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Blasphemie - was ist das?
Sommer 2012 in Deutschland: Auf dem Titelblatt des Satiremagazins Titanic prangt Papst Benedikt XVI. mit Urinfleck auf der Soutane. Überschrift: „Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden!“ Auf der Rückseite: ein Foto des Papstes von hinten mit einer braun befleckten Soutane und dem Text: „Noch eine undichte Stelle gefunden!“ Das Blatt bezieht sich damit auf die so genannte Vatileaks-Affäre, in der vertrauliche Dokumente aus dem Vatikan an die Öffentlichkeit gelangt sind. Der Papst höchstpersönlich erwirkt daraufhin eine einstweilige Verfügung gegen das Magazin.
Sommer 2012 in Deutschland: Der Regisseur Ulrich Seidl wird von ultrakonservativen Katholiken wegen Blasphemie angezeigt. Stein des Anstoßes ist eine Szene aus seinem Film „Paradies: Liebe“, in der eine Frau mit einem Kruzifix masturbiert.
Sommer 2012 in Pakistan: Der pakistanische Geistliche Mohammed Khalid Chishti bezichtigt ein elfjähriges Mädchen der Blasphemie. Sie soll Seiten aus dem Koran verbrannt haben. Er ruft seine Gemeinde auf, sie solle sich wehren, „wenn unsere Religion mit Füßen getreten wird“. Dann die überraschende Wende: Chishti selbst hat den Koran verbrannt und die Asche dem Mädchen zugesteckt! Er wird daraufhin festgenommen. Nun droht ihm selbst eine Klage wegen Blasphemie.
Sommer 2012 in Russland: In Moskau wird drei jungen Frauen einer Punkband namens „Pussy Riot“ der Prozess gemacht, weil sie in der Moskauer Erlöserkathedrale ein politisches Protest-Gebet gegen Kremlchef Wladimir Putin skandiert haben. Die Anklage wirft ihnen Rowdytum aus religiösem Hass vor. Die Verteidigung spricht von einem politischen Schauprozess, in dem die Regierung die einflussreiche russisch-orthodoxe Kirche als Mittel zum Zweck nutze.
Spätsommer 2012 im Internet: Ein provokanter Youtube-Clip löst gewaltsame Proteste in der muslimischen Welt aus. Es handelt sich um den Zusammenschnitt von Szenen aus einem islamfeindlichen Amateurfilm namens „Die Unschuld der Muslime", der von einem koptischen Christen gemeinsam mit einer rechten evangelikalen Gruppe produziert wurde. Bekannt wurde das Video, als ein in Washington lebender Kopte Anfang September damit begann, den Link an Journalisten zu schicken. Für den Film wirbt außerdem Terry Jones, jener evangelikale Pfarrer, der einst mit einer Koran-Verbrennung Ausschreitungen in der islamischen Welt provoziert hatte. Das Video wurde von verschiedenen Blogs ins Arabische übersetzt, Ausschnitte wurden im ägyptischen Fernsehen gezeigt. Die Folgen: Im libyschen Bengasi wird das US-Konsulat gestürmt, der Botschafter sowie Mitarbeiter des Konsulats getötet. Im jemenitischen Sanaa wird die Botschaft der USA gestürmt. Es gibt Proteste in Kairo, dem Iran und Bangladesch.
Sommer 2012: der Sommer der Blasphemie?
Blasphemie – Was ist das?
Das Wort „Blasphemie“ (von griechisch „blasphemía“ – „Lästerung“) ist das Fremdwort für das deutsche Wort „Gotteslästerung“. Das Fachlexikon Religion in Geschichte und Gegenwart definiert Gotteslästerung als „das ehrenrührige Verhöhnen, Beschimpfen, Verleumden, Verfluchen einer Gottheit in Worten, Schriften oder Handlungen“.
Seit dem 13. Jahrhundert definierten Theologen und Juristen die Beleidigung Gottes als „Blasphemie“. Sie unterschieden dabei verschiedene Typen der Lästerung: Gott etwas zuschreiben, was ihm nicht zukommt (zum Beispiel einen Körper), die Omnipotenz Gottes anzweifeln oder seinen Geschöpfen etwas zuschreiben, was nur Gott allein eigen ist. Im Kern ging es aber immer um dasselbe: die öffentliche Entehrung des Schöpfers und seiner Heiligen. So galten unter Christen bis zu Beginn der Aufklärung alle möglichen Schwüre, Flüche und beleidigenden Äußerungen und Gesten als Blasphemie. Diese starke Verwurzelung in der Alltagskultur machte es den entsprechenden Instanzen allerdings schwer, blasphemisches Verhalten zu ahnden. Im Zuge der Aufklärung gingen die Strafverfolgungen wegen Blasphemie zurück. Außerdem wurde das Delikt neu akzentuiert. Es geht seitdem nicht mehr um die Beleidigung Gottes, sondern um die Beleidigung der Gefühle eines gläubigen Menschen.
Blasphemie in der jüdisch-christlichen Tradition
In der jüdisch-christlichen Tradition geht das Verbot der Gotteslästerung aus dem dritten der Zehn Gebote hervor: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht.“
In Bibel bzw. Thora gibt es diverse Stellen, in denen mal mehr, mal weniger explizit vor Gotteslästerung gewarnt wird. So zum Beispiel heißt es im Alten Testament vom Sohn Shelomiths, die einen Ägypter geheiratet hatte: Er „lästerte den Namen des Herrn und fluchte", wofür er zu Tode gesteinigt worden sei. (3. Mose 24,11+23).
Im Neuen Testament warnt Jesus davor, den Gottesnamen zu missbrauchen: „Ihr sollt überhaupt nicht schwören, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron; noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel; noch bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören, denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede sei ja, ja, nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“
Trotzdem wird in der Passionsgeschichte nach Markus Jesus selbst aufgrund seiner Menschensohnankündigung der Gotteslästerung beschuldigt – mit den bekannten Folgen:
„Da zerriss der Hohepriester seine Kleider und sprach: Was brauchen wir noch Zeugen? Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Was denkt ihr? Sie aber sprachen alle das Urteil über ihn, dass er des Todes schuldig sei.“ (Mk 14,63f).
Blasphemie im Islam
Die schlimmste Form der Gotteslästerung im Islam ist es, den Koran zu schmähen, mutwillig zu beschädigen oder zu entweihen, sowie den Propheten Mohammed bildhaft darzustellen. Für den Umgang mit Ungläubigen oder Lästerern empfiehlt der Koran:
„...wenn ihr hört, daß die Zeichen Allahs geleugnet und verspottet werden, dann sitzet nicht bei ihnen (den Spöttern), bis sie zu einem anderen Gespräch übergehen; ihr wäret sonst wie sie. Wahrlich, Allah wird die Heuchler und die Ungläubigen allzumal in der Hölle versammeln.“ (4:141)
Oder:
"Wenn du jene siehst, die über unsere Zeichen töricht reden, dann wende dich ab von ihnen, bis sie ein anderes Gespräch führen. Und sollte dich Satan (dies) vergessen lassen, dann sitze nicht, nach dem Wiedererinnern, mit dem Volk der Ungerechten.“ (6:69)
Blasphemie im deutschen Strafrecht
Im zuletzt 1969 reformierten und heute umstrittenen, aber immer noch gültigen Paragraphen 166 („Gotteslästerungsparagraph“) des deutschen Strafgesetzbuchs steht:
„(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.“
Es geht also in erster Linie um den Schutz des „öffentlichen Friedens“. Allerdings ist nirgends klar definiert, was genau dieser „öffentliche Friede“ ist, und entsprechend schwer lässt sich sagen, wann eine Äußerung oder Tat diesen stört, geschweige denn, wann sie lediglich „geeignet ist“, ihn zu stören. Wie will man eine Äußerung oder Tat unter Strafe stellen, die möglicherweise in irgendeiner Form irgendjemanden stören könnte? Wegen dieser enormen Dehnbarkeit wird der Paragraph 166 mitunter auch „Gummiparagraph“ genannt, und nicht wenige fordern schon länger seine Abschaffung. Sie sehen darin eine Einschränkung der Meinungsfreiheit sowie der Freiheit der Kunst. Außerdem schütze der Paragraph durch die Formulierung „öffentlicher Friede“ immer nur die Mehrheitsmeinung, nicht aber eine ebenso schützenswerte Minderheitsmeinung.
Besonders brisant an der deutschen Regelung: Da die beschimpfenden Äußerungen, um als Straftat zu gelten, nicht mal an die Kreise gerichtet sein müssen, in denen sie zur Störung des öffentlichen Friedens führen könnten, sondern es schon reicht, wenn zu befürchten ist, dass sie dort bekannt werden, ist der gezielten Instrumentalisierung durch Dritte, die Unfrieden stiften oder gar Hass säen wollen, Tür und Tor geöffnet. Durch eine dermaßen dehnbare Definition und mithilfe der modernen Kommunikationsmittel ist es sehr einfach, eine publizistisch tätige Person der Gotteslästerung zu bezichtigen und eine Hetzjagd gegen sie anzuzetteln.
Vielleicht deshalb ist im Jahr 2011 das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen zu dem Schluss gekommen, dass derartige Blasphemiegesetze sowie „Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion oder anderen Glaubenssystemen“ mit den Menschenrechten „inkompatibel“ sind. Verboten ist allerdings durchaus „die Verfechtung nationalen, rassistischen oder religiösen Hasses, welche zur Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt anstiftet.“