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Das Judentum – ein ewiger Bund mit Jahwe

Das Judentum ist die älteste der drei monotheistischen Weltreligionen und die beiden jüngeren, Christentum und Islam, beziehen sich teilweise auf die jüdische Religion. Ihre zentralen Inhalte sind die Erwartung des Messias sowie der Glaube an den Bund, den der eine Gott Jahwe mit den Nachkommen Abrahams schloss, als die sich die Juden begreifen.

Die Grundlagen der jüdischen Religion gehen auf das 13. Jahrhundert v. Chr. zurück, als ihr Hauptbegründer gilt Mose. Aber erst im 5. Jahrhundert v. Chr. wurde sie zur Gesetzesreligion. Fixiert sind die Gesetze zum einen in der hebräischen Bibel, dem Alten Testament der Christen; die dazugehörigen fünf Bücher Mose heißen Tora. Weitere religiöse und zivilrechtliche Vorschriften, die unter anderem den Sabbat und die Fest- und Feiertage, die Ehe und die rituelle Reinigung betreffen, sind im Talmud (Lehre) schriftlich niedergelegt, der im 5. Jahrhundert n. Chr. als Ergebnis einer langen Entwicklung entstand.

Eine lebendige Religion ist das Judentum bis heute; denn die immer wieder neue Diskussion und Auslegung der kanonischen Schriften durch Theologen und Rabbiner gehört zur Tradition. Sie ermöglichte auch die Entstehung verschiedener religiöser Bewegungen. So kam es etwa im 13. Jahrhundert in Südfrankreich und vor allem Spanien zur jüdischen Mystik der Kabbala, parallel dazu in Mittel- und Osteuropa zur Entwicklung des Chassidismus, einer spirituellen Gegenbewegung zum rabbinischen Dogmatismus. Bedeutende religiöse Richtungen sind heute das orthodoxe, das konservative und das Reformjudentum.

Obwohl es erst seit dem Jahr 1948 wieder einen jüdischen Staat Israel gibt, die Juden seit rund 2000 Jahren zerstreut in der Diaspora leben, immer wieder Schikanen, Vertreibungen, Verfolgungen und schließlich den Holocaust erleiden mussten, haben sie sich ihre Identität als Volk erhalten, vereint durch die gemeinsame Religion im Glauben an den einen Gott und in der Erwartung des Messias.

Die Patriarchen: Stammväter Israels

Was versteht man unter der Patriarchenzeit?

Die auch als Erzväterzeit bekannte Epoche umfasst die Lebenszeit der nomadischen Familienoberhäupter Abraham, Isaak und Jakob, wie sie im ersten Buch Mose erzählt wird.

Am Beginn steht der Zug Abrahams – noch unter der Führung seines Vaters Terach – von Ur im südlichen Mesopotamien nach Haran im Norden des Zweistromlandes. Dort erreichte ihn die Berufung Gottes, mit seiner Familie nach Kanaan weiterzuziehen. Außerdem wurde ihm, dem kinderlosen Mann hohen Alters, eine reiche Nachkommenschaft verheißen. In Kanaan übermittelte Gott Abraham die zweite bedeutende Verheißung: Seine Nachkommen sollten dieses Land erhalten. Da Sara kinderlos und schon sehr alt war, legte sie Abraham nahe, mit ihrer Magd Hagar Nachkommen zu zeugen. Diese gebar Ismael, von dem sich später der Islam genealogisch herleiten wird. Jahre später wurde auch die alte Sara noch schwanger und gebar Isaak.

Wie prüfte Gott Abrahams Glauben?

Er befahl Abraham, ihm seinen Sohn Isaak zum Opfer zu bringen. Auf göttliches Geheiß fesselte er seinen Sohn und bereitete gehorsam dessen Opferung vor. Erst im allerletzten Augenblick gebot Gott Einhalt und auf wundersame Weise erschien ein Widder als Ersatzopfer. Isaak heiratet später Rebekka, als einzige Kinder des Paares wurden nach einer langen Kinderlosigkeit die Zwillingssöhne Esau und Jakob geboren.

Was erzählt die Bibel über die Brüder?

Jakob kaufte Esau für ein Linsengericht das Erstgeburtsrecht ab und erschwindelte sich später durch einen Trick und mithilfe seiner Mutter Rebekka den Erstgeburtssegen des alten und blinden Vaters Isaak. Danach musste Jakob vor der Wut seines Bruders fliehen und begab sich nach Mesopotamien, wo er seinem Onkel Laban zweimal sieben Jahre lang diente und auf seine große Liebe Rahel wartete, nachdem ihm zuerst ihre Schwester Lea zur Frau gegeben worden war. Erst nach zwanzig Jahren zog Jakob zusammen mit seinen Herden und seiner großen Familie zurück in die Heimat. Unterwegs wurde er am Fluss Jabbok zum nächtlichen Kampf mit einem Engel herausgefordert und erzwang von diesem einen Segen. Er erhielt dabei den neuen Namen »Israel«, der so viel bedeutet wie »Gottesstreiter«.

Jakob hatte von vier Frauen zwölf Söhne und eine Tochter. Sein Lieblingssohn Josef wurde von seinen eifersüchtigen Brüdern nach Ägypten verkauft, wo er eine beispiellose Karriere am Hofe des Pharao machte. Als Jakob später während einer Hungersnot die Brüder nach Ägypten schickte, um Getreide einzukaufen, gab sich Josef, inzwischen Vizekönig, zu erkennen, woraufhin die Brüder den Vater holten: Es kam zum herzzerreißenden Wiedersehen.

Welche Bedeutung haben die Patriarchen in der jüdischen Mythologie?

Abraham, Isaak und Jakob sind Träger einer doppelten göttlichen Verheißung: Es wurde ihnen zuerst die Vermehrung ihrer Nachkommenschaft prophezeit, die schließlich das Volk Israel bilden sollte. Aus den zwölf Söhnen Jakobs gingen die zwölf Stämme Israels hervor. Zudem wurde ihnen das Land Kanaan verheißen, das sie dauerhaft in Besitz nehmen sollten. Daraus leiteten später die Flüchtlinge aus Ägypten die Legitimation für die Landnahme ab. Diese Beziehung zwischen Gott und den Patriarchen fand ihren besonderen Ausdruck in dem Bund, den Abraham mit Gott schloss, dessen äußeres Zeichen die Beschneidung war und der später in der Exodusgeschichte zwischen Mose und Gott bestätigt und verstärkt wurde. Die versuchte Opferung Isaaks gilt als die Probe der Gottestreue Abrahams. Abraham hat deshalb als Fürbitter das Recht, Gott um Gnade für die israelitischen Gebotsübertreter zu bitten.

Was für ein Gottesbild hatten die Patriarchen?

Der Gott der Patriarchen war ein familiärer Führergott, der auf ihren nomadischen Wanderungen mit ihnen zog und sie vor Gefahren beschützte. Das Verhältnis der Gläubigen zu ihrem Gott war sehr persönlich und direkt. Unter Mose wurde aus dem Familien- der Stammesgott Jahwe, der meist durch seinen Mittler Mose Verbindung zu seinem Volk aufnahm. Der nomadische Wüstengott trug schließlich im Lauf einer Jahrhunderte andauernden Geschichte religiöser Machtkämpfe den Sieg über die Göttervielfalt davon. Die Propheten schrieben ihm die vielfältigen Attribute der anderen Götter zu, Jahwe wurde zum Reichsgott Israels, aber auch zum Schöpfergott und Universalgott für alle Völker. Doch auch als dieser war und ist Jahwe seinem eigenen, dem auserwählten Volk besonders nahe, da er den Patriarchen versprochen hat, mit ihnen und ihren Nachkommen zu sein.

Wussten Sie, dass …

Jakob als der herausragendste der Erzväter gilt? Er kommt in der biblischen Hierarchie gleich nach den Engeln und gilt als Ideal von Tugendhaftigkeit und Wahrhaftigkeit. Deshalb fallen seine moralischen Verfehlungen wie die Erschleichung des Erstgeburtsrechts und des väterlichen Segens auch nicht ins Gewicht.

die Ankunft im Gelobten Land nicht das Ende des Nomadentums bedeutete? Noch lange zog Abraham mit seiner Frau Sara und den Herden in Kanaan umher.

Welche historischen Bezüge sind für die Patriarchen nachweisbar?

Die Patriarchen selbst sind nicht historisch fassbar, dafür aber das Umfeld ihrer Erzählungen. Die Wanderung von Ur nach Haran muss historisch sein, da belegt ist, dass westsemitische Stämme Ur um 2000 v. Chr. zerstörten. Der Durchzug durch die mesopotamischen Kulturzentren wie Babylon und Mari wird durch den großen mesopotamischen Einfluss auf die Thora, besonders im Bereich der Gesetzesvorschriften, bestätigt. Archäologische und historische Quellen belegen für Kanaan, dass dort ab etwa 2000 v. Chr. semitische Nomaden aus dem Zweistromland einwanderten. Erst um das 12. Jahrhundert v. Chr. vereinigten sie sich mit weiteren Zuwanderungsgruppen, der so genannten Aramäerbewegung sowie der Exodusgruppe, die aus Ägypten einwanderte, zum Volk Israel.

Der Auszug der Israeliten aus Ägypten: Exodus durchs Rote Meer

Gab es den Religionsstifter Mose wirklich?

Das ist nicht belegbar. Man kann aber annehmen, dass den ältesten Überlieferungen von Mose, die auf die Bücher Exodus und Numeri der hebräischen Bibel zurückgehen, ein wahrer Kern zugrunde liegt. In diesen Büchern geht es um die Unterdrückung eines Teils der späteren Israeliten in Ägypten. Die Rettung am Roten Meer bildet wohl das Zentrum der Erzählung. Sie wurde im Laufe ihrer Überlieferung so umgestaltet, dass sich die wesentlichen Bestandteile des jüdischen Glaubens durch ihn bekräftigen und begründen ließen.

Welche Rolle spielte der Exodus in der jüdischen Religion?

Er symbolisiert die Befreiung des Volkes Israel. Nach jüdischer Überlieferung gab Gott den Juden durch Mose die Anweisung, wie sie sich auf den Auszug aus ihrer Gefangenschaft in Ägypten, den Exodus, vorzubereiten hätten. Sie sollten mit ungesäuertem Brot und in Reisekleidung ein Fest feiern. Mit dem Blut eines Lammes sollten sie ihre Türpfosten bestreichen, damit sie von Plagen verschont blieben. Zur Erinnerung an diesen Aufbruch feiern die Juden jedes Jahr das Pessachfest.

Die Israeliten verließen Ägypten in Richtung Sinai, doch der Pharao ließ sie von seinem Heer verfolgen. Am Ufer des Roten Meeres, das die Flucht der Israeliten aufhielt, streckte Mose auf Geheiß Gottes seinen Stab über das Wasser und das Meer teilte sich. Die Israeliten zogen so trockenen Fußes in die Freiheit, während hinter ihnen der Pharao mit seinem Heer von den sich wieder schließenden Fluten verschlungen wurde.

Welche Position wurde dabei Mose zuteil?

Mose war eine Art Mittler zwischen dem Volk Israel und Gott. Er wurde von Gott angewiesen, ihn den Israeliten als einzigen Gott zu offenbaren. Mose verkündete Gottes Willen, übergab ihnen die Zehn Gebote Gottes, die er selbst auf dem Berg Sinai durch einen Feuerstrahl in Stein gemeißelt von ihm erhalten hatte, und versuchte, ihre Einhaltung durchzusetzen. Doch Mose trat auch als Fürsprecher für die Menschen auf.

Wofür steht die Geschichte vom »Goldenen Kalb«?

In ihrem Drang nach der Verehrung einer figürlichen Gestalt schufen die Israeliten ein goldenes Kalb, das sie als ihren Gott verehrten. Nur durch Moses Fürsprache ließ sich der zürnende Gott zu einer milderen als der ursprünglich vorgesehenen Strafe bewegen.

Diese Episode vom Goldenen Kalb ist charakteristisch für das Verhältnis zwischen Jahwe und den Israeliten. Trotz ihrer menschlichen Schwächen und Unzulänglichkeiten hielt Gott immer an seinem auserwählten Volk fest, mit dem er durch Mose einen ewigen Bund geschlossen hatte. Allerdings erlegte er seinem Volk immer wieder schwere Prüfungen auf. Dieses grundlegende religiöse Motiv bestimmte die gesamte Überlieferung der jüdischen Kultur.

Seine besondere Stellung, seine Auserwähltheit unter den Völkern, gab dem Volk Israel zwar grenzenlose Zuversicht, verhieß ihm aber auch ungeheueres Leid. Zur Strafe für seine Blasphemie musste es unter der Führung des Mose noch 40 Jahre durch die Wüste irren, ehe es das von Gott versprochene »gelobte« Land am Jordan erreichen sollte.

Wann kam es zur Niederschrift der fünf Bücher Mose?

Im 5. Jahrhundert v. Chr. Das ist insofern interessant, als die historischen Ereignisse, die den Kern der Erzählung bilden, wohl weit vor dem 10. Jahrhundert v. Chr. stattgefunden haben. Erst mehrere Jahrhunderte später, zur Zeit des babylonischen Exils, verfasste man einen Bericht über das Leben und die Taten des großen Propheten.

Der Grund ist wohl darin zu suchen, dass die Priesterschaft zur damaligen Zeit für von ihr angestrebte Reformen eine Autorität brauchte, auf die sie sich berufen konnte. Der Pentateuch, die fünf biblischen Bücher Moses, sieht folglich in ihm den herausragenden Propheten Jahwes, der eine Mittlerrolle zwischen Gott und den Israeliten einnahm. Indem man Mose die neu einzuführenden Gebote und Regeln zuschrieb, konnte man behaupten, sie kämen direkt von Gott.

Historisch haben sich der extreme Monotheismus der jüdischen Religion und die strengen religiösen Gesetze erst seit dem 5. Jahrhundert als Reaktion auf die Babylonische Gefangenschaft herausgebildet. Ein möglicherweise historischer Mose, der als Gesetzgeber und Richter wirkte und dem die religiöse Gesetzgebung zugeschrieben wird, hat den jüdischen Glauben in diesem Umfang sicher nicht gestiftet.

Wussten Sie, dass …

dem gläubigen Juden die Aussprache des Namens »Jahwe« gänzlich verboten ist? Deshalb werden andere, umschreibende Gottesnamen verwendet, etwa »Adonai« (»Herr«) oder »Elohim« (»Götter«).

die hebräische Schrift wie die anderen semitischen Sprachen ursprünglich keine Vokale kannte? Der Name Gottes, JHVH, erlaubt also verschiedene Vokalisierungen. Die mit den Vokalen aus »Adonai« wurde bei Nichtjuden als »Jehova« gelesen.

Erlebte Mose den Erfolg seiner Mission noch?

Nein. Mose erhielt zwar den Auftrag des Herrn und führte ihn aus, aber die Ankunft seines Volkes im Gelobten Land sollte er selbst nicht mehr erleben.

»Und der Herr sprach zu ihm: Dies ist das Land, das ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe, und gesagt: Ich will es deinem Samen geben. Du hast es mit deinen Augen gesehen; aber du sollst nicht hinübergehen.« (Deut. 34, 4)

Kurz vor Erreichen des ersehnten Ziels, in Sichtweite des Jordan, starb Mose.

»Und es stand hinfort kein Prophet in Israel auf wie Mose, den der Herr erkannt hätte von Angesicht zu Angesicht.« (Deut. 34, 10)

Die Thora: Gesetzbuch und Weltgeschichte

Worauf bezieht sich der Begriff »Thora«?

Die fünf Bücher Mose werden im Judentum »Thora« genannt. Sie bilden den ersten Teil der hebräischen Bibel und sind Grundlage der jüdischen Religion, da sie laut Überlieferung von Mose geschrieben wurden und das offenbarte Wort Gottes vom Sinai enthalten.

Der hebräische Begriff »Thora« bedeutet übersetzt soviel wie »Weisung« oder »Lehre«. Gemeint sind damit im weiteren Sinne alle Offenbarungen Gottes, die Mose auf dem Sinai empfing. Sie bilden einerseits die »schriftliche Thora«, den Pentateuch, besser bekannt als die fünf Bücher Mose, andererseits die »mündliche Thora«.

Letztere wurde erst viel später niedergeschrieben, als nämlich die Gebote der schriftlichen Thora der Aktualisierung bedurften. Nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. hatte sich die Kultsituation für das Judentum grundlegend geändert und es bedurfte nun einer Anpassung. Deshalb entstand als Niederschrift der einst mündlichen Überlieferung im 2. und 3. Jahrhundert die Mischna, die von Rabbinern in den folgenden Jahrhunderten – in der Gemara – ausgiebig diskutiert wurde. Mischna und Gemara bilden den Talmud.

Wovon berichten die fünf Bücher Mose?

Sie enthalten eine Darstellung der Weltschöpfung, die Patriarchengeschichten, den Aufenthalt in und die dramatische Flucht aus Ägypten sowie die Wüstenwanderung, die Gesetzgebung am Sinai und das weitere Leben Moses. Zwischen diesen Teilen finden sich immer wieder umfangreiche Gesetzestexte.

Der Zweck der Thora ist das Erkennen des göttlichen Willens und seine Verwirklichung im täglichen Leben. Die Thora gibt dem Alltagsleben Struktur, Sicherheit und Orientierung. Das Volk Israel hat sich durch den Bund, den Gott mit ihm geschlossen hat, dazu verpflichtet, die Thora zu leben, das heißt, die darin enthaltenen Ge- und Verbote einzuhalten. Ziel dieses Weges ist die Erlösung Israels sowie der übrigen Menschheit und somit die Durchsetzung der Gottesherrschaft auf Erden.

Wer verfasste die Thora wirklich?

Nach jüdischer wie nach frühchristlicher Überlieferung soll zwar Mose (13. Jh. v. Chr.) der Verfasser der fünf Bücher gewesen sein, doch schon im Altertum gab es Zweifel an dieser Auffassung. In der Zeit der Aufklärung widerlegte die moderne Bibelwissenschaft endgültig die Verfasserschaft Moses.

Seit dem 19. Jahrhundert besteht als wissenschaftlicher Konsens die Annahme, dass dem Pentateuch vier Quellen zugrunde liegen: Die älteste ist der so genannte Jahwist, dessen Texte etwa im 10. Jahrhundert v. Chr. am Hofe König Salomos entstanden sind, dann folgt der Elohist mit einer Datierung um das 9. Jahrhundert v. Chr. Das Deuteronomium (5. Buch Mose) wurde im 7. Jahrhundert v. Chr. niedergeschrieben und schließlich entstand die Priesterschrift. Diese jüngste Quellenschrift des Pentateuch wurde im 6. Jahrhundert v. Chr. im babylonischen Exil verfasst. Zu dieser Zeit wurden wohl auch die vier verschiedenen Quellen redaktionell zusammengeschaltet.

Welche Funktion hat die Thora im jüdischen Ritus?

Die Thora steht im Mittelpunkt des Gottesdienstes in der Synagoge. Sie besteht aus mehreren Pergamentblättern, die von Hand beschrieben, aneinandergenäht und auf zwei Holzstäbe gerollt sind. Dreimal wöchentlich wird aus ihr gelesen, wobei der gesamte Text abschnittweise innerhalb eines Jahres in 54 Wochenabschnitten verlesen wird. Im Reformjudentum gibt es einen dreijährigen Lesezyklus. Die Lesetage sind Samstag, Montag und Donnerstag.

Bei der Thoralesung wirken reihum die Männer der Gemeinde mit, Voraussetzung ist einzig, dass ein minjan, das heißt eine Gruppe aus zehn jüdischen Männern, vollständig anwesend ist. Nachdem sich die Gemeinde erhoben hat, wird feierlich der Thoraschrein geöffnet und die Thorarolle »ausgehoben«. Auf dem Lesepult wird sie geöffnet, dann werden drei bis sieben Männer aufgerufen, je nach Rang des Feiertages. In großen Gemeinden lesen die Männer nicht selbst den Text, sondern sprechen nur vor und nach der Lesung des Kantors einen besonderen Segen. Es folgt das feierliche »Einheben« der Rolle in den Thoraschrein.

Wussten Sie, dass …

die Einteilung der Tage, an denen aus der Thora gelesen wird, auf die Zeiten des Propheten Esra zurückgeht? Dieser ließ nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil an den drei Markttagen in Jerusalem die Thora in der Öffentlichkeit verlesen.

in jüdisch-orthodoxen Kreisen bis heute an der Verfasserschaft des Mose festgehalten wird?

sich in jüngster Zeit wieder kritische Stimmen gegen die Datierung der einzelnen Quellen erheben? Einige Forscher zweifeln sogar insgesamt die Hypothese von den vier verschiedenen Quellen an.

Warum wird die Thora so reich verziert?

Weil man sich so besser dem Göttlichen zu nähern hofft. Der Thoraschrein ist meist aufwändig geschmückt. Fast immer hängt vor seinen Türen ein bestickter Vorhang, der an den Vorhang im Jerusalemer Tempel erinnern soll. Auch die Thora selbst erstrahlt häufig in prächtigem Schmuck. Die Thorakrone ist seit dem 12. Jahrhundert bezeugt. Der Thoramantel findet sich in der Regel in aschkenasischen (europäischen) Gemeinden, orientalische Gemeinden bewahren die Rollen in einem Gehäuse auf. Der Thorafinger ist meist aus Silber und dient beim Lesen als Zeigestab, um den heiligen Text nicht mit profanen Menschenfingern zu entweihen.

Feste: Gedenktage an die Heilsgeschichte des Volkes Israel

Was ist der Schabbat?

Das ist der wöchentliche Ruhetag, der an die Schöpfung erinnern soll, als Gott nach sechs anstrengenden Tagen den siebten Tag zum Ruhetag erklärte. Am Freitagabend wird der Schabbat in der Synagoge begrüßt, äußeres Zeichen hierfür ist der Kiddusch, der Segen über den Wein. Die Begrüßungszeremonie setzt sich im häuslichen Rahmen fort. Nach dem Segnen der Kinder durch die Eltern spricht der Vater erneut den Segen über den Wein, segnet die geflochtenen Schabbatbrote und eröffnet das Festmahl. Am nächsten Vormittag steht der Synagogengottesdienst mit der Lesung aus der Thora auf dem Programm. Am Abend klingt der Schabbat schließlich mit einer feierlichen Zeremonie aus.

Wie wird das Neujahrsfest gefeiert?

Der »Kopf« oder »Anfang des Jahres«, das bedeutet der Name des Neujahrsfestes Rosch ha-Schana, findet am ersten und zweiten Tag des Monats Tischri im Herbst statt. Es beginnt mit dem Blasen des Schofar, eines Widderhorns, das an die versuchte Opferung Isaaks erinnern soll. Der Schall des Schofar ruft die Gläubigen zur Selbstprüfung auf. Die Tradition sagt, dass an Rosch ha-Schana drei Bücher geöffnet würden: das Buch des Lebens für die Gerechten, das Buch des Todes für die Gottlosen und das Buch für die Mittelmäßigen. In den zehn Bußtagen zwischen Rosch ha-Schana und Jom Kippur hat jeder die Möglichkeit, seinem Schicksal eine Wende zu geben.

Welcher ist der höchste jüdische Feiertag?

Das Versöhnungsfest Jom Kippur. Diesen strengen Fastentag am 10. Tischri, dem letzten der zehn Bußtage, verbringen fromme Juden in der Synagoge. Sie tragen weiße Trauerkleidung zum Gedenken an die Toten und legen ihre »irdische« Macht dem Schöpfergott zu Füßen. Man bittet um Vergebung der Sünden, die man gegen Gott, andere Menschen und auch sich selbst begangen hat. Durch das Kol-Nidre-Gebet wird der unvollkommene Mensch von Gelübden gegenüber Gott entbunden. Zum Ausklang des Jom Kippur wird erneut der Schofar geblasen und das Fasten beendet.

Worauf bezieht sich das Laubhüttenfest Sukkot?

Das fünf Tage nach Jom Kippur beginnende Fest Sukkot gedenkt der 40-jährigen Wanderschaft nach der Flucht aus Ägypten, als die Flüchtenden in provisorischen Hütten lebten. Man baut eine Hütte aus Brettern mit Palmblättern oder Weinlaub als Bedeckung. Dort werden eine Woche lang alle Mahlzeiten eingenommen. Der letzte Tag von Sukkot ist Simchat Tora, das Fest der Thorafreude, an dem Thorarollen in der Synagoge feierlich um das Lesepult getragen werden und der jährliche Zyklus der Thoralesung endet.

Warum wird das Lichterfest begangen?

Die acht Tage des Lichterfestes Chanukka erinnern an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels 164 v. Chr. durch die Makkabäer nach einer Zeit der Entheiligung und heidnischen Überfremdung durch die Seleukiden. Das tägliche Entzünden eines zusätzlichen Lichts am achtarmigen Leuchter (chanukkia) erinnert an das Lichtwunder, als nach der Befreiung von den Besatzern ein winziger Rest geweihten Öls den Tempelleuchter für acht Tage zum Erstrahlen brachte, bis neues Öl geweiht werden konnte.

Was geschieht an Purim?

Das Losfest Purim, das im ausgehenden Winter an zwei Tagen gefeiert wird, ähnelt dem europäischen Karneval. Die Kinder, aber auch viele Erwachsene, sind verkleidet, feiern ausgelassen und laut mit Rasseln und der Alkohol fließt in Strömen. Grundlage für Purim sind die Ereignisse des Buches Esther: Eine geplante Judenverfolgung im Persien des 5. Jahrhunderts v. Chr. konnte durch die Jüdin Esther vereitelt werden.

Woran soll das Pessach-Fest erinnern?

Am 14. Nissan, zur Zeit des ersten Frühlingsvollmonds, beginnt das einwöchige Pessach-Fest, das an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnern soll. Höhepunkt ist der Sederabend, an dem die Familie um eine große Tafel versammelt ist. Das Familienoberhaupt liest aus der Haggada, die auf volkstümliche Art die Exodusgeschichte wiedergibt. Neben einem Festmahl werden verschiedene rituelle Speisen verzehrt. So soll etwa das ungesäuerte Brot daran erinnern, dass beim übereilten Aufbruch aus Ägypten keine Zeit mehr zum Säuern der Brote blieb.

Wie heißt das jüdische Erntefest?

Es handelt sich dabei um das Schawuot-Fest. Der Name Wochenfest leitet sich vom siebenwöchigen Abstand zum Beginn des Pessach-Festes ab. Schawuot erinnert zudem an die göttliche Offenbarung auf dem Sinai, bei der das israelitische Volk die Thora erhielt. Fromme Juden verbringen die ganze Nacht des Festes mit dem Studium der Thora. Beim Morgengottesdienst in der Synagoge steht die Lesung der zehn Gebote im Mittelpunkt.

Wussten Sie, dass …

am Schabbat religiösen Juden »Arbeiten« wie das Feueranzünden, zu dem man heute das Autofahren und das Lichtanknipsen zählt, verboten sind?

die Erschaffung der Welt der Beginn der jüdischen Zeitrechnung ist? Sie startet im Jahr 3761 vor der christlichen Zeitrechnung.

Die Geschichte des auserwählten Volkes: Von Mose zur Diaspora

Warum bezeichnen sich die Juden als das »auserwählte Volk«?

Weil sie früh eine Art nationales Bewusstsein entwickelten und sich des Beistands ihres Gottes sicher waren. Als einzige monotheistische Religionsgemeinschaft grenzten sich die Israeliten scharf von ihrer Umgebung ab. Sie entwickelten eine völlig eigenständige Kultur und bauten phasenweise eine regionale Hegemonialmacht auf. Sie schufen so die Grundlagen für eine kulturelle Blüte.

Nach dem Tod des Mose wanderten die Israeliten unter der Führung von Josua in Kanaan ein. Sie hatten in der Folge zahlreiche Kämpfe zu bestehen, in denen – so ihre religiöse Vorstellung – Gott ihnen zur Seite stand. Am bekanntesten ist der Fall Jerichos. Bei der Belagerung dieser wohlbefestigten Stadt durch die israelitischen Stämme ließ Gott die Mauern auf einen Posaunenschall hin einstürzen.

Wie verlief die Geschichte des israelischen Reiches?

Viele Auseinandersetzungen mit ihren Nachbarn prägten die frühe jüdische Geschichte. Berühmt geworden ist der Kampf gegen die Philister, besonders die Geschichte von David, der Goliath, einen Riesen und stärksten Krieger der Philister, mit einer Hirtenschleuder tötete. David wurde später als Nachfolger von Saul König und erweiterte die Grenzen des Reiches Israel. Er eroberte Jerusalem und machte die Stadt zum Zentrum seines Reiches.

Davids Sohn Salomo erbaute dort den großen Tempel, in dem die Bundeslade aufbewahrt wurde. In ihr lagen der Überlieferung nach der Aronstab und die Steintafeln mit den zehn Geboten. So enstand ein zentrales Heiligtum, das bis zu seiner zweiten Zerstörung im Jahr 70 n. Chr. Dreh- und Angelpunkt des Judentums war. Salomo unterhielt vermutlich weitreichende diplomatische Beziehungen und wurde zum Inbegriff eines weisen Herrschers. Die Israeliten waren zur regionalen Hegemonialmacht geworden. Nach Salomos Tod im Jahr 926 v. Chr. zerfiel das Reich in das nördliche Königreich Israel und das südliche Königreich Juda.

Wie wurde dieses Reich zerstört?

Durch Assyrer und Babylonier. Israel hatte nach einer kurzen wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit der Königreiche in hohem Maße unter dem Aufkommen anderer orientalischer Reiche zu leiden. Die Assyrer eroberten um das Jahr 730 v. Chr. das Nordreich Israel und verschleppten in der Folge viele seiner Einwohner. Im Jahr 597 v.Chr. eroberten die Babylonier unter ihrem König Nebukadnezar Juda. Als Vergeltung für einen misslungenen Aufstand wurden im Jahr 586 v. Chr. Jerusalem und der Tempel zerstört und große Teile der jüdischen Führungsschicht nach Babylon deportiert. Die Babylonische Gefangenschaft stellte eine schwere Herausforderung dar. Mit dem Tempel hatte das Judentum sein kultisches Zentrum verloren, das jüdische Volk war ohne Heimat.

Wie endete die Babylonische Gefangenschaft?

Mit einem verlorenen Krieg der Babylonier. 539 v. Chr. unterlagen diese dem expandierenden Perserreich unter Kyros II. Kyros befreite die versklavten Juden und gewährte ihnen Religionsfreiheit. Die Juden konnten sich in der Überzeugung, Gottes auserwähltes Volk zu sein, bestätigt fühlen. Mit der Einweihung des zweiten Tempels 516 v. Chr. gilt das babylonische Exil als beendet. Von nun an regierte der jüdische Hohe Priester die Provinz Juda. Nach der Unterwerfung Persiens 331 v. Chr. wurde Judäa eine Provinz im Reich Alexanders des Großen. Der Pentateuch, die fünf Bücher Mose, wurde ins Griechische übersetzt.

Wodurch entstanden die unterschiedlichen Auslegungen der Heiligen Schrift?

Bereits Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr. sahen sich die Juden einer massiven Verfolgung durch die Seleukiden ausgesetzt, die ihren griechischen Staatskult als integrierende Maßnahme in ihrem riesigen Machtbereich durchsetzen wollten.

168 v. Chr. wurde der jüdische Glaube für gesetzeswidrig erklärt und der Tempel in Jerusalem dem Zeus geweiht. Zwei Jahre später brachte ein Aufstand unter dem Priester Judas Makkabäus und seinen Söhnen die Befreiung von der Okkupation. Sie ernannten sich zu Königen des unabhängigen jüdischen Staates und gründeten die Dynastie der Makkabäer oder Hasmonäer. In dieser Zeit versuchte das Judentum, sich von fremden Einflüssen zu reinigen.

Es entstanden verschiedene Lehrrichtungen bezüglich der Interpretation der Heiligen Schrift. Die bekanntesten waren die der Sadduzäer, die der Pharisäer und die der Essener. Die Sadduzäer erkannten nur die geschriebene Thora als verbindlich an, nicht jedoch ihre Auslegung durch die Schriftgelehrten und die Fortentwicklung der jüdischen Reinheitsgebote. Sie lehnten den Glauben an die Auferstehung der Toten ab und schlossen die Unsterblichkeit der Seele sowie die Existenz von Engeln und Geistern aus. Die Pharisäer dagegen hofften auf die Vollendung der Geschichte durch Erfüllung der Thora, betonten daher die Einhaltung der dort formulierten Gebote und erweiterten sie um eine »mündliche« Thora, die Mischna genannt wurde. Von zentraler Bedeutung war für sie darüber hinaus der Erhalt ritueller Reinheit. Die Essener schließlich erwarteten in ihrer asketischen Mönchsgemeinschaft das baldige apokalyptische Ende der Welt und den Anbruch der Herrschaft Gottes.

Wie erging es den Juden als römische Untertanen?

Sie arrangierten sich mit den Machthabern. Im Zuge der römischen Expansion im Mittelmeerraum gerieten die Makkabäer unter den Einfluss des neuen Weltreiches. Die politische Macht der Juden verfiel; man verbündete sich mit Pompeius und wurde eine Provinz des Römischen Reiches. 37 v. Chr. wurde Herodes der Große Prokurator der Provinz.

Herodes selbst war kein Jude, versicherte sich aber der Unterstützung der Priesterschaft und ließ diese unbehelligt. Er war zwar nicht beliebt, sorgte aber für einen anhaltenden Frieden und Wohlstand. Den Juden blieb eine gewisse Autonomie erhalten, solange sie die römische Herrschaft duldeten und nicht dagegen aufbegehrten.

Warum kam es dann zum Aufstand?

Weil die Juden, politisch ohnmächtig, immer stärkeren religiösen Eifer entwickelten. Ihre religiösen Gesetze führten immer wieder zu Konflikten mit der römischen Besatzung.

Die Feldzeichen der römischen Truppen und vor allem die Standbilder des Kaisers liefen dem strengen Bilderverbot der Zehn Gebote zuwider und erbitterten die orthodoxen Juden zutiefst. Unter Kaiser Caligula kam es in den Jahren 39 und 40 n. Chr. zu einer erbitterten Konfrontation, bei der der Widerstand der jüdischen Bevölkerung aber noch gewaltlos blieb. Die Anführer der Juden zogen den anrückenden Legionen entgegen, fest entschlossen, sich eher von diesen niedermetzeln zu lassen, als die religiöse Schande der Errichtung des Kaiserstandbildes hinzunehmen. Durch die Besonnenheit des römischen Kommandeurs und den baldigen Tod Caligulas unterblieb das Äußerste. Claudius, der neue Kaiser, wandelte die Provinz Judäa wieder in ein autonomes Königreich um, das er seinem Freund Herodes Agrippa anvertraute.

Unter Kaiser Nero kam es dann zum bewaffneten Aufstand der Juden. Mit großer Erbitterung kämpften sie unter der Aufbietung aller Mittel gegen die Legionen des Feldherren Vespasian. Sein Sohn Titus führte den jüdischen Krieg fort, eroberte schließlich Jerusalem, zerstörte die Festung Antonia in Jerusalem und ließ den in die Festung integrierten Tempel, das zentrale Heiligtum der Juden, schleifen. Dies beendete den Aufstand, der mit dem Fall der Festung Masada am Toten Meer und dem Selbstmord der letzten Verteidiger zum Erliegen kam.

Was geschah nach dem misslungenen Aufstand?

Jetzt begann die Zeit der Diaspora. Die Juden zerstreuten sich über das ganze Römische Reich und den Orient. Noch gab es aber ein intaktes jüdisches Leben in Palästina, wenn auch die religiösen Zentren zerstört waren. Im Jahr 132 kam es mit dem Bar-Kochba-Aufstand zu einer neuen Revolte, die einen eigenen jüdischen Staat nach dem Vorbild des Makkabäerreiches errichten wollte. Die Römer schlugen brutal zurück. Nachdem Hadrian den Aufstand 135 endgültig niedergeschlagen hatte, erlosch das jüdische Leben im Gelobten Land. Die Römer trugen die Spitze des Tempelberges ab und machten Jerusalem buchstäblich dem Erdboden gleich. Tausende Juden wurden versklavt und deportiert. Die meisten Übrigen flohen aus dem verwüsteten Landstrich.

Die Diaspora, die Zerstreuung der Juden über die ganze Welt, hatte begonnen. Die Geschichte des europäischen Judentums begann. Nach der Zerstörung des Tempels mussten andere Inhalte der Religion dieses kultische Vakuum füllen. Opfer und Priesteramt waren ausgelöscht. Seither übt der Rabbi als Vorsteher der jüdischen Gemeinde keine Priesterschaft aus, sondern legt als Rechtsgelehrter das Gesetz aus. Äußere Zeichen des Judentums wie Beschneidung und die Einhaltung des Sabbats haben zusammen mit den Speise- und Reinheitsgeboten dazu beigetragen, die Juden von ihren Nachbarn abzugrenzen.

Wie verlief die jüdische Geschichte bis zum babylonischen Exil?

13. Jh. v. Chr.: Exodus aus Ägypten unter Mose; Landnahme unter Josua

1180–1004 v. Chr.: Zeit der Richter (gewählte Stammesoberhäupter)

1004–965 v. Chr.: König David

965–926 v. Chr.: König Salomon

926 v. Chr.: Teilung des Reiches in Juda und Israel

722 v. Chr.: Das Nordreich Israel fällt an Assyrien; Zeit der Propheten Hosea und Jesaja

586 v. Chr.: Das Südreich Juda fällt an Babylon; erste Zerstörung des Tempels

586–536 v. Chr.: Entführung der Oberschichten ins babylonische Exil; Wirken der Propheten Jeremia und Ezechiel

Wussten Sie, dass …

die zwölf Stämme Israels anfangs tatsächlich verschiedene Kleinreiche bildeten?

wesentliche Teile der Thora aus der Zeit des Exils stammen? Die Schriftgelehrten passten sich der neuen Situation an und ersetzten die ehemals politische Einheit durch eine religiöse. Der so genannte zweite Schöpfungsbericht formulierte eine explizite Gegenposition zu den Gottesvorstellungen der orientalischen Kulturen und half so, die jüdische Identität zu bewahren.

Wie verlief die jüdische Geschichte nach dem baylonischen Exil?

516 v. Chr.: Einweihung des zweiten Tempels; Zeit der letzten Propheten Haggaj, Malachias und Sacharja

175 v. Chr.: Verfolgung unter Antiochos IV. und den Seleukiden

166 v. Chr.: Makkabäeraufstand; Herrschaft der Hasmonäer und Beginn rabbinischer Schriftgelehrsamkeit

63 v. Chr.: Judäa unter römischer Herrschaft

63–70 n. Chr.: Aufstand gegen Rom; Zerstörung des zweiten Tempels

70–135 n. Chr.: Akademie in Jaune; Patriarchatsverfassung; Durchsetzung der Pharisäer im rabbinischen Judentum

132–135 n. Chr.: Bar-Kochba-Aufstand

135–390 n. Chr.: Sammlung der mündlichen Tradition; Redaktion der Mischna (etwa 200 unter Rabbi Jehuda), des Jerusalemer Talmuds (etwa 390); Babylonien wird Mittelpunkt rabbinischer Schriftgelehrsamkeit

etwa 500 n. Chr.: Redaktion des Babylonischen Talmuds

Wussten Sie, dass …

den Juden nach dem Bar-Kochba-Aufstand für viele Jahre das Betreten Jerusalems völlig verboten war?

die Notwendigkeit, den Gottesdienst, in dessen Mittelpunkt die Lesung der Thora steht, mit zehn erwachsenen Männern abzuhalten, die Juden der Diaspora zwang, sich in Gemeinden zu organisieren? Dies wiederum war Garant dafür, dass die Geschlossenheit der jüdischen Kultur erhalten blieb.

Juden in der islamischen Welt: Kulturträger als Bürger zweiter Klasse

Wie verhielt es sich mit der Judenverfolgung in islamischen Gebieten?

Sie wurde vor allem kurz nach Entstehung des Islams praktiziert. In allen islamischen Ländern bestanden jüdische Gemeinden lange vorher. Als Mohammed die neue monotheistische Religion gründete, versuchten er und seine Anhänger, die Juden und Christen Arabiens davon zu überzeugen, dass der Islam die Vollendung ihrer alten Religionen sei. Als die erhofften Konversionen aber ausblieben, kam es zu blutigen Verfolgungen der Juden und Christen. Erst mit der siegreichen Ausdehnung des Islams, der sich von Pakistan bis zu den Pyrenäen erstreckte, nahm die religiöse Intoleranz der Moslems deutlich ab. Vielfach wurden die islamischen Eroberer von den Juden sogar freudig begrüßt, weil sie nun ein Ende der persischen, byzantinischen und westgotischen Unterdrückung erwarteten.

Was ermöglichte die friedliche Koexistenz?

Die rechtliche Position der Juden und Christen in den islamischen Ländern wurde im Vertrag der Dhimma geregelt. Den »Dhimmi« wurden darin Glaubens- und Gottesdienstfreiheit, Autonomie in den Gemeindeangelegenheiten und die freie Berufsausübung gewährt. Sie mussten für diese Rechte jedoch eine Sondersteuer entrichten und bestimmte Kleidervorschriften beachten. Der Neubau von Synagogen, das Tragen von Waffen und das Reiten zu Pferde war ihnen untersagt.

Die Dhimma machte die Juden zu Bürgern zweiter Klasse. Im Alltagsleben war jedoch die friedliche Koexistenz zwischen Muslimen und Juden möglich. Obwohl es keine Einschränkungen bei der Berufswahl gab, wählten Juden häufig jene Berufe, die für Muslime verboten waren. Lederverarbeitung, Weinherstellung und -verkauf sowie die Beschäftigung mit Edelmetallen wurden zu jüdischen Domänen. Auch Berufe, die unter den Muslimen unbeliebt waren, weil man dabei zu häufig mit Ungläubigen in Kontakt kam, wie zum Beispiel Diplomatie, Handel und Finanzwesen wurden jüdisch. Häufig lebten die Juden in eigenen Vierteln, meist freiwillig und aus religiösen Gründen, wie in den Juderías in Spanien.

Welche Veränderung zog die islamische Eroberung Babyloniens nach sich?

Nach der Eroberung verbesserte sich die Situation der unter der persischen Herrschaft unterdrückten Juden entscheidend. Der Kalif gewährte ihnen größtmögliche Freiheiten, weil ihm an stabilen Verhältnissen gelegen war. Sie wählten mit dem Exilarchen ihren eigenen politischen Führer. Die Rektoren der jüdischen Akademien galten als die höchste Autorität in den Fragen der Rechtsprechung und der Gesetzgebung und wurden von der gesamten jüdischen Diaspora anerkannt.

Wie stieg Córdoba zum geistigen Zentrum des Judentums auf?

Ab dem 8. Jahrhundert wurde die Iberische Halbinsel von den Omajjaden beherrscht. Unter dem Kalifat von Córdoba lebten viele Juden. Sie begründeten ein neues Gelehrtenzentrum und im 11. Jahrhundert wurde schließlich Babylonien als das bisherige große geistige Zentrum der jüdischen Diaspora von Spanien abgelöst. Neben den jüdischen Gelehrten der Religion arbeiteten hier auch jüdische Literaten und Philosophen. Von großer Bedeutung sind die Übersetzungen der Werke griechischer Philosophen und Denker, die die byzantinische Kirche als heidnisch verboten hatte und die nun durch die jüdisch-arabische Zusammenarbeit ins Arabische übertragen wurden. Kontakte zu Juden im christlichen Europa führten zu einer Weiterübersetzung ins Hebräische und Lateinische und damit zu einem neuen Zugang des mittelalterlichen Europa zur griechischen Antike.

Im 12. Jahrhundert endete die Toleranz des jüdisch-arabischen Zusammenlebens in Spanien jedoch. Fanatische arabische Stämme verfolgten die Juden, so dass manche die Auswanderung in den christlichen Teil Spaniens oder nach Marokko vorzogen. Im marokkanischen Fez bildete sich bald ein neues Gelehrtenzentrum, das schließlich das jüdische Spanien als geistiges Zentrum der Diaspora ablöste.

Was änderte sich nach der Reconquista für die jüdische Bevölkerung?

Nach dem Kampf gegen den Islam richtete sich nun der Blick auf die Juden. In Spanien hatte die christliche Reconquista schon im 12. Jahrhundert begonnen, ihren Abschluss fand sie im Jahr 1492 mit der Eroberung von Granada. Die Verfolgung und Vertreibung der Muslime war das Vorbild für die Behandlung der jüdischen Bewohner des Landes. Die meisten Juden zogen die Flucht einem Übertritt zum Christentum vor, und das erstarkende Osmanische Reich hatte eine große Anziehungskraft für die sephardischen Juden der Iberischen Halbinsel. Die Toleranz gegenüber den Minderheiten war nie groß, die Einschränkungen der Dhimma wurden lax gehandhabt. Viele Juden zogen deshalb nach Konstantinopel, Saloniki und in andere Küstenstädte, aber auch nach Palästina, das seit Anfang des 16. Jahrhunderts osmanisch geworden war. Die kleine Stadt Safed in Galiläa entwickelte sich zum neuen Zentrum des Judentums in der islamischen Welt. Besonders die kabbalistische Mystik erlebte hier ihre Blüte.

Warum musste der jüdische Gelehrte Maimonides immer wieder auswandern?

Um der Verfolgung zu entgehen. Das Leben des großen jüdischen Gelehrten aus Córdoba ist typisch für das Verhältnis zwischen Islam und Judentum im Mittelalter. Als Kind floh Maimonides (1135–1204) mit seiner Familie vor dem fanatischen islamischen Stamm der Almohaden aus Córdoba ins christliche, damals noch tolerante Nordspanien. Als junger Mann fühlte er sich von den Gelehrtenstätten in Fez in Marokko angezogen, wanderte bald aber weiter über Palästina nach Ägypten. Dort wurde er in Fustat Leibarzt am Hofe des Sultans und gewann politischen Einfluss. Bis heute sind seine religionsphilosophischen Werke und die Systematisierung des jüdischen Gesetzesgutes aus dem Talmud berühmt.

Wussten Sie, dass …

die Juden in Spanien den Baustil ihrer religiösen Zentren dem arabischen Geschmack anpassten und maurische Elemente in ihre Bauwerke integrierten?

Maimonides wegen seiner Adaption antiker Philosophen auch von jüdischen Gelehrten angefeindet wurde?

in Córdoba seit der Reconquista nur noch eine von ursprünglich 300 Synagogen zu besichtigen ist?

Die Juden im Mittelalter: Zwischen Duldung und Verfolgung

Wann kamen die Juden nach Europa?

Im Gefolge der Römer kamen Juden schon sehr früh in die Gebiete des einstigen römischen Weltreiches und damit auch nach Mittel- und Westeuropa. Sie ließen sich an den großen Flüssen und an den Küsten nieder, wo von jeher die bedeutenden Handelswege lagen. Marseille, Lyon, Orléans, Tours und Nantes in Frankreich sowie Köln, Speyer, Worms und Mainz entwickelten sich zu bedeutenden jüdischen Zentren.

Der fränkische König und römische Kaiser Karl der Große gewährte den Juden um das Jahr 800 umfangreiche Schutzprivilegien. Gegenleistung war die Judensteuer. Dieser königliche beziehungsweise kaiserliche Schutzstatus wurde von einigen seiner Nachfolger erneuert, teilweise verkauften die Kaiser die Juden aber auch an weltliche oder geistliche Fürsten, die dann die Judensteuer eintrieben, aber nicht mehr viel zum Schutz ihrer jüdischen Untertanen leisteten.

Welche Bedeutung erlangte das jüdische kulturelle Leben am Rhein?

Das kulturelle jüdische Leben am Rhein erreichte bald ein hohes Niveau. Berühmt wurde um das Jahr 1000 Rabbi Gerschom aus Mainz, der die Polygamie und die Ehescheidung ohne Einwilligung der Frau abschaffte. Er führte auch Bildungseinrichtungen für Mädchen ein. Im Gegensatz zur christlichen Bevölkerung war hier der allgemeine Bildungsgrad sehr hoch, jedes Kind lernte lesen. Die jüdischen Gelehrten am Rhein hatten bald solche Autorität, dass sie eine Zeit lang die Akademien in Babylonien als oberste Instanz des Judentums ablösten. Sehr angesehen war Rabbi Schlomo Ben Isaak (Raschi) aus Troyes, der in Worms und Mainz studiert hatte und später eine berühmte Talmudhochschule gründete. Seine Kommentare sind heute noch auf jeder Seite des Talmud zu finden.

Welche Einschränkungen gab es für die Juden?

Der kaiserliche Schutz half den Juden meist nur wenig gegen die starke christliche Ablehnung. Das Laterankonzil von 1215 erneuerte und verschärfte die alten byzantinischen Gesetze. Das Zusammenleben zwischen Juden und Christen wurde streng verboten und den Juden die Kennzeichnungspflicht auferlegt. Sie durften keine öffentlichen Ämter bekleiden und keine christlichen Angestellten beschäftigen. Die meisten Berufe wurden ihnen verwehrt. Das Handwerk, das sich zu christlichen Zünften zusammengeschlossen hatte, war ebenso wie die Landwirtschaft mit ihrem christlichen Lehenseid für Juden nicht mehr zugänglich. Ihnen blieb neben dem Handel nur noch das Zinsgeschäft, das den Christen verboten war.

Wie äußerte sich die Verfolgung durch die Christen?

Die jüdischen Gemeinden mussten vom 11. bis zum 14. Jahrhundert in mehreren Wellen blutige Pogrome ertragen. Ende des 11. Jahrhunderts nahmen die Kreuzfahrer den Kampf gegen die »Ungläubigen« im eigenen Lande auf. Auf dem Weg nach Palästina plünderten und verwüsteten sie die reichen jüdischen Gemeinden. Ab dem 12. Jahrhundert tauchte dann der Vorwurf des Ritualmordes auf. Das Gerücht bezichtigte Juden der Tötung christlicher Kinder für ihre Riten. Kaiser Friedrich II. sprach 1236 die Juden frei, doch hielt sich das Gerücht hartnäckig und tauchte bei passender Gelegenheit immer wieder auf. Im 14. Jahrhundert fielen weite Teile der europäischen Bevölkerung der Pest zum Opfer, und den jüdischen Gemeinden wurde vorgeworfen, die Brunnen vergiftet zu haben.

Wie kam es zu den Vertreibungen?

In England wurde die jüdische Bevölkerung schon im 13. Jahrhundert vertrieben, weil man ihrer wirtschaftlich nicht mehr bedurfte. In Frankreich kam es zwischen dem 12. und dem 14. Jahrhundert zu fünf öffentlichen Vertreibungen. Aus Deutschland wurden die Juden zwar nie völlig vertrieben, jedoch mussten sie im 14. und 15. Jahrhundert die Städte verlassen. Das Zinsverbot für Christen war erst gelockert, schließlich aufgehoben worden, damit wurde den Juden die Lebensgrundlage entzogen. Man benötigte sie nicht mehr und vertrieb sie. Viele ließen sich auf dem Land nieder und lebten als Hausierer oder Viehhändler, andere zogen nach Italien oder ins tolerante Osmanische Reich. Die Mehrheit der deutschen Juden wanderte jedoch nach Polen und Litauen aus, wo sich ab dem 15. Jahrhundert ein neues jüdisches Zentrum herausbildete.

Welche Rolle spielte die Kirche bei der Verfolgung?

Die Kirche hatte maßgeblich Anteil an der Intoleranz gegenüber den Juden und ihrer Verfolgung im Mittelalter. Die Kirchenoberen riefen zwar kaum zu Pogromen auf, doch predigte der Klerus die Schuld der Juden am Tod Christi und betonte immer wieder die erfolgreiche Überwindung des Judentums durch das Christentum. Symbol dafür ist das allegorische Figurenpaar Ecclesia und Synagoge in der christlichen Kunst. Man findet es vielfach in der sakralen Kleinkunst, am augenfälligsten allerdings als kirchliche Monumentalplastik, so im Dom zu Bamberg oder am Straßburger Münster. Die beiden Frauengestalten symbolisieren die siegreiche Kirche, Ecclesia, mit Krone und Zepter sowie das irregeleitete Judentum, Synagoge, häufig mit verbundenen Augen und zerbrochenem Stab. Wie sollte ein einfacher Christ anders über die Juden denken, wenn die geistliche Obrigkeit den Antijudaismus in dieser Deutlichkeit zum Ausdruck brachte?

Wussten Sie, dass …

Frankreich 1361, als es ein Lösegeld benötigte, um König Johann den Guten aus englischer Gefangenschaft freizukaufen, die zuvor vertriebenen Juden wieder ins Land holte?

man den Juden auch vorwarf, Hostien zu schänden?

der Erzbischof von Mainz, der Juden während des Kreuzzugs 1096 Zuflucht in seiner Residenz bot, mit diesen zusammen ermordet wurde?

Die jüdische Mystik: Transzendente Erfahrungen mit der Kabbala

Welche Formen jüdischer Mystik gab es?

Esoterische Bewegungen gab es im Judentum schon seit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im 1. Jahrhundert n. Chr. Viele der in den folgenden Jahrhunderten entwickelten Ideen tauchten in zwei mystischen europäischen Bewegungen im 12. Jahrhundert wieder auf. Die Bewegung der Chasside Aschkenas, der »Frommen Deutschlands«, entwickelte sich als Folge der Pogrome während der Kreuzzüge, verschwand aber im 13. Jahrhundert wieder.

Die Kabbala (Hebräisch »Überlieferung«) hingegen, die in der Provence ihren Anfang nahm, entwickelte sich zur heute noch existierenden Hauptströmung der jüdischen Mystik. Sie war zunächst eine Reaktion auf den Rationalismus in der jüdischen Oberschicht. In Spanien erlebte sie ihre Weiterentwicklung; Gerona in Katalonien wurde zum wichtigen Zentrum der Kabbalisten. Im 13. Jahrhundert entstand ihr bedeutendstes Grundlagenwerk, das Buch Sohar (hebräisch: »Buch des Glanzes«) von Moses de Leon. Die Kabbalisten unterschieden sich von ihren rational denkenden jüdischen Gegenspielern dadurch, dass sie eine mystische Vereinigung mit Gott erhofften, im Gegensatz zu einer rationalen Gotteserkenntnis, wie sie beispielsweise der große jüdische Religionsphilosoph Maimonides vertrat.

Was lehrt das Buch Sohar?

Im Sohar findet sich die Lehre von den zehn Sefiroth. Diese sind göttliche Kräfte, die Gott aus dem Jenseits aussendet und mit denen er alles Geschehen in den geistigen Zwischenstufen und in der materiellen Welt bestimmt. Zudem wird die Thora als ein lebendiger Organismus beschrieben, dessen genaues Studium mit Hilfe der Zahlenmystik und Buchstabendeutung der mystischen Annäherung an Gott dient. Doch nicht nur Thorastudium, sondern auch Kontemplation und das Gebet können den Menschen zum Göttlichen erheben. Mit der Lehre vom Bösen als der mächtigen anderen Seite des Guten vermittelt das Buch Sohar ein dualistisches Weltbild.

Wie entwickelte sich die Kabbala weiter?

Nach der Vertreibung aus Spanien 1492 ließen sich viele Kabbalisten im kleinen Städtchen Safed in den Bergen Galiläas nieder. Mose ben Josef Cordovero systematisierte die ältere spanische Kabbala neu. Sein berühmtester Schüler Isaak Luria entwickelte eine neue Methode zum Verständnis der Geheimnisse des Sohar. Sein kompaktes und leicht verständliches literarisches Werk wurde jedoch erst von seinem Schüler Chaijm Vital niedergeschrieben. Isaak Luria brachte verstärkt den messianischen Gedanken in sein kabbalistisches System ein. Er beschrieb die Möglichkeit der Befreiung der versprengten göttlichen Lichtfunken aus der Materie durch Läuterung und Thoraerfüllung. So solle der Beginn des messianischen Zeitalters herbeigeführt werden. Die lurianische Kabbala beeinflusste erheblich einen Juden aus Smyrna (heute Izmir) namens Sabbatai Zwi.

Wer war Sabbatai Zwi?

Er versuchte, sich als Messias auszugeben. Der im Jahr 1626 geborene aschkenasische Jude Sabbatai Zwi kannte die talmudische und kabbalistische Literatur. Er verehrte die lurianische Kabbala mit ihren messianischen Erwartungen. Die Chmielnicki-Pogrome, die 1648 im Zuge des Aufstands der ukrainischen Kosaken etwa 100000 jüdische Opfer in Polen forderten, betrachtete Sabbatai Zwi als die Geburtswehen des Messias. Auf seinen ausgedehnten Reisen traf er den Kabbalisten Natan Benjamin ha-Levi aus Gaza, der ihn davon überzeugte, der Messias zu sein.

1665 ließ sich Sabbatai Zwi dann zum Messias ausrufen, im Februar 1666 wurde er von den türkischen Behörden verhaftet. Sein Ruf verbreitete sich in der ganzen jüdischen Diaspora, überall wurden Freudenfeste gefeiert, Wallfahrer zogen bis vor sein Gefängnis. Der polnische Kabbalist Nehemia Kohen war jedoch nicht von Zwis Messiasrolle überzeugt und denunzierte ihn bei den türkischen Behörden. Diese stellten ihn vor die Wahl: Hinrichtung oder Konversion zum Islam. Am 15. September 1666 geschah die Katastrophe für die Anhänger Sabbatai Zwis und für die gesamte kabbalistische Bewegung: Der »jüdische Messias« trat zum Islam über.

Welche Folgen hatte Sabbatai Zwis Konvertierung zum Islam?

Die Kabbala verlor zunächst viele Anhänger. Die jüdische Mystik lebte jedoch in neuer Form ab dem 18. Jahrhundert im Chassidismus wieder auf. In der Neuzeit konnte schließlich auch die Kabbala wieder Fuß fassen. Allgemeine mystisch-religiöse Strömungen, aber auch die Forschungen Gerschom Scholems haben dazu beigetragen. In Israel ist das Kabbala-Studium heute auch unter säkular ausgerichteten Juden populär geworden.

Welche Bedeutung hat die Kabbala heute?

Sie gilt ihren Anhängern auch heute noch als Schlüssel zur Welterkenntnis. Im Unterschied zur wissenschaftlichen Untersuchung der Kabbala bestehen die Kabbalisten heute immer noch darauf, dass ihr Hauptwerk Sohar nicht erst im Mittelalter in Spanien, sondern schon im 2. Jahrhundert n. Chr. von Rabbi Shimon Bar Jochai verfasst wurde. Die Kabbala dient ihnen zur Erklärung auch moderner Phänomene wie Kriege, Drogenabhängigkeit, atomarer Zerstörung und Technik. Nur über die Kabbala lassen sich die Gesetze des Universums erklären und damit auch die Probleme der Welt überwinden. Die Thora betrachten die Kabbalisten als einem Menschen vergleichbar: Die Fünf Bücher Mose sind der äußere Teil, dem Körper entsprechend, die Kabbala, die innere Thora, ist der mystische Teil, der Seele entsprechend.

Wussten Sie, dass …

der christliche Alchimist Christian Knorr von Rosenroth das Buch Sohar unter dem Titel »Cabbala denudata« (2 Bände, 1677 bis 1684) ins Lateinische übersetzte?

kabbalistische Lehren auch in der esoterischen Theosophie Ende des 19. Jahrhunderts wieder aufgenommen wurden?

sich die fantastische Literatur der Frühen Moderne immer wieder von Elementen der Kabbala inspirieren ließ?

Madonna Ende der 1990er Jahre zur Anhängerin der Kabbala wurde und sogar Kinderbücher zu diesem Thema verfasste?

Die jüdische Aufklärung: Auf dem Weg in die Moderne

Wie kam es zur jüdischen Aufklärung?

Die Wurzeln dafür liegen in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, als sich in Deutschland, das in viele kleine Fürstentümer zersplittert war, die politische Herrschaftsform des Absolutismus und neue merkantile Wirtschaftsweisen durchsetzten. Die Fürsten erkannten, dass ihnen die Juden nützlich sein konnten und gewährten einigen den Zuzug. In diesem Zusammenhang entstand die kleine Elite der oft sehr reichen »Hofjuden«. Politisch waren sie jedoch machtlos und unterlagen der unterdrückenden Judengesetzgebung. Intellektuelle und wohlhabende Juden glichen sich in ihren Lebensgewohnheiten der deutschen Oberschicht an. Sie bemühten sich um eine Symbiose von traditionellem Judentum und deutscher Kultur.

Was waren die Ziele?

Die jüdische Aufklärung oder Haskala, deren Hauptvertreter der Philosoph Moses Mendelssohn war, forderte ein Ende der sozialen und kulturellen Isolation der Juden durch ihre gesellschaftliche Eingliederung. Allerdings durfte es zu keiner Aufgabe des traditionellen Judentums kommen, der Preis war Mendelssohn zu hoch. Viele Schüler Mendelssohns waren anderer Meinung, für sie bedeutete die Integration auch den Bruch mit der jüdischen Tradition, was zur Entstehung der jüdischen Reformbewegung führte.

Wie emanzipierten sich die Juden in Deutschland?

In Frankreich waren die Juden mit der Revolutionsgesetzgebung von 1791 über Nacht zu gleichberechtigten Bürgern geworden. In Deutschland dauerte die Emanzipation der Juden dagegen bis zur Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871. Preußen erließ 1812 ein Emanzipationsedikt, das den Juden endlich die Bürgerrechte gewährte, sie aber immer noch aus öffentlichen Ämtern ausschloss. Rückschläge brachten der Wiener Kongress und die nachfolgende Zeit der Reaktion, als diese Gesetze zum Teil wieder rückgängig gemacht wurden. Viele junge Juden wanderten deshalb nach Amerika aus, andere konvertierten zum Christentum, weil sie darin die einzige Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg sahen. Erst 1871, nach weiteren Liberalisierungen und erneuten Rückschlägen, wurde die Gleichstellung der Juden Reichsgesetz.

Welches Echo fand die jüdische Aufklärung in Osteuropa?

Hier stieß die Haskala auf den erbitterten Widerstand der jüdischen Orthodoxie und des Chassidismus. Die Aufklärung wurde von staatlicher Seite propagiert, als nach der letzten polnischen Teilung (1795) die Juden unter die Herrschaft Russlands und Österreichs kamen, die ihre Autonomie beenden und sie zu loyalen Untertanen erziehen wollten. Trotz der Gründung staatlicher jüdischer Bildungseinrichtungen setzte sich die Haskala unter den jüdischen Massen zuerst nicht durch.

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die jüdische Aufklärung auch in Osteuropa als Folge des Modernisierungsprozesses weitgehend angenommen. Hier entwickelte sich auch eine nationale Variante der Haskala: Die Anhänger waren für die Modernisierung der jüdischen Gesellschaft, aber in Verbindung mit neuen jüdischen Inhalten, die nicht primär religiös waren. Diese Bewegung setzte sich für eine Wiederbelebung des alten Hebräisch als moderne Sprache ein sowie für nationale Selbstbestimmung.

Wussten Sie, dass …

der Begriff für die jüdische Aufklärung – Haskala – mit dem hebräischen Wort »Sechel« (Verstand) verwandt ist?

die Mehrheit der preußischen Juden im 18. Jahrhundert noch Jiddisch sprach und nur hebräische Schriftzeichen lesen konnte?

Mendelssohn neben seiner Tätigkeit als Wissenschaftler und Gelehrter auch Hauslehrer und Buchhalter sowie Mitinhaber einer Seidenfabrik war?

die preußische Jüdin Rahel Varnhagen, die in Berlin Anfang des 19. Jahrhunderts einen einflussreichen Literarischen Salon führte, für die Rechte jüdischer Frauen eintrat?

Wie engagierte sich Moses Mendelssohn für die Haskala in Deutschland?

Moses Mendelssohn studierte in Berlin einerseits auf traditionell jüdische Weise die Thora und den Talmud, andererseits auch weltliches Wissen wie moderne und alte Sprachen, Philosophie und Naturwissenschaften. Zur besseren Umsetzung seiner Ideen einer jüdischen Aufklärung übertrug er die hebräische Bibel ins Deutsche. In seinem Werk »Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum« (1783) versuchte Mendelssohn die Übereinstimmung des Judentums mit der Vernunft herauszuarbeiten. Er sah das Judentum eher der Vernunfterkenntnis zugänglich als das Christentum, weil Ersterem »nur« ein Gesetz offenbart wurde, nicht eine Religion mit Lehrmeinungen und Heilswahrheiten wie dem Christentum. Er versuchte, die jüdische Religion mit den Begriffen der Philosophie seiner Zeit zu interpretieren. Moses Mendelssohn war übrigens der Großvater des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy.

Reformbewegungen: Anpassung ohne Identitätsverlust

Was löste die Reformen innerhalb des Judentums aus?

Als Reaktion auf die Aufklärung und die voranschreitende Emanzipation der Juden entstanden in Deutschland innerjüdische Reformbewegungen. Hieraus gingen das Reformjudentum und das konservative Judentum hervor, die sich besonders in den USA schnell ausbreiteten und bis heute dort ihren Schwerpunkt haben. Die ersten Reformen des Judentums unter dem Einfluss der Aufklärung geschahen noch nicht auf religiöser Ebene, sondern im Bildungswesen. Da die Juden die mangelhafte Kenntnis der deutschen Sprache als Haupthinderungsgrund ihrer Integration ansahen, wurden ab 1778 jüdische Schulen gegründet, deren Unterrichtssprache Deutsch war und die in erster Linie weltliche Fächer, aber auch Hebräisch und Religion lehrten.

Welche Reformen gab es in Deutschland?

Die fortschreitende Emanzipation der Juden in der deutschen bürgerlichen Gesellschaft hatte zur Folge, dass viele ein Missverhältnis zwischen ihren alten Traditionen und der modernen Kultur ihres Umfeldes empfanden. Um das auszugleichen, wurden Forderungen nach Reformen immer lauter. Besonders die Rituale des jüdischen Gottesdienstes schienen vielen nicht mehr zeitgemäß. Die ab 1810 abgehaltenen reformierten jüdischen Gottesdienste orientierten sich in ihrer Gestaltung an der protestantischen Liturgie. Der Singsang des Vorbeters wurde durch Choräle ausgebildeter Chöre – mehr und mehr auch mit Orgelbegleitung – ersetzt, der bibelexegetische Lehrvortrag, der an die Bibellesung anschloss, durch eine erbauliche Predigt in Deutsch. Auch die meisten Gebete wurden nun nicht mehr hebräisch, sondern deutsch gesprochen. Man bewies nun der christlichen Umwelt, dass auch das Judentum in seiner neuen, reformierten Form sehr wohl einen Platz in der modernen Welt hatte.

Wer stellte sich den Reformen entgegen?

Als Gegenbewegung zum Reformjudentum entstand das konservative Judentum. Sein Gründer war der Rabbiner Zacharias Frankel (1801–1875), der die Wahrung der jüdischen Tradition durch das Reformjudentum in Gefahr sah. Seine Ausrichtung eines positiv-historischen Judentums betonte den unantastbaren überlieferten Kern der offenbarten Religion, die notwendige Bewahrung der traditionellen Rituale, aber auch die Anpassung des Judentums an die Erfordernisse der Gegenwart. Das orthodoxe deutsche Judentum reagierte zunächst ausschließlich ablehnend auf die Reformbewegungen, zeigte die neuen Gemeinden sogar bei der preußischen Obrigkeit als gefährliche Sektierer an. Bald führte es jedoch ebenfalls innere Reformen durch, woraus unter der Führung von Samson Raphael Hirsch die Neo-Orthodoxie entstand. Diese hielt fest an der Thora als der Essenz des Judentums und an der messianischen Hoffnung, betonte aber auch den hohen Stellenwert der weltlichen Bildung und beurteilte die Emanzipation allgemein positiv.

Wie weit breiteten sich die Reformen aus?

Von Deutschland breitete sich das Reformjudentum in ganz Mittel- und Westeuropa aus; in Osteuropa konnte es nicht Fuß fassen. Seinen Siegeszug erlebte es schließlich in Nordamerika. Die erste Reformgemeinde in den USA entstand im Jahr 1824, in den 1840er und 1850er Jahren trugen besonders jüdische Einwanderer aus deutschen Reformgemeinden zur schnellen Verbreitung der Bewegung bei. Die Reform in den USA war radikaler als in Europa: Die Geschlechtertrennung im Gottesdienst wurde aufgegeben, alte Rituale wie das Blasen des Schofars an bestimmten Feiertagen wurden als »primitiv« erachtet und abgeschafft.

Heute gibt es weltweit über 1,2 Millionen Reformjuden, die Mehrheit lebt in den USA. Kleine, allerdings von der jüdischen Orthodoxie benachteiligte Gruppen sind auch in Israel zu finden. Die Reformbewegung ist inzwischen zu vielen der aufgegebenen Rituale zurückgekehrt, der Anteil des Hebräischen im Gottesdienst hat wieder zugenommen.

Wie standen die traditionellen Juden zur Assimilation?

Die Einordnung und das Aufgehen der Juden in der modernen europäischen Gesellschaft hing einerseits vom Willen zur Assimilation ab, andererseits von der Bereitschaft der Umwelt, die Juden zu akzeptieren, ohne die Aufgabe ihres jüdischen Wesens zu fordern. Traditionelle jüdische Kräfte wehrten sich gegen die Assimilation, weil sie fürchteten, damit ihre Identität zu verlieren. Der Begriff selbst wurde ab dem Ende des 19. Jahrhunderts von nationaljüdischen Strömungen wie dem Zionismus aufgegriffen und in der Sache bekämpft.

Wussten Sie, dass …

Heinrich Heine seinen Entschluss, sich christlich taufen zu lassen, 1825 damit begründete, dass der »Taufzettel das Entreebillett zur europäischen Kultur« sei?

der Rabbiner Abraham Geiger (1810–1874) die These vertrat, dass die göttliche Offenbarung nicht auf den Sinai beschränkt sei, sondern sich im religiösen Bewusstsein der Juden immer weiter entfalte?

das Reformjudentum sich für die Gleichberechtigung der Frauen im jüdischen Gottesdienst einsetzt?

Der Zionismus: Die Idee vom jüdischen Staat

Wie entstand der Zionismus?

Der Zionismus entstand im späten 19. Jahrhundert als jüdische Nationalbewegung, die sich die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina zum Ziel setzte. Zionistische Bestrebungen bildeten sich vor allem als Reaktion auf die antisemitische Stimmung in den meisten europäischen Ländern. Maßgeblich geprägt wurde die zionistische Idee eines eigenen jüdischen Staates von dem österreichischen Juden Theodor Herzl.

Wie wurde aus der Idee eine Bewegung?

Seit dem Basler Kongress des Jahres 1897 formierte sich der Zionismus als organisierte Bewegung, die der Rückwanderung von Juden nach Palästina ein nationales Pathos mit Beimengungen bäuerlich-kolonialistischer und sozialistischer Prägung verlieh. Keineswegs jedoch entwickelte sich der aktive Zionismus zu einem Mehrheitsphänomen unter den europäischen und amerikanischen Juden. Von einer intellektuellen jüdischen Elite abgesehen, waren es doch eher Juden aus den armen Ländern des Ostens Europas, die sich zur Auswanderung nach Palästina bewegen ließen. 1909 wurde Tel Aviv und das erste der »Kibbuz« genannten ländlichen Siedlungs- und Arbeitskollektive, Deganya, gegründet.

Wer unterstützte die ersten Siedler?

Der Erste Weltkrieg veränderte die Situation im Heiligen Land grundlegend. Britisches Militär setzte der 300-jährigen osmanischen Herrschaft über Palästina ein Ende. Legitimiert durch ein Völkerbundmandat, begann Großbritannien das Land kommissarisch zu verwalten. Die Erklärung des britischen Ministers Balfour, der »Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina« wohlwollend gegenüberzustehen, weckte neue Hoffnungen. Zwischen 1919 und 1939 wanderten Tausende weiterer Juden zu. Freilich verschärfte sich auch der Konflikt mit den arabischen Einwohnern Palästinas.

Wie kam es zur Gründung des Staates Israel?

In den 1940er Jahren setzte sich – nicht zuletzt infolge der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Europa – die jüdische Einwanderung fort, während die schrecklichen Erfahrungen des Holocausts die internationalen Bestrebungen verstärkten, einen eigenen Staat Israel zu gründen. Eine UN-Resolution vom 29. November 1947 sah schließlich die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vor. Als am 14. Mai 1948 das britische Mandat endete, wurde der Staat Israel tatsächlich gegründet. Am Tag darauf wurde der junge Staat bereits von seinen arabischen Nachbarn angegriffen. Er konnte sich im folgenden Israelischen Unabhängigkeitskrieg aber behaupten.

Ist der Zionismus verantwortlich für den Nahost-Konflikt?

Es wäre eine grobe Vereinfachung, dem Zionismus die Schuld an der Dauerkrise in Nahost zuzuschreiben. Die Wurzeln des Streites um das Heilige Land reichen weit zurück in die Geschichte. Ethnische, nationale und religiöse Fanatismen vermengen sich dort seit jeher zu einem unheilvollen Konglomerat aus Intoleranz und Hass. Es wird eine der zentralen Aufgaben der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts sein, diesen gordischen Knoten in einer für alle zufrieden stellenden Weise zu entwirren. Dabei gilt es vor allem, das Existenzrecht Israels sicherzustellen, aber auch den Interessen der Palästinenser gerecht zu werden.

Wussten Sie, dass …

Theodor Herzl seine Vision von einem Judenstaat auch in einem Roman mit dem Titel »Altneuland« (1902) Gestalt werden ließ?

insbesondere die Dreyfus-Affäre in Frankreich, bei der ein Hauptmann im Generalstab fälschlich der Spionage verdächtigt wurde, die Zionisten von der Notwendigkeit eines eigenen jüdischen Staates überzeugte?

in der Gründungsphase des Staates jeder zwölfte Einwohner in einem Kibbuz lebte – einer dörflichen Siedlung, die von kollektivierter Landwirtschaft lebt und basisdemokratisch verwaltet wird?

Was leistete Theodor Herzl für den Zionismus?

Der österreichische Journalist Theodor Herzl gilt als Initiator, Theoretiker und Motor der zionistischen Bewegung. In seinem Buch »Der Judenstaat«, erschienen 1896, verschmolzen eigene Erfahrungen mit der Judenfeindschaft in der österreichisch-ungarischen Monarchie und die Beobachtung des französischen Antisemitismus mit nationalistischen und assimilationskritischen Motiven Herzls. Herzl selbst war weder übermäßig religiös noch Vertreter einer Rejudaisierung. Aber er war davon überzeugt, dass sich das Problem des Antisemitismus nicht durch Aufgabe der jüdischen Identität lösen lasse, sondern nur durch massenhafte Abwanderung der Juden in einen eigenen Staat. Herzl konnte die Früchte seines Wirkens nicht mehr ernten; als er 1904 starb, lief eben die zweite große jüdische Einwanderungswelle nach Palästina an. 1949 wurden Herzls sterbliche Überreste nach Jerusalem überführt.

Vernichtung der europäischen Juden: Systematischer Völkermord

Wie diskriminierte das NS-Regime die Juden?

Unmittelbar nach der Machtübernahme begannen die Nationalsozialisten, die deutschen Juden zu entrechten und wirtschaftlich zu ruinieren. Ihre gesetzlich festgeschriebene Diskriminierung in den »Nürnberger Gesetzen« (1935), Berufsverbote, die Einführung des Judensterns, Boykotthetze, so genannte Arisierungen, Verhaftungen und Terror vertrieben bis 1939 150000 Juden aus Deutschland. Nach dem »Anschluss« Österreichs verschärfte sich die antisemitische Gangart zusehends; den Höhepunkt der Vorkriegsausschreitungen bildete die Pogromnacht vom 9. November 1938 mit den sich anschließenden Massenverhaftungen und -internierungen.

Wie wurde die Verfolgung nach Osten ausgeweitet?

Nach dem Einmarsch in Polen erließ Gestapo-Chef Reinhard Heydrich die Anordnung, alle polnischen Juden in Gettos zu konzentrieren – als Vorstufe zu Deportation und Ermordung. Mit der Zusammenführung von »Sicherheitspolizei« und »Sicherheitsdienst des Reichsführers SS« im »Reichssicherheitshauptamt« unter der Führung des fanatischen Antisemiten Heinrich Himmler etablierte sich eine neue Zentralinstanz. Ihre Einheiten folgten der Wehrmacht in die besetzten Gebiete und ermordeten die jüdische Bevölkerung. Dies geschah in der Regel durch Massenerschießungen, aber auch mit Gaswagen wurde bereits experimentiert.

Wann entstanden die Vernichtungslager?

Der Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 stellte endgültig die Weichen zur systematisch angelegten Judenvernichtung. Seit Mitte 1941 wurden vorhandene Konzentrationslager, wie Auschwitz und Majdanek, zu Vernichtungslagern ausgebaut sowie weitere reine Vernichtungslager – Treblinka, Sobibor, Belzec, Kulmhof – eingerichtet. Im Oktober 1941 erging ein Verbot der Auswanderung von Juden aus dem deutschen Machtbereich. Die »Wannsee-Konferenz« vom Januar 1942 koordinierte unter Heydrichs Leitung Einsatzkräfte und Maßnahmen zu einem System der Vernichtung und leitete so die »Endlösung« ein. Zu den weiterhin exzessiv durchgeführten Erschießungen kamen nun Tötung »durch Zwangsarbeit« und durch Giftgas.

Wann wurden die Lager befreit?

Je sicherer der Krieg verloren war, desto »wirkungsvoller« arbeitete die nationalsozialistische Todesmaschinerie. Vor den herannahenden sowjetischen Armeen ließ Himmler jedoch seit Mitte 1944 die Aktionen in den Vernichtungslagern nach und nach einstellen und die Häftlinge teils in mörderischen Todesmärschen in andere Lager zurückführen. In Auschwitz endeten die Vergasungen im November 1944; bis zu diesem Zeitpunkt starben dort eine Million Menschen. Sowjetische Truppen befreiten das Lager im Januar 1945. Es dauerte noch bis zum Mai, ehe die letzten Lager, Mauthausen und Theresienstadt, befreit werden konnten.

Der Massenmord an den Juden in seiner spezifischen Mischung aus völliger Entzivilisierung und hoch entwickelter bürokratisch-technologischer Organisation gehört zu den größten Katastrophen der Neuzeit, vielleicht der Geschichte überhaupt. Fassungslosigkeit und Entsetzen werden die Chronik des Grauens und ihre Zeugnisse immer begleiten. Die Forschung bringt stets neue Einzelheiten zutage; doch die Grundfrage, »Wie war es möglich?«, wird Wissenschaft, Gesellschaft und Öffentlichkeit noch lange beschäftigen.

Worauf gründete der Judenhass ideologisch?

Der Nationalsozialismus verband rassenbiologische, pseudogeschichtsphilosophische und sozialdarwinistische Versatzstücke zu einer ideologischen Mixtur, deren Folge die Legitimation des Massenmordes an den Juden war. Ob Hitlers Gedankengebäude ihre planmäßige Ermordung von vornherein beinhaltete, ist eine umstrittene, doch letztlich unerhebliche Frage. Spätestens seit »Mein Kampf« (1925/27) zeigte sich Hitler zum Äußersten entschlossen; in dem Maße, in dem sich ihm technische, logistische und personelle Möglichkeiten zu Vernichtung der Juden eröffneten, war er bereit, diese auch anzuwenden.

Wussten Sie, dass …

Adolf Eichmann, der als Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt einer der Hauptverantwortlichen für die Durchführung der »Endlösung« war, später keinerlei Verantwortung für sein Handeln übernehmen wollte? Der 1960 vom israelischen Geheimdienst in Argentinien aufgespürte und in Israel vor Gericht gestellte »Schreibtischtäter« fühlte sich »bar jeder Schuld«. Er »hatte zu gehorchen«. 1962 wurde er hingerichtet.

Die Gründung Israels: Ein Sammelbecken für Juden aus aller Welt

Welche Triebkraft steckte hinter der Staatsgründung?

Während der fast 2000 Jahre andauernden Diaspora hatten die Juden niemals die Hoffnung auf eine Rückkehr nach »Zion« aufgegeben. Sie verbanden die Wiedererrichtung des jüdischen Staates mit dem Kommen des Messias und dem Anbruch der Endzeit. Doch erst der säkularen jüdischen Nationalbewegung, dem Zionismus, gelang ab Ende des 19. Jahrhunderts die Mobilisierung größerer Einwanderungswellen nach Palästina. Nach dem UN-Entscheid über die Teilung Palästinas kam es schließlich am 14. Mai 1948 zur Staatsgründung Israels. Kurz zuvor lebten schon gut 600000 Juden im Land. Innerhalb der folgenden vier Jahre verdoppelte sich die jüdische Bevölkerung sogar, besonders aus den arabischen Staaten drängten die Einwanderungsströme ins Land.

Welche gesellschaftlichen Probleme musste der neue Staat lösen?

Die ersten Jahrzehnte waren geprägt vom starken Gegensatz zwischen aschkenasischen und sephardischen Juden. Erstere waren in mehreren Einwanderungswellen besonders vor der Staatsgründung aus Europa gekommen, brachten einen relativ hohen Bildungsgrad, oft sozialistische Ideale und ein von der europäischen Aufklärung geprägtes Judentum mit. Nur eine Minderheit der Aschkenasim war streng orthodox und kam aus den traditionell geprägten jüdischen Gemeinden Osteuropas. Die sephardischen Juden, ehemals spanischer Herkunft, jedoch nach der Vertreibung hauptsächlich in arabische Länder geflohen, brachten einen niedrigen Bildungsstand und eine traditionelle Haltung zum Judentum mit. Da die Aschkenasim von Anfang an die Geschicke des Staates nach europäischen Maßstäben lenkten, führte dies zu einem Gefühl der Unterdrückung in den Reihen der Sephardim. Die Trennung der beiden jüdischen Herkunftsgemeinschaften blieb jedoch in ihrer strikten Form nicht lange bestehen, da es zu vielen sephardisch-aschkenasischen Verbindungen kam.

Gelang allen Juden die Integration?

Mit den Einwanderern aus dem Jemen und aus Äthiopien kamen Juden ins Land, deren wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung gegenüber der in Europa um mehrere Jahrhunderte zurücklag. Die Jemeniten, die verstärkt in den 1950er Jahren zuwanderten, konnten sich relativ schnell innerhalb des sephardischen Judentums zurechtfinden. Die Äthiopier hingegen, schon äußerlich durch ihre schwarze Hautfarbe von den übrigen Israelis unterschieden, erlebten einen regelrechten Kulturschock, hatten massive Integrationsprobleme und gehören bis heute zur jüdischen Gruppe mit der höchsten Arbeitslosenrate.

Wie prägte die jüngste Einwanderergeneration die Politik Israels?

Die Eingliederung der fast eine Million Einwanderer aus Russland und den GUS-Staaten seit 1989 stellte den jungen Staat vor massive wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme. Die russischen Juden brachten ein hohes Bildungsniveau mit und stimulierten bald die israelische Hightech- und Computerindustrie. Sehr viele mussten jedoch einen Arbeitsplatz weit unter ihrem Ausbildungsniveau annehmen. Die russischen Juden beeinflussen heute in hohem Maße die israelische Politik, wählen eher rechtsgerichtete Parteien, haben ein stark ausgeprägtes Nationalgefühl und neigen zu einer kompromisslosen Haltung in der Palästinenserfrage.

Die amerikanischen Juden, die in den letzten beiden Jahrzehnten nach Israel einwanderten, gehören meist zur Gruppierung der nationalreligiösen Siedleraktivisten. Sie unterstützen die Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten.

Wussten Sie, dass …

nach der Staatsgründung Israels Juden aus etwa 80 verschiedenen Ländern in den neuen Staat einwanderten?

die Ultraorthodoxen den Staat Israel in seiner derzeitigen Form ablehnen, keine Steuern zahlen und amerikanische Pässe haben? Diese winzige Minderheit wirkt durch ihren Einfluss bei den orthodoxen Parteien merklich auf die israelische Gesellschaft ein.

Wie bestimmt die Religion das öffentliche Leben in Israel?

Eine echte Trennung zwischen Staat und Religion gibt es in Israel nicht. Das gesamte Personenstandsrecht wird für die Juden von Rabbinatsgerichten geregelt. Eine israelische Verfassung wurde verhindert, da die Orthodoxen der Meinung sind, dass die Thora die einzige legitime Verfassung für Israel sei. Die Einhaltung des wöchentlichen Feiertages Schabbat ist staatlich verankert. Von den verschiedenen Richtungen des Judentums auf der Welt hat heute ausschließlich die Orthodoxie Einfluss in Israel. Reformjudentum und konservatives Judentum konnten sich im jungen Judenstaat nicht durchsetzen. Trotzdem sind über die Hälfte der jüdischen Israelis eher säkular eingestellt und sehen sich religiösen Zwängen durch die Orthodoxen ausgesetzt. Bei der Staatsgründung wurde Israel zwar zu einem säkularen Staat ausgerufen, doch gelang es den orthodoxen Parteien von Anfang an, großen Einfluss in der Politik auszuüben.

Juden in den USA: Integriert in eine pluralistische Gesellschaft

Wann wanderten Juden in die USA ein?

Seit über 300 Jahren leben Juden in Nordamerika. Die ersten kamen aus Brasilien und landeten 1654 in Nieuw Amsterdam, dem heutigen New York. Ursprünglich stammten sie aus Spanien und Portugal, von wo sie Ende des 15. Jahrhunderts vertrieben worden waren. Unter den zahllosen Auswanderern, die zwischen 1820 und 1850 die wirtschaftlich schwachen Regionen Deutschlands verließen und in den USA eine Zukunft suchten, waren auch über 200000 Juden. Die dritte Einwanderungswelle bildeten Juden aus Osteuropa und Russland, die zwischen 1880 und 1924 den blutigen Pogromen und der Armut entflohen.

Im Jahr 1924 lebten 4,5 Millionen Juden in den USA, davon etwa ein Drittel in New York. In den 1930er und 1940er Jahren kamen die Flüchtlinge dazu, die sich vor dem Naziregime retten konnten. Bis heute gibt es eine beachtliche jüdische Zuwanderung in die USA, seit den 1990er Jahren vor allem aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.

Wie entwickelt sich die jüdische Bevölkerung?

Seit einigen Jahren sinkt die jüdische Bevölkerungszahl. Bei einer Untersuchung aus dem Jahr 2002 wurden 5,2 Millionen Juden in den USA gezählt, fünf Prozent weniger als zwölf Jahre zuvor. Gründe sind einerseits die niedrige Geburtenrate jüdischer Familien des Mittelstands, andererseits gibt es immer mehr Mischehen: Etwa die Hälfte der Juden verheiraten sich mit Nichtjuden, und die Kinder werden häufig nicht mehr jüdisch erzogen.

Ziel der jüdischen Organisationen in den USA, die sich nur durch Spenden und Mitgliedsbeiträge finanzieren, ist die Erneuerung des Judentums im Land. Jüdische Schulen werden gefördert, jüdische Gemeindezentren erhöhen ihre Attraktivität für die Jugend durch die Einrichtung von Sportstätten.

Wie homogen ist das amerikanische Judentum?

Knapp 50 Prozent der amerikanischen Juden gehören einer Synagoge an. Davon zählen sich 39 Prozent zum Reformjudentum, 33 Prozent zum konservativen Judentum, 21 Prozent zum orthodoxen Judentum und 7 Prozent zu anderen Gruppierungen. Das Reformjudentum, Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland entstanden, konnte seine größten Zuwächse in den USA erleben, weil hier die Traditionen nicht so stark verwurzelt waren. Die Reformbewegung entsprach dem amerikanischen Individualismus, der frei sein wollte von alten Normen. Die osteuropäischen Zuwanderer des ausgehenden 19. Jahrhunderts konnten mit den radikalen Ideen der Reformbewegung wenig anfangen und schlossen sich der neuen Richtung des konservativen Judentums an. Der Anstieg des Anteils der orthodoxen Juden liegt an deren hoher Geburtenrate.

Welche Rolle spielt der Glaube im Alltag?

Die meisten der über sechs Millionen Juden in den USA sind heute säkular eingestellt. Allerdings nimmt seit den 1970er Jahren die Rückbesinnung auf den Glauben zu. Von großem Einfluss ist dabei die orthodoxe Chabad-Lubawitsch-Bewegung, deren Wurzeln im zaristischen Russland des 18. Jahrhunderts liegen. Der Ukrainer Rabbi Menachem M. Schneerson (1902–1994) baute Chabad seit 1950 von New York aus zu einer internationalen Organisation aus, mit dem Ziel, Juden in aller Welt durch religiöse Erziehung für das orthodoxe Judentum zu gewinnen.

Wie leben Juden in New York?

New York ist die größte jüdische Stadt der Welt: Hier leben 1,13 Millionen Juden, das sind 16 Prozent der Stadtbevölkerung. Die Lower East Side von Manhattan war ab 1880 das bevorzugte Wohnviertel der armen osteuropäischen Immigranten. Man führte hier ein Leben fast wie zu Hause im Schtetl. Noch immer sind vielfältige Spuren dieser Kultur erhalten. In Brooklyn leben heute vorwiegend chassidische Juden der orthodoxen Richtung aus Osteuropa. Sie sind meist kinderreich und sehr fromm. Im Gegensatz zum übrigen Land bilden die Orthodoxen die Mehrheit unter den New Yorker Juden, zweitgrößte Gruppe sind die Konservativen. Der Reformbewegung gehört nur eine kleine Minderheit an.

Wussten Sie, dass …

die New Yorker Juden besser ausgebildet sind als der amerikanische Durchschnitt?

jüdische Spendengelder, die früher hauptsächlich nach Israel flossen, inzwischen auch verstärkt armen Juden in den USA, etwa den osteuropäischen Einwanderern, zugute kommen?

der Prozentsatz jüdischer Hochschullehrer bei weitem den der jüdischen Bevölkerung übersteigt?

Juden in Deutschland: Schwieriger Neubeginn nach dem Holocaust

Wie sah der Neubeginn jüdischen Lebens nach dem Holocaust aus?

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Holocaust lebten nur noch 15000 Juden in Deutschland. In den folgenden Jahren kamen zwar 200000 osteuropäische Juden, die meisten wanderten aber nach Amerika und Israel aus. »Nie wieder wird und darf es Juden auf deutschem Boden geben«, war die Weltmeinung nach dem Massenmord an den Juden. Doch bereits 1945 bildeten sich wieder jüdische Gemeinden. 1950 wurde in Frankfurt am Main von den Repräsentanten der Gemeinden der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet; Vorsitzender wurde Heinz Galinski.

Wie entwickelt sich die Anzahl der Juden?

Seit der Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland im Jahre 1989 und dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 ist der jüdische Bevölkerungsanteil deutlich gewachsen. Heute leben rund 90000 Juden in der Bundesrepublik, 85000 davon sind Mitglied in einer der 83 Gemeinden.

Als die DDR aufgelöst wurde, zählte die jüdische Gemeinde in den neuen Bundesländern insgesamt nur 350 Mitglieder, heute sind es allein hier fast 70000. Die meisten jüdischen Kontingentflüchtlinge, die seit Beginn der 1990er Jahre aus Russland und anderen Nachfolgestaaten der UdSSR nach Deutschland kommen, lassen sich auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nieder. Sie werden von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, einer Unterorganisation des Zentralrates, bei ihrer Integration unterstützt.

In fast allen größeren Städten gibt es heute Synagogen, Gemeindehäuser und jüdische Schulen. Buchläden, Restaurants und Lebensmittelläden werden eröffnet. Auch kulturelle Einrichtungen etablieren sich, besonders in Berlin, das schon vor dem Nationalsozialismus der kulturelle und religiöse Mittelpunkt des Judentums in Deutschland war. Seit 1999 hat der Zentralrat seinen Sitz in der bundesdeutschen Hauptstadt.

Wie vielfältig gestaltet sich das jüdische Leben?

Inzwischen herrscht in Deutschland große Vielfalt. Über Jahrzehnte war das jüdische Leben in Deutschland von der traditionalistischen Ausrichtung des Zentralrates geprägt, doch seit der Zuwanderung osteuropäischer Juden nimmt die Pluralisierung zu. Der Alleinvertretungsanspruch des Zentralrates wird zunehmend in Frage gestellt. In größeren Städten finden sich heute liberalere jüdische Gemeinden; manche von ihnen gehören nicht dem Zentralrat an. Forderungen werden laut, Frauen für das Rabbinat einzusetzen, was in den USA seit den 1970er Jahren üblich ist. Hierzulande haben bisher nur wenige Frauen dieses Amt erlangt: Bea Wyler war die Erste; sie wurde 1995 Rabbinerin.

Es existieren zahlreiche Interessensgruppen, die sich für eine säkulare jüdische Kultur und eine kritischere Haltung gegenüber dem Staat Israel, für die Rechte von jüdischen Frauen oder Homosexuellen sowie für andere religiös und gesellschaftlich unbequeme Themen einsetzen. Jüdisches Leben in Deutschland reicht heute von religiösem bis zu säkularem, von traditionellem bis zu modernem, von offenem bis zu offensivem Jüdischsein.

Wie ist das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden?

Das Interesse an Juden, ihrer Geschichte und Kultur ist bei deutschen Nichtjuden stetig gewachsen. Jüdische Museen, wie das 2001 in Berlin eröffnete, Ausstellungen, Klezmer-Konzerte und andere Veranstaltungen ziehen ein großes Publikum an. Doch das Verhältnis zwischen Nichtjuden und Juden ist keineswegs entspannt. Dies zeigt sich nicht nur im persönlichen Miteinander, das selten frei von Befangenheit ist, sondern auch an den oft vehement geführten Diskussionen, die in den vergangenen Jahren in den Medien über den Umgang mit dem Holocaust geführt wurden.

Worum ging es in der Walser-Debatte?

Zwischen dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrates, Ignatz Bubis, und dem Schriftsteller Martin Walser war ein heftiger Streit entbrannt. Walser hatte 1998 in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main die öffentliche Gedenkkultur zum Holocaust in Deutschland infrage gestellt. Es sei unerträglich, dass immer wieder »mit der moralischen Keule Auschwitz« gedroht werde. Bubis warf Walser »geistige Brandstiftung« vor. Bei einem Gespräch zwischen den beiden Kontrahenten wurde der Streit beigelegt. Man einigte sich darauf, dass es noch keine geeignete Sprache für den Umgang mit der deutschen Vergangenheit gebe.

Gibt es in Deutschland immer noch Antisemitismus?

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands nehmen Nationalismus und Rassismus deutlich zu: In den 1990er Jahren zogen rechtsradikale Parteien in mehrere Länderparlamente ein. Fast tagtäglich wurde Gewalt gegen Asylbewerber und Ausländer gemeldet.

1994 wurde in Lübeck erstmals seit dem nationalsozialistischen Novemberpogrom von 1938 wieder eine Synagoge in Brand gesetzt. Immer noch werden Anschläge auf jüdische Gotteshäuser verübt und Friedhöfe und Gedenkstätten geschändet. Jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Schulen oder auch manche Restaurants stehen daher unter ständigem Polizeischutz.

Wussten Sie, dass …

nach dem Tod des Zentralratsvorsitzenden Paul Spiegel 2006 mit Charlotte Knobloch, die zuvor schon Vizepräsidentin des jüdischen Weltkongresses geworden war, erstmals eine Frau in dieses Amt gewählt wurde?

in München ein neues, großes Gemeindezentrum mit Synagoge und Museum entsteht?

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