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Welche Gesundheitsgefahr geht von Weichmachern aus?

In unserem Alltag treffen wir in beinahe allen Plastikprodukten auf Weichmacher – Chemikalien, die Kunststoff elastisch und formbar machen sollen. Einige von ihnen nehmen wir unfreiwillig sogar über die Nahrung auf. In den vergangenen Jahren wurde immer mehr über das Gesundheitsrisiko bekannt, das von diesen industriellen Kunststoffzusätzen ausgeht. Was bewirken sie in unserem Körper? Wer ist am stärksten gefährdet? Was für Alternativen gibt es und wie ist ihr Einsatz in der EU reguliert?
CKR, 09.11.2023
Symbolbild Kunststoffprodukte

© curtoicurto, GettyImages

Bei Weichmachern handelt es sich um meist synthetische Chemikalien, die in der Industrie harten und spröden Materialien zugesetzt werden, um sie weicher zu machen. Dadurch werden die Materialien, meist polymere Kunststoffe, geschmeidiger, biegsamer, elastischer oder dehnbarer. Durch diese Eigenschaften sind sie einfacher zu bearbeiten oder angenehmer zu benutzen. Die Industrie setzt als Weichmacher sehr unterschiedliche Chemikalien ein und kombiniert diese teilweise auch miteinander. Mit Abstand am häufigsten kommen sogenannte Phthalate zum Einsatz, weil sie günstig und einfach zu verarbeiten sind.

Wo kommen Phthalate und Co vor?

Von außen erkennbar sind Weichmacher im fertigen Plastikprodukt nicht, denn sie sind geruchs-, geschmacks- und farblos. Tendenziell gilt aber: Je flexibler ein Kunststoff, desto höher sein Gehalt an Weichmachern. PVC-Folien für Wurst und Käse an Frischetheken bestehen beispielsweise zu rund einem Drittel aus Weichmachern.

Insbesondere drei Phthalate kommen als Weichmacher für den Kunststoff PVC (Polyvinylchlorid) in sehr vielen Alltagsprodukten vor: DEHP – auch als DOP bezeichnet –, DIDP und DINP. Sie finden sich etwa in kunststoffbeschichteten Verpackungsmaterialien, Kinder- und Hundespielzeug, Regenkleidung, Sport- und Freizeit- sowie Erotikartikeln. Phthalat-haltiges PVC, sogenanntes Weich-PVC, ist auch Bestandteil zahlreicher Medizinprodukte wie Infusionsschläuche, Blutbeutel und Magensonden. Zudem werden Phthalate in Medikamentenkapseln und Tabletten eingesetzt.

Weichmachende Substanzen sind auch in zahlreichen Baumaterialien enthalten, etwa in Lacken, Farben, Dichtungsmassen oder Klebern. Dadurch sind Weichmacher zum Beispiel in Fußböden, Tapeten, Türen und Fenstern von Wohnungen weit verbreitet. Auch in Teppichen sind sie enthalten, um diese griffiger und geschmeidiger zu machen.

In welchem Plastik sind keine Weichmacher?

In unserer Alltags-Umgebung finden sich daher in sehr vielen Kunststoffen Weichmacher, doch es gibt auch Ausnahmen. Die Kunststoffe Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP), aus denen unter anderem Frischhaltefolien und die meisten Tupperware-Produkte bestehen, kommen beispielsweise ohne flüchtige Weichmacher aus. In PET-Getränkeflaschen werden ebenfalls keine Weichmacher eingesetzt. Und auch Silikon ist zwar weich, enthält aber in der Regel keine weichmachenden Substanzen.

Kunststoffspielzeug
Auch bei Kunststoffspielzeug ist Vorsicht geboten, gerade bei Second-Hand-Erwerbungen. Denn das Verbot bestimmter hormonell schädigender Phthalate in Spielzeug trat in der EU erst 2005 in Kraft.

© monticelllo, GettyImages

Wie gelangen Weichmacher in die Umwelt?

Die meisten weichmachenden Substanzen, allen voran die Phthalate, sind den Kunststoffen nur lose beigemischt und nicht chemisch mit ihnen verbunden. Dadurch können sie aus ihnen mit der Zeit wieder austreten – entweder in Form von Gas oder sie lösen sich bei Kontakt mit Fett oder seltener auch mit Wasser heraus. Umso länger wir beispielsweise unser Essen in Plastikbehältern aufbewahren, die nicht für diesen Zweck gedacht sind, desto mehr Weichmacher treten in die Lebensmittel über. Und auch Kunststoffböden dünsten langsam aber stetig all ihre Weichmacher aus.

Sowohl noch benutzte als auch weggeworfenen Kunststoffe geben ihre chemischen Zusätze an die Umwelt ab. Mit unseren Plastikprodukten und -abfällen gelangen die Chemikalien in die Natur und auch in die Nahrungskette von Tieren und uns Menschen. Weichmacher lassen sich daher inzwischen beinahe überall in der Umwelt sowie in Blut und Urin der großen Mehrheit der Bevölkerung Europas nachweisen.

Aufnahme über die Nahrung

Wir Menschen nehmen Weichmacher vor allem mit der Nahrung auf. In Deutschland liegt die Belastung der Bevölkerung mit dem Weichmacher DEHP durch Lebensmittel zwar im Schnitt noch unter den Grenzwerten, kann aber im Einzelfall auch höhere Werte erreichen. Die Aufnahme lässt sich kaum vermeiden, denn auf belastete Lebensmittel zu verzichten, ist nicht einfach. Weichmacher finden sich durch Transport und Lagerung in allen Grundnahrungsmitteln. Besonders schnell reichern sie sich aus Kunststoffverpackungen in fetthaltigen Nahrungsmitteln an.

Wenn wir diese Lebensmittel essen, nehmen wir unfreiwillig auch Phthalate und Co auf. Kleinkinder nehmen die Chemikalien auch häufig über Hausstaub und Dinge wie Spielzeug auf, die sie in den Mund stecken. In unserem Körper werden die Weichmacher dann abgebaut und mit dem Urin wieder ausgeschieden.

Was bewirken Weichmacher in unserem Körper?

Die Allgegenwart von Weichmachern hat gesundheitliche Folgen. Denn bevor unser Körper sie wieder ausscheidet, haben sie negative Auswirkungen, wie zahlreiche Studien belegen. Einige von ihnen sind sogenannte Umwelthormone. „Phthalate beeinflussen unser Hormonsystem und führen dadurch zu unerwünschten Wirkungen auf Stoffwechsel oder Fruchtbarkeit“, erklärt der Umweltimmunologe Tobias Polte vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ. Einige Phthalate können wegen ihrer hormonähnlichen Eigenschaften beispielsweise die männliche Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen, indem sie die Hoden schädigen und die Spermienqualität verringern.

Andere Phthalate beeinflussen unseren Stoffwechsel und unsere Organe: DPHP wirkt beispielsweise schädigend auf die Schilddrüse und die Hirnanhangsdrüse, die wichtige Körperfunktionen steuern und das Hormonsystem des Körpers kontrollieren. Auch die Leber und Niere können durch verschiedene Phthalate geschädigt werden. Zudem stehen Phthalate im Verdacht, bei Kindern das Krebs- und Asthmarisiko zu erhöhen und dick zu machen. Auch wenn die Liste an Hinweisen auf Gesundheitsschäden lang ist, sind die Auswirkungen von Weichmachern auf unsere Gesundheit noch nicht abschließend wissenschaftlich untersucht.

Weichmacher sind nur teilweise verboten

In Europa regelt die Chemikalienverordnung der Europäischen Union (REACH) den Einsatz von Weichmachern. In diesem Gesetz sind die Phthalat-Weichmacher DEHP, DBP, DIBP und BBP als besonders gefährlich klassifiziert, weil sie giftig auf die Fortpflanzungsorgane wirken.

Dadurch gelten für diese Phthalate mehr oder weniger strenge Verbote: In Spielzeug und anderen Artikeln für Babys und Kleinkinder sind sie komplett verboten. Teilweise Beschränkungen für einige Phthalate gelten auch für andere Produkte, unter anderem für Lebensmittelverpackungen sowie Kosmetika. Allerdings gibt es auch weiterhin Ausnahmen und erlaubte Einsatzgebiete für Phthalat-Weichmacher in der Plastikindustrie. Hinzu kommt, dass einige Hersteller sich nicht an die Verbote halten.

Wie können wir Weichmacher vermeiden?

Kunststoffe und darin enthaltene Gefahrstoffe wie Weichmacher sind beinahe allgegenwärtig. Dennoch kann jeder von uns auch selbst beeinflussen, wie stark wir ihnen ausgesetzt sind – indem wir solche Plastikprodukte seltener kaufen und auf andere Produkte ausweichen, zum Beispiel aus Polyethylen (PE) oder Polypropylen (PP) statt Weich-PVC. Orientierung beim Kauf bieten verschiedene Siegel wie der Blaue Engel oder das GS-Zeichen, die umweltfreundliche Plastikprodukte kennzeichnen, die keine oder sehr geringe Mengen an Weichmachern und anderen Umweltgiften enthalten. Zudem hat jeder von uns das Recht, beim Hersteller, Importeur oder Händler nachzufragen, ob schädliche Chemikalien in einem Produkt enthalten sind.

Um chemikalienbelastete Nahrung zu vermeiden und weniger Phthalate über Verpackungen zu uns zu nehmen, empfiehlt das Bundesinstitut für Risikobewertung zudem, möglichst wenig Fertigprodukte zu essen und sich stattdessen mit frischen und abwechslungsreichen Lebensmitteln zu ernähren. Zusätzlich können wir darauf achten, möglichst keine gesundheitlich bedenklichen Produkte in unseren Häusern zu verbauen. Um die Aufnahme von Phthalaten über den Hausstaub zu verringern, wird zudem empfohlen, Teppiche und Böden regelmäßig zu reinigen und Räume häufig zu lüften. Eltern sollten zusätzlich darauf achten, woraus das Spielzeug ihrer Kinder besteht und welche Alltagsgegenstände diese in den Mund nehmen.

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