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Lech Walesa: Der »Held von Danzig«

Was löst den demokratischen Umbruch in Polen aus?

Ein arbeitsloser Elektromonteur fährt am 14. August 1980 mit der Straßenbahn zur Danziger Leninwerft. Er klettert über die Werftmauer und führt, obwohl er nicht mehr zur Belegschaft gehört, die streikenden Arbeiter an. Sie fordern die Wiedereinstellung entlassener Dissidenten sowie höhere Löhne und Lockerung der Zensur. Während sich der Ausstand immer mehr zu einem Generalstreik entwickelt, setzt sich der charismatische Streikführer an die Spitze des neugegründeten überbetrieblichen Streikkomitees und zwingt die kommunistische Regierung mit Unterstützung der Massen in die Knie. Die Forderungen der Streikenden werden weitgehend erfüllt. Lech Walesa, der arbeitslose Elektriker, ist mit einem Schlag berühmt. Drei Jahre später bekommt er als Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarność den Friedensnobelpreis verliehen.

Tauchte Walesa aus dem Nichts auf?

Nein, er war zumindest den Behörden schon vorher aufgefallen. Ein ähnlicher Aufstand zehn Jahre zuvor, bei dem sich Walesa ebenfalls beteiligt hatte, endete ganz anders: Walesa war verhaftet worden und wurde zu einer Loyalitätserklärung gezwungen. Der 1967 aus Popowo, einem Dorf südlich von Danzig, als Schiffselektriker in die Hafenstadt gekommene Walesa wurde nach den Dezember-Unruhen 1970 Sicherheitsinspektor in der kommunistischen Gewerkschaft, legte sich aber immer wieder mit deren Führung an und verlor mehrmals seine Arbeit.

Nach dem bahnbrechenden Erfolg der Streiks des Jahres 1980 wird Walesa Chef der Freien Gewerkschaft Solidarność, der einzigen Möglichkeit zu legaler Opposition. Mit 13 Millionen Mitgliedern wird sie bald zum Sammelbecken unterschiedlicher Interessen.

Welche politischen Folgen hat der Aufstand?

Als auf dem Gewerkschaftskongress im Herbst 1981 zunehmend Forderungen nach einem radikalen politischen Umbruch laut werden, kommt es zu Spannungen mit der Regierung. Die Situation verschärft sich dramatisch, als die Regierung schließlich am 13. Dezember das Kriegsrecht ausruft, die Gewerkschaft verbietet, etwa 5000 Solidarność-Anhänger verhaften und die Streiks gewaltsam beenden lässt.

Erst 1982, nach knapp einem Jahr, wird Walesa, die Symbolfigur der Solidarność, aus der Haft entlassen und das Kriegsrecht ausgesetzt. Solidarność aber bleibt verboten. Trotz aller Restriktionen kann Lech Walesa, wohl wegen seiner Popularität im In- und Ausland, offen agieren. Der Mann mit dem charakteristischen Schnauzbart wird zum Medienstar und erhält mehrfach die Ehrendoktorwürde. Das Time Magazine wählt ihn zum »Mann des Jahres«.

Wie wird Polen demokratisch?

Nach neuen Streiks im April 1988 willigt die Regierung in Gespräche am »Runden Tisch« ein. Freie Gewerkschaften werden wieder zugelassen, die Löhne erhöht und das politische System reformiert. Die Zensur wird abgeschafft und der Zugang zu den Massenmedien ermöglicht. Auch die Unabhängigkeit der Justiz wird gestärkt, man vereinbart »halbfreie Wahlen« für den 4. Juni 1989. Dabei kann Solidarność 99 der 100 frei gewählten Senatssitze gewinnen und erringt alle 161 frei zu wählenden Parlamentssitze. Die erste nichtkommunistische Regierung unter Tadeusz Mazowiecki, einem engen Berater Walesas und der Solidarność, verändert das politische System nachhaltig. Polen wird ein demokratischer Rechtsstaat, basierend auf den Grundsätzen der Volkssouveränität, Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz.

Warum bleibt Walesa als Präsident erfolglos?

Bei der Neuwahl des Staatspräsidenten tritt Walesa gegen Mazowiecki an, was zur Spaltung der Solidarność-Bewegung führt. Nach seinem Sieg kommt es ständig zum Konflikt zwischen Parlament und Regierung. Durch politischen Starrsinn und häufige Polemiken büßt der frühere Nationalheld während seiner Amtszeit viel an Popularität ein. Außenpolitisch fördert Walesa den Beitritt Polens zur EU und zur NATO. Der Sieg eines postkommunistischen Linksbündnisses bei der Parlamentswahl im Jahr 1993 führt zu einer weiteren Schwächung seiner Position. Bei der Präsidentschaftswahl 1995 unterliegt er dem jungen exkommunistischen Konkurrenten Aleksander Kwasniewski – die politische Zeit des »Helden von Danzig« ist abgelaufen.

Gespräche am Runden Tisch und demokratischer Wandel

Nachdem im April 1988 wieder vermehrt gestreikt wurde und Forderungen nach Wiederzulassung der Solidarność laut wurden, willigte die Regierung in Gespräche am »Runden Tisch« ein. Freie Gewerkschaften waren nun wieder zugelassen, die Löhne erhöht und das politische System reformiert. Die Zensur wurde abgeschafft und der Opposition der Zugang zu den Massenmedien ermöglicht. Auch die Unabhängigkeit der Justiz wurde gestärkt.

Die am »Runden Tisch« vereinbarten »halbfreien Wahlen« am 4. Juni 1989 wurden zu einem Triumph für Solidarność, die 99 der 100 frei gewählten Senatssitze gewinnen konnte und alle 161 frei zu wählenden Parlamentssitze errang. Die erste nichtkommunistische Regierung unter Tadeusz Mazowiecki (geb. 1927), eines engen Beraters Walesas und der Solidarność, veränderte das politische System nachhaltig. Polen wurde in einen demokratischen Rechtsstaat umgewandelt, basierend auf den Grundsätzen der Volkssouveränität, Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz.

Wahl zum Staatspräsidenten

Bei der Neuwahl des Staatspräsidenten trat Walesa gegen Mazowiecki an, was zur Spaltung der Solidarność-Bewegung führte. Walesa, der eigentlich nie Politiker werden, aber nach seinem Kampf gegen das kommunistische Regime das freie Polen repräsentieren wollte, gewann die Stichwahl mit 74,2 Prozent der Stimmen. Der politische Autodidakt proklamierte als neuer Staatschef die »Dritte Republik«, womit er an die »Adelsrepublik« und die »Zweite Republik» der Zwischenkriegszeit anknüpfte und das volksrepublikanische Polen ausblendete.

Unter Walesa verlagerte sich die Macht ins Präsidialamt. Ständige Konflikte mit dem Parlament und der Regierung waren die Folge. Wegen seines politischen Starrsinns und seiner häufigen Polemiken büßte der frühere Nationalheld während seiner Amtszeit viel an Popularität ein. Außenpolitisch setzte sich Walesa für den Beitritt Polens zur EU und zur NATO ein. Der Sieg eines postkommunistischen Linksbündnisses bei der Parlamentswahl im Jahr 1993 führte zu einer weiteren Schwächung seiner Position. Nach einem mit viel Polemik und harten Bandagen geführten Wahlkampf unterlag Walesa bei der Präsidentschaftswahl 1995 seinem exkommunistischen Konkurrenten Aleksander Kwasniewski (geb. 1954). Die politische Zeit des »Helden von Danzig« war abgelaufen.

Wie verläuft Walesas Weg?

29.9.1943: Lech Walesa wird in Popowo bei Bromberg geboren.

1961: Er fängt als Elektriker im örtlichen staatlichen Maschinenzentrum an.

1966: Walesa wechselt zur Leninwerft in Danzig.

1980: Es folgt der Aufstieg zum Führer der Gewerkschaft Solidarność.

1990: Walesa wird Staatspräsident.

1995: Bei der Präsidentenwahl wird er von Aleksander Kwasniewski abgelöst.

Wussten Sie, dass …

Walesa den ihm zugesprochenen Friedensnobelpreis 1983 nicht selbst entgegennahm, da er fürchtete, man könne ihm die Rückkehr nach Polen verweigern? Stattdessen schickte er seine Frau Danuta nach Oslo, die den Preis dort für ihn in Empfang nahm.

der frühere Gewerkschaftsführer und Friedensnobelpreisträger bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 nur noch 1% der abgegebenen Stimmen erhielt?

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