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Scheidungskinder: Lieber zur Mutter, dem Vater oder zu beiden?

Trennen sich Eltern, ist das für die Kinder oft schwierig. Meistens leben sie nach der Trennung dauerhaft bei der Mutter oder dem Vater und besuchen zeitweise, wie etwa übers Wochenende, das andere Elternteil. Doch neben diesem üblichen Modell gibt es auch Familien, bei denen die Kinder abwechselnd bei dem einen und andern Elternteil leben. Aber welches der Modelle ist das Beste für das Kind und sein Wohlbefinden?
ABO, 27.05.2021

Auch wenn beide Eltern das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder behalten, leben diese in etwa drei Viertel der Fälle bei der Mutter.

GettyImages, Solovyova

 

Nach einer Trennung von Eltern stellt sich oft die Frage, wo die Kinder wohnen und wie beide Elternteile sie versorgen. Häufig behalten beide Eltern das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder. Wo die Kinder wohnen und wie viel Zeit die beiden Elternteilen mit ihrem Kind verbringen, unterscheidet sich aber von Familie zu Familie und muss vom Gericht entschieden werden, wenn die Eltern sich nicht untereinander einigen können.

Das Residenzmodell: Nur ein Lebensmittelpunkt

Bisher üblich ist das sogenannte Residenzmodell: Dabei lebt das Trennungskind bei einem Elternteil - in etwa drei Viertel der Fälle bei der Mutter - und hat bei diesem den „Haupt-Wohnort“. Das zweite Elternteil hat ein zeitlich begrenztes Umgangsrecht – sofern kein Verdacht auf Misshandlung, Missbrauch oder Ähnliches besteht. Meist besuchen die Kinder dieses Elternteil regelmäßig, beispielsweise am Wochenende und in den Ferien.

Dieses Residenzmodell soll die Situation für die Trennungskinder erleichtern. Da sich durch die Trennung schon sehr vieles für sie ändert und sie erstmal die Veränderung der Familienverhältnisse verstehen und verarbeiten müssen, sollen sie zumindest in ihrem gewohnten Umfeld bleiben. Die hauptsächliche Betreuung durch eines der Elternteile, meist der Mutter, soll den Kindern durch diesen einen Lebensmittelpunkt mehr Stabilität geben.

Umstritten ist das Residenzmodell jedoch vor allem deshalb, weil die Kinder dadurch eine ihrer Bezugspersonen – meist den Vater – deutlich seltener sehen und so die möglicherweise positive Bindung zu dieser verlieren können. Das nur umgangsberechtigte Elternteil hat kaum eine Chance, die  Alltagssituationen der Kinder mitzugestalten oder bei der Erziehung mitzuwirken und kann gerade bei kleineren Kindern auch große Teile der  kindlichen Entwicklung nicht miterleben.

Der Anteil von Trennungsfamilien, die nach dem sogenannten Paritätsmodell leben, liegt in Deutschland aktuell nur bei fünf Prozent.

GettyImages, AHMET YARALI

Das Wechselmodell als Alternative?

Eine bislang eher neue und noch selten angewendete Form des geteilten Sorgerechts ist das sogenannte Wechselmodell oder Paritätsmodell. Der Anteil von Trennungsfamilien, die danach leben, liegt in Deutschland aktuell nur bei fünf Prozent. Dabei wird die Betreuung der gemeinsamen Kinder so geregelt, dass sie nach der Trennung ihrer Eltern abwechselnd und annähernd gleichlang in beiden Haushalten leben.

Häufig wohnen die Trennungskinder bei einem solchen Wechselmodell jeweils zwei bis fünf Tage bei dem einen und dann ebenso lange bei dem anderen Elternteil. Es gibt aber auch Regelungen, bei denen die Kinder alle 14 Tage wechseln. Als Voraussetzung gilt, dass die Eltern nahe genug beieinander wohnen, um die Kinder durchgehend in dieselbe KITA oder Schule gehen zu lassen. Zudem bedingt dieses Modell, dass in beiden Wohnungen Kinderzimmer, Spielzeug, Kleidung und andere Dinge des Alltagsbedarf für die Kinder bereitstehen.

Der Vorteil des Wechselmodells ist, dass die Kinder zu beiden Elternteilen einen intensiven Kontakt behalten und auch der Alltag gemeinsam verbracht werden kann. Das kann die Bindung und das Vertrauensverhältnis stärken und dem Kind helfen, wenn es beispielsweise Konflikte mit einem der Elternteile gibt. Zudem kann dieses Modell für das Elternteil eine Entlastung bedeuten, das sonst den Löwenanteil der Betreuung leisten müsste.

Andererseits kann das Wechselmodell für die Kinder aber auch zu einer erheblichen Belastung führen. Denn sie müssen sich ständig umgewöhnen, unter Umständen auch an zweite Partner ihrer jeweiligen Eltern. Erfolgte die Scheidung zudem im Streit, besteht die Befürchtung, dass Eltern ihre Konflikte an die Kinder weitergeben und auf deren Rücken austragen – so die Argumente der Gegner des Wechselmodells.

Erfolgt die Trennung der Eltern im Streit, können die Kinder in einen Loyalitätskonflikt geraten, der durch das Wechselmodell noch verschärft würde.

Gettyimages, T Turovska

Was ist das Beste fürs Kind?

Welches Modell ist wirklich besser für das Kindeswohl? Ist es sinnvoll, dass bislang noch deutlich häufiger das Residenzmodell gewählt wird? Diesen Fragen ist ein Forscherteam um Anja Steinbach von der Universität Duisburg-Essen mit der Studie „Familienmodelle in Deutschland“ auf den Grund gegangen. Dafür befragten die Forscher rund 1.200 Familien, die nach einer Trennung entweder nach dem Residenzmodell oder dem Wechselmodell lebten und zogen zum Vergleich auch Kinder heran, die in einer vollständigen Kernfamilie leben.

Es zeigte sich: Ob Residenz- oder Wechselmodell – Kindern kann es in beiden Fällen gut gehen. Laut der Studie ging es den Trennungskindern bei dem Wechselmodell mindestens genauso gut oder sogar ein wenig besser als Kindern, die im Residenzmodell leben. Das gilt vor allem für die Altersgruppe der sieben- bis 14-Jährigen, so die Experten.

Dabei spielt aber auch die Umsetzung des Wechselmodells eine Rolle: Positiv auf das kindliche Wohlbefinden kann sich insbesondere das asymmetrische Wechselmodell ausprägen, bei dem die Kinder beispielsweise ein Drittel ihrer Zeit bei einem, zwei Drittel beim anderen Elternteil leben.

Weniger positive Effekte konnten die Forscher hingegen beim symmetrischen Wechselmodell feststellen, bei dem die Kinder jeweils zu gleichen Teilen von beiden Eltern betreut werden.

Wohl des Kindes hat Vorrang

„Unser Befund ist klar: Das Wechselmodell funktioniert mindestens genauso gut wie das bisher vorherrschende Residenzmodell“, sagt Steinbach. „Es ist aber kein Patentrezept, das sich in jeder Trennungssituation als erste Wahl aufdrängt. Viel hängt vom Verhältnis der Eltern ab, insbesondere inwieweit es ihnen gelingt, ihre Konflikte von den Kindern fernzuhalten und sich einvernehmlich über die Betreuung zu verständigen.“

Und nicht nur die Beziehung der Eltern untereinander, sondern auch ihre Beziehung zum Kind ist für das Funktionieren des Wechselmodells entscheidend: Ist diese gut, wirkt es sich besonders positiv auf das Kindeswohl aus. Umgekehrt zeigen sich in diesem Modell jedoch auch die negativen Folgen stärker, wenn die Beziehung zwischen den Eltern von Streit belastet ist oder die Kinder in einen Loyalitätskonflikt geraten, so die Experten.

Je nach Situation zu entscheiden

„Unsere Studie ist im Großen und Ganzen eine Bestätigung für die von den Gerichten derzeit praktizierte Herangehensweise“, ergänzt Tobias Helms von der Universität Marburg. „Können sich die Eltern nicht einigen, hat der Richter das Wechselmodell als eine ernsthaft in Betracht kommende Option in Erwägung zu ziehen. Eine vorzugsweise heranzuziehende Lösung ist das Wechselmodell jedoch nicht. Ausschlaggebend ist das Wohl des konkret betroffenen Kindes.“

Das bedeutet, dass die Wahl des Erziehungsmodells nach der Trennung abhängig vom Kind, seiner Persönlichkeit und den Lebensumständen entschieden werden sollte: Hat das Kind also ähnlich starke Bindungen und positive Beziehungen zu beiden Elternteilen, fühlt sich bei beiden auch alleine wohl, ist schon sehr selbstständig und liegen die Wohnorte der Eltern nicht weit voneinander entfernt, kann das Wechselmodell eine gute Alternative zum üblichen Residenzmodell sein.

In Familien, in denen schwierige Verhältnisse zwischen den Elternteilen herrschen und die noch sehr jungen Kinder an ein Elternteil gebunden und eher unselbstständig sind, sei dagegen meist das Residenzmodell angeraten, so die Empfehlung des Forschungsteams.

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