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Die Raketen-Pioniere
Hermann Ganswindt, der Ur-Erfinder
Hermann Ganswindt lebte von 1856 bis 1934. Man könnte ihn als einen deutschen Daniel Düsentrieb bezeichnen. Noch heute erinnert die “Hermann-Ganswindt-Brücke“ in Schöneberg an diese schillernde Persönlichkeit.
Zeit seines Lebens beschäftigte er sich mit Erfindungen auf dem Gebiet der Fortbewegung, und so ließ er sich einmal Briefpapier drucken, das den imposanten Zusatz “Luftschiff-, Flugzeug-, Auto-, Explosionsmotor-, Freilauf- usw. Ur-Erfinder“ trug.
Seine erste Erfindung machte er noch als Schüler: Er verbesserte das Fahrrad, indem er einen Freilauf erfand. Er war auch später von der Qualität dieser Erfindung so überzeugt, dass er sie als fast Vierzigjähriger unter dem Namen “Gesperre“ patentieren ließ.
Ebenfalls noch als Schüler überprüfte er im Selbstversuch das Rückstoßprinzip und entwickelte erste Ideen für sein späteres “Weltenfahrzeug“.
Ganswindt war wohl der Erste, der öffentlich ein vollständiges Konzept eines “Weltenfahrzeuges“ vorlegte. Dies geschah am 27. Mai 1891 bei einem Vortrag in der Berliner Philharmonie!
Immer wieder beschäftigte er sich mit dem Gedanken der Weltraumfahrt und stellte dabei auch einen philosophischen Aspekt in den Vordergrund: “... so leidenschaftlich gern möchte ich wohl in Wirklichkeit eine Expedition nach anderen Weltkörpern unternehmen, um von so verändertem Standpunkt die Wirklichkeit zu studieren und meine Schlüsse zu ziehen.“
Hermann Oberth - der Vater der Raumfahrt
Im Juli 1869 findet in der kleinen ungarischen Stadt Sibiu eine Gartenparty statt. Gastgeber ist der Arzt und Lyriker Friedrich Krasser. Man diskutiert über die Zukunft. In großartiger Stimmung verkündet Krasser seinen Gästen: “In hundert Jahren fliegen die Menschen auf den Mond. Unsere Enkelkinder werden dies noch erleben!“
Keiner seiner Gäste konnte ahnen, wie Recht Krasser mit dieser Prophezeiung haben sollte: Genau hundert Jahre später am 21. Juli 1969 betritt der erste Mensch den Mond! Und möglich wurde dies, weil Krassers Enkel - Hermann Oberth - die wissenschaftlichen Grundlagen für die Raumfahrt schuf.
Hermann Oberth (1894 - 1989) wuchs in Schäßburg im heutigen Rumänien auf, war also ein Siebenbürger Sachse. Auch er begann schon als Jugendlicher zu experimentieren. Das Schäßburger Schwimmbad wurde das erste Gravitationslabor der Welt. Mit einer halb gefüllten Wasserflasche sprang der junge Oberth vom 10 Meter–Brett und beobachtete während des Falls die Flüssigkeit. 1,4 Sekunden hat der junge Weltraumforscher Zeit, um festzustellen, dass die Flüssigkeit in der Flasche schwebt, nachdem er sie - während des Falls - durch einen kleinen Ruck vom Flaschenboden gelöst hat. Jules Verne hatte also Unrecht: Schwerelosigkeit tritt schon im freien Fall auf und nicht erst, wenn die Anziehungskräfte von Mond und Erde einander aufheben.
Oberth wird bald klar, dass nur eine Rakete in der Lage ist, einen Menschen lebend in den Weltraum zu befördern. Aber kann man in der Schwerelosigkeit auch überleben? Kann der Magen Nahrung aufnehmen? Oberth klärt diese Frage experimentell: “Die Befürchtungen mancher Leute, z. B. die Speisen würden - in der Schwerelosigkeit - nicht im Magen bleiben, habe ich schon mit 14 Jahren dadurch widerlegt, dass ich auf dem Kopf stehend einen Apfel aß.“
Oberth studiert erst Medizin, ehe er seiner eigentlichen Berufung folgt und ab 1919 das Studium der Physik beginnt. Nach nur zwei Jahren schreibt er in Heidelberg seine Doktorarbeit über die Theorie der Weltraumrakete. Doch sie wird in Heidelberg nicht angenommen: “Für die Astronomen war sie zu technisch, für die Maschinenbauer zu fantastisch und für die Mediziner abseits jeder Realität.“ (Oberth)
Im Juni 1923 erscheint die Dissertation als Buch: Die Rakete zu den Planetenräumen. Es wird die Bibel aller Raketeningenieure. Voller technischer Formeln ist es keine leichte Lektüre, aber es liefert die wissenschaftlichen Grundlagen für die Raumfahrt. Von nun an ist der Bau von Weltraumraketen nur noch eine Frage der Zeit.
Am 16. Juli 1969, als die gewaltige Saturnrakete zum Mond aufbricht, sitzt Hermann Oberth auf der Ehrentribüne. Sein Großvater hatte Recht behalten.
Oberths UFA–Flop
Eine wissenschaftliche Theorie zum Bau von Raketen zu entwickeln ist eine Sache. Sie selbst zu bauen ist etwas anderes. Diese Binsenweisheit musste Hermann Oberth am eigenen Leib erfahren:
1928 - Glanzzeit der UFA. Fritz Lang arbeitet an seinem neuesten und aufwändigsten Film: Die Frau im Mond. Es handelt sich um eine kitschige Räuberpistole, bei der es um Gold auf dem Mond geht. Eine Rakete soll den Mond erkunden. An Bord: Eine schöne Frau, ein edler Ingenieur, ein kauziger Professor, ein finsterer Bösewicht und ein kleiner Junge.
Fritz Lang hat den Ehrgeiz, die technische Seite des Films möglichst authentisch wirken zu lassen. Keine Kosten werden gescheut und der Film sprengt alle Budgets. Nach seinem Buch Die Rakete zu den Planetenräumen gilt Hermann Oberth als Spezialist und wird von Lang als Berater engagiert. Als PR-Aktion denkt sich Lang eine besondere Idee aus: Anlässlich der Filmuraufführung soll Oberth einen öffentlichen Raketenstart mit einer echten Rakete durchführen. Die Rakete soll zwei Meter groß sein und 40 Kilometer hoch steigen. Unversehens ist Oberth da, wo er hinwollte: Er soll wirklich eine Rakete bauen. Begeistert widmet sich der “Verein für Raumschiffahrt e.V.“ unter Oberths Leitung dieser Aufgabe. Mit dabei: Ein junger TH-Student namens Wernher von Braun.
Die öffentliche Spannung ist groß: Die UFA hat sogar schon Postkarten für den “Event“ drucken lassen. In Vorankündigungen wird die Flughöhe der Rakete sogar mit 70 km angegeben.
Doch das Vorhaben scheitert: Zu wenig Geld, zu wenig Zeit. Die Rakete wird nicht fertig. Und zu allem Unglück explodiert in den UFA-Werkstätten auch noch eine Brennkammer und Oberth trägt schwere Augen- und Trommelfellverletzungen davon.
Die Premiere muss ohne Raketenstart stattfinden und ganz Berlin macht sich über den armen “Mond-Oberth“ lustig.
Peenemünde
Dreißig Kilometer östlich der Universitätsstadt Greifswald liegt die Ostseeinsel Usedom. Wernher von Brauns Großvater - der alte Herr von Quistorp - ging hier in den besseren Tagen vor dem ersten Weltkrieg am Peenemünder Haken gern auf Entenjagd. Weihnachten 1935 erzählte Frau von Braun ihrem Sohn von dieser abgelegenen Gegend und zwei Jahre später entstand hier die “Raketenentwicklungs- und Erprobungsstelle des Heeres und der Luftwaffe“ in Peenemünde.
Unter Weltraumenthusiasten und Raketenfreaks hat dieser Name einen magischen Klang, in Amerika möglicherweise mehr als in Deutschland selbst. Apollo-Astronauten sind - als das nach der Wende möglich war - in den zugewucherten Ruinen der ehemaligen Startanlagen für die V2 ehrfurchtsvoll auf Spurensuche gegangen. Für sie beginnt die Raumfahrt hier. Die erste Rakete, die den Weltraum erreichte, startete am 3. Oktober 1942 von Peenemünde aus – eine ingenieurtechnische und organisatorische Meisterleistung.
Doch Peenemünde war eine militärische Einrichtung des Dritten Reiches. Die Auftraggeber von Luftwaffe und Heer erwarteten von den Ingenieuren um Wernher von Braun nicht die Landung auf dem Mond sondern eine funktionsfähige Fernwaffe. Und so haben die großen technischen Erfolge eine düstere Kehrseite: Tausende von Menschen verloren bei der Entwicklung, Herstellung und dem Einsatz der Raketen ihr Leben.
Wernher von Braun - der “Shooting Star“ am Raketenhimmel
Das Muster kennen wir von den anderen Pionieren der Raumfahrt: Begabter Junge liest Buch (vorzugsweise Jules Verne) und wird von der Idee der Raumfahrt gepackt. Er beschließt eine Mondrakete zu bauen, tüftelt und bastelt in den Sommerferien und versucht den Rest seines Lebens vergeblich, seine Mitmenschen davon zu überzeugen, dass man ihm die nötigen Mittel bereitstellen sollte.
Bis auf den letzten Punkt ist dies auch der Werdegang des Wernher von Braun (1912 - 1977). Aber er ist der Glückspilz unter den Pionieren: Er hat es geschafft. Wernher von Braun hat die Mondrakete wirklich gebaut, er ist der strahlende, jugendliche Held. Der Himmelsstürmer. Charismatisch, souverän im Umgang mit den Medien. Geeignet, um Stoff für Legenden zu liefern. Der Mann, der der Menschheit den Mond ins Wohnzimmer brachte.
Über Wernher von Braun ist viel geschrieben worden und eine Beurteilung ist schwierig:
- Einerseits: Wernher von Braun ist der Konstrukteur bzw. Organisator der ersten großen Fernwaffen. Beim Bau der V2 sterben 20.000 Zwangsarbeiter. Durch ihren Einsatz werden Tausende von Zivilisten getötet. 1940 tritt er der SS bei. Ab 1943 ist er Sturmbandführer.
- Andererseits: Wernher von Braun war kein Nazi. Er wurde von der Gestapo verhaftet und entging nur knapp einem Verfahren. Er schreibt, er habe seine SS-Uniform nur ein einziges Mal (bei einem Besuch Himmlers) getragen.
- Einerseits: Wernher von Braun wird 1944 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet.
- Andererseits: 1945 arbeitet von Braun bereits für die Amerikaner.
- Einerseits: Wernher von Braun leitet die Entwicklung der amerikanischen Interkontinentalraketen. Seine Waffen sind die Träger des nuklearen Schutzschildes der USA und verschärfen den Kalten Krieg.
- Andererseits: Diese Interkontinentalraketen verhindern den Ausbruch des dritten Weltkriegs.
In Wernher von Brauns schillernder Persönlichkeit zeigt sich der Konflikt der Raumfahrt: Man braucht die Rakete, um zum Mond zu fliegen. Aber eine Rakete ist kein Spielzeug sondern immer auch ein Trägersystem für Waffen.
Ende der zwanziger Jahre sehen das die Enthusiasten vom “Verein für Raumschiffahrt e.V.“ noch anders. Unter Hermann Oberths Leitung wird an der UFA-Rakete gebastelt. Mit dabei Wernher von Braun, der gerade Abitur gemacht hat. Während seines Studiums an der TH Berlin beteiligt sich von Braun an den Aktivitäten des Vereins. 1932 - von Braun ist gerade 20 Jahre alt - erkennt er, dass die Zukunft der Raketentechnik nicht innerhalb eines Vereins, sondern nur innerhalb eines militärischen Projekts liegen kann. Er tritt in die Dienste des Heereswaffenamts. Die Raketenentwicklung kommt in Fahrt und ab 1937, mit 25 Jahren, ist Dr. Wernher von Braun der technische Leiter der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde. Hier werden die Großraketen entwickelt, von denen alle heutigen Raketen abstammen.
Bei Kriegsende stellt sich von Braun - zusammen mit vielen Peenemünder Fachleuten - den Amerikanern und bietet seine Dienste an. Zusammen mit ca. 100 Beuteraketen vom Typ A4 wird die Peenemünder Gruppe nach Texas gebracht. Im angrenzenden Neu-Mexiko werden die A4 wieder flugtauglich gemacht, mit ihren Testflügen startet das amerikanische Raketenprogramm.
Während der fünfziger Jahre entwickelt von Braun mit seinen deutschen Kollegen große Teile des amerikanischen Raketenarsenals. Seinen Triumph in der Öffentlichkeit feiert er aber mit der Saturn V, die am 16.7.1969 zu ihrem Mondflug startet. Wernher von Brauns Karriere hat ihren Höhepunkt erreicht. Nach einem kurzen Intermezzo im NASA-Hauptquartier und einer Tätigkeit in der Industrie stirbt Wernher von Braun 1977 an einem Krebsleiden.
Aus A4 mach V2
“Wer mit dem Teufel essen will, muss einen langen Löffel haben.“ (Volksmund)
Der Versailler Vertrag, der die deutsche Niederlage nach dem Ersten Weltkrieg vertraglich regelte, enthielt sehr strenge Vorschriften über Art und Zahl der Waffen, die Deutschland noch besitzen durfte. Raketen wurden nicht erwähnt. Diese Lücke war von der Reichswehr in den 1920er Jahren erkannt worden und erklärt das Interesse an den Tüftlern vom “Verein für Raumschiffahrt e.V.“ Der 20-jährige Wernher von Braun wurde noch lange vor Abschluss seines Studiums Zivilangestellter im Heereswaffenamt. “Dass wir Raketen für militärische Zwecke entwickeln mussten, haben wir immer nur als Umweg betrachtet“, schreibt er später.
Eines ist von Anfang an klar: Die Raketen sollen mit flüssigem Treibstoff arbeiten. Nur so scheinen die großen Reichweiten möglich, die von den Auftraggebern erwartet werden. Als Treibstoff wird ein Gemisch aus Alkohol, Wasser und flüssigem Sauerstoff gewählt. Es ist ein Spiel mit Feuer und Eis: Flüssiger Sauerstoff muss bei -183 °C in die Brennkammer gepumpt werden. Bei der Verbrennung entstehen dann Temperaturen von über 2000 °C. Die verwendeten Materialien müssen außerdem möglichst leicht sein. Man spricht damals nicht von Brennkammern sondern von “Raketenöfen“.
1933 ist es dann so weit: Das erste flugfähige Aggregat ist fertig. Es erhält den “fantasievollen“ Namen “Aggregat 1“ (A1). Doch die A1 explodiert auf der Startrampe. Man verbessert den Entwurf und nennt ihn A2. Zwei Exemplare werden gebaut – “Max“ und “Moritz“. 1934 werden sie von Borkum aus abgeschossen und steigen auf über 2 km Höhe. Nun geht die Arbeit voran, aber noch sind die Raketen kleiner als ihre Konstrukteure ...
Das neue Aggregat 3 soll der nächste Schritt auf dem Weg zur Großrakete werden: Nicht nur der Antrieb, sondern auch die Flugsteuerung muss erfunden werden. Während der Arbeit an der A3 gibt Wernher von Braun seine Doktorarbeit ab. Seit dem 16. April 1936 darf er sich “Dr.phil.“ nennen. Er ist vierundzwanzig Jahre alt.
Ende 1937 soll die erste A3 gestartet werden. Doch eine Serie von Fehlstarts lässt die Konstrukteure mit langen Gesichtern am Boden zurück...
Auch die A3 ist nur eine Testrakete, die keine Nutzlast tragen kann. Die “eigentliche“ Rakete soll die A4 werden. Sie ist die Fernrakete, die 1000 kg Sprengstoff über 200 km ins Ziel bringen soll, mit einer Zielgenauigkeit von 500 m.
Doch die Arbeiten an der A4 gestalten sich schwieriger als alles bisher Dagewesene. Inzwischen ist Deutschland im Krieg und die “Peenemünder“ haben alle Mühe, weitere Mittel bewilligt zu bekommen. 550 Millionen Reichsmark (nach heutiger Kaufkraft fast 3 Milliarden D-Mark) sind bereits ausgegeben worden!
Nach vielen Fehlschlägen ist es dann endlich so weit: Am 3. Oktober 1942 - es ist die vierte A4 - steigt das erste von Menschenhand geschaffene Objekt auf 90 km Höhe und verlässt damit die Erdatmosphäre. Mit fünffacher Schallgeschwindigkeit taucht sie wieder in die Atmosphäre und schlägt nach wenigen Minuten in 200 km Entfernung ein. Das ist der Durchbruch.
Doch nun macht sich der Teufelspakt der “Peenemünder“ bemerkbar. Himmler und die SS interessieren sich zunehmend für die neue “Wunderwaffe“. Die Massenproduktion der Rakete wird von der Entwicklung in Peenemünde getrennt. Die A4 hat jetzt die höchste Dringlichkeitsstufe und ihre Herstellung wird brutal vorangetrieben. Auch KZ-Häftlinge werden unter unmenschlichen Bedingungen eingesetzt und sterben zu Tausenden.
Am 8. September 1944 wird die erste A4 auf England abgeschossen. Mehr als tausend weitere sollten folgen. Militärisch ist ihr Einsatz nicht entscheidend. Sie ist eine Waffe, bei deren Herstellung mehr Menschen umkommen als bei ihrem Einsatz. Doch die Kriegspropaganda hat sich der Raketen angenommen. Unter Hinweis auf die “Wunderwaffe“ werden bis in die letzten Kriegstage die Hoffnungen auf eine Schicksalswende geschürt. Unter der Bezeichnung “Vergeltungswaffe“ erlangt die A4 traurige Berühmtheit als “V2“.