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Andy Warhol – Die Kunst der Serie (Podcast 176)

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"30 sind besser als eine", so der Titel eines Warhol-Werks. Zu sehen ist eine Mona-Lisa-Postkarte, die dreißig Mal auf einer Leinwand vervielfältigt wurde. Kunst in Serie. Der Pop-Art-Begründer Andy Warhol liebte Wiederholungen. Sie wurden sein Markenzeichen. Und man muss kein Kunstliebhaber sein, um seine Werke im Kopf zu haben. Wer kennt sie nicht, die unzähligen Tomatensuppendosen, Marilyns, Elvisse, Cola-Flaschen und Maos? Meist koloriert in grellen Acrylfarben. Das Kopfkino beginnt. Hat er das gewollt? Wollte Andy Warhol für immer in unseren Köpfen bleiben? Eine multiple Berühmtheit mit meist freudlosem Blick, Brille auf der Nase und eine seiner 400 skurrilen Perücken auf dem genialen Kopf? Wer war Andy Warhol? Eine Antwort sucht die wissen.de-Autorin Sandra Hermes.

 

Auf dem Weg nach New York

Ganz zu Beginn seines 59-jährigen Lebens war er gar nicht Andy Warhol. Der jüngste Sohn armer Einwanderer aus einem Karpatendorf in der heutigen Slowakei kam 1928 als Andrej Warhola in Pittsburgh, Pennsylvania zur Welt. Aus Andrej wurde im Alltag schnell Andrew. Das klang amerikanischer. Eine Autoimmunerkrankung fesselte ihn als Kind fast ein Jahr ans Bett und knüpfte eine enge Bindung zu seiner Mutter Julia. Seine Zeit vertrieb sich der Junge mit Comics, Ausschnitten aus Filmzeitschriften und dem Zeichnen. Auf viele Motive dieser prägenden Zeit sollte der angehende Künstler später immer wieder zurückkommen. Nach dem Studium der Gebrauchsgrafik ging er nach New York. 1950 veröffentlichte  er erstmals eine Zeichnung, die mit seinem Künstlernamen signiert war: Andy Warhol war geboren.

 

Malen und malen lassen

Nach einer Durststrecke als Gelegenheitsarbeiter, Schaufensterdekorateur und Gemüseverkäufer, konnte Warhol schließlich von seiner Arbeit als Grafiker leben. Er erfand die Coulering Partys, zu denen er Freunde einlud, seine Arbeiten farbig auszumalen. Damit nahm der junge Grafiker bereits die Idee seiner späteren "Factory“ vorweg. So der Name seines berühmten New Yorker Ateliers, in dem Warhol und seine Mitarbeiter Kunst seriell produzierten. 1956 stellte er als anerkannter Grafiker bereits im Museum of Modern Art aus, wandte sich dann aber endgültig der bildenden Kunst zu.

 

Alles so schön bunt hier

Ende der 1950er Jahre, Warhol war gerade 30 Jahre alt, experimentierte er auf großen Leinwänden mit trivialen Motiven aus der Popkultur. Hollywoodstars wie Liz Taylor und Marilyn Monroe und Comic-Helden wie Micky Mouse und Superman lachten den Betrachter schrill und bunt an. Ein Statement gegen den Radikalen Expressionismus dieser Zeit und eine erste Erfahrung mit der Siebdrucktechnik. Diese nutzte Andy Warhol in den 1960er Jahren ausgiebig für seine Kunstmaschinerie. In Serie druckte er Motive, die jeder Amerikaner kannte. Wie einst auf dem Krankenbett schnitt er Suppendosen, Cola-Flaschen, Waschmittelwerbung und Hollywoodstars aus Zeitschriften, Postkarten oder Filmplakaten und machte sie zu seiner Pop Art. "I love to do the same thing over and over again", sagte der Exzentriker über sich und seine neue Art der Kunst. "Plagiat!“ schrien die einen, "brillant!“ noch wenige andere. Zu denen, die das Revolutionäre an Warhols Kunst erkannten, gehörte der Schauspieler Dennis Hopper. Als Warhol in seiner ersten Einzelausstellung als Künstler die "Campbell's Soup Cans“ zeigte, war er 1962 einer von nur zwei Käufern.

 

Die Kunst-Maschinerie läuft

Im selben Jahr gründete Warhol seine "Factory“. Sie war nicht nur Atelier, sondern private Partylocation, Filmstudio und Wohnraum. Hier traf sich die New Yorker Kunst-, Musik-, Film- und Modeszene zu multimedialen Happenings. Bob Dylan, Mick Jagger, Jim Morrison, Salvador Dalí und Marcel Duchamp gingen in den ehemaligen Fabrikhallen ein und aus. Von Warhol auf Polaroids gebannt, wurden sie und unzählige andere Fabrikbesucher Teil seiner Kunst. Er selbst male gar nicht mehr, soll Warhol einmal gesagt haben. Auch seine Vorlagen seien alle schon da, er selbst produziere gar keine Kunst mehr, sie produziere sich selbst. Abseits solcher kunstphilosophischer Betrachtungen, sah die Realität anders aus: Andy Warhol lieferte häufig nur die Ideen und Konzepte, seine Assistenten - meist junge Grafik-Studenten - setzten sie um. Moderne Arbeitsteilung in der Kunstfabrik.  

 

Zeitgeist in drei Minuten

Auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen, wurde der Film zu Warhols neuer Leidenschaft. Mehr als 4000 Film- und Videoaufnahmen entstanden seit Anfang der 1960er Jahre. Berühmt wurden Warhols "screen tests“. Die Szenerie dieser "Probeaufnahmen“ war immer dieselbe. Ein Fabrikbesucher durfte, angestrahlt von einem Scheinwerfer, für drei Minuten auf einem Stuhl vor einer statischen Kamera Platz nehmen. Die Zeit gehörte dem Akteur. Allein mit der Kamera konnte er reden, singen, lachen, weinen oder - unter dem Druck der Situation - hysterisch werden. Das simple Setting produzierte ganz erstaunliche Einblicke in die Psyche des oft unter Drogen stehenden Warhol-Gefolges. Die screen tests sind heute ein Dokument des Zeitgeists der 1960er Jahre in der verrückten Szenehauptstadt New York.

 

Warhols Superstars

Die statische Kamera stand im Zentrum seiner frühen Filmexperimente. Mit einer billig ergatterten Bolex-16-mm-Kamera filmte Andy Warhol acht Stunden das Empire-State-Building, beobachtete den Pop-Art-Künstler Robert Indiana in "Eat“ geschlagene 45 Minuten beim Essen eines Pilzes oder filmte den Dichter John Giorno sechs Stunden beim Schlafen. Nur der aufmerksame Betrachter dieser vermeintlich langweiligen Filmkunst, erkannte, dass Warhol die Filme durchaus bearbeitete hatte. Sie bestanden aus mehreren, geschickt montierten Szenen, die nur die Zuschauer wahrnahmen, die sich durch das Medium nicht blenden ließen.

Die Protagonisten seiner Filme nannte Warhol ironisch "Superstars“. Eine Replique auf die Hollywood-Stars am anderen Ende der USA. Warhols bekanntester Superstar war das Fotomodell Edie Sedgwick. Mitte der 1960er zog sie mit Warhol und seinem Anhang durch die New Yorker Nachtclubs und führte eine Art symbiotische Beziehung mit dem homosexuellen Pop-Art-Künstler. Er verhalf ihr in seinen Experimentalfilmen zu Erfolgen als Schauspielerin, sie war seine Muse und die "Queen“ der Factory. Ihren schnellen Aufstieg als It-Girl ihrer Zeit, bezahlte die drogensüchtige Edie 1971 mit dem Leben. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Wege des Pop-Paars schon lange wieder getrennt. Während Edie sich 1966 dem von ihr vergötterten Bob Dylan anschloss, verfolgte Warhol seine Karriere als Filmkünstler weiter.

 

Sex, Drugs and Rock ‘n’ Roll in New York

"Chelsea Girls“ wurde weltweit in den Kinos gezeigt. Die Kritiken waren überwiegend vernichtend. Der Film zeigte in zwölf Episoden das fiktive Leben der Bewohner der Künstlerabsteige "Chelsea Hotel“ und offenbarte schonungslos die dunklen Seiten des Lebens der New Yorker Szene. Weitgehend improvisiert und ohne Regieanweisungen, hält Warhol die Kamera schonungslos auf Gewaltexzesse, Drogenkonsum und Obszönitäten seiner "Superstars“. Das Ganze ist untermalt mit dem experimentellen Rocksound von The Velvet Underground.

Die Rockband um Gitarrist Lou Reed wurde von Warhol gefördert und war das Zugpferd in der Multimediaperformance "Exploding Plastic Inevitable“. Das Publikum dürfte Vergleichbares weder gesehen noch gehört haben. Warhol beleuchtete den Saal mit grellen Stroboskopblitzen und Lichteffekten. Zu psychedelischen Filmprojektionen, kreischte Lou Reeds verstärkte Gitarre, und auf der Bühne vollführten Warhols Superstars sadomasochistisch angehauchte Tänze. Die Zuschauer reagierten schockiert und verstört.

Das Debutalbum von The Velvet Underground wurde von Warhol produziert und vermarktet. Auf dem Plattencover prangte der abziehbare Siebdruck einer grellgelben Banane mit dem Hinweis "peel slowly and see“. Das Bananenalbum war in den 1960er Jahren eine finanzielle Pleite. In den Songs ging es um Sex, Drogen und Prostitution. Für die Radiostationen Grund genug, sie aus ihrem Programm zu verbannen. Heute ist The Velvet Underground ein Stück Rockgeschichte.

 

Das Attentat

Der Wendepunkt in Warhols Leben und Schaffen kam 1968. Am 3. Juni schoss Valerie Solanas in seinem Atelier auf den Pop-Art-Papst. Die radikale Frauenrechtlerin und Factory-Besucherin hatte sich von Warhol hintergangen gefühlt. Warhol wurde mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Die Ärzte retteten ihm nur knapp das Leben. Das Attentat hatte den Künstler verändert. Aus Angst vor weiteren Anschlägen überwachte im neuen Atelier am Union Square eine Kamera, wer ein und aus ging. Das Prinzip der offenen Tür war Geschichte. Der Tatort Factory wurde nur noch als Bürohaus genutzt.

Warhol konzentrierte sich künstlerisch wieder mehr auf seine Siebdrucke und schlug als Geschäftsmann Kapital aus dem Attentat. Die Bilder, die durch Solanas Schüsse zerstört worden waren,  vermarktete er unter den Titeln "Elvis Lives“ und "Shot Marilyn“. Bei aller Tragik, die Preise von Warhol-Werken hätte keine seiner medienwirksamen Provokationen steiler in die Höhe treiben können als seine Beinahe-Ermordung. Seine Kunst wurde Teil der von ihr kritisierten, trivialen Konsumgesellschaft. Des eigenen Ruhms versicherte sich Warhol zwanghaft durch die Stars aus Kunst, Musik und Film, die er weiterhin um sich scharte wie ein manischer Sammler. Er kommerzialisierte sein Schaffen, nahm nun Aufträge für Portraits an und bemalte für BMW und Mercedes Autos. Sogar vor Werbung im japanischen Fernsehen schreckte Warhol nicht zurück.

 

Von Ängsten verfolgt

Der unter ständigen Schmerzen leidende Künstler verabschiedete sich von seinen Filmexperimenten und überließ die Regie seinem Mitarbeiter Paul Morrissey. Da das Nachtleben für Warhol und seine Clique nun nicht mehr in der Factory stattfinden konnte, zogen sie in den frühen 1970er Jahren durch die angesagten New Yorker Clubs. Ein Treffpunkt der Szene war das legendäre Studio 54.

Nach dem Anschlag auf sein Leben und dem Verlust seiner geliebten Mutter Julia 1972, tauchte das Thema Tod immer wieder in seinen Werken auf. In der Serie "skulls“ produzierte Warhol Totenköpfe in Serie, in einem Selbstportrait ist Warhol mit einem Schädel auf dem Kopf zu sehen. Die Angst vor dem Tod scheint sein Begleiter geworden zu sein. In den 1980er Jahren kam, so seine Vertraute Pat Heackett, die Angst vor dem HI-Virus hinzu. Der homosexuelle Künstler, der sich selbst nie als schwul geoutet hatte, zog sich noch mehr ins Privatleben mit seinem Lebensgefährten Jed Johnson zurück.

 

Überraschender Tod

Am 22. Februar 1987 verstarb Andy Warhol, der King of Pop Art, an Komplikationen nach einer Gallenblasenoperation. 2.000 Freunde, Bekannte und Weggefährten gedachten seiner in der New Yorker St. Patricks Cathedral. Sein auf 100 Millionen Dollar geschätztes Vermögen floss zum größten Teil in die Andy Warhol Foundation for the Visual Arts. Der Künstler selbst hatte deren Gründung verfügt.  Hinterlassen hat er der Kunstwelt ungleich mehr. Warhol steht nicht nur für einen ganz neuen Kunststil, er kreierte gewissermaßen eine neue Art Künstler: "Er schuf den Prototyp des Künstlers als soziale Berühmtheit", so ist auf der Homepage des Getty Museums zu lesen. Seine Kunst hörte nicht auf einer Leinwand auf. Warhol nutzte jedes Medium, dass interessant und neu war: Fotografie, Film, Musik, Licht, Werbung, Mode und sein eigener, extravaganter Lebensstil, an dem er die New Yorker Szene und die Medien in aller Welt gezielt teilhaben ließ.

 

Ein Leben in 600 Kartons

Wem dieses Vermächtnis zu öffentlich ist, kann der Kunst-Ikone auch heute noch sehr privat nahekommen. Nach dem Attentat hatte der sammelwütige Warhol begonnen, Dinge, die ihm wichtig waren, in rund 600 Umzugskartons zu packen und einzulagern. Er nannte sie "time capsules“. Das Andy Warhol Museum in Pittsburgh gestattet es heute kleinen, ausgewählten Gruppen gegen eine Spende beim Öffnen einer der Zeitkapseln dabei zu sein. Der zuständige Archivar fand bislang neben einer Unmenge Flohmarkt-Krims-Krams 17.000 Dollar und ein signiertes Nacktfoto von Jackie Kennedy.

Wer also war Andy Warhol? Begnadeter Kunst-Revolutionär, Szene-Ikone, Provokateur, und Superstar-Sammler oder ein fürsorglicher Sohn, introvertierter Homosexueller und einsamer Hypochonder? Er selbst hielt nichts von unzähligen Versuchen der Medien, seine Persönlichkeit in Worte und Schubladen zu pressen: 1960 sagte er in einem Interview: "Wenn du alles über Andy Warhol wissen möchtest, betrachte nur meine Oberfläche, die meiner Gemälde und Filme, und da bin ich. Nichts ist dahinter." Die Zeitkapseln sprechen indes eine andere Sprache. Jemand, der seiner Nachwelt Monat für Monat sein Leben in ein Karton packt, möchte, dass man sich an ihn erinnert. Und das ist ihm gelungen. Andy Warhol ist seit 25 Jahren tot, es lebe Andy Warhol!

 

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