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Judenverfolgung: Von der Ausgrenzung zum Massenmord
Ermordete Juden | |
Polen | 3000000 |
Sowjetunion | 1100000 |
Ungarn | 569000 |
Rumänien | 287000 |
Baltische Staaten | 210000 |
Deutschland und Österreich | 191000 |
Tschechoslowakei | 149000 |
Niederlande | 100000 |
Frankreich | 77000 |
Insgesamt | 5683000–5900000 |
Ermordete in KZ (ohne Vernichtungslager) | |
1933–1939 | 139000 |
1940–1942 | 365000 |
1943–1945 | 676000 |
Insgesamt | 1180000 |
Ermordete in Vernichtungslagern | |
Auschwitz | 1100000–1600000 |
Belzec | 600000 |
Chelmno | 300000 |
Majdanek | 250000 |
Sobibor | 250000 |
Treblinka | 870000 |
Insgesamt | 3370000–3870000 |
Ermordete bei Menschenversuchen | 7000 |
Euthanasieopfer | 100000–150000 |
Was war die mörderische Konsequenz der NS-Rassenideologie?
Der Unrechtscharakter des nationalsozialistischen Regimes fand seinen brutalsten Ausdruck in der beispiellosen »Endlösung der Judenfrage«, der über die Hälfte der in Europa lebenden Juden zum Opfer fiel. Judenverfolgungen hat es im Laufe der Geschichte immer wieder gegeben, niemals jedoch in einer solch verbrecherischen Dynamik, umfassenden administrativen und technischen Durchführung und mörderischen Konsequenz. Opfer der Rassenpolitik und Ziel physischer Ausrottung wurden auch Ethnien, die ebenfalls als »minderwertig« betrachtet wurden, wie Sinti und Roma, Polen und Russen sowie für unheilbar erklärte »Erbkranke«, die einem Sterilisations- oder dem so genannten Euthanasieprogramm zum Opfer fielen.
Schon das NSDAP-Programm von 1920 hatte die Ausschließung der Juden von der deutschen Staatsbürgerschaft und ihre Entfernung aus den öffentlichen Ämtern gefordert, weil sie nicht »deutschen Blutes« seien. Und in seiner Programmschrift »Mein Kampf« von 1925 hatte Adolf Hitler angekündigt, bei Übernahme der Macht das Judentum aus dem deutschen Volksleben »auszumerzen«.
Wie ging die Entrechtung der Juden vor sich?
Maßnahmen zur Verdrängung jüdischer Bürger aus dem öffentlichen Leben setzten bald nach der »Machtergreifung« ein, die nach Hitlers Worten »die größte germanische Rassenrevolution der Weltgeschichte« einleiten sollte. Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten vor allem vonseiten der SA mündeten am 1. April 1933 in einen offiziellen »Judenboykott«. Er betraf vor allem jüdische Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien. Als wichtigste »legale« Grundlage für die Diskriminierung von Juden diente bis 1935 das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«. Dessen »Arierparagraph« schrieb die Entlassung von Beamten »nichtarischer Abstammung« vor – auf Betreiben von Reichspräsident Hindenburg waren Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges zunächst ausgenommen.
Weitere Gesetze und berufsständische Vorschriften, die den Arierparagraphen aufnahmen, beschränkten zunehmend zum Beispiel jüdischen Juristen, Ärzten und Apothekern die Zulassung oder die weitere Ausübung des Berufs. Die Reichskulturkammer, eine Zwangsorganisation aller Kulturschaffenden, sorgte dafür, dass das Kulturleben »judenrein« wurde. Als Folge des vorwiegend rassistisch-agitatorischen und bürokratischen Terrors setzte eine starke Emigrationswelle ein.
Welche Folgen hatten die »Nürnberger Gesetze«?
Die am 15. September 1935 erlassenen »Nürnberger Gesetze« machten alle Juden zu Menschen minderen Rechtes. Im »Reichsbürgergesetz« hieß es: »Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, dass er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen.« Juden wurden ihrer politischen Rechte beraubt (wie Wahlrecht, Bekleidung öffentlicher Ämter).
Das »Blutschutzgesetz« griff ins Privatleben ein und verbot unter Androhung harter Strafen »Rassenschande«, das heißt Eheschließungen und außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Angehörigen »deutschen und artverwandten Blutes«. Die Juden waren nun völlig der Willkür der NS-Rassenpolitik ausgeliefert, deren – formal legale – Umsetzung dem Innenminister unterstand. Als Jude galt, wer drei jüdische Großeltern hatte oder als »Mischling ersten Grades« (»Halbjude«) zugleich der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörte oder mit einem »Volljuden« verheiratet war. Bis 1943 legten insgesamt 13 Ausführungsgesetze die Maßnahmen zur Isolierung und Verfolgung der Juden fest.
Was geschah während der Reichspogromnacht?
Das Attentat eines 17-jährigen Juden auf einen deutschen Botschaftsangehörigen in Paris bot den willkommenen Anlass für eine im ganzen Reich organisierte drastische Eskalation der Judenverfolgung. In der von den Nationalsozialisten zynisch als »Reichskristallnacht« bezeichneten Gewaltorgie (9./10.11.1938) zerstörten Trupps von SA, SS und Hitler-Jugend 8000 Geschäfte, brannten etwa 170 Synagogen nieder, ermordeten bis zu 100 jüdische Bürger und verschleppten Tausende in Konzentrationslager. Als »Strafgeld« für das Attentat zogen die Behörden von Juden insgesamt 1,5 Mrd. Reichsmark ein. Den Juden wurden nun weitere Rechte genommen: Dazu gehörten das Verbot, Kulturveranstaltungen zu besuchen, räumliche und zeitliche Aufenthaltsbeschränkungen (»Judenbann«) und der Verweis aller jüdischen Kinder von den Schulen. Auch jüdische Zeitungen und Organisationen wurden verboten.
Wie wurden die Juden ihrer Existenz beraubt?
Es folgte die systematische Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben. Mit Rücksicht auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau hatte das Regime in den ersten Jahren hierauf verzichtet. Die Berufsverbote wurden ausgeweitet, durch »Arisierung« wurden die jüdischen Bürger faktisch ihrer Vermögenswerte enteignet – die Eigentümer mussten ihren Besitz zu einem vom Staat festgesetzten Preis, der nur einen Bruchteil des Verkehrswertes ausmachte, verkaufen und konnten auch nicht über den Verkaufserlös frei verfügen.
Konnten sich Juden vor der Ermordung retten?
Von den rund 500000 Juden, die 1933 in Deutschland lebten, verließen bis Ende 1938 rund 180000 das Land. Zuvor hatten sie eine hohe »Reichsfluchtsteuer« zu entrichten, die von mittellosen Juden oft nicht aufgebracht werden konnte und die sie daran hinderte zu emigrieren – in anderen Fällen fehlte ein Einwanderungsland, das bereit gewesen wäre, sie aufzunehmen. Im Jahr 1939 wanderten rund 80000 Juden aus.
Wann begann der Massenmord?
Die Besetzung Polens im September 1939 bot den Nationalsozialisten die Möglichkeit, die »Lösung der Judenfrage« in Deutschland zu beschleunigen. Im Herbst 1941 begann die systematische Deportation der noch rund 170000 in Deutschland verbliebenen Juden nach Polen, wo spezielle Gettos und Konzentrationslager eingerichtet wurden.
Mit Beginn des Krieges radikalisierte sich die Judenpolitik weiter im Deutschen Reich. Zugleich überzogen SS- und Polizeieinheiten systematisch alle eroberten Gebiete mit Judenverfolgung. Ein großer Teil der drei Millionen in Polen lebenden Juden wurde zunächst in Gettos gepfercht, wo unmenschliche Lebensbedingungen herrschten. Ende des Jahres 1941 erfolgten die ersten massenhaften Ermordungen von Juden aus den Gettos von Minsk und Riga – entweder durch den Einsatz von speziell umgebauten Lastkraftwagen, in deren Laderaum Auspuffgase eingeleitet wurden, oder durch Erschießungsaktionen.
Was beschloss die Wannsee-Konferenz?
Die so genannte Wannsee-Konferenz in Berlin am 20. Januar 1942 gilt als Schlüsselereignis für die Umsetzung der Vernichtungspolitik. Unter Leitung von Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, wurden die Maßnahmen zur »Endlösung der Judenfrage« festgelegt. Alle Juden ganz Europas – Heydrich ging von rund 11 Mio. Menschen aus – sollten erfasst und in Vernichtungslager im Osten deportiert werden. In den Lagern sollten die Juden in »Arbeitseinsätzen« auf »natürliche Weise« dezimiert werden, die verbleibenden sollten eine »entsprechende Behandlung« erfahren.
In den Vernichtungslagern, in denen die Menschen hauptsächlich durch Kohlenmonoxid, das Blausäurepräparat Zyklon B oder Massenerschießungen getötet wurden, fielen auch unzählige nichtjüdische Menschen dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer, unter ihnen bis zu einer halben Million Sinti und Roma und in Kriegsgefangenschaft geratene Polen und Russen. Eingespannt in das europaweite Netz des Völkermords an den Juden während des Zweiten Weltkrieges waren Hunderttausende von Mitgliedern der SS und Polizei, Beamte, aber auch Teile der Industrie und des Militärs.
Was steckte hinter dem Euthanasieprogramm?
Die von den Nationalsozialisten als Sterbehilfe (griechisch Euthanasie = »schöner Tod«) ausgegebenen Tötungen zielten auf die rassenideologisch motivierte Vernichtung von so genanntem lebensunwerten Leben unheilbar Kranker oder geistig Behinderter. Zur Verhinderung »erbkranken Nachwuchses« wurden ab 1934 etwa 360000 Menschen zwangssterilisiert. Seit Anfang 1939 fielen als »lebensunwert« selektierte Kinder, wenige Monate später auch Erwachsene unter das Euthanasieprogramm.
Seit 1942 wurden KZ-Häftlinge vielfach Opfer medizinischer Experimente, die vor allem dazu dienen sollten, Erkenntnisse für die Kriegführung zu gewinnen (zum Beispiel durch Versuche zur Überlebensfähigkeit unter extremen Bedingungen), Behandlungsmethoden, Medikamente bzw. Giftstoffe zu testen oder »rassenbiologische« Forschung zu betreiben. Diese grausamen und überwiegend auch wissenschaftlich unsinnigen Versuche führten in den meisten Fällen zum Tod der Opfer. Oft wurden sie anschließend umgebracht. Ungezählte Häftlinge – etwa 7000 Fälle sind dokumentarisch belegt – kamen durch Menschenversuche ums Leben. Als einer der eifrigsten und grausamsten Mediziner, die solche Experimente durchführten, gilt Josef Mengele, der als Selektionsarzt in Auschwitz beschäftigt war.
Was verfügten die »Nürnberger Gesetze« vom 15.9.1935?
»Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre«
§ 1 (1) Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sind verboten. Trotzdem geschlossene Ehen sind nichtig, (…).
(2) Die Nichtigkeitsklage kann nur der Staatsanwalt erheben.
§ 2 Außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes ist verboten.
§ 3 Juden dürfen weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren in ihrem Haushalt nicht beschäftigen.
§ 4 (1) Juden ist das Hissen der Reichs- und Nationalflagge und das Zeigen der Reichsfarben verboten.
(2) Dagegen ist ihnen das Zeigen der jüdischen Farben gestattet. Die Ausübung dieser Befugnis steht unter staatlichem Schutz.
§ 5 (1) Wer dem Verbot des § 1 zuwiderhandelt, wird mit Zuchthaus bestraft.
(2) Der Mann, der dem Verbot des § 2 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis oder mit Zuchthaus bestraft.
(3) Wer den Bestimmungen der §§ 3 oder 4 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.
§ 5 Der Reichsminister des Innern erlässt im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers (…) die zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften.
Welchem Zweck dienten die Konzentrationslager?
Konzentrationslager dienten zur Einsperrung, Ausbeutung und Ermordung von Menschen aus politischen, rassischen, religiösen und anderen Gründen. Erste KZ wurden schon im März 1933 eingerichtet. Außer politischen wurden bald weitere Häftlinge eingewiesen: neben Juden und »Zigeunern« auch »Berufs- und Gewohnheitsverbrecher«, »Asoziale«, Homosexuelle, Zeugen Jehovas.
Vor Kriegsbeginn 1939 zählten die KZ 21400 Häftlinge. Danach wuchsen die Häftlingszahlen explosionsartig an, vor allem in den besetzten Gebieten. Ab Mitte 1942 dienten eigens zu diesem Zweck im Generalgouvernement Polen errichtete Vernichtungslager der systematischen Ermordung von Juden im Sinne der »Endlösung der Judenfrage« (Auschwitz, Belzec, Chelmno, Majdanek, Sobibor, Treblinka). In den anderen KZ beutete die SS die Häftlinge als Zwangsarbeiter aus. Unmenschliche Arbeits- und Lebensbedingungen in den KZ führten zu einer extrem hohen Todesrate unter den Häftlingen.
Wie viele Opfer forderte die NS-Herrschaft?
Zu den Opfern liegen nur unvollständige, ungenaue oder widersprüchliche Angaben vor. Die Zahlenangaben stellen daher häufig Schätzungen dar und können nur eine Vorstellung von der Größenordnung vermitteln:
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Der Beitrag Multitalent Kohlenstoff erschien zuerst auf wissenschaft.de.