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60 Jahre „Rotes Telefon“

Es ist schwer zu glauben, aber die beiden Weltmächte USA und Russland verbindet tatsächlich erst seit 60 Jahren eine direkte „Hotline“, über die sie miteinander in Kontakt stehen. Erst am 30. August 1963 wurde das sogenannte „Rote Telefon“ zwischen den beiden Ländern installiert. Doch wie kam es dazu? Welche Nachrichten schicken die Regierungschefs hin und her? Und warum ist das Rote Telefon weder rot noch ein Telefon?
AMA, 29.08.2023
Symbolbild Hotline zwischen Washington und Moskau

© Ruma Aktar (Hintergrund) und stacey_newman (Telefon), beide GettyImages

Alles beginnt im Oktober 1962, als die Welt gerade ganz knapp an einem atomar geführten Dritten Weltkrieg vorbeigeschrammt ist. Der Grund für den Fast-Krieg ist derselbe, der häufig scheiternden Beziehungen vorgeworfen wird: fehlende Kommunikation.

Kubakrise 1962: US-Flugzeuge nehmen einen Russischen Frachter mit Kurs auf Kuba unter die Lupe.
Kubakrise 1962: US-Flugzeuge nehmen einen Russischen Frachter mit Kurs auf Kuba unter die Lupe.

© USN / Public domain

Kuba-Krise als Wegbereiter

Aber von Anfang an: Im Oktober 1962 – inmitten des Kalten Krieges – entdecken die USA auf einmal sowjetische Raketenstellungen auf Kuba, also quasi im eigenen Hinterhof. Diese hätten Ziele in ganz Nordamerika treffen können. Die USA gehen dagegen vor, indem sie vor Kuba eine Seeblockade errichten und der Sowjetunion so den Weg zur Karibikinsel abschneiden. Doch das akzeptieren die Sowjets nicht und nähern sich der Blockade mit einer eigenen Flotte. An diesem Tag hätte es zu einer verheerenden Schlacht kommen können, doch in letzter Minute drehen die Sowjets ab und der Dritte Weltkrieg ist verhindert.

Denn kurz vor Schluss können sich USA und Sowjetunion doch noch einigen. Der russische Regierungschef Nikita Chruschtschow verkündet offiziell, die Atomwaffen wieder von Kuba abzuziehen. Da die Botschaften damals aber einen halben bis ganzen Tag brauchen, um von Ost nach West zu gelangen, endet die Kuba-Krise brenzliger, als es hätte sein müssen.

Fernschreiber-Modelle der historischen Hotline zwische Washington und Moskau
Eindeutig keine Telefone: Links das amerikanische Fernschreibermodell, ein ITT Intelex Teletype L015. Und rechts ein aus ostdeutscher Produktion stammende Siemens T63-SU12. Hinter dem Siemensgerät erkennt man die zuhörige Verschlüsselungsmaschine aus norwegischer Produktion.

Geburtsstunde des „Roten Telefons“

Damit ist klar: Eine neue Art der Kommunikation muss her, um einen direkten Kontakt zwischen den USA und der Sowjetunion zu ermöglichen und gefährliche Krisen zu bewältigen. Eigentlich bizarr, dass die beiden Supermächte in der Lage waren, Atome zu spalten und Bomben zu bauen, aber keine direkten Nachrichten miteinander austauschen konnten.

Wenige Monate nach der Kuba-Krise, am 30. August 1963, stand die Hotline schließlich und wurde bekannt als „Heißer Draht“ beziehungsweise „Rotes Telefon“. Vor allem letztere Bezeichnung ist äußerst irreführend, da es sich bei dieser Direktverbindung weder um ein Telefon handelte noch die Farbe Rot eine Rolle spielte. Es war eine Fernschreiberverbindung, die wie ein Fax-Gerät geschriebene Nachrichten von Ost nach West und andersherum übermittelte. Von Moskau aus durchquerten die Botschaften zunächst die Stationen Helsinki, Stockholm, Kopenhagen und London und landeten dann per Unterseekabel in New York und Washington.

Blick in den alten Hotlineroom unter dem Ostflügel des Weißen Hauses in Washington.n
Blick in den alten Hotlineroom unter dem Ostflügel des Weißen Hauses in Washington.

© White House / NSA, Public domain

Vier Jahre Funkstille

Doch wie so oft, wenn man für den Ernstfall gerüstet ist, tritt dieser nicht ein. Nach Installation des Roten Telefons stand dieses erst einmal vier Jahre lang still. Erst am 5. Juni 1967 „klingelte“ es zum ersten Mal offiziell, und zwar zu Beginn des Sechstagekriegs zwischen Israel und Ägypten. Auch während der folgenden Nahostkrisen und beim Einmarsch der Sowjets in Afghanistan 1979 erwies sich das Telefon, das keines war, als äußerst hilfreich.

Wenn mal länger keine aktuellen Anlässe anstanden, wurden zumindest in regelmäßigen Abständen Testbotschaften gesendet, um im Ernstfall eine funktionierende Verbindung zu gewährleisten. Die USA sendeten dann unter anderem den kryptischen Satz „The quick brown fox jumps over the lazy dog“ („Der schnelle braune Fuchs springt über den faulen Hund“). So wenig Sinn die Botschaft auch ergeben mag, sie enthält in der englischen Version alle Buchstaben des Alphabets und eignet sich daher prima für Tests.

Auch wenn das „Rote Telefon“ wie ein Relikt aus dem Kalten Krieg wirken mag: Es existiert 60 Jahre nach seiner Installation immer noch, allerdings in Form modernerer Technik. Und vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine kommt die Direktverbindung traurigerweise auch wieder häufiger zum Einsatz.

US-Präsident Barack Obama telefoniert im März 2014 mit Wladimir Putin über die Situation in der Ukraine.
Die Hotline wurde über die Jahre mehrmals modernisiert. Barack Obama telefoniert hier im März 2014 über eine Direktleitung mit Wladimir Putin über die damalige Situation in der Ukraine.

© The White House / Public Domain

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