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Der Tag des Schneemanns oder We love Kim Il Sung - skurrile Ehrentage (Podcast 83)

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Die Mutter hat ihn – und der Vater bekommt ihn ebenfalls, doch auch Bäumen, Delphinen und dem geistigen Eigentum wird er zugesprochen: der jährliche Ehrentag. Mal fällt die beabsichtigte Preisung eher klein aus, mitunter wird sie international begangen, mal überzeugt die Ehrung auf Anhieb, mal reizt sie eher zum Lachen. Während der Tag des Fahrrads spontan einleuchtet, lässt einen der Welttoilettentag anfangs staunen – umso mehr, da er über einen ernsthaften Hintergrund verfügt. Grund genug, um mit Ihnen einen kleinen Spaziergang durch die Welt der Ehrentage zu machen.

 

Der Mutter zu Ehren – der Muttertag

Kein Zweifel: Unter den Ehrentagen ist der Muttertag der bekannteste – nicht zuletzt deswegen, weil jedes Kind von kleinauf an ihn gewöhnt wird. Und das nicht ohne Grund, gibt es doch eine Branche, die vom Muttertag überdurchschnittlich profitiert. Doch wer glaubt, der Muttertag sei eine Erfindung des Floristikgewerbes, kennt die Wahrheit nur zur Hälfte. Tatsächlich hat der Muttertag seinen Ursprung in der englischsprachigen Frauenbewegung. Die US-Amerikanerin Ann Maria Reeves Jarvis, die von 1832 bis 1905 lebte, organisierte ab 1865 Hilfen für verwundete Bürgerkriegskämpfer; dabei entwickelten sich erste Mothers Day Meetings, die dem Gespräch und dem allgemeinen Austausch dienten. Zur Einführung des Muttertags im heutigen Sinne kam es Jahre später, als Jarvis’ Tochter, die Methodistin Anna Marie Jarvis, den zweiten Todestag ihrer Mutter mit einem Memorial Mothers Day Meeting ehrte. Das war am 12. Mai 1907, und die Idee sollte sich allgemeine Ehrung der Mütter rasch durchsetzten – schon 1909 wurde der Muttertag in beinahe jedem Staat der USA begangen, und seit 1914 gilt er als offizieller Gedenktag. In Deutschland wurde der Muttertag erstmals 1923 gefeiert. Organisiert hatte ihn der Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber, der sich von dieser Initiative ein gutes Geschäft versprach – und Recht behalten sollte. Bis heute ist der Muttertag der umsatzstärkste Tag des Floristikgewerbes, und schon Ann Maria Reeves Jarvis, die bis 1948 lebte, soll die fortschreitende Kommerzialisierung ihrer Idee missbilligt haben. Gehalten hat sich aber noch immer die Übereinkunft, den Muttertag am zweiten Maisonntag zu veranstalten. Und mal ehrlich – an diesem Tag würde keiner zweifeln.

 

Wenn die Väter feiern – der Vatertag

Der Vatertag kommt in seiner Popularität gleich hinter dem Muttertag – wenngleich das eine Frage der Perspektive sein dürfte; bei Männern ist er zweifellos beliebter, und die alkoholabfüllende Industrie hält ihn ganz sicher für unverzichtbar. Obwohl der Vatertag bis heute ein gewisses hemdsärmeliges Image nicht ganz abstreifen konnte, ist er im Ehrentagkalender der Völker fest verankert. Wie sein Pendant geht er auf die USA zurück, wo er 1910 von Louisa Dodd angeregt wurde, die hiermit ihren im Bürgerkrieg gefallenen Vater ehren wollte. Die Idee fand zunächst nur bescheidenen Anklang und scheint Zeitgenossen eher zur Parodie gereizt zur haben, setzte sich dann aber doch durch. Richtig offiziell wurde der Vatertag in den USA allerdings erst in den 1970er Jahren.

In Deutschland wird der Vatertag am vierzigsten Tag nach Ostern, also an Christi Himmelfahrt begangen. In seiner heutigen, mehr oder minder alkoholgeschwängerten Form ist er bereits seit dem späten 19. Jahrhundert bekannt. Anders als bei seinem Äquivalent geht es beim Vatertag nicht darum, das Elternteil zu ehren und kleine Geschenke oder Aufmerksamkeiten zu überreichen, sondern um die Einräumung von Freizeit, die nach eigenem Gutdünken verbracht werden kann. Am populärsten sind dabei Ausflugstouren, die in betont fröhlicher Runde stattfinden – mitunter etwas zu fröhlich, denn das Aufkommen von Schlägereien und Unfällen ist an Vatertagen dreimal so hoch wie sonst. Wohl dem, der die Zeit anders zu nutzen weiß – in Form eines Familienausflugs beispielsweise, zu dem sich der Vatertag durchaus anbietet.

 

 

Konsum, sei all mein Tun – der Weltverbrauchertag

Ehrentage gibt es viele, doch zu den eher Unbekannteren gehört der 15. März – der Weltverbrauchertag. Er wird seit 1983 begangen und beruht auf einer Rede John F. Kennedys, die dieser am 15. März 1962 gehalten hat. Kennedy formulierte drei Grundsätze: Das Recht, vor betrügerischer oder irreführender Werbung und Kennzeichnung ebenso geschützt zu werden wie vor gefährlichen oder unwirksamen Medikamenten; außerdem nannte er das Recht, aus einer Vielfalt von Produkten mit marktgerechten Preisen auszuwählen. Was zunächst nach Selbstverständlichkeiten klingt, gewinnt im Rahmen monopolisierter oder schlicht undurchschaubarer Angebotsstellungen wie im Medizinbereich oder bei Finanzdienstleistungen schnell Sinn. Der gesonderte Europäische Verbrauchertag steht meist unter einem speziellen Motto, das bestimmte Fragestellungen in den Mittelpunkt rückt. Information ist eben immer noch alles.

 

Das rauschende Nass – der Weltwassertag

Ein von uns allen täglich genutztes Gut ist Wasser – und Wasser wird allmählich knapp. Zumindest jenes saubere Süßwasser, das man trinken und zum Waschen verwenden kann. Genau hierauf macht der Weltwassertag aufmerksam, der seit 1993 am 22. März begangen wird. Er geht auf eine Initiative der Vereinten Nationen zurück und wird von Jahr zu Jahr stärker beachtet. Dies liegt auch an koordinierten Aktionen, die auf besondere Schwerpunkte hinweisen – etwa darauf, dass frisches Wasser für gut 1 Mrd. Menschen nicht ohne weiteres zugänglich ist. Seit 1997 findet zudem alle drei Jahre ein Weltwasserforum in terminlicher Nähe zum Weltwassertag statt, auf dem die Probleme ausführlich diskutiert werden.     

 

Viel Lärm ums stille Örtchen – der Welttoilettentag

Wasser ist nicht nur zum Trinken da. Doch mal ehrlich – ein Ehrentag für die Toilette, hätte es das gebraucht? Das kommt auf den eigenen Wohnsitz an. Über vierzig Prozent der Weltbevölkerung verfügen nicht über ausreichende sanitäre Einrichtungen; man schätzt, das in den Entwicklungsländern rund 2,5 Mrd. geeigneter Toiletten fehlen. Der am 19. November 2001 ausgerufenen Welttoilettentag will auf diese Situation aufmerksam machen, denn fehlende Toiletten bedingen gravierende gesundheitliche, aber auch ökonomische Folgen. So belasten konventionelle Latrinen und Sickergruben die Umwelt, weil sie das Grundwasser stark beeinträchtigen. Doch auch der Anschluss an Kläranlagen ist nicht ohne Probleme, da zum einen hohe Baukosten entstehen, zum anderen Klärschlamm anfällt, der mit Schwermetallen und Chemikalien belastet ist. Was gesucht wird, sind neue Sanitär- und Abwasserlösungen – und genau darauf will der Welttoilettentag hinweisen. Veranstaltetet wird er übrigens von der unkommerziellen World Toilet Organization, die 1961 von dem Unternehmer Jack Sim in Singapur gegründet wurde.

 

Ehre, wem Ehre gebührt – Ehrentage international

Viele Ehrentage sind international verbreitet, auch wenn sie nicht immer auf dasselbe Datum fallen. Es gibt aber auch lokale Spezialitäten – dazu gehören etwa die jeweiligen Nationalfeiertage. Überregional bekannt ist der Murmeltiertag, der am 2. Februar in den USA und Kanada begangen wird. Er dient jedoch nicht der Ehre des Waldmurmeltiers, sondern der Wettervorhersage – das Erscheinen oder Fernbleiben des Tiers wird mit dem Frühlingsanfang in Verbindung gebracht. Die Trefferquote soll bei 40% liegen – ob eine geworfene Münze eine Alternative darstellen könnte, wurde bislang offenbar nicht ausprobiert. Der St. Patrick’s Day hingegen ist dem irischen Nationalheiligen gewidmet und wird am 17. März begangen – allerdings auch immer öfter von Nicht-Iren. Ob ernsthafte Verbundenheit mit dem Heiligen dahintersteckt oder ein gesteigertes Interesse an trinklustiger Lebensart, sei dahingestellt. Nicht erst an dieser Stelle macht sich das Phänomen bemerkbar, dass die Anzahl der begangenen Ehrentage gerade in den letzten zwanzig Jahren enorm zugenommen hat. Kaum ein Tag vergeht, der nicht irgendeinem Ereignis oder einer Person gewidmet wäre – und es wundert sich wohl niemand, wenn sich auch Kuriositäten darunter befinden.

 

Seltsame Ehrentage

Kein Zweifel: Logopädie, Rückengesundheit und Organspenden sind wichtige Angelegenheiten – nur bleibt fraglich, ob man ihnen mit der Einrichtung entsprechender Gedenktage wirklich einen Gefallen tut. Wenn jedes Datum mit einer Ehrung verbunden ist, kann keine besondere Aufmerksamkeit mehr erwartet werden, und der gewünschte Effekt verpufft. Dazu kommt, dass mitunter wenig überzeugende Jahrestage ausgerufen werden. Ob Internationaler Tag des Kusses (6. Juli) oder Welt-Olympiatag (6. April), nicht immer vermag die Ehrung zu überzeugen. Oft stecken auch wirtschaftliche Interessen dahinter, wenn Bäckereien am letzten Freitag im September um einen Tag des deutschen Butterbrotes werben – ganz so, als ob sie keinen Kuchen verkaufen würden oder Brotaufstrich aus Frankreich weniger vorteilhaft wäre. Apropos Essen: Als Protest gegen den Schlankheitswahn versteht sich der Internationale Anti-Diät-Tag, der auf den 6. Mai fällt. Er wurde 1992 von der Engländerin Mary Evans gegründet und wird auch in Deutschland begangen; Bundesgesundheitsministerium und Ärztekammer haben sich noch nicht dazu geäußert. Schließlich sei als besonders bizarres Beispiel noch der "We love Kim Il-sung“-Feiertag am 15. Juni erwähnt, der dem nordkoreanischen Diktator huldigt und außerhalb des eigenen Landes verständlicherweise wenig Resonanz findet. Doch wer weiß – auch andere Ehrentage haben klein angefangen.

 

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