wissen.de Artikel
Marco Polo: Ein Europäer am Hof des Kublai Khan
Venedig im Jahr 1254: Die blühende Lagunenstadt liefert sich mit anderen mittelalterlichen Stadtstaaten wie Genua oder Pisa einen heftigen Kampf um die Vorherrschaft im Handel mit Gewürzen, Edelsteinen und anderen exotischen Schätzen aus dem Orient. Gerade Venedig gilt damals jedoch wegen seines Hafens und der guten Beziehungen nach Konstantinopel und in andere Länder des Mittleren Ostens als wichtiges Tor nach Asien.
Der erste Kontakt
Auch der Vater des 1254 geborenen Marco Polo und sein Onkel Maffeo Polo sind Kaufleute, die intensive Handelsbeziehungen mit Asien pflegen. Kurz nach Geburt des Marco Polo brechen die beiden zu einer gewagten Reise auf: Nach einem Besuch in Konstantinopel und Buchara schließen sie sich einer tartarischen Karawane an, die über die Seidenstraße nach Osten zieht – durch die Wüste Gobi und die Mongolei bis nach China. Als erste Europäer durchqueren die beiden Polo-Brüder fast den gesamten asiatischen Kontinent. Sie erreichen schließlich Beijing und treffen dort Kublai Khan, den Herrscher über China und Enkel des legendären Dschingis Khan.
Nach kurzem Aufenthalt kehren Nicolo und Maffeo Polo wieder nach Venedig zurück, doch es hält sie dort nicht lange: Sie wollen die geheimnisvolle und damals in Europa nahezu unbekannte Welt Asiens weiter erkunden. 1271 brechen die beiden Brüder daher erneut auf – und diesmal reist auch der 17-jährige Marco Polo mit. Der junge Kaufmannssohn ist begierig, China und vor allem den legendären Herrscher Kublai Khan kennenzulernen.
Aufbruch nach Xanadu
Im Jahr 1275 ist es dann endlich soweit: Nach mehr als 12.000 Kilometern und dreieinhalb Jahren Reisezeit erreichen Marco Polo und seine Begleiter Shangtu, den 320 Kilometer nördlich von Beijing gelegenen Sommersitz des Großkhans – später bekannt als das legendäre Xanadu. Die Welt, die sich dem jungen Marco Polo dort eröffnet, ist aufregend und fremd: Der junge Reisende sieht dort Dinge, von denen er noch nie gehört hat. Die Reichtümer, Sehenswürdigkeiten und Errungenschaften von Kublai Khans Reich bringen ihn zum Staunen – so sehr, dass Marco Polo beschließt länger zu bleiben.
Günstig dafür: Marco Polo lebt sich schnell in der neuen Umgebung ein und agiert auch gegenüber dem Großkhan und seinem Hofstaat sehr diplomatisch und geschickt. Schnell steigt er in der Gunst Kublai Khans auf und wird schon bald zu seinem persönlichen Vertrauten und Berichterstatter ernannt. Im Auftrag des Mongolenherrschers bereist Polo nun dessen gesamtes Reich – von Sibirien bis nach Tibet, von der Mongolei bis nach Korea.
Im Reich des Großkhans
Auf seinen Reisen lernt Marco Polo eine Zivilisation kennen, die der des mittelalterlichen Europa zumindest ebenbürtig, in vielen Fällen sogar überlegen ist: Es gibt Großstädte mit hunderttausenden von Einwohnern, prunkvollen Palästen und mehrstöckigen Wohnbauten. Anders als in Europa ist die Buchdruckkunst in China schon seit 200 Jahren bekannt, das chinesische Porzellan berühmt. Auch Schießpulver und die Herstellung von Gusseisen sind in Kublai Khans Reich längst Routine. Beeindruckt ist der Kaufmannssohn aber auch von der Wasserbau-Technologie und dem Schiffbau im Mongolenreich.
17 Jahre bleibt Marco Polo in Diensten Kublai Khans, bevor er und sein Vater und Onkel ihren Abschied nehmen und die beschwerliche Rückreise antreten. Doch erst im Jahr 1295 erreicht er wieder seine Heimatstadt Venedig – nur um kurz darauf in den Krieg Venedigs mit Genua verwickelt zu werden und im Kerker zu landen. Doch Marco Polo nutzt die drei Jahre dauernde Zwangspause, um seine Erlebnisse am Hofe des Khans zu Papier zu bringen – er schreibt mit "Il Milione – Die Wunder der Welt“ einen Reisebericht. In ihm beschreibt er Erlebnisse und Dinge, die noch kein Europäer mit eigenen Augen gesehen hatte.
Nachhaltige Wirkung
Marco Polos Augenzeugenbericht wird zum absoluten Bestseller - obwohl damals noch jedes Exemplar mühsam handschriftlich kopiert werden muss. Nach der Bibel wird sein Reisebericht zu einem der meistgelesenen Bücher des Mittelalters, auch wenn seine Schilderungen für viele Leser unglaublich klingen. Berichte über seltsame schwarze Brocken, die in China aus der Erde geholt werden und unendlich lange brennen – Kohle – oder Papiergeld als Zahlungsmittel kennt man damals in Europa nicht – und hält dies daher für fantastische Ausschmückungen des weitgereisten Abenteurers. Viele Europäer können sich zudem nicht vorstellen, dass im vermeintlich barbarischen Osten eine hochzivilisierte Kultur existiert, die der ihren ebenbürtig oder sogar überlegen ist.
Doch trotz aller Vorbehalte prägt Marco Polo mit seinem Reisebericht die zeitgenössischen Vorstellungen über Asien und beeinflusst viele spätere Seefahrer und Entdecker. Denn seine Schilderungen von Reichtümern wie Seide, Gewürze, Edelsteine und Porzellan wecken Begehrlichkeiten, die wenig später das Zeitalter der großen Entdeckungen beginnen lassen.
Marco Polo jedoch genießt seinen Reichtum – vom Hof Kublai Khans mitgebrachte Edelsteine machen ihn zu einem wohlhabenden Mann. Am 8. Januar 1324 – vor genau 700 Jahren - stirbt der wohl berühmteste Asienreisende des Mittelalters im reifen Alter von 70 Jahren in seiner Heimatstadt Venedig. Sein Ruhm lebt jedoch bis heute fort.