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Thomas von Aquin: Der Aristoteles des Mittelalters

Was bedeutet Thomas von Aquin für die Philosophie des Mittelalters?

Mit seiner Interpretation der Schriften des Aristoteles gilt Thomas von Aquin als der wichtigste Theologe und Philosoph des Hochmittelalters. Man nennt ihn »doctor angelicus« (engelgleicher Lehrer). Sein Einfluss auf das christliche Denken kann nur mit dem des Augustinus verglichen werden.

Augustinus hatte das Christentum vom Platonismus her interpretiert und damit die christliche Philosophie über Jahrhunderte hinweg bestimmt. In der Hochscholastik kam der zweite große Denker der Antike ins Spiel: Aristoteles. Es war Thomas von Aquin, der diese Herausforderung annahm.

Welchen Einfluss hatte Aristoteles auf das mittelalterliche Denken?

Bis zum Ende des 12. Jahrhunderts kannte man Aristoteles nur durch wenige Schriften zur Logik. Über die arabisch-jüdische Philosophie, etwas später auch durch direkte Übersetzung aus dem Griechischen wurde man jetzt mit den metaphysischen Werken des Aristoteles konfrontiert. Dies bedeutete eine gewaltige Umwälzung und Befruchtung des Denkens. Eine umfassende Aristoteles-Rezeption setzte ein. Die Kirche fühlte sich durch diese neue, weltlichere Philosophie verunsichert und bedroht. Es gab mehrere Aristoteles-Verbote, die aber letztendlich den Umbruch nicht verhindern konnten.

Wie kam ein junger Graf zur Philosophie?

Durch glückliche Umstände wurde der um 1225 auf Schloss Roccasecca bei Aquino im Neapolitanischen geborene und aus gräflichem Geschlecht stammende Thomas schon sehr früh in die Philosophie des Aristoteles eingeführt. Später, als junger Dominikaner, studierte er in Köln bei Albertus Magnus, dem Begründer des christlichen Aristotelismus. Hier entwickelte sich Thomas zum bedeutendsten Aristoteles-Interpreten des Mittelalters. Er lehrte in Paris und Italien. In seinem gewaltigen Werk versucht er eine umfassende Synthese zwischen dem Glauben des Evangeliums, der Tradition und der aristotelischen Philosophie. Dabei fließen durchaus auch platonische Gedanken ein. Thomas wird zunächst angefeindet und bekämpft, seine Thesen werden von der Kirche verurteilt.

Was ist das grundlegend Neue bei Thomas?

Das Neue besteht in dem konsequenten Glauben an die Eigenständigkeit und den eigenen Wert der Welt. Für den Neuplatonismus ist wirkliches Sein nur das Sein der Ideenwelt. Unsere konkrete Erfahrungswelt dagegen ist eher ein Nichtsein, ein vergängliches Abbild, ein Hinweis auf das Jenseits. Eine gewisse Weltverachtung liegt nahe. Dementsprechend kann Erkenntnis nur durch Abkehr von der sinnlichen Welt geschehen. Kehre in dich selbst zurück, lautete das Motto des Augustinus. Thomas aber geht den umgekehrten Weg und folgt damit Aristoteles. Gehe nach draußen! Von der Sinneserkenntnis gelangen wir zur Wahrheit. Dabei sind es gerade theologische Gründe, die Thomas zu diesem Weg führen. Wenn die Welt von Gott geschaffen ist, dann muss sie für sich Wert besitzen und die Vernunft des Menschen von der Schöpfung zu Gott gelangen können.

Wie erklärt der Philosoph das Verhältnis zwischen Leib und Seele?

Thomas definiert ein völlig neues Verhältnis von Leib und Seele. Für Augustinus hatte die unsterbliche Seele nur eine äußerliche Verbindung zu einem sterblichen Leib. Thomas aber überwindet diese Trennung. Auch er glaubt an die Unsterblichkeit der Seele, doch Leib und Seele stehen für ihn nicht nur in einer äußerlichen, sondern auch in einer innerlichen Verbindung, denn die Seele ist die wesentliche Form des Körpers. Der Mensch ist leiblich-seelische Einheit und Ganzheit.

Dachte Thomas von Aquin »modern«?

Thomas misst dem Gewissen des Einzelnen große Bedeutung bei. Damit weist sein Denken bereits in die Neuzeit, denn im antiken Denken hatte noch das Allgemeine Vorrang vor dem Einzelnen. In der Philosophie des Thomas besitzt der Einzelne Vorrang vor dem Allgemeinen.

Was ist Thomas' Hauptwerk?

Das Hauptwerk des Thomas von Aquin ist die unvollendete »Summe der Theologie«. Unter »Summe« versteht man eine mittelalterliche systematische Darstellung, vor allem der Theologie und Philosophie, in der rationale Argumente großen Raum einnehmen. Es gab im Mittelalter eine ganze »Summenliteratur«, darunter auch die Werke des ersten großen »Summisten« Petrus Lombardus, der im 12. Jahrhundert lebte, oder die »Summa theologiae« des Albertus Magnus, bei dem Thomas von Aquin studierte.

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