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„Agent Orange“ – verheerende Waffe im Vietnamkrieg

Auch noch 50 Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs hat der Einsatz des Herbizids „Agent Orange“ durch die USA verheerende Folgen. Sowohl die Natur Vietnams als auch seine Einwohner und Kriegsveteranen hat die Chemikalie nachhaltig geschädigt. Was macht Agent Orange so gefährlich? Was für Schäden löst das Gift aus und wieso spürt Vietnam noch immer dessen Folgen?
SSC, 30.04.2025
Vier US-amerikanische Transportflugzeuge des Typs Fairchild C-123 – zu Sprühflugzeugen umgebaut – während der „Operation Ranch Hand“ in Vietnam
Umgebaute Transporter der US-Luftwaffe beim Versprühen von Entlaubungsmittel.

© USAF  / Public Domain

Der Vietnamkrieg dauerte von 1955 bis zum 30. April 1975. In diesen 20 Jahren kämpften Nordvietnam und die sogenannte „Nationale Front für die Befreiung Südvietnams“ (NLF) mit Unterstützung der Sowjetunion und Chinas gegen Südvietnam, die USA und einige ihrer Verbündeten. Dabei versprühten die USA zwischen 1961 und 1971 unter anderem etwa 80 Millionen Liter „Agent Orange“. Dieses Herbizid diente dazu, Bäume zu entlauben, um eine bessere Übersicht über das Kriegsgebiet zu erlangen, die Kämpfer Nordvietnams zu enttarnen und deren Nahrungsgrundlage zu zerstören. Der eingängige Name setzt sich zusammen aus dem englischen Wort für "Wirkstoff" und der Farbe der Banderole, mit der die Herbizidfässer gekennzeichnet waren.

Dieses Vorgehen hatte jedoch auch unerwünschte Folgen für die Natur. Agent Orange zerstörte viele Mangrovenwälder in Vietnam – in den betroffenen Gebieten leidet daher bis heute die Artenvielfalt und Biodiversität. Allein die Wiederherstellung dieser Lebensräume wird vermutlich noch Jahrhunderte in Anspruch nehmen. Doch wie kam es zu diesem Schaden durch Agent Orange und warum dauert er bis heute an?

U.S. Army armored personnel carrier (APC) spraying Agent Orange during the Vietnam War,
Der maßlose Einsatz des Herbizids hatte auch für die US-Soldaten Folgen. Nach dem Krieg wurden 2,6 Millionen US-Veteranen als Agent-Orange-Opfer anerkannt.

© U.S. Army / Public Domain

Schnellere Produktion – viel Gift

Chemiefirmen wie Dow Chemical und Monsanto produzierten während des Krieges im Auftrag der US-amerikanischen Regierung unzählige Liter der Chemikalie. Um den großen Bedarf zu decken, beschleunigten die Firmen ihre Produktion, indem sie die Reaktionstemperatur leicht erhöhten. Dadurch entstand in dem Kessel jedoch nicht nur das gewünschte Herbizid – eine Mischung verschiedener Ester –, sondern auch die Substanz 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin – kurz TCDD.

TCDD ist ein sogenanntes Dioxin – eine stark giftige chemische Verbindung aus chlorhaltigen organischen Stoffen. Dioxine sind sehr stabil und können sich sowohl in der Umwelt als auch in Lebewesen anreichern und Schäden hervorrufen. TCDD gilt dabei als das gefährlichste aller Dioxine. Dieses Gift gelangte mit Agent Orange während des Krieges ebenfalls in die Natur Vietnams und ist dort bis heute erhalten geblieben.

Die USA sträubten sich jahrzehntelang, die durch Agent Orange verursachten Schäden anzuerkennen. Erst nach einem Gerichtsurteil im Jahr 2009 wurde ihnen offiziell die Schuld zugewiesen. Die USA finanzieren seither Programme zur Beseitigung von TCDD und zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen in stark betroffenen Regionen, von denen angenommen wird, dass sie durch Agent Orange verursacht wurden.

Erschwerte Bedingungen

Welche gesundheitlichen Folgen Agent Orange auf die vietnamesische Bevölkerung hat, ist jedoch gar nicht so klar. Forschende versuchen dies seit Jahrzehnten zu analysieren, doch das ist nicht leicht. Denn die gesundheitlichen Schäden treten erst Jahre bis Jahrzehnte nach der Exposition auf. Daher ist es schwer, einen direkten Zusammenhang zu Agent Orange herzustellen. Die Betroffenen leben zudem oft in abgelegenen Regionen, was die Forschung zusätzlich erschwert.

Auch lässt sich rückblickend das Ausmaß der damaligen Belastung nicht mehr genau kontrollieren. Während des Vietnamkriegs wurden kaum systematisch Daten darüber gesammelt, wer wie stark und wo mit dem Herbizid in Kontakt war. Zudem geschahen viele der Expositionen indirekt – zum Beispiel durch das Essen kontaminierter Nahrung.

Behindertengerechtes Handwerk für Agent-Orange-Opfer in Ho-Chi-Minh-Stadt
Kunsthandwerksläden sind eine wichtige Einkommensquelle für Vietnamesen, die durch "Agent Orange" Gesundheitsschäden erlitten haben.

© fototrav, iStock

Viele mögliche Schäden durch Agent Orange

Aber was ruft TCDD – der Giftstoff in Agent Orange – überhaupt bei Menschen hervor? Bei einigen Erkrankungen gibt es inzwischen ausreichende Beweise dafür, dass TCDD diese auslöst, bei anderen gibt es nur teilweise Belege. Demnach kann die Chemikalie zu verschiedenen inneren Erkrankungen wie Krebs in Weichteilen, Lymphgefäßen und Blut sowie Bluthochdruck führen. Zudem führt sie zu schweren Entwicklungsstörungen bei Föten und Kindern. Auch Deformationen wie verkürzte Extremitäten oder Mund-Kiefer-Gaumen-Spalten gehören zu den Folgen einer Exposition mit Agent Orange.

„Die Kinder werden nicht normal geboren“, erklärte Nguyen Viet Haon von der Agent Orange Association dem NDR vor zehn Jahren. „Einmal hatten wir ein Kind mit einem Kopf wie ein Hund. Ein anderes Mal eines mit Hörnern wie ein Wasserbüffel. Manche kommen mit zwei Köpfen zur Welt. Diese Kinder überleben meistens nicht länger als 48 Stunden.“

Diese Gesundheitsfolgen treten auch noch Jahrzehnte nach Kriegsende auf. Das vietnamesische Rote Kreuz schätzt, dass seit Kriegsende etwa drei Millionen Vietnamesen von Schäden durch Agent Orange betroffen sind. „Die Auswirkungen auf die Menschen in Vietnam sind vor allem in der zweiten, dritten und möglicherweise vierten Generation spürbar“, erklärt Charles Bailey, Mitautor des Buches ‚From Enemies to Partners: Vietnam, the US, and Agent Orange‘ gegenüber Euronews.

Ein Problem über Generationen hinweg?

Dass noch heute Kinder geboren werden, die Schäden durch das Herbizid davontragen, liegt an der Nahrungskette des Menschen. Das TCDD gelangt über kontaminierte Erde in pflanzliche Lebensmittel und in Flüsse. Im Flusssediment kann TCDD mehr als 100 Jahre benötigen, bis es sich zur Hälfte abgebaut hat – mehr als genug Zeit, um auch von Fischen, Enten und anderen Tieren aufgenommen zu werden, die der Mensch isst. Nach dem Pflanzen- und Fleischverzehr kann sich das Gift im Fettgewebe des Menschen absetzen.

Im Jahr 2017 fanden Forschende heraus, dass TCDD so auch in Muttermilch gelangen kann und dadurch von der Mutter an ihre neugeborenen Kinder weitergegeben wird. Das bringt den Hormonhaushalt der Kinder durcheinander, wie das Forscherteam berichtet.

Weniger Hilfe der USA in Sicht

Die USA unterstützen Vietnam seit etwa 20 Jahren dabei, TCDD-belastete Erde zu beseitigen oder Menschen mit durch das Gift verursachten Behinderungen medizinisch zu versorgen. Doch diese Unterstützung könnte bald wegfallen, weil US-Präsident Donald Trump die Auslandshilfe USAID gekürzt und alle Mitarbeiter bis auf Weiteres beurlaubt hat. Es bleibt abzuwarten wie, sich das auf Vietnam und die Betroffenen auswirkt.

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