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Gershwins Porgy and Bess: Oper mit amerikanischem Pulsschlag

Warum ist »Porgy und Bess« die erste wirklich amerikanische Oper?

Weil der dramatische Impuls der Volksoper »Porgy and Bess« (1935) von George Gershwin (1898–1937) weder die Musik des Broadways noch die der Jazzclubs verleugnet. Es entsteht ein spezifisch amerikanischer Tonfall, dessen symphonischem Gestus die Rhythmik der Südstaaten die neue Grundlage gab.

Ein musikalischer Grenzgänger?

Das war Gershwin sicher, kein anderer Komponist hat die Klaviaturen der so genannten E- und U-Musik gleichzeitig derart meisterhaft beherrscht wie er. Stets wird sein Name genannt, wenn man auf das Widersinnige dieser Unterscheidung zu sprechen kommt. Symphonisch denken zu können, ohne den Background der Revuen und Musicals zu verleugnen, war eine Begabung, die er mit seinen Welterfolgen wie der »Rhapsody in Blue«, dem Klavierkonzert in F und dem Tongedicht »An American in Paris« sinnfällig bestätigte.

Woher kam der Stoff für »Porgy und Bess«?

Aus dem Roman »Porgy« von Edwin Du Bose Heyward. Seit Gershwin ihn 1926 gelesen hatte, war er überzeugt, die Vorlage für eine Oper gefunden zu haben. Als Heyward sechs Jahre später das Libretto schrieb, assistierte ihm Ira Gershwin, der sich als Songschreiber für seinen Bruder schon vielfach bewährt hatte. Die Wahl des Milieus von »Porgy and Bess« war für die Hoch-Zeit der amerikanischen Rassendiskriminierung durchaus ungewöhnlich: die Catfish Row, das Viertel der »Gullahs« (ehemaliger Sklaven) in Charleston, South Carolina. Der Konflikt hingegen war klassisch opernhaft: eine attraktive junge Frau zwischen drei rivalisierenden Männern.

Woher kannte Gershwin das Schwarzen-Milieu?

Um die musikalische Atmosphäre und die Lebensbedingungen der schwarzen Bevölkerung in den Südstaaten zu studieren, verbrachte der Komponist den Sommer 1934 in der Nähe von Charleston, dem Schauplatz seiner Oper, die in den Jahren 1934 und 1935 entstand. Zum ersten Mal aufgeführt wurde sie schließlich am 10. Oktober 1935 im New Yorker Alvin Theatre.

Eine Werk in der Tradition Puccinis?

Zumindest im Hinblick auf die Realistik von »Porgy and Bess«. Sie erinnert an den italienischen Verismo und bietet Szenen, die auch einen Puccini interessiert haben könnten: die leichtlebige Bess, die vor ihrem gewalttätigen Liebhaber Crown flieht und doch nicht von ihm loskommt; der verkrüppelte Porgy, der Bess aus Liebe beschützt; Crown, der beim Würfeln einen Mitspieler erschlägt; der zynische Rauschgifthändler Sporting Life, der Bess beharrlich nachstellt; Porgy, der den Rivalen Crown tötet, dann aber entdecken muss, dass seine angebetete Bess ausgerechnet mit diesem Sporting Life nach New York auf und davon ist; schließlich Porgys Abschied von der Heimat, um die Geliebte in einer fernen, fremden Welt zu suchen.

Steht die Oper in der Nachfolge Mussorgskis?

Auf diese Traditionslinie verweist der dramaturgischen Aufbau dieser durchkomponierten Oper. Er erinnert eher an Mussorgskis »Boris Godunow«. Denn auch hier ergänzen eindrucksvolle Volksszenen gleichgewichtig den roten Faden der Handlung, die sich aus dem Alltag entwickelt. Kollektiver Aberglauben, Furcht vor den Naturgewalten, religiöse Inbrunst, Ergebenheit in die Unberechenbarkeit des Schicksals, Mut zum Leben, Humor und Tanz werden zu konstitutiven Elementen einer Handlung, deren Kontrastreichtum im Pulsschlag der Musik erkennbar wird.

Sind die volkstümlichen Elemente nur Dekoration?

Sicher nicht, denn Dramatik und Lyrik bestimmen nicht nur das Spannungsfeld der Protagonisten, sondern auch der Volksszenen. Dass Gershwin sich nicht mit folkloristischer Kolorierung begnügt, sondern sich durch Stilisierung die Musik der Gospelsongs und Spirituals anverwandelt und damit seiner eigenen Erfindungskraft vertraut, verrät seine kompositorische Sicherheit. Der Aufbau des motivischen Beziehungsgeflechts und der Einsatz auch ungewohnter orchestraler Mittel beweisen ein großes dramatisches Gespür.

Genre mit Startschwierigkeiten?

Die erste amerikanische Oper entstand so spät, weil in der amerikanischen Musikkultur das Musical immer eine weitaus bedeutendere Rolle gespielt hat als Oper oder auch Jazz. Die wenigen Opernbühnen bevorzugten europäische Importe. Versuche, in dieser Gattung einen eigenständigen Stil zu entwickeln, kamen bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts über das Experimentierstadium kaum hinaus. So kommt es nicht von ungefähr, dass die erste amerikanische Oper von George Gershwin, der aus der Unterhaltungsmusik kam, geschrieben wurde.

Wie stieg Gershwin vom Einwandererkind zum Hollywoodstar auf?

George Gershwin wurde am 26.9.1898 als Jacob Gershowitz in eine russische Familie in New York geboren. 1910 kauften die Eltern ein Klavier für den zwei Jahre älteren Bruder Ira – später ein erfolgreicher Lyriker –, das aber bald George beanspruchte, der daraufhin professionellen Unterricht erhielt. 1918 gelang ihm mit »Swanee« der erste große Hit. 1924 komponierte er mit »Rhapsody in Blue« einen Orchester-Klassiker. Mit Ira produzierte er in rascher Folge eine Reihe von Broadway-Musicals wie »Lady Be Good« (1924) und »Funny Face« (1927), komponierte aber auch das Tongedicht »An American in Paris« (1928). 1930 ging das Duo nach Hollywood, in diese Zeit fällt die Entstehung von »Porgy and Bess« (1935). Gershwin starb am 11.7.1937 in Hollywood an einem Gehirntumor.

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