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Die Freiheit der Wissenschaft nimmt ab

Die Freiheit von Forschung und Wissenschaft gilt als universelles Menschenrecht und sollte als dieses geachtet und geschützt werden. Die Wissenschaftsfreiheit ist dabei oft ein Spiegel der politischen und kulturellen Situation des jeweiligen Landes. Um die Entwicklung der Freiheit von Wissenschaft zu verfolgen, wird jährlich ein Update des Akademischen Freiheitsindex (AFI) herausgegeben. Wie entwickelt sich die Freiheit unserer Forschung?
JFR, 11.03.2022
Symbold Forschung und Wissenschaft

GettyImages, gorodenkoff

In diesem Jahr geben Forschende der Universitäten Erlangen-Nürnberg und die Universität Göteborg in Schweden eine aktualisierte Version des Akademischen Freiheitsindex heraus. Der Index spiegelt dabei den Grad des wissenschaftlichen Austauschs und der Forschungsfreiheit von 177 Ländern auf einer Skala von Null bis eins wider. Der AFI liefert Daten zur Wissenschaftsfreiheit weltweit für den Zeitraum 1900 bis 2021. Damit soll die Unabhängigkeit der Forschung überwacht und auf Rückstände aufmerksam gemacht werden.

Genauer setzt sich der AFI aus fünf Indikatoren zusammen. Jeder Indikator erfasst dabei eine andere Dimension der Wissenschaftsfreiheit: Freiheit der Forschung und Lehre sowie Freiheit des akademischen Austauschs und der Wissenschaftskommunikation, die institutionelle Autonomie, die Campus-Integrität sowie die akademische und kulturelle Ausdrucksfreiheit. Berichte über den Zustand der Wissenschaftsfreiheit erhalten die Wissenschaftler von Akademikern aus den jeweiligen Ländern.

Indexabfall setzt sich weiter fort

Auf den obersten Rängen des Akademischen Freiheitsindex finden sich 2021 viele nord- und osteuropäische Länder, aber auch einige südamerikanische Länder wie Peru, Urugay und Chile. Auf Platz eins liegt Deutschland, gefolgt von Italien und Lettland. Auf den letzten drei Plätzen sind Turkmenistan, Eritrea und Nordkorea. Letzteres hat dabei fast einen Index von Null.

Tatsächlich ist in allen Regionen der Welt, bis auf Teile Afrikas südlich der Sahara, ein Abfall der akademischen Freiheit zu beobachten. Dort, wo die Wissenschaftsfreiheit rückläufig ist, leben 37 Prozent der Weltbevölkerung – die Rückschritte betreffen somit beinahe zwei von fünf Menschen weltweit. Damit setzt sich der Trend zum Abfall der Freiheit von Wissenschaft auf der ganzen Welt, der etwa 2008 begann, weiter fort.

Mehr Verlierer als Gewinner

In 19 Ländern stellten die Forschenden sogar einen erheblichen und signifikanten Abfall von mindestens 0,1 Punkten fest. Zwischen 2011 und 2021 verlor beispielsweise Hong Kong mehr als 0,56 Punkte auf der Skala der freien Wissenschaft. Aber auch in Brasilien, der Türkei, Thailand, Russland, Ungarn und Belarus ist die Wissenschaft in den letzten zehn Jahren wesentlich unfreier geworden.

Die Rückschritte betreffen jedoch nicht nur Länder, in denen es um die Wissenschaftsfreiheit schon länger nicht allzu gut bestellt war: Vor allem die USA und Großbritannien, die lange als Bollwerke der akademischen Freiheit und der wissenschaftlichen Exzellenz galten, überraschen mit einer signifikanten Verschlechterung der Wissenschaftsfreiheit.

Dagegen haben nur zwei Länder eine signifikante Verbesserung der Wissenschaftsfreiheit zwischen 2011 und 2021 zu verzeichnen. Dazu gehört Gambia, das nach einem Regierungswechsel im Jahr 2017 eine Verbesserung von 0,3 Punkten schaffte. Das zweite Land ist Usbekistan, das aber trotz eines Aufbaus der Wissenschaftsfreiheit immer noch unter den unteren 20 Prozent rangiert.

Unfreiere Wissenschaft in Autokratien

Die Forschenden erklären in ihrem Bericht: "Nach den internationalen Menschenrechtsvorschriften sind die Regierungen für die Wahrung des Rechts auf Wissenschaft verantwortlich". Damit sehen sie die Schwächung der Demokratie in vielen Ländern als einen der Hauptgründe für den Abfall der akademischen Freiheit.

"Das Level an Demokratie, das der durchschnittliche Weltbürger in 2021 genießt, ist auf das Niveau von 1989 gesunken – die demokratischen Fortschritte der letzten 30 Jahre sind damit zunichte gemacht", heißt es im V-Dem Democracy Report von 2022. Meinungsfreiheit und akademische Freiheit sind zwar keine identischen Konzepte, aber dennoch miteinander verknüpft. Und da der AFI-Indikator "Freiheit der akademischen und kulturellen Äußerung" am stärksten gesunken ist, wird hier der Einfluss von Autokratien auf die Freiheit der Wissenschaft besonders deutlich.

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