston Martin auf die waghalsige Flucht vor dessen schießwütigen Komplizen machen - "Mr. White" als gut verschnürten menschlichen Beifang im Kofferraum. Eine Verfolgungsjagd vom Feinsten, die in den Marmorfelsen von Carrara endet. Und zwar mit dem eindeutig besseren Ende für 007. Bond kämpft von der ersten Minute des Films nicht nur gegen eine extrem gefährliche und global verzweigte Organisation, sondern vor allem gegen sich selbst. Er ist auf dem besten Weg, diese Mission zu einer persönlichen Vendetta in Sachen "Vesper Lynd" zu machen. Der überwiegende Teil seiner Gesprächspartner überlebt das erste Gespräch nicht, was Bond in der Original-Fassung mit "He was a dead end." kommentiert. Auch MI 6-Chefin M (die abermals fantastische Judy Dench) spürt gleich zu Beginn am eigenen Leib, dass der lange Arm der Verbrecherorganisation nicht nur sprichwörtlich bis in die eigenen Reihen reicht. Es ist eben alles eine Frage des Vertrauens ...
 

Die forensische Abteilung des Geheimdienstes kann einen MI 6-Verräter mit einem Bankkonto in Haiti in Verbindung bringen. Aufgrund einer Verwechslung macht Bond dort die Bekanntschaft der schönen aber resoluten Camille, einer Frau, die einen eigenen Rachfeldzug führt. Camille bringt Bond direkt zu Dominic Greene, einem skrupellosen Geschäftsmann und der treibenden Kraft innerhalb der mysteriösen Organisation, die sich publicityträchtig nachhaltigen Umwelt- und Klimaschutz auf die grüne Fahne geschrieben hat.
 

Auf seiner Mission, die ihn nach Österreich, Italien und Südamerika führt, findet Bond heraus, dass Greene ein grenzübergreifendes Komplott schmiedet und versucht, die totale Kontrolle über einer der wichtigsten natürlichen Ressourcen der Zukunft zu gewinnen: Wasser. Um das zu erreichen, schließt Greene einen Deal mit dem im Exil lebenden General Medrano. Indem Greene seine Partner in der Organisation benutzt und seine einflussreichen Kontakte bei der CIA und in der Britischen Regierung manipuliert, verspricht er, das gegenwärtige Regime in Bolivien zu stürzen und dem General die Macht zu übertragen - als Gegenleistung für ein scheinbar wertloses Stück Land.
Bond ist zunehmend auf sich allein gestellt, es wird einsam um den Trost suchenden Rächer. Nachdem er im Überlebenskampf auch den Leibwächter eines britischen Politikers getötet hat, verliert sogar M das Vertrauern in ihren besten Mann und will ihn kaltstellen.
 

Der einsame Wolf sucht alte Verbindungen und muss sogar seinen eigenen Leuten immer einen Schritt voraus sein.
 

Es ist nicht alles Gold was glänzt
 

Die Story von Paul Haggis, Neal Pruvis und Robert Wade lässt den Zuschauer einen durchaus entlarvenden Blick hinter die Kulissen der Macht tun. In Zeiten von taumelnden Börsen, ignoranten Politikern und korrumpierten Managern ohne ein Fünkchen Bodenhaftung bleibt Bond nur das Vertrauen in sich selbst. Daniel Craig ist der mit weitem Abstand beste Schauspieler, der bis heute in die Rolle des Geheimagenten geschlüpft ist. Sein Bond ist ein von inneren und auch äußeren Verletzungen Getriebener, eine fast manisch agierende Killermaschine, die extrem schnell kurzen Prozess macht. Die beim Töten alles ausblendet. Und die eigentlich in dieser Übersprungshandlung nur eines sucht: Trost, Trost nach dem Tod eines geliebten Menschen.
 

Craig hält sich schauspielerisch dabei an der Kandarre, ist sehr sparsam in Gestik und Mimik und dabei doch körperlich auf eine fast schon beängstigende Art und Weise präsent. Was wiederum dazu führt, dass Mathieu Amalrics Greene und Olga Kurylenkos Camille zwar überzeugen, aber trotzdem in einer anderen Liga spielen. Die nicht wirklich an Craig heranreichen kann.
Bond-Fans werden einiges vermissen, wie etwa die fast schon Gesetz gewordene Vorstellungsfloskel "The name's Bond. James Bond." oder die klassische Martini-Bestellung "Shaken, not stirred!" und natürlich die erotische Seite ihres Lieblings. Bond sinkt diesmal nur mit einer eher britisch-blassen Bürokraft des MI 6 in die Laken. Aber es gibt auch schöne Zitate aus alten Bond-Filmen, etwa wenn die Leiche ebenjener Bürokraft, von einer dicken Ölschicht überzogen, auf dem Bett der Bondschen Hotelsuite drapiert wird. Es ist eben nicht alles Gold, was glänzt.
 

"Ein Quantum Trost" hat etwas von der Atemlosigkeit eines Sprinters nach dem 100 m-Lauf. Das filmische Erzähltempo ist mörderisch hoch, untermalt von David Arnolds primär rhythmisch getriebenem Soundtrack und einer brillant choreographierten Action, die gerade in den Verfolgungsjagden durchaus die Story vorantreibt. Und doch fehlt dem Film etwas Essenzielles: eine Schlüsselszene, ein wirklicher dramatischer Höhepunkt. Bis zum finalen Showdown in der bolivianischen Wüste sind bereits zu viele Patronen verschossen, zu viele Menschen getötet, zu viele Boote explodiert und zu viele Martinis getrunken als dass diese letzte Begegnung zwischen Bond und Greene als Klimax im Gedächtnis haften bliebe. Es sind vielmehr die kleinen, ruhigen Momente, die der Zuschauer aus dem Kino mitnimmt, etwa die Schluss-Szene im winterlichen Moskau, wo man die Eiseskälte und Schicksalhaftigkeit der Situation förmlich auf der eigenen Haut spürt und Augenzeuge wird, wenn Bond nicht nur "Ein Quantum Trost" widerfährt, sondern wenn auch klar wird: Dieser Mann hat sich nicht selbst aufgegeben. Und ab sofort kann man ihm auch wieder vertrauen!
 

Jörg Peter Urbach, wissen.de-Redaktion

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus dem Wahrig Synonymwörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Fremdwörterlexikon

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon