Lexikon

Volkswirtschaftslehre

Nationalökonomie; Sozialökonomik; politische Ökonomie
die Wissenschaft, die „menschliches Verhalten untersucht als Beziehung zwischen Zielen und knappen Mitteln, welche verschiedene Verwendungsmöglichkeiten haben“ (L. Robbins); ist als allgemeine (theoretische) Volkswirtschaftslehre (Wirtschaftstheorie) und spezielle (angewandte) Volkswirtschaftslehre (Volkswirtschaftspolitik) ein Hauptgebiet der Wirtschaftswissenschaften neben Betriebswirtschaftslehre, Finanzwissenschaft und Statistik; steht in enger Verbindung zur Geschichte (Wirtschaftsgeschichte), Geographie (Wirtschaftsgeographie), Psychologie, Rechtswissenschaft und Soziologie. Die Fragestellung der theoretischen Volkswirtschaftslehre richtet sich auf Wesen und Gesetzmäßigkeiten bei der Gütererzeugung (Produktion), Einkommensverteilung (Distribution) und Einkommensverwendung (Konsum und Ersparnis), die Bestimmungsfaktoren (Geld, Kredit, Investition, Wert, Preis, Marktformen, Wirtschaftsordung usw.) und das Wesen wirtschaftlicher Vorgänge (Konjunkturen u. a.). Die spezielle Volkswirtschaftslehre wendet die Erkenntnisse der theoretischen Volkswirtschaftslehre auf konkrete Tatbestände an.

Geschichte

Ansätze zur Beantwortung wirtschaftlicher Fragen finden sich bei Philosophen der Antike (Aristoteles) und Scholastikern (Thomas von Aquin, Oresmius). Im Merkantilismus wurde wirtschaftspolitische Einzelforschung betrieben. Die erste systematische Erklärung volkswirtschaftlicher Erscheinungen gelang den Physiokraten (F. Quesnay, A. R. J. Turgot). Als Schöpfer der Volkswirtschaftslehre gilt der Begründer der klassischen Nationalökonomie, A. Smith. Die klassische Volkswirtschaftslehre wurde ausgebaut durch D. Ricardo, T. R. Malthus, J. S. Mill, J. B. Say, N. W. Senior, H. C. Carey; in Deutschland durch F. B. W. von Hermann und J. H. von Thünen. Der liberalen, individualistischen klassischen Nationalökonomie, insbesondere dem Manchestertum, erwuchs die Gegnerschaft des Sozialismus, der besonders den Eigennutz als wirtschaftliches Ordnungsprinzip angriff (C. Fourier, P. J. Proudhon, J. C. Rodbertus-Jagetzow, F. Lassalle, K. Marx).
Die ältere und jüngere historische Schule in Deutschland ersetzte die deduktive Forschungsmethode durch die induktive (geschichtliche) und bestritt die Allgemeingültigkeit wirtschaftlicher Gesetze (Hauptvertreter der älteren Richtung: W. Roscher, B. Hildebrand, K. Knies; der jüngeren Richtung: G. von Schmoller, G. F. Knapp, K. Bücher). In den USA entwickelte sich daraus später der Institutionalismus. Die Grenznutzenschule (C. Menger, F. Freiherr von Wieser, E. von Böhm-Bawerk, Österreichische Schule) entwickelte eine subjektive Wert- und Preislehre, auf der auch die Lausanner Schule (L. Walras, V. Pareto) aufbaute. Walras gelang die Darstellung des allgemeinen Gleichgewichts in der Volkswirtschaft. In Großbritannien gelang es A. Marshall, die Lehren der Grenznutzenschule mit der klassischen Nationalökonomie zu verbinden.
Nach dem 1. Weltkrieg versuchte eine neoklassische Richtung (G. Cassel, A. Weber), der Volkswirtschaftslehre unter Ablehnung der Grenznutzenlehre ein neues Gepräge zu geben, indem sie auf die Wertlehre völlig verzichtete. In den 1930er Jahren wirkte unter dem Eindruck der katastrophalen Wirtschaftskrise die Lehre von J. M. Keynes revolutionierend (Gleichgewicht in unterbeschäftigter Volkswirtschaft); in den 1940er Jahren gelang durch J. Robinson, H. Freiherr von Stackelberg und E. H. Chamberlin eine Verbreiterung und Vertiefung der Preistheorie (Oligopol, monopolistische und unvollständige Konkurrenz). Nach dem 2. Weltkrieg widmete sich die Volkswirtschaftslehre insbesondere der Wachstumstheorie, und es kam zu einer engen Verknüpfung von theoretischer Forschung und Wirtschaftspolitik. Eine wichtige Rolle in der neueren Volkswirtschaftslehre spielt der Monetarismus.