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Astrid Lindgren: Aus der Perspektive der Kinder

Sie ist die Mutter von Lotta, Michel und Co: Astrid Lindgren hat Figuren erschaffen, die bis heute Kinder auf der ganzen Welt begeistern. Vor allem mit ihrem Erfolg "Pippi Langstrumpf" führte die Schriftstellerin einen neuen Ton in der Kinder- und Jugendliteratur ein. Ihre Geschichten sind frech, machen Mut und sehen die Welt immer aus der Perspektive der Kinder. Heute wäre die Ausnahmeautorin 110 Jahre alt geworden.
DAL, 14.11.2017

Erste Erfahrungen mit dem kommerziellen Schreiben sammelt Astrid Lindgren Anfang der 1920er-Jahre als Angestellte des Lokalblattes ihres Heimatortes.

Gemeinfrei

"Pippi Langstrumpf" hieß das rothaarige Mädchen, das Astrid Lindgren zu Weltruhm verhalf. Mit ihren abstehenden Zöpfen, den vielen Sommersprossen im Gesicht und einem unkonventionellen Kleidungsstil fiel Pippi nicht nur äußerlich aus dem Rahmen. Auch in ihrer Art war sie anders, als man es 1944 - in dem Jahr, in dem Pippi auf dem Papier entstand - von einem normalen Mädchen erwartet hätte. Denn sie war ganz und gar unangepasst, sagte immer, was sie dachte und wollte sich von niemandem etwas vorschreiben lassen - nicht einmal von einem Erwachsenen. Außerdem war Pippi so stark, dass sie Pferde stemmen konnte.

Mit ihrer rebellischen und gegen sämtliche Normen verstoßenden Protagonisten etablierte die Autorin einen völlig neuen Ton in der Kinder- und Jugendliteratur. Vehement plädierte sie darin für die freie Entfaltung von Kindern. Ihren Erfolg, so glaubte Lindgren selbst, hatte sie dabei ihrer eigenen Kindheit zu verdanken. Viele glückliche wie traurige Erfahrungen und ihre eigene Aufmüpfigkeit aus dieser Zeit flossen später in ihre Bücher ein.

Wie aus einem Lindgren-Buch gefallen: Astrid Lindgrens Elternhaus, der Pfarrhof Näs bei Vimmerby.

Kindheit wie in Bullerbü

Tatsächlich lesen sich Astrid Lindgrens frühe Jahre wie ein Auszug aus ihren Bullerbü-Geschichten: Am 14. November 1907 wird sie als zweites von vier Kindern auf einem Bauernhof am Rande der kleinen schwedischen Stadt Vimmerby geboren. Dort wächst sie in der liebevollen Geborgenheit ihrer Familie auf - umgeben von Wiesen, Wäldern, Hainen und Scheunen, die zum Spielen mit den Geschwistern und den anderen Kindern aus dem Dorf einladen.

Astrid liebt das Spielen und mag es deshalb gar nicht, als sie älter wird und eines Tages fast schon erwachsen ist: "Ich weiß noch wie schrecklich es war, festzustellen, dass man nicht mehr spielen konnte. Immer, wenn die Enkelin des Pfarrers in den Ferien kam, spielten wir mit ihr. Aber als sie eines Tages ankam und wir wie immer anfangen wollten zu spielen, stellten wir plötzlich fest, dass wir nicht mehr spielen konnten", beschrieb sie einmal dieses Gefühl. "Wir kamen uns albern vor und waren gleichzeitig traurig, denn was sollten wir jetzt tun? Damit war die Kindheit zu Ende."

Jung, schwanger und einsam

Mit dem Ende der Kindheit ist die idyllische Zeit für Astrid vorbei. Als Jugendliche beginnt sie ein Volontariat bei der örtlichen Lokalzeitung und entdeckt ihr Talent fürs Schreiben. Doch dann wird sie durch eine Affäre mit einem älteren Mann ungeplant schwanger. Sie steht ohne abgeschlossene Ausbildung dar und erregt Aufsehen in ihrem Dorf. Denn zur damaligen Zeit gilt ein uneheliches Kind noch als Skandal.

Um der gesellschaftlichen Ächtung auf dem Land zu entgehen, zieht die werdende Mutter nach Stockholm. Ihren Sohn, Lasse, bringt sie am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1926 heimlich in Kopenhagen zur Welt. Weil sie nicht für ihn sorgen kann, gibt sie ihn zunächst in die Obhut einer dänischen Pflegefamilie. Die kommende Zeit ist für sie von großer Einsamkeit und Armut geprägt.

Die Villa Kunterbunt, Domizil von Pippi Langstrumpf, darf natürlich in der Astrid Lindgrens Värld nicht fehlen.

Pippi wird geboren

Aber das Blatt wendet sich: Astrid schließt eine Ausbildung als Sekretärin ab und lernt schließlich Sture Lindgren kennen - jenen Mann, von dem sie ihren heute so berühmten Nachnamen hat. Die beiden heiraten 1931, holen Lasse zu seiner Mutter zurück und bekommen 1934 eine gemeinsame Tochter: Karin. Sie ist es auch, die für Astrid Lindgrens ersten großen schriftstellerischen Erfolg verantwortlich ist. Denn die Figur der Pippi Langstrumpf erfindet Lindgren eines Tages für ihre kranke, gelangweilte Tochter. Karin schließt die aufmüpfige Göre sofort in ihr Herz. Auch nachdem sie schon längst wieder gesund ist, will sie immer neue Geschichten hören.

Lange Zeit lebt Pippi nur in mündlichen Erzählungen, bis ihre Erfinderin im Jahr 1944 auf Glatteis ausrutscht, sich den Fuß verstaucht und eine Woche im Bett liegen muss. Glück im Unglück: Astrid Lindgren nutzt die Zeit, um all die Geschichten von Pippi Langstrumpf aufzuschreiben. Es soll ein Geschenk zu Karins zehntem Geburtstag werden. Eine Kopie des Manuskripts schickt sie jedoch auch an mehrere Verlage - und eines Tages wird "Pippi Langstrumpf" tatsächlich veröffentlicht.

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