Lexikon

Juden

ursprünglich das nach dem Stamm und späteren Königreich Juda in Palästina benannte Volk, später nach der Zerstreuung ausgedehnt auf alle, die ihre Herkunft auf das Volk Israel zurückführten und sich aufgrund der jüdischen Glaubensgemeinschaft ein gewisses Maß an gemeinsamem Brauchtum bewahrten. Nach jüdischer Tradition gilt als Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder zum Judentum übergetreten ist. In Israel dient diese Definition zur Feststellung der jüdischen Nationalität. Unter den europäischen Juden unterscheidet man 2 Gruppen: die Sephardim oder spaniolischen Juden (Spaniolen) und die Aschkenasim oder mittel- bzw. osteuropäischen Juden. In Israel werden als Sephardim die Juden orientalischer Herkunft bezeichnet.
Die Zahl der Juden auf der Erde betrug 1933 rund 16 Mio., ging durch die nationalsozialistischen Verfolgungen (rund 6 Mio. Ermordete) bis 1947 auf 11,3 Mio. zurück und stieg bis Ende der 1990er Jahre wieder auf circa 18 Mio. an.
In Deutschland lebten 1925 rund 565 000 Juden, 2000 rund 47 000. 295 000 Juden haben nach 1933 wegen der nationalsozialistischen Judenverfolgungen Deutschland verlassen. Etwa 5 Mio. Juden aus fast allen Teilen der Welt haben sich in Israel eine neue Heimat geschaffen (hier Israeli genannt). Dort entstand auf der Grundlage der alten Glaubensgemeinschaft und der wiederbelebten hebräischen Sprache ein neues Volkstum (Israel, Zionismus).

Geschichte und Religionsgeschichte

Altisraelitische Zeit

Juden: Geschichte
Judentum: Geschichtliche Daten
15.13. Jh. v. Chr.Einwanderung der israelitischen Stämme nach Palästina
um 1225 v. Chr.Zug des Volkes Israel von Ägypten ins Ostjordanland (Mose)
um 1000 v. Chr.König David / Jerusalem Hauptstadt
925 v. Chr.Reichsteilung in Juda und Israel
721 v. Chr.Assyrisches Exil
587-538 v. Chr.Babylonisches Exil
um 540 v. Chr.Rückkehr nach Zion
515 v. Chr.1. Tempel in Jerusalem
166 v. Chr.Erhebung der Makkabäer
63 v. Chr.Pompeius in Jerusalem
20 v. Chr.Tempelneubau des Herodes
66 n. Chr.Jüdisch-römischer Krieg
70Zerstörung des 2. Tempels
132Bar Kochba
321Erste bezeugte jüdische Gemeinde in Köln
ab 8. Jh.Kulturelle Blütezeit unter der Araberherrschaft in Spanien
1096Verfolgungen während der Kreuzzüge
1290Vertreibung aus England
1348/49Schwarzer Tod / Höhepunkt der Verfolgung in Deutschland
1394Vertreibung aus Frankreich
1492Vertreibung aus Spanien
18. Jh.Jüdische Emanzipationsbestrebungen
1881 und 1905Pogrome in Russland
1894Dreyfus-Affäre
1896Herzl begründet den Zionismus
1917Balfour-Deklaration
1933Aufruf zum Judenboykott
1938Kristallnacht
1941-45Vernichtungslager
1948Gründung des Staates Israel
Wahrscheinlich fassten seit dem 17. Jahrhundert v. Chr. einzelne Sippen und Stämme aus den Wüstenrandgebieten im unbesiedelten Bergland des „Landes Kanaan“ Fuß, dessen städtische Bevölkerung, im Schnittpunkt der großen Mächte und Kulturen am Nil und im Zweistromland, bereits ein hohes kulturelles Niveau aufwies. Erst in der Auseinandersetzung mit diesen „Kanaanäern“ schlossen sich die zugezogenen Sippen mehr und mehr zusammen. In Südpalästina schlossen sich mehrere Sippen zu einem Verband mit dem Stamm Juda als Kern zusammen, in Mittelpalästina bildeten die sog. Josef-Stämme (Efraim, Manasse, Benjamin) ein Kristallisationszentrum für die Nordstämme. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts v. Chr. schloss sich der Großteil der Stämme unter Saul gegen den Angriff der Philister zusammen, unterlag aber schließlich, und Saul fiel im Kampf.
Für die Religion des späteren Judentums waren Erfahrungen und Traditionen aus dieser Frühzeit grundlegend, freilich in einer neu gedeuteten Form, als Geschichte eines Zwölfstämmebundes mit einheitlichem Kult. Voraus ging die Verknüpfung von Sippentraditionen über den „Gott der Väter“ und lokale El-Gottheiten mit der den Gott Jahwe verehrenden Gruppen. Der Jahwekult wirkte mehr und mehr als einigendes Band im „heiligen Krieg“ und in der kulturell-religiösen Auseinandersetzung mit der kanaanäischen Umwelt.

Das geeinte Reich

Die politische Lage im Vorderen Orient erlaubte im 10. Jahrhundert das Aufkommen regionaler Machtgebilde im syrisch-palästinensischen Raum. Während die Philister sich an der Südküste halten konnten und die nördliche Küste von den phönizischen Stadtstaaten beherrscht wurde, wuchs im Nordwesten mit dem Zentrum Damaskus ein aramäischer Staat heran und südlich davon das Reich Israel. Dessen Aufstieg begann mit der Wahl Davids zum König von Juda mit der Hauptstadt Hebron. Im Norden herrschte ein Sohn Sauls, er wurde aber ermordet, worauf auch die Nordstämme David als König anerkannten. Residenz des geeinten Reichs wurde Jerusalem. Die kanaanäischen Städte wurden einverleibt, die Philister im Südwesten friedlich neutralisiert, die Edomiter im Süden, die Moabiter und Ammoniter im Osten unterworfen, die Aramäer im Nordwesten besiegt. Der neue politische Machthorizont bestimmte auch den Anspruch des Nationalgottes Jahwe, der endgültig an die Stelle des kanaanäischen Göttervaters und Weltschöpfers El trat.
Unter Davids Sohn Salomo (972932 v. Chr.?) festigte eine kluge Diplomatie und Heiratspolitik den außenpolitischen Status. Intern wurde ein Verwaltungsnetz mit Provinzzentren und befestigten Garnisonen aufgebaut. Salomo ließ am Zionsberg einen Palast und einen Tempel nach syro-phönizischen Vorbildern errichten. Der Wandel wurde von manchen als Kanaanisierung empfunden und weckte Widerstände, die sich an einem idealisierten Bild von der Wüstenzeit orientierten.

Die geteilten Reiche Israel und Juda

Die davidische Dynastiebildung stand im Widerspruch zur Tradition von den charismatischen Richtern. Dies und die wachsende Unzufriedenheit vor allem der Nordstämme über die aufgekommenen Steuer- und Fronlasten führten ca. 932 v. Chr. unter Rehabeam zum Bruch. Die Nordstämme wählten Jerobeam I. (932/31911/10 v. Chr.) zum König, der eigene staatliche Kultzentren in Bethel und Dan einrichtete. Bis auf eine kurze Unterbrechung unter der Usurpatorin Atalja (842/41837/36 v. Chr.) blieb Juda davidisch regiert, während es im Nordreich nur vorübergehend Ansätze zur Dynastiebildung gab.
722/21 v. Chr. wurde das Gebiet der Nordstämme assyrische Provinz, und ein Teil der Oberschicht wurde deportiert. König Ahas von Juda unterwarf sich Assyrien und entging so dem Schicksal des Nordreichs. Religiös kämpften strenge Jahwe-Verehrer und die offiziellen Staatskulte gegen die der kanaanäischen Fruchtbarkeitsreligion (Baal- und Astarte-Kult) verhaftete volkstümliche Frömmigkeit.
Der Untergang des Nordreichs stärkte die Position der davidischen Dynastie und die Jerusalemer Tradition, alsbald wurde „Israel“ auch in Juda als Selbstbezeichnung verwendet. Während des folgenden Jahrhunderts blieb Juda in unterschiedlichem Grade von Assyrien abhängig. 597 v. Chr. eroberte der Babylonier Nebukadnezar II. Juda. 587/86 v. Chr. wurde Jerusalem samt dem Tempel von den Babyloniern zerstört, die Ober- und Mittelschicht deportiert und das Reich Juda aufgelöst.

Exil und persische Periode

Die Deportierten wurden in Babylonien geschlossen angesiedelt. Im Exil wurden die alten Jerusalemer Traditionen vereinheitlicht, harmonisiert, in der Folge zu großen literarischen Sammelwerken („Tora“: 1.5. Buch Mose; „Deuteronomistisches Geschichtswerk“: Josua bis 2. Könige) aufgearbeitet, ein Prozess, der sich in die nachexilische Zeit hineinzog. Das babylonische Judentum leitete so den Übergang zur Buchreligion ein.
Der Perserkönig Kyros II. eroberte Babylonien, gestattete 538 v. Chr. den Deportierten die Heimkehr und ordnete die Wiederherstellung des Jerusalemer Tempels und Kults an. Der Hohepriester an der Spitze einer privilegierten Priesterschaft wurde die dominierende Gestalt im kleinen Tempelstaat, der nur Jerusalem und Umgebung umfasste. Die Heimkehrer ließen die Altjudäer und Altisraeliten zur Kultgemeinde nur zu, soweit sie sich ihren religiösen Ansichten und Praktiken fügten. Gegen den Widerstand dieser Gruppen wurde die Neukonstituierung der Gemeinde von Esra und Nehemia (um 445430 v. Chr.) durchgesetzt. Sabbat-Heiligung, Beachtung ritueller Reinheitsregeln und die strikte Ablieferung der kultischen Abgaben wurden streng überwacht. Die Abgrenzungsmaßnahmen zwangen die Altisraeliten („Samaritaner“), sich als eigene Gemeinschaft zu organisieren. Schließlich übernahm der Hohepriester auch die politische Repräsentanz. Die Kultrestauration hatte die territorial-lokale Bindung der jüdischen Religion und die Institutionalisierung unter der steuerlich-sozial bevorzugten Priesterschaft gestärkt.

Hellenistische Oberherrschaft

Alexander der Große (332 v. Chr.) und die Diadochen bestätigten den Status des Tempelstaates, der dann zwischen Ptolemäern (Ägypten) und Seleukiden (Syrien) lange strittig blieb, bis 198 v. Chr. die Seleukiden das Gebiet übernahmen. Von einer hellenisierenden Richtung wurde ein synkretistischer Kult eingeführt, der Tempel erschien den Traditionstreuen als entweiht, die Endzeit nahe, und daher verschärfte sich auch der Widerstand in der Erwartung der kommenden Gottesherrschaft. Organisatoren des Widerstands waren die Söhne des Hasmonäers Mattathias (die Makkabäer). Judas Makkabäus gelang (164 v. Chr. die Eroberung Jerusalems und die Wiedereinweihung des Tempels. Er fiel 160 v. Chr. bei Elasa. Jonathan Makkabäus nützte die seleukidischen Thronfolgestreitigkeiten aus und wurde 152/51 v. Chr. zum Hohepriester und seleukidischen Feldherrn ernannt, fiel aber 142 v. Chr. selber einem Thronprätendenten zum Opfer. Simon Makkabäus (12137 v. Chr.) nahm die syrische Burg (Akra) von Jerusalem ein und erreichte 141/40 v. Chr. die volle Unabhängigkeit; eine Volksversammlung sprach ihm die erbliche Würde des Fürsten, Feldherrn und Hohepriesters zu. Er und Johannes Hyrkan (134104 v. Chr.) betrieben zwar eine gezielte Expansions- und Judaisierungspolitik, doch die Opposition wuchs. Eine priesterlich geführte Gruppe, die Sadduzäer, vertrat die Interessen der Oberschicht, mit ihnen kooperierten Johannes Hyrkan und seine Nachfolger. Unterschiedlichste Gruppierungen erwarteten die nahe Gottesherrschaft. Eine vermittelnde Position nahmen die politisch aktiven Pharisäer ein. In der Harmonäerdynastie kam es zu Bruderkämpfen. Hohepriester Hyrkan II. focht mit den Pharisäern gegen den sadduzäisch orientierten Aristobul II.
Dies veranlasste Pompeius 63 v. Chr. zum Einmarsch in Judäa und zur Eroberung Jerusalems. Hyrkan II. wurde als Hohepriester und Ethnarch anerkannt, die tatsächliche Macht lag beim Rom-ergebenen idumäischen Heerführer Antipas und dessen Söhnen. Herodes der Große (374 v. Chr.) eroberte innerhalb dreier Jahre ein Reich von davidischen Ausmaßen. Seine tyrannische Herrschaft machte ihn ungeachtet großartiger wirtschaftlicher und baulicher Leistungen (Neubau der Tempelanlage) bei den meisten Juden verhasst.

Die griechischsprachige Diaspora

Seit frühhellenistischer Zeit siedelten zahlreiche Juden in Alexandria (2/3 der Bevölkerung), manche auch in den ägyptischen Provinzen und in der Kyrenaika. Kleinere Niederlassungen entstanden im ganzen Mittelmeerraum. Diese westliche Diaspora sprach und schrieb Griechisch. Auf der Rechtsbasis, die die Diadochen geschaffen hatten, bildeten die jüdischen Niederlassungen autonome Verwaltungseinheiten. Bedeutsam war die im 3./2. Jahrhundert v. Chr. in Alexandria entstandene griechische Bibelübersetzung („Septuaginta“), die biblische Inhalte auch Nichtjuden bekannt machte. Umgekehrt übernahmen gebildete Juden hellenistische Popularphilosophie und interpretierten mit ihrer Hilfe biblische Bücher und jüdische Bräuche, wie Philon von Alexandria (frühes 1. Jahrhundert n. Chr.). Gegen Ende der Antike kehrte das westliche Judentum zum Hebräischen zurück und nahm die palästinisch-babylonische Tradition der Rabbiner an. Dazu trug auch die Konfrontation mit dem Christentum bei, das zunächst als jüdische Bewegung (als das eigentliche „Israel“) auftrat und von den jüdischen Diasporagemeinden abgegrenzt werden musste.

Die römische Herrschaft

Nach dem Tod Herodes des Großen wurde sein Reich auf drei Söhne aufgeteilt: Archelaos erhielt als Ethnarch Judäa, Samaria und Idumäa, Antipas (bis 39 n. Chr.) als Tetrarch Galiläa und Peräa, Philippus die Gebiete im Nordosten. Archelaos wurde 6 n. Chr. abgesetzt, sein Gebiet als Teil der Provinz Syria einem Prokurator mit Sitz in Caesarea unterstellt. Die innerjüdischen Belange wurden durch das Synhedrion (hebräisch Sanhedrin) unter Vorsitz des Hohenpriesters geregelt. Das Hauptproblem war die Unvereinbarkeit zwischen radikal-jüdischem Anspruch auf Gottesherrschaft und dem Anspruch des römischen Imperiums. Als 66 n. Chr. in Caesarea Kämpfe zwischen Juden und Nichtjuden ausbrachen, flackerten im ganzen Land Unruhen auf. Ein verfrühter Siegestaumel zog auch die Gemäßigten (Pharisäer und Sadduzäer) in den Krieg gegen Rom hinein. Vespasian begann mit der Rückeroberung, und sein Sohn Titus führte den Feldzug zu Ende, der 70 n. Chr. in der Zerstörung Jerusalems und des 2. Tempels gipfelte.
Mit dem Tempel verlor das Judentum auch die bisherige Sozialstruktur und mit Hohepriester und Synhedrion das oberste Selbstverwaltungsorgan. Aus pharisäischen Schulen erwuchs gegen Ende des 1. Jahrhunderts unter der Führung des Hauses Hillel eine neue oberste gelehrte und rechtliche Instanz, der Sanhedrin unter dem „Patriarchen“.
132 erhob sich in Judäa Bar Kochba mit erheblichem Anhang gegen Rom. 138 wurde der Aufstand niedergeschlagen. Die jüdische Bevölkerung Jerusalems wurde größtenteils vertrieben, für das Land die Bezeichnung „Palästina“ eingeführt. Jedoch erhoben die Römer den Sanhedrin zu einer reichsweit anerkannten Autorität mit beträchtlichen Rechten. Aus den bisherigen Schulüberlieferungen der Rabbinen wurde eine autoritative Auswahl fixiert. Diese Mischna (Lehre) diente als „mündliche Tora“ den folgenden Gelehrten als Diskussions- und Entscheidungsgrundlage, ihre Traditionen wurden als „Gemara“ im palästinensischen und babylonischen Talmud zusammengefasst.
Der Sieg des Christentums im 4. Jahrhundert brachte für das Judentum eine zunehmende Einengung seiner bisherigen Rechte. Babylonien übernahm die Rolle des geistigen Zentrums der Judenheit; der babylonische Talmud erlangte überall autoritative Geltung.

Das Mittelalter

Juden: Ausbreitung im Mittelalter
Ausbreitung der Juden im Mittelalter
Ausbreitung der Juden im Mittelalter
Die arabische Eroberungswelle seit 638 brachte den Orient, das südliche Mittelmeergebiet und Spanien bis Südwestfrankreich in einen politisch-kulturellen Großraum mit einheitlicher Sprache. Die Anhänger von „Buchreligionen“ (Christen und Juden) wurden als Vertragsschützlinge der islamischen Herrschaft unter bestimmten Auflagen geduldet. In Babylonien erkannten die Kalifen den Exilarchen als Oberhaupt der Juden an. In Palästina durften Juden wieder in Jerusalem siedeln, in Ägypten ließen sich palästinensische wie babylonische Juden nieder, manche erreichten über Nordafrika Spanien, wo zuvor unter westgotischer Herrschaft die Juden schwer bedrängt worden waren. Es folgte das „goldene Zeitalter“ des spanischen Judentums (Sephardim), eine Periode reicher, weltoffener Kultur, die mit dem Eindringen der fanatischen Berber aus Nordafrika und mit der christlichen Reconquista von Norden her endete. Eine jüdische theologische Literatur entstand, zunächst auch am Neuplatonismus, vom späten 12. Jahrhundert an am Aristotelismus (Maimonides) orientiert, um dem Bedürfnis der Gebildeten nach einer zeitgemäßen Interpretation des Judentums zu entsprechen.
Im Byzantinischen Reich und z. T. in Italien blieb die spätantike, durch christliche Gesetze stark eingeschränkte Rechtsbasis bestehen. Einzelne Herrscher verliehen jüdischen Personen oder Gemeinden urkundlich fixierte Privilegien. Im Lauf der Zeit kam das (unter Friedrich II. 1240 abschließend definierte) Konzept der „Kammerknechtschaft“ auf, nach dem die Juden als Knechte und Eigentum des christlichen Herrschers galten, wohinter sich in erster Linie fiskalische Interessen verbargen. Ungünstig wirkte sich die kirchlich geforderte soziale Isolierung aus. Die meisten Gewerbe wurden den Juden verschlossen, und somit trat der Geldhandel in den Vordergrund. In Spanien gewährten christliche Herrscher während der Reconquista den Juden noch manche Vorteile, doch im 14. Jahrhundert setzte eine judenfeindliche Tendenz ein, und 1492, nach dem Fall Granadas, wurde die Vertreibung der nicht bekehrungswilligen Juden angeordnet. Portugal folgte 1497, die Provence 1500. Bereits zuvor waren 1290 alle Juden aus England und 1394 aus den Ländern der französischen Krone vertrieben worden. Im Heiligen Römischen Reich wechselte die Situation mit dem Zustand der Zentralgewalt, die immer öfter das Judenregal an Fürsten und Städte verpfändete oder übertrug, so dass lokale und regional begrenzte Vertreibungen und Verfolgungen die Regel waren. Katastrophale Folgen hatten die Kreuzzüge, und nach 1348 setzten mit der großen Pestepidemie verbreitete Verfolgungswellen ein. Viele Juden zogen in der Folgezeit ostwärts, nach Polen und Litauen, wo städtische Kolonisatoren gefragt waren und annehmbare rechtliche Verhältnisse bestanden. Später nannte man den ganzen mittel- und osteuropäischen Zweig des Judentums Aschkenasim.

Die Neuzeit bis zur Aufklärung

Die aus Spanien Vertriebenen zogen größtenteils ins osmanische Reich. Palästina wurde erneut zu einem geistigen Zentrum des Gesamtjudentums. J. Karo ( 1575) verfasste den „Schulchan Aruch“, das maßgebliche Kompendium des jüdischen Rechts und Brauchtums, und die großen Vertreter der späten Kabbala bestimmten von hier aus das religiöse Denken der ganzen Diaspora. Im 17./18. Jahrhundert verlor das sephardische Judentum mit dem Niedergang des osmanischen Reiches rasch an Zahl und Bedeutung.
Von den in Spanien und Portugal Zwangsgetauften („Marranen“) wanderten im 16.18. Jahrhundert manche aus. So entstanden in Westeuropa und Übersee kleine, aber wirtschaftlich und kulturell hoch stehende sephardische Gemeinden.
Die Reformation brachte den Juden in Mitteleuropa keine Erleichterung. Vertreibungen und Verfolgungen hielten an, dazu kam die teilweise Zwangs-Gettoisierung. Große Gemeinden gab es nur in Frankfurt am Main, Metz und Prag. Das soziale und kulturelle Niveau lag weit unter dem der Sephardim. Das zahlenmäßige und gesetzesgelehrte Schwergewicht des Gesamtjudentums verlagerte sich im 16. Jahrhundert nach Polen/Litauen, wo die städtischen Kolonisten ihr mitteleuropäisches Judendeutsch beibehielten und zum Jiddischen ausformten. Später spezialisierten sich diese auf die Vermittlung der landwirtschaftlichen Produkte an die städtischen Verbraucher, gründeten dörfliche Siedlungen („Schtetl“) und nahmen zahlenmäßig trotz sozialer Not rasch zu. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstand hier die Bewegung des osteuropäischen Chassidismus. Sozial- und bildungsgeschichtlich bedeutete diese Hinwendung zum Irrationalen eine weitere Verhärtung der längst unzulänglichen Strukturen und Verhaltensweisen.

Aufklärung, Assimilation, Emanzipation

Nur wenige Juden (Hoflieferanten, Großkaufleute, Ärzte) erreichten in jenen Jahrhunderten den Standard der gebildeten Umwelt, in der sich durch das neue Menschenbild der Aufklärung auch die Einstellung zu den Juden wandelte. M. Mendelssohn erlangte als deutschsprachiger Philosoph die Anerkennung der Gesellschaft, blieb in der religiösen Praxis aber traditionstreu. Die jüdischen Aufklärer in seinem Umkreis forderten praktische Reformen: Ersetzung der volkstümlichen jüdischen Umgangssprache durch die Schriftsprache der Umwelt, gleichzeitig Pflege des Hebräischen als Literatursprache, Einführung profaner, beruflich nützlicher Fächer im Schulunterricht. Joseph II. erließ ab 1781 für die Nichtkatholiken und Juden des Habsburger Reiches Toleranzedikte; dieses Modell fand rasch Nachahmer, wurde aber durch die Maßnahmen der Französischen Revolution radikal überholt. Die Gleichberechtigung verbreitete sich mit den napoleonischen Eroberungen um den Preis der nationalen Assimilation. Napoleon I. erreichte 1807 vom „Grand Sanhedrin“ der Juden Frankreichs das Bekenntnis zur französischen Nation. Danach lösten immer mehr Juden die traditionelle Einheit von Volks- und Religionszugehörigkeit auf und verstanden sich als Angehörige ihrer bisherigen Gastnation, nur mit jüdischer Konfession. Die meisten Staaten gewährten erst nach 1860 die volle Emanzipation. Zu der Zeit war in Mittel- und Westeuropa die kulturelle und nationale Assimilation für die Mehrheit der Juden bereits selbstverständlich.
In Deutschland, England und den USA kam es im 19. Jahrhundert zur Grüdung von Reformgemeinden neben der Orthodoxie. Im Gegenzug entstand eine „konservative“ Richtung, die moderne Bildung und Kultur mit einem möglichst hohen Maß von Tradition verbinden wollte. Kulturell dominierte bis in die 1920er Jahre das deutschsprachige Judentum mit seiner „Wissenschaft des Judentums“, doch in Frankreich, in England und in den USA folgte rasch eine nicht minder effektive Assimilation. Freie Berufe und bürgerlich-liberale Orientierung kennzeichneten dieses „Westjudentum“. Gerade in Deutschland betonten manche Juden in Abwehr antisemitischer Angriffe ihre nationale Assimilation gegenüber dem aufkommenden Rassismus freilich vergeblich.
Im zaristischen Russland konnte die assimilationswillige jüdische Aufklärung, der starke orthodoxe Kräfte gegenüberstanden, angesichts der antisemitischen russisch-nationalistischen Gegenkräfte ihre Zielsetzung, die Eingliederung der Juden in eine moderne Gesellschaft, nicht mehr verständlich machen. Als 1880 lokale Ausschreitungen gegen Juden von staatlichen Instanzen geschürt und gedeckt wurden, verzweifelten auch Aufklärer an einer Emanzipation der Juden durch den nichtjüdischen Staat. L. Pinsker forderte 1882 die nationale Selbstbefreiung („Autoemanzipation“) auf eigenem Territorium, und die ersten jüdischen Siedler gingen nach Palästina.
Um die gleiche Zeit entstand in Osteuropa und unter den immer zahlreicheren jüdischen Auswanderern aus Osteuropa in England und in den USA eine jüdische Arbeiterbewegung. Der „Bund“ (gegründet 1887) bevorzugte das Jiddische und erhoffte sich von einer sozialistischen Neuordnung eine jüdische Autonomie, im Unterschied zu Sozialisten, die in der klassenlosen Gesellschaft auch jede nationale Sonderexistenz aufheben wollten. Andere Sozialisten wählten den zionistischen Weg und damit das Hebräische; sie wurden (besonders ab 1904) zu den eigentlichen Trägern der Palästinasiedlung.
In den USA lebten um 1820 etwa 8000 Juden, um 1900 1 Mio., 1939 fast 5 Mio., hauptsächlich jiddischsprachige, aus Osteuropa zugewanderte Juden meist in Großstädten und sozial dem Proletariat zuzurechnen. Schon die zweite Generation rückte in die Mittelschicht auf, so dass im 20. Jahrhundert das bürgerliche Lager bald überwog; zunächst kulturell mehr an den deutschsprachigen Einwanderern orientiert, mehr und mehr mit diesen amerikanisiert. Binnen weniger Jahrzehnte entstand eine Anzahl wirksamer Organisationen, deren Gewicht im Weltjudentum mit ihrer Finanzkraft ständig wuchs.

Zionismus, Holocaust, Israel

Der Zionismus, die moderne Spielart eines territorial fixierten Nationalismus, wurde vom größten Teil der Orthodoxie, von allen bürgerlichen „Konfessionsjuden“ wie von jüdisch-sozialistischen Richtungen abgelehnt. Erst der anwachsende Nationalsozialismus und die Gefährdung der Juden Palästinas durch die arabischen Gewaltausbrüche der 1930er Jahre führten über eine zunehmende praktisch-finanzielle schließlich zu einer auch ideologischen Unterstützung des Zionismus. Das Aufbauwerk in Palästina (Israel) wurde vom sozialistischen Pionier-Zionismus getragen; der „revisionistische Zionismus“, der die Religion im Sinne „völkischer“ Ideologie als zentrale Lebensäußerung der Nation und als politisches Instrument wertete, hatte lange keine Chance. Die religiöse Organisation des palästinensischen Judentums blieb aber trotz der ab 1920 unter dem britischen Völkerbundmandat erfolgreich ausgebauten jüdischen Selbstverwaltung orthodox beherrscht. Erst nach 1967 trat wieder ein deutlicher Rechtsruck im Zionismus auf, der noch in den 1990er Jahre hinein die israelische Politik bestimmte.
Der rassistische Antisemitismus der deutschen Nationalsozialisten verneinte die Möglichkeit einer Assimilation und sah in den Juden eine „minderwertige Rasse“. Sofort bei seinem Machtantritt 1933 leitete das Regime die diskriminierende Ausschaltung der Juden im Deutschen Reich ein. Boykottmaßnahmen und offener Terror („Kristallnacht“ 9. 11. 1938) folgten. 1941 wurde die „Endlösung“, d. h. die Ermordung aller in deutschem Machtbereich befindlichen Juden, in Angriff genommen. Man schätzt, dass in den Lagern etwa 4 Mio., bei sog. Sondereinsätzen weitere 1,5 Mio. Juden umgebracht wurden. Aus der Erfahrung der Wehrlosigkeit und Hilflosigkeit, der geringen Hilfsbereitschaft in der Umwelt und des zu späten politischen und militärischen Eingreifens der Alliierten wuchs die Bereitschaft zu gesamtjüdischer Solidarität, zur Unterstützung und Sicherung des palästinensischen Siedlungswerkes, auch unabhängig von politischer und religiöser Orientierung.
1948 wurde der Staat Israel gegründet. Die Namengebung knüpft sowohl an die biblische Zeit wie an die traditionelle Selbstbezeichnung des Judentums an, um dieses insgesamt zu verpflichten. Aus Osteuropa, Nordafrika und dem Nahen Osten wanderten 1,7 Mio. Juden in Israel ein. Zwischen Diasporajudentum (vor allem vertreten durch N. Goldmann) und Staat (unter D. Ben-Gurion) kam es zu Spannungen. Forderte Ben-Gurion die Einwanderung möglichst vieler Juden nach Israel, so betonte Goldmann Eigenständigkeit und Nutzen einer starken Diaspora. Die israelische Aufbauleistung formte das Selbstbewusstsein der gesamten Diaspora und schuf ein neues Image des Juden nach dem Idealtypus des zionistischen Pioniers und Kämpfers. Dazu trat die Entschlossenheit, einen zweiten „Holocaust“ mit allen Mitteln zu verhindern.
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