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Heinrich Schliemann und die Suche nach Troja

Er wollte das Troja der griechischen Sage wiederentdecken – und stieß auf einen Goldschatz aus der Bronzezeit: Heinrich Schliemann wurde vor 200 Jahren - am 6. Januar 1822 - geboren und zunächst sprach nichts dafür, dass aus ihm mal ein berühmter Archäologe werden würde. Doch dann macht er in der Türkei Funde, durch die er Weltruhm erlangte. Bis heute gilt Schliemann als Pionier der Archäologie – ist aber wegen seiner Methoden auch umstritten.
NPO, 06.01.2022
Heinrich Schliemann (1822-1890), Selfmade-Millionär, Hobbyarchäologe und Pionier der Feldarchäologie.

Hintergrund: Gettyimages, sadikgulec

Als Heinrich Schliemann vor 200 Jahren geboren wurde, schienen ihm Ruhm und Ehre nicht gerade in die Wiege gelegt – eher im Gegenteil. Denn er wuchs als eines von neun Kindern in einer verarmten Pfarrersfamilie in Mecklenburg auf. Der Besuch des Gymnasiums oder gar ein Studium waren unter diesen Umständen utopisch – Schliemann erarbeitete sich aber nach einigen Umwegen eine Position als Kaufmann und kam dank seines Ehrgeizes und seiner Sprachbegabung zu Geld und Ansehen.

Homers Geschichten – Fiktion oder Wahrheit?

Doch dem jungen Mann reichte dies nicht: Sein Wissensdurst treibt ihn dazu, sich in antike Schriften zu vertiefen – dafür hat er sich Altgriechisch und Latein selbst beigebracht. Besonders angetan haben es dem Autodidakten dabei die Sagen des Homer – des Dichters, dem wir die Geschichten rund um den Kampf um Troja und die Irrfahrten des Odysseus verdanken. 1864 ging Schliemann dann aufs Ganze und löste sein Handelsunternehmen auf: Er wollte nach Spuren des antiken Griechenlands suchen und vor allem nach der sagenumwobenen Stadt Troja.

Das Problem nur: Ob Homers Geschichten einen wahren Kern beinhalten oder reine Fantasieerzählungen sind, war schon zu Schliemanns Zeiten stark umstritten. Viele Wissenschaftler hielten es für pure Zeitverschwendung, nach Troja oder anderen ihr Ansicht nach fiktiven Orten zu suchen. Doch Schliemann glaubte an die Schriften seines geliebten Dichters. Er war überzeugt, durch die geografischen Angaben in den Epen die Stadt Troja lokalisieren zu können.

 

Schliemann ging fest davon aus, dass die Schilderungen in Homers "Ilias" einen historischen Hintergrund haben.

Homerbüste: GettyImages, bastha

Grabungen in Hisarlik Tepe

Nach einigen fehlgeschlagenen Suchen konzentrierte Schliemann seine Ausgrabungen auf den Hügel Hisarlik Tepe – einen Ort, der nur rund sieben Kilometer vom Meer und den Dardanellen entfernt liegt. "Ich glaube bestimmt, dort die Burg von Troja zu finden“, schrieb er an seine Schwester. Nach einigen Vorgrabungen erhielt der archäologische Autodidakt im Jahr 1871 schließlich eine Grabungsgenehmigung von den türkischen Behörden und ließ einen tiefen Graben in den Hügel treiben.

Noch heute zieht sich der sogenannte Schliemann-Graben wie eine Schlucht durch die archäologische Fundstätte. Im Rahmen dieser Arbeiten trugen Schliemanns Arbeiter unzählige Relikte früher Besiedlung ab und vernichteten damit wertvolle historische Zeugnisse. Diese Zerstörung archäologischer Überreste sorgte schon damals für heftige Kritik und wird dem Forscher bis heute angekreidet.

Der "Schatz des Priamos"

Doch Schliemann ließ sich nicht beirren und machte weiter. Im Mai 1873 gelang ihm dann ein wahrer Sensationsfund: Er entdeckte nahe den Ruinen eines größeren Gebäudes einen Schatz - Goldschmuck, Silberbecher, Bronzedolche. Der Forscher ist überzeugt, damit nicht nur Troja gefunden zu haben, sondern auch den Schatz des in Homers Ilias vorkommenden trojanischen Königs Priamos.

„Vermutlich hat jemand aus der Familie des Priamos den Schatz in aller Eile in die Kiste gepackt, diese fortgetragen, ist aber auf der Mauer von Feindeshand oder vom Feuer erreicht worden und hat die Kiste im Stich lassen müssen, die sogleich mit der roten Asche und den Steinen des Hauses überschüttet wurde“, notierte Schliemann zu seinem Fund. Dank geschickter Vermarktung seiner Funde – unter anderem indem er eine goldene Halskette von seiner schönen Frau vorführen ließ – schaffte es der Archäologe auf die Titelblätter der damaligen Weltpresse.

Wenig später gelang ihm ein weiterer Coup: Bei Ausgrabungen in der für zyklopische Ringmauer bekannten Akropolis von Mykene stieß er auf einige ungerührte Schachtgräber, in denen er zwei Tote mit goldenen Totenmasken fand. Die Maske des größeren Toten präsentierte Schliemann der Öffentlichkeit daraufhin ganz im Sinne Homers als „Goldmaske des Agamemnon“.

 

Gräberrund A in der Akropolis von Mykene. Hier fand Heinrich Schliemann bei Ausgrabungen unter anderem die sogenannte "Maske des Agamemnon".

GettyImages, ankarb

Jahrhunderte älter als Troja

Doch die Sache hatte einen Haken: 1890 ergaben Nachdatierungen seiner Funde, dass Schliemanns Schätze nicht aus der Antike stammen – und damit nicht aus der von Homer beschriebenen Zeit. Stattdessen stammte der „Schatz des Priamos“ aus der frühen Bronzezeit und war damit mehr als tausend Jahre älter. Auch die Goldmaske des Agamemnon kann heutigen Erkenntnissen nach nicht dem Herrscher und Heerführer aus der Sage zugeordnet werden. Denn sie ist ebenfalls viele Jahrhunderte älter.

Damit scheint klar: Die Ruinen, die Schliemann für die Überreste des antiken Troja hielt, können nicht aus der Zeit Homers stammen.  Ob Troja überhaupt in Hisarlik lag oder ganz woanders, ist bis heute umstritten. Aber unabhängig davon gehören der "Schatz des Priamos" und die Goldmaske aus Mykene zu den bedeutendsten Funden aus der Frühgeschichte des Mittelmeerraums. Auch weitere Entdeckungen darunter ein mykenischer Palast gehen auf Schliemanns Konto.

Der Hobbyarchäologe gilt daher bis heute als „Vater der mykenischen Kultur“ und wichtiger Entdecker vorklassischer Kulturen in Griechenland und Kleinasien. Auch wenn sich Schliemanns Traum von Troja nie erfüllt hat, hat er damit bis heute bedeutsame Beiträge zur Archäologie geleistet.

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