Lexikon
italiẹnische Kunst
die Architektur, Plastik, Malerei und das Kunsthandwerk auf dem Gebiet des heutigen Italien, die zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert eigenständige nationale Formen entwickelten. Bis zur Bildung des italienischen Nationalstaates im 19. Jahrhundert spielten für die kulturelle Prägung vor allem die Stadtstaaten Rom, Florenz oder Venedig eine herausragende Rolle; auch der stetige Bezug zur Kunst der Antike ist bis in die Moderne hinein ein wesentliches Merkmal der italienischen Kunst.
Architektur
Vom 4. Jahrhundert bis zum Untergang des Römischen Reichs (553) war die Basilika der bevorzugte Bautyp, im Allgemeinen dreischiffig, in den kaiserlichen Prachtbasiliken fünfschiffig. Zentren der Architektur waren Rom (S. Paolo fuori le mura, 395 vollendet; Sta. Sabina, 422–432; S. Lorenzo, 579–590; Sant’Agnese fuori le mura, 625–630), Mailand (S. Lorenzo, um 370) und Ravenna (S. Apollinare nuovo, um 490; S. Apollinare in Classe, 532–549). Die Taufkirchen (Baptisterien) waren zentral angelegt (Rom: Taufkapelle des Lateran, 312–336; Ravenna: 2 Baptisterien, um 500), ebenso die Grabkirchen (Rom: Sta. Costanza, nach 354; Ravenna: Grabkapelle der Galla Placidia, um 450). Diese Grundform findet sich auch am Grabmal des Theoderich in Ravenna (um 526), in Anknüpfung an die römischen Mausoleen der Kaiserzeit.
Die in der altchristlichen Kunst wurzelnde romanische Baukunst entwickelte sich in wenigen Zentren. Die Kirchen der Lombardei und der Emilia (Verona, Mòdena, Piacenza, Cremona, Ferrara, Parma, Como, Mailand), meist ohne Querschiff, mit Stützenwechsel, reichem Portalschmuck, figuraler Fassadenornamentik und Zwerggalerie, erinnern an den nordischen Kirchenbau dieser Zeit. Die florentinische Romanik (sog. Protorenaissance) blieb stärker mit der antiken Tradition verbunden (S. Frediano in Lucca, Badia in Fiesole, S. Miniato al monte und das Baptisterium in Florenz). In Pisa (Dombezirk mit Baptisterium und Campanile) bildete sich die Säulenarchitektur am glanzvollsten aus.
Die dem italienischen Empfinden eigentlich fremden Baugedanken der Gotik wurden, durch burgundische Zisterzienser vermittelt, erstmals in den Abteien von Fossanova und Casamari aufgenommen. Bedeutende Bauten errichteten die Bettelorden in Assisi (S. Francesco) und Florenz (Sta. Croce und Sta. Maria Novella), die dann von den Domen in Siena, Orvieto und Florenz an Größe, Schmuck und Ausstattung übertroffen wurden. Am weitesten ging der nordische Einfluss in Bologna (S. Petronio) und Mailand (Dom). Immer stärker traten jetzt auch Profanbauten neben die Sakralarchitektur.
In der florentinischen Frührenaissance wurde der Typus des italienischen Palasts ausgebildet, der mit einigen Abwandlungen 300 Jahre lang im ganzen Land gültig blieb: ein breiter, rechteckiger, regelmäßiger Baukörper, im Innern ein säulengetragener Hof. Als eine eigene Bauform kam zum Palast die Villa hinzu, ein aus dem antiken Landhaus entwickeltes Landschlösschen (Poggio a Caiano, um 1480).
Die im Kern florentinische Leistung der Frührenaissance ging vor allem auf die genialen Bauideen F. Brunelleschis zurück. Ihm ging es in seinen Bauten (San Lorenzo mit Sakristei, Santo Spirito, Pazzikapelle, Findelhaus und Domkuppel in Florenz) um eine „Wiedergeburt“ der antiken Formenwelt, deren Studium er – zusammen mit Donatello – eifrig betrieben hatte. Man bevorzugte einfache stereometrische Gebilde und erstrebte eine überschaubare, in sich geschlossene Raumordnung. Brunelleschis Schüler Michelozzo brachte sie nach Oberitalien. Mit der mehr auf machtvolle Raumeinheit gerichteten Baukunst L. B. Albertis begann eine spätere Phase der Renaissancearchitektur, die sich nun auch theoretisch mit der Antike auseinander setzte. Mit den Bauten D. Bramantes kam die entscheidende Wende zur Hochrenaissance (Sta. Maria delle Grazie in Mailand, Tempietto im Hof von S. Pietro in Montorio). Er brachte mit seinen Entwürfen die Zentralbau-Idee auch in die Planung der Peterskirche in Rom ein. In Michelangelos Schaffen begegneten sich Hochrenaissance, Manierismus und Barock. A. Palladio entwickelte auf der Grundlage der Antike und der Hochrenaissance einen Klassizismus, der bis zum 19. Jahrhundert in ganz Europa und in Amerika schulbildend war.
Vignolas Il Gesù verkörperte als erste Kirche in Rom die Baugedanken des Frühbarocks. Während C. Maderna (Sta. Susanna und Vorhalle von St. Peter in Rom) zum Hochbarock überleitete, fand diese Entwicklung ihre bedeutendsten Repräsentanten in G. L. Bernini (Kolonnaden des Petersplatzes) und F. Borromini (S. Carlo alle quattro fontane und S. Ivo in Rom).
Im 19. Jahrhundert legte Gianantonio Antolini (* 1754, † 1842) bedeutende Entwürfe für das Foro Bonaparte in Mailand vor; vollendet wurde aber nur der Arco della Pace (1806–1838) von Luigi Cagnola (* 1762, † 1833), in der Tradition der altrömischen Triumphbögen. Giuseppe Valadier (* 1762, † 1839) gestaltete 1784–1816 die Piazza del Popolo in Rom. 1865–1867 entstand die als Typ wichtige große Kaufhalle der Galleria Vittorio Emanuele in Mailand von G. Mengoni (* 1829, † 1877). Der Faschismus verschrieb sich einer bombastischen neuklassischen und neubarocken Bauweise. Nach dem Krieg mischten sich moderne Tendenzen in vielfältiger Weise, ein Beispiel für den plastischen Stil ist der schon 1950 vollendete Hauptbahnhof in Rom. Vertreter der postmodernen Architektur versammelten sich ab 1964 in der Gruppe G.R.A.U. Von überragender Bedeutung sind die Ingenieurbauten P. L. Nervis; beim Pirelli-Haus in Mailand (1958) arbeitete er mit G. Ponti zusammen. Zu den berühmtesten italienischen Architekten des 20. Jahrhunderts gehört A. Rossi (* 1931, † 1997), der mit dem Welt-Theater in Venedig (1979) oder der Stadthalle von Borgorico/Padua (1986) seinen internationalen Ruf festigte.
Plastik
In altchristlicher Zeit entstanden vor allem Sarkophage, die Holztüren von S. Ambrogio in Mailand (Ende 4. Jahrhundert) und Sta. Sabina in Rom (um 430). Erst rund 500 Jahre später gelang ein neuer Anfang mit den Bronzetüren von S. Zeno in Verona. B. Antelami (nachweisbar bis 1233) entfaltete in Parma eine reiche Tätigkeit. Bedeutende Werke des Bronzegusses sind die Türen der Dome von Trani, Benevent, Pisa und Monreale (um 1170 bis Anfang des 13. Jahrhunderts).
In der Gotik des 13. Jahrhunderts verbanden Niccolò Pisano und Giovanni Pisano sowie Arnolfo di Cambio französisches Formengut mit einer ursprünglichen Nähe zur Antike (Arbeiten in Florenz, Orvieto, Perùgia, Pisa, Pistòia, Rom, Siena).
Während L. Ghiberti (Bronzetüren am Baptisterium und Figuren für die Kirche Or San Michele in Florenz) noch der Gotik verpflichtet blieb, führte Donatello das Standbild, die freistehende Statue, einer neuen Blüte entgegen (Reiterdenkmal des Gattamelata in Padua) und gab der Bildnisbüste eine Bedeutung zurück, wie sie sie seit dem Ausgang der Antike nicht mehr besessen hatte. Mit seinem bronzenen David (Florenz, Bargello) brachte er die Aktfigur zu neuer Geltung. Neben und nach ihm wirkten in Florenz N. di Banco, L. della Robbia, Desiderio da Settignano, A. Rosselino, Mino da Fiesole, B. da Maiano, in Siena J. della Quercia. Im Schaffen von A. del Verrocchio (Reiterdenkmal des Colleoni in Venedig) und A. del Pollaiuolo, die beide in erster Linie Bronzeplastiker waren, wurde die Darstellung persönlicher. Im plastischen Werk Michelangelos (Pietà, Juliusgrab, Medicigräber in Florenz), das zum Titanischen neigt, verlor die Darstellung die Züge des Menschlich-Vergleichbaren; sie löste sich aus der Zeitgebundenheit und führte in eine Welt des Sinnbildhaft-Allgemeingültigen. B. Cellini und Giovanni da Bologna waren Hauptmeister der manieristischen Skulptur. G. L. Bernini fasste in seinem reichen Werk alle Möglichkeiten des Hochbarocks zusammen: Pathos und Dramatik, eine ausgreifende Räumlichkeit und die gestalterischen Kräfte von Farbe und Licht. Am Ende des Jahrhunderts steht A. Canova mit seinem weich modellierenden Klassizismus. Im 19. Jahrhundert brachte Italien keine Plastik von europäischem Rang hervor, erreichte aber im Denkmal für Viktor Emanuel II. in Rom 1885 einen sonst nirgendwo erlangten Gipfel des Bombasts.
Malerei
Die Malerei in den Katakomben Roms begann im 3. Jahrhundert. Über schlichte Handwerklichkeit gehen nur wenige ausdrucksstarke Köpfe im impressionistischen Stil der Spätantike hinaus. Die Orans – eine Gestalt mit erhobenen Händen – verkörpert die dem Tod verfallene Menschheit, die betend die Arme zu Gott hin öffnet. Noch häufiger ist Christus als der Gute Hirte dargestellt.
Im 4. Jahrhundert entstand aus dem Erlebnis der Transzendenz eine raumbeherrschende Monumentalmalerei, die übersinnlich leuchtenden Mosaiken in den Kuppeln von Zentralbauten und in den Apsiden, an Triumphbögen sowie an den Wänden der Langhäuser von Basiliken. Zentren dieser Kunst waren Rom (4.–7. Jahrhundert) und Ravenna (5./6. Jahrhundert).
Zur romanischen Epoche gehören die Szenen der Clemens- und Alexiuslegende in der Unterkirche von S. Clemente in Rom (um 1080), das bedeutendste Werk der europäischen Monumentalmalerei aus diesem Jahrhundert, sowie der Bilderzyklus in Sant’Angelo in Formis (2. Hälfte des 11. Jahrhunderts), das vollständigste erhaltene Beispiel für die Ausmalung einer christlichen Basilika.
Im Trecento entwickelten P. Cavallini, Jacopo Torriti, Cimabue und Duccio di Buoninsegna aus der „maniera greca“ einen neuen Stil in der Begegnung mit der Antike. Die Neigung zum Plastischen und Raumhaften, zu farbigem Reichtum und leidenschaftlicher Beseelung wird deutlich. Radikal durchbrach dann Giotto den Bann der Traditionen: er schuf die Grundlagen für die Malerei der Renaissance in Italien, für die gesamte nachmittelalterliche Malerei in Europa. Das spätere Trecento stand im Zeichen der Giotto-Nachfolge (B. Daddi, T. Gaddi u. a.). Eigene Wege ging die Schule von Siena: S. Martini leitete die westlich-gotische Richtung in Italien ein. A. Lorenzetti schuf mit den Fresken im Rathaus von Siena einen Mittelpunkt der politischen Besinnung und zugleich ein kühnes Beispiel für eine die Weite des Raumes umfassende Landschaftsmalerei.
Im Quattrocento war in Florenz eine Fülle überragender Meister tätig, u. a. Masaccio, P. Uccello, A. del Castagno, Veneziano. Die menschliche Gestalt wurde statuarisch vor einen perspektivisch gebildeten Raum gestellt und mit ihm verbunden. Während die Florentiner (Fra Filippo Lippi, Fra Angelico, B. Gozzoli) um die Mitte des Jahrhunderts die Details des Bildes verfeinerten, vereinigte der Stil des auch als Malereitheoretiker tätigen P. della Francesca Körperlichkeit, Bildfläche und Farbkraft zu wuchtiger Wirkung. In dieser Zeit traten nach Thema und Form neuartige Bildgattungen auf. Man ließ Bilder in Wandvertäfelungen oder in Möbelstücke (Cassone) ein. In zunehmendem Maß wurden antike Göttersagen oder geschichtliche Ereignisse dargestellt. Diese Entwicklung wurde in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts in Florenz durch D. Ghirlandaio, S. Botticelli, F. Lippi, Piero di Cosimo, in Umbrien durch P. Perugino und L. Signorelli, in Oberitalien durch Gentile da Fabriano und G. Bellini, V. Carpaccio und A. Mantegna auf ihren Höhepunkt geführt.
Leonardo da Vinci und Raffael waren die großen Meister der Hochrenaissance, die in Leonardos Theorie, Naturstudien und individualisierender Menschendarstellung und in den Madonnen und Fresken Raffaels ihre Vollendung fand. Die oberitalienischen Künstler suchten bei stärkerer Bewertung des koloristischen Elements eine größere Naturnähe (Giorgione, Tizian).
Die Spätwerke Raffaels und Michelangelos sowie die Einwirkung der deutschen Spätgotik führten in Florenz um 1520 zum Manierismus, der sich im Laufe des Jahrhunderts in lokal modifizierten Formen über ganz Italien ausbreitete (J. Pontormo, Rosso Fiorentino, A. Bronzino, Parmigianino, Tintoretto, J. Bassano, P. Veronese, A. A. da Corrèggio).
Die Malerei des Barocks zeigte eine naturalistische und eine klassizistische Richtung. Caravàggio, Hauptvertreter der ersten, verband in seinen Werken krasse, realistische Sachlichkeit mit einer effektvollen Hell-Dunkel-Technik, die in der europäischen Kunst Epoche machte und auf Rembrandt, Rubens und Velázquez wirkte. Die klassizistische Barockmalerei ging vornehmlich von den Bologneser Akademikern (Carracci) aus und beeinflusste besonders die französische Kunst.
Im 18. Jahrhundert verlagerte sich der Schwerpunkt des Kunstlebens nach Oberitalien, wo G. B. Tiepolo und seine Söhne die Tradition der italienischen dekorativen Malerei zum letzten Mal glänzend zusammenfassten und bis nach Deutschland und Spanien trugen. Im Werk F. Guardis und der Canalettos blühte die Vedutenmalerei.
Der Malerei des 19. Jahrhunderts blieb eine übernationale Auswirkung versagt. Der Beitrag Italiens zur Malerei des 20. Jahrhunderts ist dagegen von grundlegender Bedeutung: im Futurismus (U. Boccioni, C. Carrà, L. Russolo, G. Severini) und in der Pittura metafisica (M. Campigli, C. Carrà, G. de Chirico, G. Morandi). Zu einem ganz eigenen, von der afrikanischen Plastik und der Malerei P. Cézannes angeregten Stil kam A. Modigliani. In der abstrakten Malerei fanden R. Birolli, A. Burri, G. Capogrossi, A. Magnelli und E. Vedora internationale Beachtung. L. Fontana ist der Exponent des 1946 in Mailand entstandenen „Spazialismo“ und Vertreter der monochromen Malerei. Die im gleichen Jahr gegründete Vereinigung „Fronte Novo delle Arti“ bemühte sich um eine Erneuerung der figurativen Malerei, die in R. Guttuso ihren bedeutendsten Vertreter fand.
Als Wegbereiter der Konzeptkunst gilt zu Beginn der 1960er Jahre P. Manzoni, der den traditionellen Kunstbegriff radikal in Frage stellte. Elemente der Pop-Art griff V. Adami auf; bedeutende Vertreter der Arte Povera sind L. Fabro, G. Paolini und M. Merz. Zu den Nouveau Réalistes zählte M. Rotella; zur jüngeren Künstlergeneration, der sog. „Transvanguardia“, die neoexpressionistische Werke mit einer chiffrenreichen Bildsprache schafft, gehören u. a. S. Chia und M. Paladino.
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