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Ägypten: Auf der Suche nach einer versunkenen Metropole

Im Altertum war die Stadt Herakleion der wichtigste Seehafen des alten Ägypten – sein Tor zur Welt. Sogar legendäre Sagengestalten sollen sie besucht haben. Doch dann verschwand diese einst so bedeutende Stadt scheinbar spurlos. Wo genau Herakleion einst lag und was mit ihr passiert war, blieb mehr als 1.200 Jahre lang ein Rätsel. Inzwischen haben Unterwasserarchäologen aber einige dieser Rätsel gelöst.
NPO, 16.10.2023

Den Überlieferungen zufolge lag die ägyptische Hafenstadt Thonis-Herakleion einst am westlichsten Arm des Nils, dem heute verlandeten Kanopus-Arm. Die von Kanälen durchzogene Stadt war in der Spätzeit der pharaonischen Ära Ägyptens wichtigste Verbindung zum Mittelmeer und einer der größten Häfen im gesamten Mittelmeerraum. Herakleion war jedoch auch von großer religiöser Bedeutung: In ihr lag ein wichtiger Tempel des Amun-Gereb, einer Variante der ägyptischen Haupt-Gottheit.

In der bei Alexandria gelegenen Bucht von Abukir stießen die Archäologen auf die Überreste der antiken Metropole Herakleion.

© Karte: NordNordWest, CC by-sa-3.0.de; Satellitenbild: NASA World Wind (v1.4)

Herakles und die schöne Helena

Sogar in den griechischen Sagen spielt die Hafenstadt an der Nilmündung eine Rolle. So sollen die schöne Helena von Troja und ihr Geliebter Paris nach ihrer Flucht aus Troja in dieser Stadt Zuflucht gesucht haben, gastfreundlich beherbergt von einem ägyptischen Adeligen. Dem Geschichtsschreiber Diodorus zufolge könnte sogar der Göttersohn Herakles hier eine seiner Wundertaten vollbracht haben: Als der Nil über die Ufer trat und die rasenden Wassermassen das umliegende Land überfluteten, war es Herakles, der die Fluten bändigte und den Nil in sein ursprüngliches Bett zurückzwang – so die Legende.

Doch wo lag diese sagenumwobene Stadt? Den Überlieferungen nach müssten ihre Ruinen irgendwo  an der Bucht von Abukir liegen, östlich der Stadt Alexandria. Aber so gründlich Archäologen dort auch nach den Spuren Thonis-Herakleions suchten, so vergeblich war dies. Die einst so bedeutende Stadt schien wie vom Erdboden verschluckt. War sie vielleicht doch nur eine Legende?

Kopf der zwei Meter hohen Stele von Thonis-Herakleion, 380 v. Chr.
Kopf der zwei Meter hohen Stele von Thonis-Herakleion. Sie trägt einen königlichen Erlass von Nektanebos I., dem ersten Pharao des XXX. Dynastie, aus dem hervorgeht, dass Thonis und Herakleion tatsächlich der ägyptische beziehungsweise griechische Name für die gleiche Stadt waren.

Spurensuche unter Wasser

Um diese Frage zu klären, haben sich Unterwasserarchäologen um Frank Goddio vom Europäischen Institut für Unterwasserarchäologie (IEASM) an einem ganz neuen Ort auf die Suche gemacht: unter Wasser. Seit 1992 erkunden und kartieren sie mithilfe modernster Technik den Meeresgrund in der Bucht von Abukir – unter teilweise erschwerten Bedingungen: „Die Bucht von Abukir ist nicht gerade ein Taucherparadies. Die Sichtweite für uns beim Tauchen liegt manchmal nur bei Zentimetern statt bei Dutzenden Metern wie anderswo im Mittelmeer“, schildert Goddio die Schwierigkeiten.

Freilegung einer griechischen Amphore in Thonis-Herakleion
Unter einem Grabhügel fanden sich prächtige griechische Grabbeigaben, darunter auch hochwertige Amphoren aus der klassischen Zeit.

© Christoph Gerigk / FranckGoddio / Hilti Foundation

Vor gut 20 Jahren zahlt sich die mühsame Suche aus: Die Unterwasserarchäologen entdecken eine riesige Ansammlung von im Sediment verborgenen Ruinen und Artefakten. Unter den Funden sind riesige Steinblöcke einer 150 Meter langen Mauer, ein großes rechteckiges Wasserbecken aus rotem Granit und zahlreiche Amulette, Bronzestatuetten und große Statuen von Königen und Göttern. 2001 entdecken Goddio und sein Team dann einen entscheidenden Hinweis: einen rechteckigen Schrein aus Granit, der den Inschriften zufolge einst dem Gott Amun-Gereb geweiht war – wie der Haupttempel der verschollenen Stadt Thonis-Herakleion.

Weitere Funde bestätigen es: Die Unterwasserarchäologen haben endlich Ägyptens alte Hafenstadt gefunden – versunken in den Fluten des Mittelmeeres. Wie riesig Thonis-Herakleion einst war, lässt sich bisher nur erahnen. "Wir haben bisher erst rund fünf Prozent von Herakleion erkundet", sagt Goddio. Er schätzt die Gesamtgröße der versunkenen Hafenstadt auf etwa das Dreifache der Fläche von Pompeji.

Freilegung einer Galeere in der untergegangenen Stadt Thonis-Herakleion
Bei Untergang der Stadt fielen große Blöcke des Amun-Tempels auf eine dort vertäute Galeere und versenkten sie.

© Christoph Gerigk / FranckGoddio / Hilti Foundation

Warum ist Thonis-Herakleion versunken?

Aber warum ist die Stadt im Meer versunken? Thonis-Herakleion existierte immerhin mehr als 1.400 Jahre lang, von rund 600 vor Christus bis 800 nach Christus. Selbst nach Gründung Alexandrias nur wenige Kilometer westlich behielt Herakleion seine Bedeutung als Seehafen zunächst bei. Doch im Jahr 150 v. Chr. kam es zu einer ersten Katastrophe: "Ein Erdbeben löste einen Tsunami aus, der den größten Teil der Stadt zerstörte", berichtet Goddio. Die Erschütterungen weichten den schlammigen Untergrund auf und ließen Gebäude versinken und Mauern kollabieren. Für die Hafenstadt war dies der Beginn des Niedergangs.

Als wäre dies nicht genug, kam es im Jahr 800 unserer Zeit zu einer zweiten großen Katastrophe: "Zu dieser Zeit ereignete sich ein zweites schweres Erdbeben, das die Stadt vollständig zerstörte", berichtet Frank Goddio. Die Erschütterungen, kombiniert mit Flutwellen und einer erneuten Bodenverflüssigung ließen auch den Rest von Thonis-Herakleion und große Teile der benachbarten Küste endgültig in den Fluten des Mittelmeeres versinken. Seither liegen ihre Überreste verborgen unter zehn Metern Wasser und rund zwei Metern Schlamm und Sand in der Bucht von Abukir.

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