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Bachs Matthäus-Passion: Verbindung von Glaube und Musik

Warum gilt die Matthäus-Passion als Monument der abendländischen Musik?

Experten halten dieses Meisterwerk von Johann Sebastian Bach für die Krönung der Gattung. In der reich gegliederten Komposition mit ihrer genialen Abfolge verschiedener musikalischer Elemente entsteht ein dramatisch wirkendes Glaubenszeugnis, dessen außerordentliche Kraft erst die Nachwelt zu erkennen begann, die allerdings bereits ihre Glaubenssicherheit verloren hatte. Vielleicht ist die religiöse Inbrunst der Matthäus-Passion heute nicht mehr jedem zugänglich; als autonomes Kunstwerk aber hat sie sich längst zu einem Monument der abendländischen Musik emanzipiert.

Worum geht es in der Matthäus-Passion?

Um das Leiden und den Tod Jesu Christi. Der Autor Christian Friedrich Henrici alias Picander (1700–1764) macht den zentralen Passionsbericht des Evangelisten Matthäus (Kap. 26 und 27) zur Grundlage seines Textes. Erzählt wird darin die Leidensgeschichte des Sohnes Gottes: die Verfolgung Christi, das Letzte Abendmahl mit den Jüngern und die Stunden der Angst im Garten von Gethsemane. Schließlich wird Jesus verurteilt und in Golgata gekreuzigt, dann vom Kreuz abgenommen und zu Grabe gelegt.

Durfte die Gemeinde bei der Passion mitsingen?

Ja, denn die Matthäus-Passion des Kirchenmusikers und Leipziger Thomaskantors Bach war Bestandteil der Liturgie in der Karwoche – die Gemeinde sang die Choräle mit. Bald jedoch wurde klar, dass Dauer und Besetzungsaufwand eines solchen musikalischen Großwerkes den Rahmen eines normalen Gottesdienstes sprengten, und die Passion wurde nicht mehr innerhalb des Gottesdienstes aufgeführt.

Übrigens: Die Matthäus-Passion besteht aus 15 Chorälen und 28 madrigalischen Dichtungen, die zu diversen Rezitativen, Arien und Ariosi Gelegenheit geben. Um das Jahr 1736 fügte Bach die Choralbearbeitung aus der Johannes-Passion ein, die seither den ersten Teil beschließt.

Gefiel den Zeitgenossen die Komposition Bachs?

Nein, nicht unbedingt. Die Zuhörer der Uraufführung am Karfreitag des Jahres 1729 in Leipzig hätten nie vermutet, einen Meilenstein der abendländischen Musikgeschichte zu erleben. Der Thomaskantor Bach bot, wie es seine Profession forderte, kirchliche Gebrauchsmusik – und zwar eine, die man nicht ohne Befremden aufnahm.

»Als nun die theatralische Musik anging«, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht, »gerieten alle diese Personen [das Publikum] in die größte Verwunderung, sahen einander an und sagten: —Was soll daraus werden?‹ Eine adelige Witwe sagte: —Behüts Gott, ihr Kinder! Ist es doch, als ob man in einer Opera-Comödie wäre.‹« Der dramatische Impuls wurde als opernhafte Frivolität missverstanden.

Dabei hatte der Komponist Bach lediglich die Doppeldeutigkeit des lateinischen Begriffs »passio« wirklich ernst genommen: als Leidensgeschichte Jesu Christi, aber eben auch als leidenschaftliche Hingabe im Dienste ihrer Vertonung. Opernhaftes war hier allenfalls im strukturellen Sinne zu entdecken, etwa bei der Verwendung der dreiteiligen Da-capo-Arie.

Erschuf Bach eine Bibelauslegung in Noten?

Durchaus, denn Bach versteht Tonmalerei und Zahlensymbolik als Mittel zur musikalischen Auslegung der Bibelworte. Den symbolischen Gehalt der Tonarten nutzt er zur Kalkulation der Klangfarben. Seelische Vorgänge wie Leiden, Trauer oder Hoffnung finden in Form von Tempo, Intervallschritten, Wahl der Stimme und Instrumente Eingang in die Partitur.

Die Polyphonie besitzt für den Komponisten auch theologische Ausdruckskraft, denn sie strebt danach, das Gegensätzliche auf einer höheren Ebene zu vereinigen. Der Chor wirkt nicht kommentierend wie in der griechischen Tragödie, sondern kontemplativ. In den Rezitativen zeigt sich eine rhetorische Kunst, die aufs Genaueste den affektiven Sinngehalt der Texte in Töne umsetzt.

Ist Musikalität vererbbar?

In der Familie Bach ist das ganz offensichtlich der Fall. Johann Sebastian Bach ist der herausragendste Vertreter der sicherlich größten Musikerfamilie des Abendlands. In Thüringen sind schon vor Johann Sebastian Musiker des Namens Bach bekannt, und unter seinen Kindern finden sich wiederum bekannte Gestalten der Musikgeschichte wie Wilhelm Friedemann, Carl Philipp Emanuel und Johann Christian.

Der große Johann Sebastian lebte von 1685 bis 1750. Er war der letzte Sohn des Eisenacher Stadtpfeifers Ambrosius Bach. Seine Eltern starben früh und er wuchs in der Obhut seines ältesten Bruders auf, der – wie sollte es anders sein – Musiker war. Nach verschiedenen beruflichen Stationen und dem persönlichen Schicksalsschlag des Todes seiner ersten Frau wurde Bach im Jahr 1723 schließlich Kantor der Thomaskirche zu Leipzig. In dieser Position schuf er in den folgenden 25 Jahren einige der größten Werke der Musikgeschichte.

Wussten Sie, dass …

die Partitur der Matthäus-Passiom erst 101 Jahre nach der Uraufführung, also im Jahr 1830, gedruckt wurde?

in der späteren Aufführungspraxis der Passion Neufassungen der Rezitative, großzügige Uminstrumentierungen und Ähnliches an der Tagesordnung waren?

der erst 20-jährige Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy die fast vergessene Matthäus-Passion in einer überfüllten Aufführung am 11.3.1829 dem Publikum wieder zugänglich machte?

zu Bachs Zeiten zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der Passion der Pastor seine Predigt hielt?

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