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Warum können Kinder so gut Sprachen lernen?
Die Sprache ist unser wichtigstes Kommunikationsmittel. Entsprechend schnell lernen Kinder, sie zu verstehen und wenig später auch selbst zu sprechen – scheinbar nebenbei. Aber warum? Während der berühmte Linguist Noam Chomsky davon ausgeht, dass Kinder mit angeborenem Wissen über sprachliche Strukturen auf die Welt kommen, denken andere Forschende, dass vor allem die frühen Lernmechanismen und der sprachliche Input aus der Umgebung entscheidend sind. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in einem Zusammenspiel beider Faktoren.
Die kritische Phase des Spracherwerbs
Doch unabhängig davon, wie viel davon angeboren oder erlernt ist, spielt auch der Zeitpunkt des Spracherwerbs eine entscheidende Rolle. Die sogenannte Hypothese der kritischen Periode geht davon aus, dass Menschen nur bis zu einem bestimmten Alter eine Sprache mit muttersprachlicher Kompetenz erwerben können. Diese kritische Phase, die irgendwo zwischen den ersten Lebensjahren und etwa dem 13. Lebensjahr liegen soll, hängt eng mit der hohen Formbarkeit und Anpassungsfähigkeit des kindlichen Gehirns zusammen. In dieser Zeit kann ein Kind seine Erstsprache dadurch fast mühelos aufnehmen.
Das zeigt sich bereits erstaunlich früh: Schon im Mutterleib bekommen ungeborene Kinder die Sprache der Eltern mit, denn etwa ab der 24. Schwangerschaftswoche können Babys hören. Nach der Geburt lassen sich diese Einflüsse sogar im Weinen erkennen. Die Verhaltensbiologin Kathleen Wermke von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat rund 20.000 Babylaute analysiert und stellte fest, dass sich die Melodien des Weinens je nach Muttersprache unterscheiden. So steigt die Intonation bei französischen Neugeborenen typischerweise von tief nach hoch an, während Babys deutschsprachiger Mütter eher eine fallende Melodie von hoch nach tief zeigen.
Warum Erwachsene es schwerer haben
Doch was unterscheidet das kindliche Sprachenlernen vom Fremdsprachenerwerb Erwachsener? Kinder tauchen von Anfang an vollständig in ihre Umgebungssprache ein – sie hören sie überall und zu jeder Zeit. Erwachsene hingegen lernen die zusätzliche Sprache meist nur in begrenzten Zeitfenstern, etwa im Rahmen eines Sprachkurses, und haben dadurch deutlich weniger kontinuierlichen Kontakt zur Fremdsprache.
Auch wie Kinder lernen, spielt eine Rolle: Im Gegensatz zu Erwachsen können sie anfangs noch keine einzelnen Wörter identifizieren. Ein Forschungsteam um Inbal Arnon von der Hebrew University zeigte 2023, dass Babys dabei nicht nur einzelne Wörter, sondern vor allem häufig vorkommende Laut- oder Wortsequenzen als Einheit wahrnehmen – also sogenannte „Chunks“. Das können feste Folgen sein wie „danke-schön“ oder „gib-mir-das“.
Für Babys bilden solche Sequenzen einen großen Baustein aus Lauten, den sie erst später in einzelne Wörter aufteilen. Auf diese Weise erkennen sie nach und nach die Beziehungen zwischen den Wörtern. Erwachsene hingegen arbeiten von Anfang an mit Einzelwörtern als Bausteinen, weil sie bereits wissen, was ein Wort ist und beim Lernen gezielt danach suchen. Gerade das könnte es ihnen erschweren, die Verbindungen zwischen Wörtern und ganze Strukturen einer neuen Sprache zu erfassen.
Was wir von Kindern lernen können
Um zu testen, ob Erwachsene erfolgreicher lernen, wenn sie ähnlich wie Kinder mit größeren Einheiten beginnen, entwickelte Arnons Forschungsteam eine künstliche Sprache mit männlichen und weiblichen Wortformen – vergleichbar mit grammatischem Geschlecht in Sprachen wie Deutsch. Die Teilnehmenden hörten Sätze in dieser Sprache und sollten herausfinden, welcher geschlechtliche Zusatzlaut zu welchem Nomen gehört.
Das zentrale Ergebnis: Erwachsene lernten deutlich besser, wenn die Wörter ohne Pausen präsentiert wurden, beispielsweise „derstuhl“ statt „der Stuhl“. In diesem Fall behandelten sie Artikel und Nomen wie einen einzigen „Chunk“ und konnten die richtige Zuordnung wesentlich leichter speichern.