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Den Geheimnissen der Mumien auf der Spur

Sie sind oft gruselig gut erhalten und haben die Jahrtausende überdauert: Mumien zeugen auf einzigartige Weise vom Aussehen und der Lebensweise früherer Kulturen – wie beispielsweise die Mumie des ägyptischen Pharaos Tutanchamun. Durch spezielle Präparierung der Toten stellten die Mumienmacher sicher, dass die Leichname nicht verwesten, sondern nur leicht austrockneten. Doch wie schafften sie dies? Warum wurden die Toten mumifiziert? Und wer hat diese Technik erfunden?
NPO, 06.02.2023
Symbolbild altägyptische Mumie

© AmandaLewis, GettyImages

Die meisten Menschen denken bei "Mumien" an die prachtvoll geschmückten Überreste altägyptischer Pharaonen und Würdenträger. Denn von dieser Zivilisation sind die meisten mumifizierten Toten bekannt. Über tausende von Jahren hinweg praktizierten die Ägypter Methoden, durch die die Leichname der Verstorbenen nicht verwesten. Denn im Glauben der alten Ägypter ermöglichte erst die möglichst perfekte Konservierung des Körpers ein gutes Weiterleben im Jenseits. „Die Fähigkeit der alten Ägypter, den menschlichen Körper durch diese Einbalsamierung zu konservieren, hat schon die Menschen der Antike fasziniert“, erklärt der Archäologe Maxime Rageot von der Universität Tübingen.

Die Chinchorro waren die ersten

Doch wie macht man einen Toten so haltbar, dass der Körper selbst Jahrtausende überdauern kann? Die Methoden dafür entdeckten nicht die alten Ägypter zuerst, sondern ein einfaches Jäger-und-Sammler-Volk am anderen Ende der Welt: Die Chinchorro lebten vor rund 7.000 Jahren im Küstenbereich des heutigen Nordchile und Peru. Aus archäologischen Funden weiß man, dass diese Menschen hauptsächlich vom Fischfang und von Meeresfrüchten lebten und in einfachen Hütten lebten.

Umso erstaunlicher ist es, dass dieses einfache Volk lange vor der Hochkultur der Ägypter komplexe Methoden der Mumifizierung entwickelte. Die Chinchorro mumifizierten nicht nur ihre Eliten, sondern alle Toten – egal welchen Ranges oder Geschlechts. Dafür öffneten sie zunächst die Bauch- und Brusthöhlen der Verstorbenen und entnahmen die leicht verderblichen Eingeweide. Mit Feuer und heißer Asche wurde das Körperinnere dann getrocknet und gereinigt. Das Trocknen entzog Fäulnis-Bakterien den Nährboden und die Reinigung sorgte dafür, dass die Zahl der Mikroben in den Geweben verringert wurde.

Dann füllten die Chinchorro die Körper der Toten mit einer Mischung aus Lehm, Wolle, Stroh und Asche. Um ein Eindringen von Feuchtigkeit und Bakterien zu hemmen, bestrichen sie die Haut der Toten dann außen mit einer Lehmschicht, die zusätzlich bemalt wurde. Einige Mumien waren zusätzlich mit Bandagen aus Alpaka- oder Lamafell umwickelt. Diese Bearbeitung in Kombination mit dem trockenen Klima on dieser Region Südamerikas trug dazu bei, die Chinchorro-Mumien über mehr als 7.000 Jahre hinweg zu konservieren.

Kopf einer etwa 5.000 Jahre alten Chinchorro-Mumie
Kopf einer in Nordchile gefundenen Chinchorro-Mumie, die vor etwa 5.000 Jahren bestattet wurde.

Die Mumifizierung der Ägypter

Erst rund tausend Jahre später begannen jenseits des Atlantiks auch die Ägypter damit, ihre Toten zu mumifizieren. Bei ihnen kamen aber nur Könige, Priester. Hofbeamte und andere hohe Würdenträger in den Genuss dieser postumen Konservierung. Dafür unterzogen Einbalsamierer und Priester die Leichname hochrangiger Toter einer aufwendigen, bis zu 70 Tage dauernden Prozedur. Ähnlich wie bei den Chinchorro sollte sie verhindern, dass Fäulnis und bakterielle Zersetzung die Körper der Verstorbene zerstörten.

Bei dieser Mumifizierung entfernte man den Toten unter Gebeten und der Beräucherung mit duftenden Dämpfen zunächst die inneren Organe, diese wurden getrennt in Gefäßen aufbewahrt. Dann entzogen die Mumienmacher dem Leichnam mithilfe von Natronsalzen und anderen wasserbindenden Substanzen das Wasser und wuschen das Körperinnere und die Haut mit Essenzen und Ölen, die das Wachstum von zersetzenden Bakterien und Pilzen hemmen. Schließlich wurde der Körper mit in weiteren Essenzen getränkten Leinenbinden umwickelt, die die sterblichen Überreste vor äußeren Einflüssen schützen sollten.

Gefäße aus der Einbalsamierungswerkstatt von Sakkara.
Gefäße aus der Einbalsamierungswerkstatt von Sakkara.

© Saqqara Saite Tombs Project / Universität Tübingen, M. Abdelghaffar

Zedernöl, Wachholderpech und Bienenwachs

Welche genauen Zutaten die ägyptischen Mumienmacher bei ihren Ritualen und Waschungen verwendeten, konnten der Archäologe Maxime Rageot und sein Team kürzlich durch einen Glücksfall enträtseln. Denn in der ägyptischen Totenstadt Sakkara wurde eine unterirdische Einbalsamierungs-Werkstatt entdeckt, in der unzählige Gefäße mit verschiedensten Mumifizierungs-Essenzen erhalten waren.  Und nicht nur das: „Diese Gefäße waren mit Texten beschriftet, die Einbalsamierungs-Instruktionen umfassten – beispielsweise ‚Am Kopf anzuwenden‘ oder ‚Hiermit bandagieren oder einreiben'“, berichten Rageot und seine Kollegen. Auch die Namen der Substanzen waren häufig angegeben.

Analysen der in den Gefäßen zurückgebliebene Inhaltsreste haben nun erstmals genauer enthüllt, welche Essenzen die Mumienmacher nutzten. So verwendeten sie Pflanzenpech, Harze und Bienenwachs dazu, die Poren und Körperöffnungen abzudichten und Feuchtigkeit fernzuhalten. Beimischungen ätherischer Öle und tierischer Fette verliehen diesen Essenzen eine gute Konsistenz und einen angenehmen Geruch. Viele Öle, darunter auch Rizinusöl, haben zudem eine antibakterielle Wirkung – dies hemmte Fäulnis und Zersetzung.

Kopf der Mumie des Pharao Ramses III.
Der Mord an Pharao Ramses III. im 12. Jahrhundert vor Christus ist eines der bekanntesten Verbrechen aaus der Zeit des alten Ägyptens.

© G. Elliot Smith / Public domain

Was uns die Mumien verraten

Wie effektiv die Methoden der ägyptischen Einbalsamierer waren, belegen die tiefen Einblicke, die ihre Mumien noch heute geben. Die Gewebe der Toten sind so gut erhalten, dass Wissenschaftler an ihnen beispielsweise Krankheiten wie Arteriosklerose, Herzinfarkt oder auch Spuren von Mangelernährung nachweisen können.  So litt die Pharaonentochter Ahmose-Meryet-Amun, die vor rund 3.500 Jahren  in Theben lebte, unter einer schweren Verkalkung ihrer Herzkranzgefäße. Möglicherweise war dies sogar die Todesursache der jung gestorbenen Königstochter.

Und sogar Mordfälle lassen sich an den Toten noch aufklären. So enthüllte die Durchleuchtung der Mumie von Ramses III., dass der vor rund 3.200 Jahren gestorbene Pharao durch einen Messerangriff starb, bei dem ihm die Kehle durchtrennt wurde. Zur gleichen Zeit griff ein zweiter Attentäter den Pharao von vorn mit einer Axt oder einem Schwert an und hackte ihm den Zeh ab. Aus altägyptischen Gerichtsakten geht hervor, dass wahrscheinlich Ramses' Sohn Pentawer einer der Attentäter war. Sein Komplize ist jedoch unbekannt.

Ähnlich schlecht erging es dem Pharao Seqenenre-Taa, der vor gut 3.550 Jahren unter ungeklärten Umständen starb. Als Archäologen die Mumie dieses Königs durchleuchteten, entdeckten sie schwere Kopfwunden, die gleich von mehreren Waffen stammten: einem Schwert oder einer Streitaxt, einem Speer, einem Dolch und einem stumpfen Objekt. Außerdem zeigte sich, dass der Pharao bei seinem Tod gefesselt war und wahrscheinlich kniete. Wissenschaftler schließen daraus, dass Seqenenre-Taa bei einem Feldzug von Feinden gefangen und exekutiert wurde.

Diese und andere ägyptische Mumien liefern uns damit ganz neue Einblicke in die Kranken- und Kriminalgeschichte dieser Hochkultur. Und auch die Mumien anderer Kulturen geben dank moderner Methoden der Durchleuchtung und chemischen Analysen immer mehr Geheimnisse preis.

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