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Ist durch Corona das Bildungsniveau gesunken?

Fünf Jahre ist es nun her, seit in Deutschland der erste Corona-Lockdown begonnen hat. Besonders darunter gelitten haben diejenigen, die zu dieser Zeit Schüler waren. Sie mussten von jetzt auf gleich auf digitales Lernen umsteigen und den Schulstoff deutlich eigenständiger meistern als die Jahrgänge vor ihnen. Wie hat sich das auf das aktuelle Bildungsniveau ausgewirkt? Welche Kompetenzen fehlen den Corona-Jahrgängen? Und lassen sich die entstandenen Lücken wieder schließen?
AMA, 24.03.2025
Schüler beim Homeschooling während des Corona-Lockdowns
Die ungleichen Lebens-und Lernbedingungen der Schüler wirkten sich auch auf den Lernerfolg aus.

© da-kuk, iStock

Mitte März 2020 wütete das damals neuartige Coronavirus in Deutschland erstmals besonders stark. Die Zahl der Toten hatte sich innerhalb kürzester Zeit verdoppelt. Bund und Länder beschlossen daher den ersten von mehreren Lockdowns, um das öffentliche Leben und damit die Ansteckungsgefahr einzuschränken. Ab dem 22. März 2020, fast genau vor fünf Jahren, wurden Versammlungen und Gottesdienste untersagt sowie Geschäfte und Schulen geschlossen – mit erheblichen Folgen für den Schulbetrieb.

Lockdown verschlechterte die Chancengleichheit

„Durch die temporären Schulschließungen zwischen März und Mai standen Schulen und Lehrkräfte ohne Vorlauf vor der Herausforderung, ausschließlich digitale Wege der Wissensvermittlung zu nutzen. Und auch Eltern mussten unerwartet die Aufgabe übernehmen, das nun eigenständige Lernen ihrer Kinder zu Hause zu unterstützen“, erklärt das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe. Das gelang allerdings nicht immer. Wie eine Umfrage aus dieser Zeit zeigt, hatten rund 13 Prozent der Kinder anfangs einen unzureichenden oder sogar überhaupt keinen Zugang zu der für die digitale Lehre notwendigen Technik – darunter vor allem Schüler aus wirtschaftlich schlechter gestellten Familien. Sie hatten dadurch von vorneherein schlechtere Startbedingungen für den Distanzunterricht.

Ob die Fernlehre gelang, hing auch vom Bildungsgrad der Eltern ab. Rund ein Drittel der Eltern ohne akademischen Hintergrund gab an, ihre Kinder während der Schulschließungen schlecht oder gar nicht bei den Schulaufgaben unterstützen zu können – ein großer Nachteil im Vergleich zu Kindern mit Akademiker-Eltern. Noch weniger konnten nicht-deutschsprachige Eltern ihren Kindern helfen. Viele Schüler waren damit auf sich allein gestellt. Als die Schulen im Winter und Frühjahr 2021 erneut geschlossen wurden, sahen die Herausforderungen für die Schüler wieder ähnlich aus. Besonders schwierig war für sie dabei, motiviert zu bleiben und Struktur in ihren Tagesablauf zu bringen.

Lesekompetenz als Rettungsanker

Mit dieser herausfordernden neuen Lernsituation kamen Kinder mit höherer Lesekompetenz nach Angaben ihrer Eltern am besten zurecht. „Anders als im regulären Präsenzunterricht können Lehrkräfte im Digitalen den Lernstoff und die Aufgaben in vielen Fällen nicht mündlich erklären. In der Regel werden Erklärungen und Arbeitsanweisungen nur schriftlich weitergegeben. Die Fähigkeit, schriftliche Texte zu verstehen, erweist sich daher beim Lernen zuhause als eine zentrale Kompetenz für alle Schulfächer“, heißt es in einem Bericht des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe vom 14. Januar 2021.

Wahrscheinlich führte eine geringere Lesekompetenz dazu, dass betroffene Schüler Aufgabenstellungen und Anleitungen schlechter nachvollziehen konnten, was sie wiederum frustriert und dem Lernerfolg geschadet haben könnte. Das legen auch Studien nahe, wonach leistungsschwächere Schüler während der Pandemie deutlich weniger Zeit für das Lernen aufgebracht haben als noch zu Zeiten des Präsenzunterrichts. Doch inwiefern hat sich das langfristig auf die Kompetenzen der Corona-Jahrgänge und auf das aktuelle Bildungsniveau ausgewirkt?

Kompetenzen sind gesunken

71 Prozent der Lehrkräfte sind der Meinung, dass weniger ihrer Schüler die geforderten Lernziele erreichen als noch in den Jahren vor der Pandemie, wie eine Befragung ergeben hat. Dieser Effekt lässt sich auch beobachten, wenn man Ergebnisse der PISA-Studien von 2012 und 2022 miteinander vergleicht. In Mathematik ist der Anteil der Schüler, die die geforderten Mindeststandards nicht erreichen, zum Beispiel von knapp 18 auf fast 30 Prozent angestiegen. Gleichzeitig halbierte sich der Anteil der Top-Performer in diesem Fach von fast 18 auf unter neun Prozent.

Auch beim Lesen erreichten laut PISA 2022 weniger Schüler die Anforderungen als noch zehn Jahre zuvor: Der Anteil der Schüler mit unzureichenden Lesekompetenzen war von fast 15 auf über 25 Prozent gestiegen. Die PISA-Ergebnisse waren zwar auch schon vor der Corona-Pandemie auf dem Rückgang, doch die coronabedingten Schulschließungen haben diesen Trend wahrscheinlich beschleunigt, wie Studien nahelegen.

Wie lassen sich die Lücken wieder schließen?

Die gute Nachricht: Die während der Corona-Lockdowns entstanden Lernlücken wieder zu verringern, gestaltet sich zwar schwer, ist aber nicht unmöglich. Christina Anger vom Institut der deutschen Wirtschaft, die ein Gutachten zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Schulbildung verfasst hat, empfiehlt zu diesem Zweck vor allem gezielte Förderprogramme. „Es sollten Stellen für Chancenbeauftragte an den Schulen geschaffen werden, die Konzepte entwickeln und umsetzen, wie die im Zuge der Corona-Krise entstandenen Einbußen an Chancengleichheit kompensiert und darüber hinaus nachhaltig Chancengleichheit bei der Bildung erreicht werden können“, so Anger.

Darüber hinaus sei es erforderlich, die Digitalisierung deutscher Schulen weiter voranzutreiben. Anger betont: „Es ist wichtig, die Lehrkräfte von den Vorteilen eines stärkeren Einsatzes digitaler Unterrichtsinhalte zu überzeugen. Sie können die individuelle Förderung erleichtern sowie die Schüler dabei unterstützen, sich eigenständig Inhalte zu erarbeiten oder den eigenen Lernfortschritt zu kontrollieren.“

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