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Was uns Netflix-Serien über Wirtschaft beibringen können
Den Tag entspannt mit ein paar Folgen einer Serie ausklingen lassen – für viele Menschen ist das fester Bestandteil ihres Feierabends. Wieso das Interesse von rund 300 Millionen Netflix-Abonnenten weltweit also nicht auch fürs Lernen nutzen? Das haben sich Julien Picault von der University of British Columbia in Kanada und sein Team gedacht – und neuartige Unterrichtspläne auf Basis von Netflix-Serien entwickelt.
Vom Stream ins Klassenzimmer
„Studierende sehen sich diese Inhalte bereits an“, sagt Picault. „Unser Ziel ist es, sie dort abzuholen, wo sie stehen, und kulturell relevante Medien zu nutzen, um grundlegende Konzepte wie Opportunitätskosten, Angebot und Nachfrage oder moralisches Risiko zu erklären.“ Zu diesem Zweck haben er und seine Kollegen die Webseite „EcoNetflix“ ins Leben gerufen, auf der sie ausgewählte Szenen aus beliebten Netflix-Serien beziehungsweise -Filmen präsentieren und mit wirtschaftlichen Diskussionsfragen und Übungen verknüpfen.
Damit soll nicht nur das ökonomische Interesse von Schülern und Studierenden geweckt werden, sondern auch mehr Diversität ins Klassenzimmer kommen. „Da Netflix Originalinhalte von allen Kontinenten bietet, ist es ein idealer Kandidat für die Inhaltsgenerierung“, heißt es auf der Webseite. Doch bei welchen Serien kann man wirtschaftlich gesehen am meisten lernen?
Stranger Things und die schöpferische Zerstörung
Zum Portfolio von EcoNetflix gehören unter anderem Clips aus der in den 1980er Jahren spielenden Science-Fiction-Serie „Stranger Things“, bei der eine Gruppe von Kindern übernatürliche Geschehnisse in ihrer Heimatstadt untersucht. Ausgewählte Ausschnitte dieser Serie bringen uns dabei unter anderem das makroökonomische Prinzip der „schöpferischen Zerstörung“ näher. Dieses beschreibt, wie neue Technologien alte Produkte überflüssig machen.
Denn bei Stranger Things verwenden die Charaktere eine Vielzahl an technischen Geräten, die sich heute durch ein einziges Smartphone ersetzen lassen, darunter Walkie-Talkies, Telefonzellen und Kassettenrekorder. Daraus ergeben sich verschiedene ökonomische Fragestellungen wie „Wäre der Kauf jedes dieser Geräte einzeln teurer als der Besitz eines Smartphones?“ oder „Welchen Einfluss haben neue Produkte wie Smartphones auf die Art und Weise, wie wir die Inflation anhand des Verbraucherpreisindex messen?“
Kartelle und gedrucktes Geld
Eine anschauliche Lernhilfe in Sachen Kartellbildung ist dagegen das Krimidrama „Narcos“, das auf der wahren Geschichte des kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar basiert. In einer Szene trifft sich Escobar mit rivalisierenden Drogenbossen, um ihnen eine formelle Allianz vorzuschlagen. Er bietet an, die Geschäfte zu leiten, während die anderen Geld beisteuern und dafür gemeinsame Gewinne und Schutz erhalten. Er will also ein illegales Kartell mit ihnen gründen – ein heikles Unterfangen, das einiges über die Vor- und Nachteile der Kartellbildung verrät.
Ebenfalls eher gesetzeswidrig geht es in der spanischen Serie „Haus des Geldes“ zu, in der acht Kriminelle unter der Leitung des mysteriösen „Professors“ einen Raubüberfall auf die spanische Banknotendruckerei durchführen. In einer Folge sagt der Professor, die Europäische Zentralbank (EZB) habe im Jahr 2011 „aus dem Nichts“ 171 Milliarden Euro als Liquiditätsspritze gedruckt. Wozu diese Aktion gut war und welche Folgen es hat, wenn eine Zentralbank einfach mehr Geld druckt, lässt sich daher gut anhand dieser Serie diskutieren.
Verschuldete Spieler und seltene Krankheiten
Ein weiteres Beispiel für eine Serie, die bei EcoNetflix zum Unterrichtsinhalt wird, ist das südkoreanische „Squid Game“. Dabei treten 456 hoch verschuldete Menschen in Spielen auf Leben und Tod gegeneinander an, um ein hohes Preisgeld zu gewinnen. Dies bietet einen Anlass, um das Konzept der Verschuldung und seine Folgen zu verdeutlichen. Eine der dazugehörigen Aufgabenstellungen für Schüler und Studierende lautet daher: „Recherchieren Sie zunächst das aktuelle Verhältnis der Privatverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt in Südkorea und berechnen Sie die Wachstumsrate seit 2010.“
Auch eine deutsche Netflix-Serie hält Picault und seinen Kollegen zufolge wichtige Wirtschaftslehren bereit: „Biohackers“. Es geht darin um die Medizinstudentin Mia, die immer tiefer in gefährliche Biohacking-Technologie vordringt. In einer Folge unterhält sie sich mit ihrem Freund Jasper, der unter der seltenen neurodegenerativen Erkrankung Chorea Huntington leidet und hart arbeiten muss, um Zugang zu einer experimentellen Behandlung zu erhalten. Die beiden sprechen auch über die Kosten einer solchen Behandlung für andere Patienten. Dieses Gespräch nimmt EcoNetflix als Anlass, um das Thema Angebot und Nachfrage in den Unterricht zu integrieren. Konkret: Warum sind Medikamente für seltene und tödliche Krankheiten oft sehr teuer?
Fazit: Von wegen, Serien machen dumm!