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Sexuelle Aufklärung bei Kindern und Jugendlichen

Von Bienchen und Blümchen über Dr. Sommer bis hin zu Pornos gibt es verschiedenste Möglichkeiten der sexuellen Aufklärung. Damit Kinder und Jugendliche keine falschen Vorstellungen entwickeln, ist Sexualkunde an fast allen Schulen ein Pflichtfach. Doch was, wenn die Eltern die Teilnahme am Sexualkundeunterricht verbieten? Welche Themen sind wichtig? Und wie werden die Lehrkräfte auf unangenehme Fragen vorbereitet?
THE, 17.04.2024
Wandtafel mit Kreizeichung zur "sex edcuation"

© pepifoto, iStock.com

Heimlich wird unter der Schulbank ein Schwarz-Weiß-Bild von einem nackten Männerkörper herumgereicht. Die Schüler schauen sich das Bild verhalten an und kichern – sie sehen so etwas zum ersten Mal. Noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war das gar keine so ungewöhnliche Szene, denn Sex war für eine lange Zeit ein Tabuthema.

Too much information?

Mit der Zeit wurden die Deutschen sexuell liberaler: „In den 1960ern kamen dann wesentliche Dinge hinzu. Die Pille zum Beispiel erlaubte, dass auch Lust unabhängig vom Kinderwunsch erlebt werden konnte. Erotik, Sexualität wurden als wichtige Wohlfühlquelle in der Bevölkerung entdeckt.“, erklärt Sozialpädagogikprofessor Uwe Sielert gegenüber Deutschlandfunk Kultur. Im Jahr 1968 wurde dann das Fach Sexualkunde in der Kultusministerkonferenz als „Empfehlungen zur Sexualerziehung an Schulen“ festgeschrieben.

In der heutigen Zeit besteht das Problem allerdings weniger darin, dass Kinder nicht aufgeklärt werden, sondern eher darin, durch wen und wie. Denn über Internet und Social Media kommen manchmal schon Grundschulkinder mit sexuellen oder anzüglichen Inhalten und Abbildungen in Kontakt. Doch gerade die im Netz kursierenden Darstellungen vermitteln oft ein falsches Bild davon, wie Beziehung, Sex und Partnerschaft ablaufen und welche Regeln gelten.

Um so wichtiger ist es, die Kinder rechtzeitig darauf vorzubereiten und ihnen zu vermitteln, wo ihre Rechte liegen. Theoretisch wäre dies primär die Aufgabe der Eltern, doch in vielen Fällen reicht das nicht aus oder findet nicht statt. Auch hier sind daher verstärkt Pädagogen und Lehrkräfte gefragt.

Sexualkunde – Was darf gelehrt werden?

Doch es gibt auch Widerstand gegen die schulische Aufklärung: Vor allem  verschiedene rechts- oder religiös-konservative Stimmen fordern, dass Schulen Sexualkunde streichen oder wenigstens auf die rein biologischen Grundlagen beschränken. Auch aus diesem Grund gibt es immer wieder Debatten darüber, ob und vor allem, was in dem Fach Sexualkunde gelehrt werden darf.

Das Spannungsfeld entsteht vor allem zwischen den Erziehungsrechten der Eltern und denen der Schule, präzise: Dürfen Schulen gegen den Willen von Eltern Sexualkunde lehren? Die Frage wurde vom 1977 vom Bundesverfassungsgericht geklärt. Im Beschluss steht: „Die Sexualität weist bekanntlich vielfache gesellschaftliche Bezüge auf. Sexualverhalten ist ein mächtiger Teil des Allgemeinverhaltens. Deshalb kann es dem Staat auch nicht verwehrt sein, Sexualerziehung als wichtigen Bestandteil der Allgemeinerziehung von jungen Menschen auf seinem Staatsgebiet zu betrachten.“ Sexualkunde an Schulen ist also auch gegen den Willen von Eltern erlaubt.

Manche Eltern beantragen trotzdem die Freistellung ihrer Kinder vom Sexualkundeunterricht. So beispielsweise der Antrag einer Mutter aus der Schweiz, die ihre siebenjährige Tochter vom Sexualkundeunterricht ausschließen wollte, da Aufklärung in der zweiten Klasse ihrer Ansicht nach zu früh war. Als ihr Antrag abgelehnt wurde, klagte sie. Die Richter des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hielten das Ziel des Unterrichts allerdings für legitim. Denn dieser könne kleine Kinder vor sexueller Gewalt und Ausbeutung schützen.

Komplexes Thema – was spricht man an

Während vor einigen Jahren ansonsten noch Penis, Vagina und Verhütungsmittel im Fokus der sexuellen Aufklärung standen, werden die Inhalte des Sexualkundeunterrichts zunehmend komplexer. Das Thema „sexuelle Übergriffigkeit“ hat in den letzten Jahren beispielsweise stark an Bedeutung gewonnen. Zurecht: Eine von fünf jungen Frauen zwischen 14 und 25 berichtet, sich bereits einmal gegen unerwünschte sexuelle Annäherungen zur Wehr gesetzt haben zu müssen.

Dabei liegt der Fokus im Unterricht nicht unbedingt auf den Worst-Case-Szenarien. Gerade junge Mädchen müssen auch in harmonischen Beziehungen lernen, für sich und ihre Grenzen in sexuellen Situationen einzustehen. Beispielsweise bei der Frage: Wie wollen wir verhüten? Wie kommuniziere ich dem Partner meine Grenzen? Doch dafür müssen sie ihre Grenzen kennen. Denn wer sich unsicher ist, vermeidet die Unterhaltung oder den Konflikt eventuell und verhütet dann vielleicht gar nicht.

Deshalb unterstützen verschiedene Initiativen die Schüler dabei, sich mit ihren eigenen Grenzen und denen ihrer Mitmenschen auseinanderzusetzen. So zum Beispiel das Theaterprojekt: „Mein Körper gehört mir.“ Schauspieler kommen an verschiedene Schulen und führen dort das Theaterstück zum Thema Grenzen und sexuelle Übergriffigkeit auf. Danach diskutieren Schauspieler, Lehrer und Schüler gemeinsam, wie man mit derartigen Situationen umgehen kann.

Homosexualität im Unterricht

Auch Homo- oder Transsexualität sind mittlerweile Teil des Lehrplans. In einigen Klassen sind diese Themen im Unterricht kein Problem, da die Schüler kaum Vorurteile haben oder zuminest offen dafür sind, ihre Ansichten zu korrigieren. Doch leider sind nicht alle so offen. „Ich gehe auch in Klassen, wo es sehr menschenfeindlich ist, gerade auch gegenüber Homosexualität. Wo nicht so differenziert darüber gesprochen wird. Und auch so eine Auffassung von: Ist ja auch ok, wenn die das machen, aber wenn es in meiner Familie wäre, wäre es das größte Drama der Welt“, berichtet beispielsweise Agnieszka Malach vom Berliner Lesben- und Schwulen-Verband in Deutschlandfunk Nova.

Und auch außerhalb des Klassenzimmers versuchen einige Menschen oder Institutionen, homophobe Glaubenssätze zu verbreiten. So verteilt beispielsweise der Verein TeenStar, der sexuelle Aufklärung an Schulen anbietet, Prospekte mit fragwürdigen Inhalten. In einer Broschüre argumentiert der Verein, dass „homoerotischen Empfindungen mit der Zeit von selbst vorbeigingen“. Laut dem Verein würden homosexuelle Regungen dementsprechend zwingend nicht bedeuten, man sei schwul oder lesbisch. Der Verein impliziert, dass ein gleichgeschlechtlicher Crush eine „Täuschung“ ist und dass man gleichgeschlechtlicher Liebe nicht nachgehen solle.

Diese Aussagen schaden gerade homo- oder bisexuellen Kindern und Jugendlichen, die durch derartige Aussagen unter Druck geraten. Außerdem sind sie schlichtweg falsch. „Homosexualität kann man niemandem einreden, die ist vor allem dispositiv“, sagt auch Psychologieprofessorin Jennifer Degen gegenüber dem NDR. Doch da sich diese Annahmen bis heute halten, bleibt es die Aufgabe der Sexualpädagogen, die Ressentiments im Unterricht aus dem Wege zu räumen.

Mangel an Fortbildungen

All diese Herausforderungen des Aufklärungsunterrichts stehen im starken Gegensatz zur derzeitigen Ausbildungslage für die zukünftigen Lehrer. So werden an den elf Universitäten Nordrhein-Westfalens im Semester nur durchschnittlich 15 thematisch passende Veranstaltungen angeboten – bei der hohen Zahl an Studierenden ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch wo sollen die Studierenden die Sexualdidaktik dann erlernen?

Einige Studierende der Universität Flensburg sind mit der Beschwerde, sie würden nicht ausreichend auf die Lehre des Sexualkundeunterrichts vorbereitet, zur Psychologieprofessorin Johanna Degen gegangen. Sie erarbeiteten gemeinsam das Projekt Teach LOVE. In den angebotenen Workshops kann man lernen, souverän mit herausfordernden Situationen bei der Sexualaufklärung umzugehen. Beispielsweise mit Fragen wie: „Hatten Sie schon mal einen Quickie?“, „Hatten Sie schon mal einen Dreier?“, oder „Mögen Sie Gang Bangs?“.

Einige Schulen stellen sogar externe Sexualpädagogen für den Sexualkundeunterricht an: Die Beratungsstelle Pro Familia bietet beispielsweise Aufklärungsarbeit und Projekte für Klassen ab der dritten Jahrgangsstufe an. Sie sind nicht nur Experten bei klassischen Themen, wie Sexualität oder Verhütung. Sie behandeln auch beispielsweise die Rolle der Medien. Die Schulkinder stehen  Externen im Aufklärungsunterricht durchaus positiv gegenüber. Das ergeben verschiedene anonyme Rückmeldebögen aus den Klassenräumen. Eienr der Gründe dafür: Einer fremden Person können sie sich bei so brisanten Themen besser öffnen und es ist weniger schambehaftet als den eigenen Lehrern.

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