Lexikon

Rechtswissenschaft

Jurisprudenz; Rechtslehre
die Wissenschaft vom Recht; vielfach nur Bezeichnung für die Rechtsdogmatik, d. h. die Erforschung des positiven Rechts durch dessen Ausdeutung mit den Methoden der Rechtsfindung und durch systematisches Erfassen und Verarbeiten seiner Quellen, Begriffe und Rechtsinstitute (auch mit Hilfe weiterer Teil- und der Grenzgebiete der Rechtswissenschaft, besonders der Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsvergleichung sowie der politischen Wissenschaft) unter Zugrundelegung einer allgemeinen Logik und Erkenntnistheorie, besonders allgemeiner Grundbegriffe des Rechts, der Allgemeinen Rechtslehre; aber auch für die Fortbildung und Kritik des Rechts (die Rechtspolitik).
Als Rechtsdogmatik behandelt die deutsche Rechtswissenschaft die (entsprechend den verschiedenen Gebieten des Rechts selbst in zahlreiche Spezialgebiete aufgegliederten) Hauptzweige der Rechtswissenschaft vom öffentlichen Recht und vom Privatrecht. Die Ergebnisse und Methoden der Rechtswissenschaft werden an den rechtswissenschaftlichen Fakultären oder Fachbereichen der Universitäten gelehrt (Rechtslehre im engeren Sinne eines Gegensatzes zur Rechtsforschung); in systematischen Lehrbüchern, Kommentaren, Monografien u. a. Veröffentlichungen werden sie außer der Lehre und Forschung auch der Praxis der Rechtspflege nutzbar gemacht.
Am Anfang der Rechtswissenschaft steht die römische Jurisprudenz, aus der die byzantinische (Kodifikation Justinians 528534 n. Chr.) erwuchs. Die römische Klassik der Rechtswissenschaft wurde von den großen Juristen und deren Schulen getragen (Labeo 1. Jahrhundert, Julianus, Papinianus 2. Jahrhundert, Gaius, Ulpian 3. Jahrhundert). Diese Tradition lebte in Italien fort und fand in den Glossatoren, aber auch in den Decretisten und Kanonisten des Kirchenrechts ihre Fortbildung; sie wirkte u. a. auch auf die deutsche Humanistengeneration.
Das alte deutsche Recht kannte keine Rechtswissenschaft. Die deutsche Rechtswissenschaft besaß in der Privatrechtswissenschaft Anhänger des römischen Rechts und des deutschen Rechts, die sich im 19. Jahrhundert z. T. heftig befehdeten. An der wissenschaftlichen Erarbeitung der großen Kodifikationen des Kaiserreichs von 1871 (StGB 1871; GVG, ZPO, StPO und KO 1877, BGB 1896, HGB 1897) nahmen außer den Hochschullehrern der Rechtswissenschaft auch praktische Juristen besonders des Reichsgerichts und auch dieses selbst in seinen vielen bedeutenden Entscheidungen teil. In der für alle Zweige der Rechtswissenschaft bedeutsamen allgemeinen Rechtslehre folgte als Reaktion auf die historische Rechtsschule, die nicht nur der Rechtsphilosophie, sondern auch der Rechtsdogmatik historisch-romanistische Kategorien zugrunde legte, die Begriffsjurisprudenz; dieser folgte wiederum die bis heute herrschende Interessenjurisprudenz mit ihrer vorübergehenden Übersteigerung in der Freirechtsschule. Philosophische und ideologische Strömungen üben allerdings einen großen Einfluss auf die Rechtswissenschaft aus. So haben idealistische, soziologische, logistische, wertphilosophische, existenzialistische und marxistische Richtungen zu fortgesetzten Methodendiskussionen der Rechtswissenschaft und zur Überprüfung ihrer Grundlagen geführt.