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Renaissance und Barock – Ordnung und Bewegtheit

Giorgio Vasari, der Begründer der Kunstgeschichte, prägte um 1550 den Begriff »Renaissance«, Wiedergeburt, und benannte damit eine Kunstepoche, deren Anfänge im Italien des mittleren 14. Jahrhunderts liegen.

Gemeint war die »Wiedergeburt« der antiken Kunst. In Ablehnung der vorherrschenden Gotik verstand sich die Renaissance-Kunst nicht als Kopie des klassischen Altertums, sondern orientierte sich am Geist und Schönheitsideal der griechisch-römischen Antike. Man versuchte, eine umfassende Harmonie zwischen Göttlichkeit und Menschsein im Diesseits herzustellen. Vor allem der Mensch gewann einen neuen Stellenwert innerhalb der Schöpfung und wurde allein darstellungswürdig. Der Blick des Künstlers galt der Individualität und Anatomie, der perspektivischen Konstruktion des Bildraumes ebenso wie dem Naturstudium. Mit Raffael und Michelangelo erlangte die italienische Renaissance ihren Höhepunkt. Baukunst, Malerei und Skulptur vereinten sich in der kurzen Phase von etwa 1490 bis 1520 zu einer souverän wirkenden Gesamtkraft.

Gegen den Wohlklang der klassischen Ordnung rebellierte der Manierismus mit dynamischer Bewegtheit und Übersteigerung. Vasari, auch hier Schöpfer des Begriffs, meinte damit ein Kunstverständnis, das provozieren wollte.

Die beiden Prinzipien Ordnung und Bewegtheit in sich zu vereinen, gelang schließlich dem Barock, der, um das Jahr 1600 von Rom ausgehend, ganz Europa erfasste. Mitreißende Dynamik und konzentrierte Lichtführung, Ironie und Illusion, repräsentative Pracht, die Sinnlichkeit selbst religiöser Themen charakterisieren die Barockkunst.

Der Barock hat nicht nur die Mächtigen bedient, sondern wurde auch vom Volk aufgenommen wie kein Stil je zuvor oder danach. Regionale Kunsttraditionen sind bis heute vielfach von barocker Ornamentik, Farb- und Formensprache geprägt.

Brunelleschis/Ghibertis Opferung Isaaks: Beginn der modernen Plastik

Wie entstanden die beiden Kunstwerke?

In den Jahren 1401/1402 fand in Florenz ein Wettbewerb statt für die Reliefs der Bronzetür am Nordportal des Baptisteriums. Sieben ausgewählte Künstler präsentierten ihre Entwürfe zum Thema der Opferung Isaaks, darunter auch Filippo Brunelleschi und Lorenzo Ghiberti. Die Konkurrenzreliefs der beiden Künstler spiegeln den Umbruch vom Spätmittelalter zur Neuzeit und bilden den Auftakt zum Beginn der modernen Plastik.

Das Florentiner Baptisterium entstand wohl zwischen 1059 und 1150 und war bis zur Errichtung des Doms der bedeutendste Sakralbau der Stadt. Bereits in den Jahren 1330 bis 1336 hatte der Bildhauer, Goldschmied und Architekt Andrea Pisano für das Südportal Bronzereliefs geliefert. In Vierpässen sind Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers, des Schutzpatrons von Florenz, sowie Tugendallegorien dargestellt. Pisanis Reliefs erregten die Bewunderung der Zeitgenossen und veranlassten die Zunft der Großkaufleute, einen Wettbewerb für das Nordportal auszuloben.

Thema war eine Szene des Alten Testaments, die Opferung Isaaks: jener Moment, in dem Abraham auf Geheiß des Herrn Hand an seinen Sohn legen will, doch von einem Engel daran gehindert wird (1 Mose, 22). In der Ausschreibung war eine feste Größe für die Reliefs vorgegeben sowie eine Vierpassrahmung nach Pisanis Vorbild. Die sieben Bewerber gehörten zur Crème de la Crème der damaligen Bildhauergarde: Neben Brunelleschi und Ghiberti waren auch dessen späterer Schüler Donatello und Jacopo della Quercia beteiligt. Die Entscheidung des 34-köpfigen Preisgerichts fiel am Ende zugunsten Ghibertis.

Was stellt Brunelleschis Entwurf dar?

Der an zweiter Stelle nominierte Wettbewerbsentwurf Filippo Brunelleschis zeigt die Protagonisten in der Mitte des Reliefs. Isaak windet sich mit ängstlichem Gesichtsausdruck und verzerrter Körperhaltung, während von links der Engel herbeieilt. Seine Hand greift nach dem Messer, das Abraham dem Sohn gerade an die Kehle setzen will. Rechts unten ist ein Knecht in einer ungewöhnlichen Kauerhaltung gezeigt, ein zweiter überschneidet links unten den Vierpassrahmen. Die ganze Szenerie strahlt Wirklichkeitsnähe aus. Der Betrachter scheint dem Geschehen in jener Sekunde höchster Dramatik beizuwohnen, in der sich alles entscheidet. Zugleich bleiben die Landschaft und die Gewänder in der Tradition gefangen, während der Vierpassrahmen wie eine zu enge Grenze erscheint.

Wie ist Ghibertis Werk aufgebaut?

Ganz anders ist die Komposition bei Ghiberti: Sein Entwurf bindet die Szenerie wie selbstverständlich dem Rahmen ein. Hier ist das entscheidende Geschehen nun in die rechte Bildhälfte gerückt, während links wie ein ruhiger Gegenpol die beiden Knechte zu sehen sind. Diese Arbeit strahlt zweifellos keine vergleichbare Dramatik aus, steht sie doch noch deutlich im Banne des eleganten Weichen Stils der internationalen Gotik. Doch herrscht hier eine Harmonie, die wohl auch die Jury überzeugte. Die Plastizität von Figuren und Landschaft ist erstmals in der Geschichte der Bildreliefs so angelegt, dass ein Vorder- und Hintergrund realistisch erlebbar wird.

Dazu kommen zahlreiche, bruchlos verarbeitete Zitate der Antike – damals gleichbedeutend mit einem modernen Stil: Isaak und die beiden Knechte etwa lassen antike Jünglingsdarstellungen als Vorbilder erahnen, auch das Altarrelief mit seinen Akanthusranken wirkt antik. Schließlich achte man darauf, wie die Handlung auch im Gewand Abrahams anklingt, dessen Mantelzipfel spannungsgeladen zu flattern scheint.

Was motivierte die Entscheidung der Jury?

Im Gegensatz zu Ghibertis meisterhafter Technik mussten die Figuren im Reliefstil Brunelleschis separat gegossen und mittels Nieten einzeln fixiert werden. Diese praktische Tatsache gab nicht zuletzt der Spekulation Nahrung, die Entscheidung der Juroren sei vielleicht auch aus ökonomischen und nicht nur aus künstlerischen Gründen gefallen: Schließlich hätte man bei diesem Verfahren mindestens ein Drittel mehr von dem teuren Bronzematerial benötigt.

Wussten Sie, dass …

die Verkürzung des Engels in Ghibertis Entwurf zu den gewagtesten Versuchen perspektivischer Darstellung um 1400 zählt?

Ghiberti mit seiner Werkstatt fast 30 Jahre an den Reliefs der »Paradiestür« mit Szenen aus dem Alten Testament arbeitete?

der Künstler neben einer Autobiografie mit einem Abriss der Kunst seit der Antike (»Commentarii«) auch eine wichtige Quellenschrift zur Renaissance hinterließ?

Wie revolutionierte Lorenzo Ghiberti die Bronzekunst?

Lorenzo Ghiberti (1378–1455), Goldschmied, Maler und Architekt, zählt zu den bedeutendsten Künstlern der Florentiner Frührenaissance. Aus seiner Bronzewerkstatt gingen berühmte Bildhauer hervor, darunter Donatello. Ghibertis größtes Verdienst war die Entwicklung des bildlichen Reliefs zu einer eigenständigen Ausdrucksform: Seine figurenreichen Darstellungen in einer Idealarchitektur fanden bei vielen Künstlern bis in den Barock hinein großen Nachklang. Zu seinen bedeutendsten Bronzestatuen zählt Johannes der Täufer (1412 bis 1416) für Or San Michele in Florenz. Ghiberti sollte nach den Reliefs der Nordtür auch diejenigen des Ostportals des Baptisteriums ausführen, das Michelangelo »Paradiestür« taufte.

Brunelleschis Domkuppel in Florenz: Geniestreich der Baugeschichte

Wem ist der Florentiner Dom geweiht?

Der Dom in Florenz ist der Muttergottes geweiht. Der Zusatz »del Fiore« (»Blume«) bezieht sich auf das Lilienwappen der Stadt und drückt damit den Bürgerstolz der Florentiner aus, der das Bauwerk seit seinen Anfängen begleitete. Die Baugeschichte war ungewöhnlich lang. Sie begann 1296 unter Arnolfo di Cambio, der bereits die enorme Breite des Langhauses von 38 Metern anlegte. Nach seinem Tod wurden die Arbeiten unter Giotto fortgesetzt. 1368 wurde nach langen Diskussionen ein Modell präzisiert, an das sich alle künftigen Baumeister halten mussten. Heftig umstritten war vor allem die Frage gewesen, wie die künftige Kuppel aussehen sollte. Zwischen 1410 und 1413 entstand zunächst ein hoher, achteckiger Tambour, der Kuppelunterbau. Das größte Problem war jedoch noch völlig ungelöst: die Kuppelkonstruktion.

Wie kam Brunelleschi zu dem Auftrag?

Die Domkuppel ist das Ergebnis eines der ersten bekannten Architekturwettbewerbe in der Geschichte. Die Wollweberzunft, die den Dombau verwaltete, lobte ihn 1418 aus. Der Florentiner Architekt, Goldschmied und Bildhauer Filippo Brunelleschi (1377–1446), der zahlreiche weitere Bauten in seiner Heimatstadt errichtete, hatte sich von jeher besonders für bau- und konstruktionstechnische Fragen interessiert. Ausgehend von der Vorstellung der idealen Architektur orientierte er sich an der spätmittelalterlichen Florentiner Tradition (etwa dem Baptisterium) sowie an der Baukunst der Antike und entwickelte daraus klar gegliederte, streng geometrisch proportionierte Räume, die den Baustil der italienischen Frührenaissance begründeten. Seine Pläne für die Florentiner Domkuppel wurden von der Zunft mehrfach als waghalsig und verrückt zurückgewiesen, bis sich Brunelleschi am Ende durchsetzen konnte und zum Dombaumeister ernannt wurde.

Wie ließ sich das Bauwerk realisieren?

Durch geniale Ingenieurskunst. Für den Bau der Kuppel wäre angesichts der riesigen Spannweite (Durchmesser über 40 Meter) eigentlich ein Bodengerüst erforderlich gewesen. Eine Gerüsthöhe von bis zu 100 Metern war jedoch nicht realisierbar. Brunelleschi löste das Problem, indem er mit einem Hängegerüst arbeiten ließ, das Zug um Zug auf den achteckigen Mauerringen der wachsenden Kuppel nach oben versetzt wurde.

Wie ist die Kuppel konstruiert?

Bahnbrechend war die Idee, die Kuppel aus zwei konzentrischen Gewölbeschalen zu errichten, deren vier Meter dicke innere Schale das enorme Gesamtgewicht trägt. Das Schalensystem besteht aus acht kastenförmigen Hauptrippen, zwischen denen 16 weitere Rippen sitzen; alle sind untereinander durch bogenförmige Querrippen verbunden, hinzu kommt ein das Ganze fixierender Ankerring aus Holz am Kuppelansatz. Auf diesem komplizierten Stützsystem ruht die dünnere zweite Schale, deren acht an der Außenseite hervortretenden Rippen zur vollendeten Erscheinung der Kuppel beitragen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt ließ Brunelleschi – immer das Gewicht und die Stabilität der Steinmassen bedenkend – die Kuppel statt mit Hausteinen mit Ziegelmauerwerk im Fischgrätverband legen. Auch der Kranz aus Konchen (große Nischen) am Unterbau sollte die gewaltigen Schubkräfte der Kuppel auffangen.

Konnte Brunelleschi sein Werk vollenden?

Fast. 1438 war der Rohbau fertig. Den Wettbewerb für die Laterne gewann Brunelleschi ebenfalls, aber erst drei Jahrzehnte nach seinem Tod wurde der Marmoraufsatz auf der Kuppel vollendet, dem der Architekt die Gestalt eines kleinen Tempels gegeben hatte.

Wussten Sie, dass …

der Florentiner Dom nach dem Petersdom, der Saint Paul's Cathedral und dem Mailänder Dom die viertgrößte Kirche Europas ist?

Brunelleschis Kuppelkonstruktion Michelangelo als Vorbild für die Kuppel des Petersdoms diente?

zwischen den Schalen der Kuppel ein Laufgang zur Kuppellaterne hinaufführt, in dem einst die Maurer in Schwindel erregender Höhe arbeiteten?

Welche Kunstwerke sind im Dom zu sehen?

Im Florentiner Dom verbinden sich Elemente der Gotik (architektonische Grundkonzeption), der italienischen Protorenaissance (Marmorverkleidung) und der Renaissance (Kuppelkonstruktion). Zusammen mit dem Campanile und dem Baptisterium bildet er eines der harmonischsten Bauensembles Italiens. Trotz vieler späterer Veränderungen haben sich zahlreiche bedeutende Kunstwerke erhalten, darunter Glasmalereien (nach Entwürfen von Agnolo Gaddi, Lorenzo Ghiberti, Donatello, Andrea del Castagno und Paolo Uccello), das Kuppelfresko von Giorgio Vasari und Federico Zuccari, die Büsten der Dombaumeister (unter anderem Arnolfo di Cambio und Brunelleschi) sowie frühe Beispiele von Majolikareliefs von Luca della Robbia und das freskierte Reiterstandbild eines Söldnerführers von Paolo Uccello (1436). Im Eingangsbereich unter Bodenniveau wurde neben Überresten der Vorgängerkirche des Doms, Santa Reparata, auch das Grab Brunelleschis entdeckt.

Kaiserpalast: Residenz der Ming- und Qing-Dynastie

Welche Vorgeschichte begleitet den Bau der »Verbotenen Stadt«?

Nicht immer regierten chinesische Kaiser Zhonghua, das »Reich der Mitte«. Im 13. Jahrhundert beherrschten die Mongolen fast das gesamte Gebiet des heutigen Chinas, bauten eine vor allem von Persern, Syrern und Türken dominierte Verwaltung auf und errichteten eine Hauptstadt, die nach dem Anführer, dem Großen Khan, als Khanbaliq bekannt war.

Nachdem das rasch angewachsene Mongolenreich auch unter dem Druck chinesischer Aufstände zusammengebrochen war, etablierte sich unter dem Namen Ming – »leuchtend, hell, klar« – im 14. Jahrhundert wieder eine chinesische Dynastie, die den Palast des Khans einreißen und an seiner Stelle nach den Traditionen der frühen Han- und der Tang-Dynastie den Inbegriff einer chinesischen Palastanlage errichten ließ.

Abgelöst wurde die Ming-Dynastie im 17. Jahrhundert durch die Qing-Dynastie, die erst mit der Errichtung der Republik China 1911 endete. Der einfachen Bevölkerung war der Zutritt zum Herrschaftsbezirk untersagt, er war eine »Verbotene Stadt«.

Was symbolisiert die Form der Palastanlage?

Nicht hohe, aufstrebende Schlösser zeigten die Macht der chinesischen Herrscher an, sondern eine in der Fläche weite, möglichst quadratische Anlage, die die Erde symbolisierte – in chinesischer Vorstellung eine quadratische Scheibe. Die herausragende Lage, um die sich der Rest der Stadt zu gruppieren hatte, verdeutlichte die Machtansprüche, wobei die Mitte als fünfte und wichtigste Himmelsrichtung Bezugspunkt war.

Wie sind die Gebäude der Palastanlage angeordnet?

Auch wenn Peking nicht die geographische Mitte des Reiches darstellte, so galt die Hauptstadt doch als symbolische Mitte, in deren Mitte wiederum der Palast lag, Kern des Reiches, von dem alle Macht ausging. Alle wichtigen Gebäude liegen auf einer zentralen, genau von Norden nach Süden ausgerichteten Achse, die sich damals durch Stadttore und über eine Prachtstraße durch die gesamte Stadt zog. Weitere Gebäude sind paarweise zu beiden Seiten der Achse angeordnet oder richten sich an parallelen Nebenachsen aus.

Die großen Hallen, die Zeremonien und Empfängen dienten, also den staatlichen Bereich des Palasts darstellen, befinden sich im Süden der Anlage, die Wohnpaläste hingegen im Norden. Der »Palast der Himmlischen Reinheit«, der im Jahr 1798 zu seiner heutigen Gestalt umgebaut wurde, die »Halle der Berührung von Himmel und Erde« und der »Palast der Irdischen Ruhe« waren der kaiserlichen Familie und dem Hofstaat vorbehalten.

Welchen Prinzipien folgt der Bauplan?

Die Anordnung der Bauten hängt mit der chinesischen Vorstellung des Feng Shui zusammen, die die Einbettung des Menschen zwischen »Wind und Wasser« regelt. Demnach brauchen Gebäude Schutz nach Norden und öffnen sich nach Süden zum Licht und zur Wärme der Sonne. In der »Mitte des Reiches« sind diese Bedingungen erfüllt, da eine Bergkette die Stadt im Norden und Westen vor den Winden aus der Wüste Gobi schützt, während sich im Süden und Osten eine Ebene öffnet. Zum Schutz des Palasts schüttete man hinter seinem Nordtor mit dem Aushub des Wassergrabens einen Hügel auf – »Kohlehügel« genannt, da dort das Brennmaterial für den Palast lagerte.

Wie sehen die einzelnen Gebäude aus?

Die Gebäude bestechen weniger durch ihre Höhe als durch ihre massige Breite. Alle stehen auf Podesten aus Bruchstein, die die hölzernen Bauteile vor Feuchtigkeit von unten schützen. Von diesen Podesten ragen die massiven Holzsäulen aus dem besonders harten Nanmu auf, das für den Palastbau über Kanäle aus Südchina herangeschafft wurde. Diese Säulen tragen die schweren, von glasierten Tonziegeln bedeckten Dächer.

Die Farbe der Ziegel wurde einem Gebäude vom Kaiser »verliehen«: Im Palast ist es Gelb, die Symbolfarbe für den Kaiser selbst. Die Hallen sind von zweistufigen Dächern bedeckt, die leicht und beschwingt wirken, weil durch einen speziellen Holzunterbau die Ecken nach oben gezogen werden konnten. Diese sind durch mythische Lebewesen aus glasiertem Ton »bevölkert«, die Gefahren vom Palast und seinen Bewohnern abhalten sollten.

Welche Funktionen hatten die verschiedenen Hallen?

Die »Verbotene Stadt« war für fünf Jahrhunderte kaiserliche Residenz von insgesamt 24 Monarchen. Zentrum der Macht war die »Halle der Höchsten Harmonie« (Taihe Dian), die mit der »Halle der Vollkommenen Harmonie« (Zhonghe Dian) und der »Halle zur Erhaltung der Harmonie« (Baohe Dian) das Herz der »Verbotenen Stadt« bildete. Die »Halle der Militärischen Tapferkeit« (Wuying Dian) war einst Empfangssaal für die Damen der hohen Beamten, die »Halle der Berührung von Himmel und Erde« Residenz der Ming-Kaiserinnen.

Wussten Sie, dass …

die Podeste, die die Gebäude tragen, bei den Empfangshallen immerhin imposante acht Meter erreichen?

die »Verbotene Stadt« 1987 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde?

Das Fresko der Trinität von Masaccio: Kunst und Wissenschaft

Was hat Masaccios Fresko mit Wissenschaft zu tun?

Masaccios berühmtes Trinitätsfresko in Florenz gilt in der Kunstgeschichte als erstes Werk der Malkunst, das nach den wissenschaftlichen Prinzipien der Zentralperspektive konstruiert wurde.

Hat Masaccio die Zentralperspektive entdeckt?

Nein, entdeckt und dokumentiert hat die Idee von der Zentralperspektive Filippo Brunelleschi, einer der wichtigsten Architekten der Florentiner Frührenaissance. Um 1420 präsentierte er in einer öffentlichen Demonstration die Ergebnisse seiner bahnbrechenden optischen und geometrischen Untersuchungen. Er stellte sich in die Mitte des Portals des Florentiner Domes und blickte zum gegenüberliegenden Baptisterium. Vor sich baute er einen Bildrahmen auf, der mit einem Raster aus Fäden versehen war. Den »Inhalt« dieses Rasters – die Ansicht des Baptisteriums – übertrug er daraufhin in eine Zeichnung, die ebenfalls mit diesem maßstabsgerechten Raster versehen war. Mathematisch für jedermann nachvollziehbar, konnte er so die Prinzipien der so genannten Zentralperspektive beweisen: Alle in die Tiefe weisenden Bildlinien laufen auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt hinaus, der ungefähr auf der Augenhöhe des Betrachters liegt. Die Entdeckung des jungen Architekten Filippo Brunelleschi sollte Wissenschaft und Kunst des 16. Jahrhunderts zu einer enormen Innovationskraft verhelfen. Masaccio war der erste Maler, der diese Prinzipien des menschlichen Sehens in ein gemaltes Bild übertrug. Das großformatige Fresko mit der Darstellung der Trinität – der Dreieinigkeit Gottvater, Sohn und Heiliger Geist – in der Florentiner Kirche Santa Maria Novella entstand um 1427.

Wie ist Masaccios Perspektiv-Fresko konstruiert?

Ein wichtiges Instrument der Perspektive sind architektonische Elemente. Der Blick des Betrachters fällt in eine gemalte, beinahe sieben Meter hohe Nischenarchitektur, die von einer Sockelzone, flankierenden Säulen und Pilastern sowie oben von einem Arkadenbogen mit Architrav gebildet wird – architektonische »Versatzstücke« also, wie sie in der Baukunst von Florenz damals eingesetzt wurden. Die Darstellung wird von der mächtigen Gestalt Gottvaters beherrscht, der das vor ihm platzierte Kreuz Christi hält. Unter dem Kruzifix stehen Maria und der Apostel Johannes, vor dieser Szenerie kniet rechts und links das Stifterpaar.

Wie entstand das Fresko der Trinität?

Zunächst erstellte Masaccio auf dem rohen Putz eine erste ungenaue Vorzeichnung der geplanten Gesamtkomposition und deren wichtigsten perspektivischen Linien. Dabei kam es besonders darauf an, die präzise Übertragung der Fluchtlinien zur Bestimmung der optischen Korrektheit von der ersten Vorzeichnung auf den endgültigen Kalkputz zu gewährleisten. Um dieses Ziel zu erreichen, brachte der Künstler an der Stelle des zentralen Fluchtpunktes unterhalb des Kreuzes einen Nagel an. Von diesem aus spannte er dann Fäden, deren Linien er in der Folge auf den nassen Feinputz übertrug. Diese Einzeichnungen mussten bei der anschließenden Ausführung des Freskos mit frischem Feinputz zugedeckt werden.

Wurde die Zentralperspektive in der Kunst zum Standard?

Nach Masaccio war das der Fall. Das Übertragen der korrekten Perspektive eines gesehenen Bildes in ein gezeichnetes oder gemaltes Abbild – von Brunelleschi in der öffentlichen Präsentation bewiesen – wurde zum Rüstzeug eines jeden jungen Künstlers. Albrecht Dürer erfand gar eine Vorrichtung zum Erlernen der Perspektive, die in die Natur oder zum Modell mitgenommen werden konnte.

Welche Botschaft enthält das Fresko?

Das Werk birgt eine auf den zeitgenössischen Betrachter ausgerichtete Mahnung. Die göttliche Szene ist in den sich nach hinten öffnenden »virtuellen« Bildraum gesetzt, der das »Jenseits« repräsentiert. Die beiden Stifter davor sind dagegen im Diesseits angesiedelt: Als lebende, konkrete Personen lassen sie sich – zusammen mit dem Betrachter – der aktuellen Realität zuordnen. Die Darstellung in der Sockelzone erklärt dies drastisch: Man sieht ein menschliches Skelett, das auf einem Sarkophag ruht. Die darüber befindliche Inschrift wendet sich direkt an den Betrachter und verknüpft noch einmal das gegenwärtige Diesseits mit dem zukünftigen Jenseits: »Ich war, was du bist, was ich bin, wirst du sein«.

War Masaccio ein »Koloss«?

Sein Name – Masaccio ist ein Spitzname und bedeutet so viel wie »riesiger Thomas« – deutet darauf hin. Unabhängig von seiner Statur war Tommaso Cassai, geb. am 21. Dezember 1401 in San Giovanni Valdarno, auf jeden Fall ein Koloss seines Fachs, der die Malerei der Renaissance nachhaltig prägte und beeinflusste.

In die Lehre ging Masaccio bei Masolino da Panicale. Gemeinsam mit seinem Lehrer schuf Masaccio seit 1424 in der Brancacci-Kapelle von Santa Maria del Carmine in Florenz eine in Perspektive und Farbe besonders ausdrucksstarke Vita des Apostels Petrus. 1428 folgte er seinem Meister nach Rom, wohin dieser vom Papst berufen worden war. Wieder arbeiteten die beiden Männer an einem umfangreichen Freskenzyklus, in der Kirche San Clemente, als Masaccio unter ungeklärten Umständen – mit nur 27 Jahren – starb. Vermutlich erlag er der Pest. In seinem kurzen Leben schuf Masaccio ein bleibendes Werk.

Wussten Sie, dass …

Masaccio mit seiner Werkstatt aufgrund des relativ schnell trocknenden Putzes den morgens begonnenen Abschnitt des Freskos jeweils am selben Tag vollenden musste? Diese abschnittsweisen Arbeiten werden auch Tagwerke genannt. In präzisen Untersuchungen konnten Kunsthistoriker rekonstruieren, dass der Künstler für die Vollendung des 21 Quadratmeter großen, berühmten Freskos etwa einen Monat benötigte.

Donatellos David: Auftakt zur freiplastischen Renaissanceskulptur

Auf welche Geschichte geht die Statue zurück?

Mit seiner Bronzeplastik, die zwischen 1430 und 1440 entstand, griff Donatello ein Motiv aus dem Alten Testament auf: den ungleichen Kampf zwischen dem zierlichen David, später König der Israeliten, und dem riesenhaften Goliath. David überwindet den Philister mit einer Steinschleuder, tötet ihn anschließend mit dessen Schwert und schlägt ihm den Kopf ab. Das Motiv der beiden ungleichen Kämpfer war in der Renaissance ein beliebtes Thema und wurde mehrfach variiert. Donatello selbst schuf zwei berühmte David-Statuen, eine in Marmor und eine in Bronze. Der Bronze-David nimmt in seiner Interpretation des Themas und der künstlerischen Umsetzung einen ganz besonderen Rang ein.

In welchem Moment ist David dargestellt?

Nach dem Kampf mit Goliath. Donatello präsentiert seinen David als fast androgyn wirkenden jugendlichen Helden mit langen Locken und Hirtenhut. Er steht auf einer runden, kranzumwundenen Basisplatte. Goliath ist getötet, sein behelmtes Haupt liegt am Boden. Mit geradezu sinnlicher Entspanntheit hat der siegreiche Jüngling sein leicht angewinkeltes Bein darauf abgestellt, das riesige Schwert des Besiegten locker in der herabhängenden Rechten. In der anderen Hand, lässig in die Seite gestützt, hält er noch den großen Stein, mit dem er seinen Gegner niederstreckte.

Wie wirkt die Figur?

Donatello hat das harte Material der Bronze in einen überaus realistisch wirkenden Jünglingskörper verwandelt. Bis in die Details ist das Studium am lebenden Modell zu spüren. Unter einer jugendlich straffen Haut wölben sich Muskeln, zeichnen sich Rippen und Körperbau ab. Der Künstler griff hier zum einen auf das antike Ideal des nackten Körpers zurück. Die antike Bildsprache wird jedoch nicht zuletzt durch die kniehohen Stiefel gesprengt. Zugleich hat dieser David eine sinnlich-selbstbewusste Ausstrahlung, die das neue Selbstverständnis der Menschen zu Beginn der Renaissance wiedergibt und von vielen zeitgleichen wie auch nachfolgenden Künstlern aufgegriffen und verarbeitet wurde.

Was ist neu an der Statue?

Epochemachend war Donatellos Entscheidung, den David als eine frei stehende Plastik zu konzipieren. Während etwa sein »heiliger Georg« noch für eine Nische geschaffen war (an Or San Michele in Florenz, um 1415/1417) und eine einzige Schauseite bot, ist der David eine frei stehende Statue, die man umschreiten kann – und damit die erste allansichtige Figur seit der Antike.

Wie nennt man die Stellung der Figur?

Kontrapost (italienisch contrapposto, »Gegensatz«) ist ein Fachbegriff, der erst in der Renaissance geprägt wurde, obgleich er als Phänomen bereits aus der griechischen Klassik bekannt ist: Er bezeichnet eine Körperhaltung mit einem belasteten Standbein und einem unbelasteten Spielbein. Das vom Boden gelöste Spielbein – bei Donatellos David dasjenige, das auf dem Helm des Goliath steht – wird durch eine gegenläufige Bewegung des Oberkörpers ausgeglichen, so dass eine Balance entsteht. Bereits der griechische Bildhauer Polyklet (5. Jh. v. Chr.) fertigte Studien für den Kontrapost an, die er in einer verloren gegangenen Lehrschrift über Maße und Proportionen festhielt.

Die Wiederentdeckung des Kontraposts durch die Bildhauer der Frührenaissance, allen voran Donatello, ist eine ihrer größten Leistungen, vergleichbar mit der Entwicklung der Zentralperspektive in der Malerei.

An welchen Orten in Italien war Donatello als Künstler tätig?

In Florenz, Siena und Padua. Donatello war einer der vielseitigsten Künstler der Frührenaissance. Der Florentiner Handwerkersohn wurde in der Bauhütte des in seiner Heimatstadt entstehenden Doms zum Steinmetz ausgebildet. Von 1404 bis 1407 wirkte er in der Werkstatt Lorenzo Ghibertis, der ihm die Reliefgestaltung und die neu entdeckte Zentralperspektive nahebrachte. Mit Nanni di Banco (um 1370–1421) schuf Donatello Marmorfiguren für die Domfassade. Später führte er in Siena mit den beiden bedeutendsten Bildhauern seiner Zeit – seinem Lehrer Ghiberti und Jacopo della Quercia (um 1374–1438) – die Relieftafeln am Taufbecken des Baptisteriums aus. Durch einen Aufenthalt in Padua trug er die neuen Errungenschaften aus Florenz nach Oberitalien. Auch sein Reiterdenkmal für den Söldnerführer Gattamelata, ebenfalls in Padua, wirkte epochemachend: Es war das erste profane Reiterstandbild der Renaissance.

Wussten Sie, dass …

die Bronzeplastik zeitweise den Park des Medici-Stammsitzes in Florenz und das Rathaus der Stadt schmückte? Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie in die Skulpturensammlung des Bargello überführt.

auch Michelangelo eine David-Figur gestaltete?

Donatello mit der Skulptur »Judith und Holofernes« in Florenz auch die erste frei stehende Figurengruppe seit der Antike anfertigte?

Die Marienkrönung von Filippo Lippi: Poesie und Feierlichkeit

Was ist typisch für die Malerei des Quattrocento?

Die Malerei des italienischen 15. Jahrhunderts (Quattrocento) ist gekennzeichnet von der Überwindung der gotischen Kunst des Mittelalters und dem Aufbruch in die Renaissance. Ein herausragender Vertreter dieser Epochenwende war der florentinische Meister Fra Filippo Lippi (um 1406–1469), der als Mönch im Karmeliterkloster Santa Maria del Carmine zum Maler ausgebildet wurde.

Welche Position hat Lippi in der Kunstgeschichte?

Die Kunstgeschichte sieht in Lippi den Vertreter eines weichen Stils mit fließender Bewegung und eleganter Linienführung, zarter Farbgebung und einer stillen, verhaltenen Poesie. Seine Figuren strahlen bei aller plastischen Schwere und Körperlichkeit Empfindsamkeit und Anmut aus. Die zentralperspektivisch erfassten Räume erzeugen die Wirkung großzügiger Weite.

Lippis Lehrer sind nicht bekannt. Beeinflusst war er aber wohl vom spätgotischen Meister Lorenzo Monaco (um 1370–1425) und von Masaccio (1401–1428), dem Mitbegründer der toskanischen Frührenaissance und Schöpfer eines berühmten Freskos in der Kirche des Karmeliterklosters. Lippis Schüler Sandro Botticelli wird den weichen Stil und die Feierlichkeit der Gesamtatmosphäre, die Lippis Werk markieren, fortführen und zu höchster Meisterschaft bringen.

Welche Vorgaben hatte Lippi für das Gemälde?

Wie wir aus dem erhaltenen Bestellvertrag wissen, war eine figurenreiche Komposition der »Marienkrönung« gefordert. Zwischen 1441 und 1447 malte Filippo das knapp sechs Quadratmeter große Tafelbild für den Hochaltar der Kirche Sant'Ambrogio in Florenz.

Wie zeigt sich die Epochenwende in der »Marienkrönung«?

Eine Neuheit ist der Bruch mit dem traditionellen Schema des Flügelaltars. Zwar deutet der Goldrahmen die Dreiteilung noch an, doch der Bildraum ist zentralperspektivisch angelegt und vereinheitlicht. Die Anordnung der zahlreichen Engel und sonstigen Akteure erfolgt auf einer Bühne mit einem erhöhten Mittelpodest, wo das Hauptthema, die Krönung Marias, seinen Platz erhält. Dieses Motiv ist bereits seit dem 12. Jahrhundert weit verbreitet: Gottes Sohn teilt seine königliche Würde mit seiner Mutter, Maria wird zur Himmelskönigin gekrönt. In Filippo Lippis »Marienkrönung« jedoch nimmt ein greiser Gottvater die Weihen an einer in demütiger Haltung vor ihm knienden Jungfrau Maria vor.

Die traditionellen Elemente im Bild sind unverkennbar: Das Rahmenwerk kommt ohne den symbolhaltigen Goldgrund nicht aus und verweist in kleinen, eingearbeiteten Rundbildern auf die Szene der Verkündigung als den Beginn des Marienzyklus. Hintereinander gestaffelte Engelschöre mit weiß blühenden Lilien, goldene Inschriften und üppiges Faltenwerk an den stoffreichen, langen Gewändern entstammen der herkömmlichen, gotischen Malweise. Dagegen vermitteln der klare Bildaufbau, die plastische Körperlichkeit und die Positionierung der Personen im Raum bereits den Geist der Renaissance.

Was zeigt das Bild?

Zwischen den Engelschören zu beiden Seiten wandert eine Figurengruppe von links nach rechts, beginnend mit Ambrosius, dem Patron der Kirche. Am rechten Bildrand erscheint Johannes der Täufer, Schutzpatron von Florenz. Hinter ihm kniet betend der Seelsorger des Nonnenklosters, den die Aufschrift »Is Perfecit Opus« (Dieser schuf das Bild) als Auftraggeber des Bildes ausweist. Den Künstler selbst erkennen wir in dem Mönch, der mit der Hand sein Kinn stützt und aus dem Bild herausschaut, als würde er den Betrachter eingehend mustern.

Wie kam Lippi ins Kloster?

Die Eltern des ca. 1406 in Florenz geborenen Filippo starben früh und so kam er, gemeinsam mit einer Tante, ins Karmeliterkloster Santa Maria del Carmine in Florenz. Dort erhielt er auch erste Unterweisungen in Malerei. Zu Beginn der 1430er Jahre führte er verschiedene, jedoch nicht erhaltene Arbeiten für das Kloster aus. Zu seinen Werken zählen, neben der Marienkrönung, noch eine Verkündigung des Todes an Maria (1437–1438, Florenz) und ein größerer Freskenzyklus über das Leben des heiligen Stephanus und Johannes des Täufers (1452–1457, Prato).

Wussten Sie, dass …

der Klosterbruder Filippo Probleme mit dem Keuschheitsgelübde hatte? Die blonde Nonne Lucrezia Buti, die ihm offensichtlich öfter Modell saß – ihr Porträt findet sich in mehreren Madonnenbildern wieder –, wurde schwanger, wohl von Fra Filippo. Der verliebte Mönch und Maler entführte seine schöne Nonne. Dank der Fürsprache der mächtigen Medici bei der päpstlichen Kurie wurde Filippo von seinen Ordensgelübden befreit und konnte Lucrezia heiraten. Ein Happyend, geschehen anno 1461. Der Auslöser der Geschichte, das Kind Filippino, sollte später als Maler in die Fußstapfen seines Vaters treten.

Ghirlandaios Fresken in der Sassetti-Kapelle: Zu Ehren des hl. Franz

Welche künstlerische Gabe machte Ghirlandaio berühmt?

Domenico Ghirlandaio (1446–1494) gilt als Meister der Freskenmalerei, der für seine klare Komposition figurenreicher Szenen vor architektonischen Hintergründen berühmt war. Er gehörte neben Botticelli zu den gefragtesten toskanischen Künstlern des ausgehenden 15. Jahrhunderts und war in Florenz, in Pisa und auch in Rom beschäftigt.

Worum ging es dem Auftraggeber Sassetti?

Francesco Sassetti, ein angesehener Kaufmann und Geschäftspartner der Medici in Florenz, wollte das Leben seines Namenspatrons, des heiligen Franz von Assisi, von einem herausragenden Künstler bildlich darstellen lassen. Einen geeigneten Ort für das Kunstwerk hatte Sassetti auch schon bald gefunden: eine Familienkapelle in der Dominikanerkirche Santa Maria Novella – wo Ghirlandaio im Übrigen später für einen anderen Auftraggeber die großartige Freskierung des Chors übernahm. Doch die Dominikaner lehnten Sassettis Begehren, in ihrer Kirche ausgerechnet den Begründer des Franziskanerordens mit einem Bilderzyklus ehren zu wollen, rundweg ab. Zu groß war damals die Rivalität zwischen den beiden Bettelorden. Sassetti musste sich erneut auf die Suche nach einem angemessenen Ort machen. Beim Orden der Vallombrosaner und ihrer zentral gelegenen Kirche Santa Trinità fand der Geschäftsmann schließlich, was er suchte: eine geräumige Seitenkapelle mit hohen Wänden – bestens geeignet für die Ausmalung mit Szenen aus dem Leben des heiligen Franziskus. Ghirlandaio konnte mit seiner Arbeit beginnen.

Welche Episoden aus dem Leben des Franziskus zeigen die Fresken?

Der Zyklus schildert zunächst den Abschied des jungen Franziskus von seinem reichen Elternhaus. Er entsagt der Welt, verzichtet auf alle irdischen Güter, legt seine prächtigen Gewänder ab. Viel Raum wird der Verkündigung und Bestätigung der franziskanischen Ordensregel durch Papst Honorius III. eingeräumt. Schließlich empfängt Franziskus, der sich in die unwirtlichen Berge des Apennin bei La Verna zurückgezogen hat, die Wundmale Christi. Ein weiteres Wunder erlebt er bei der Begegnung mit einem Sultan, den er mit Hilfe einer spektakulären Feuerprobe zum christlichen Glauben bekehren kann. Der Poverello, der »kleine Arme«, wie der heilige Franz in Italien heute noch liebevoll genannt wird, stirbt 1226 mit 34 Jahren.

Seiner Aufbahrung und feierlichen Bestattung ist ein weiteres Fresko gewidmet. Ein Wunder, das ihm postum zugeschrieben wird, beschließt den Zyklus: Ein Kind der Familie Spini wird nach einem tödlichen Sturz wieder ins Leben zurückgeholt. Diese Szene verlegt Ghirlandaio auf den Platz vor der Florentiner Kirche Santa Trinità.

Auch bei der Darstellung der Bestätigung der Ordensregel durch den Papst, die historisch nachweislich im Jahr 1223 in Rom stattgefunden hat, erlaubt sich Ghirlandaio künstlerische Freiheiten: Er verlegt sie nach Florenz und in die Zeit der Entstehung der Fresken, also in die Jahre 1483 bis 1486. Unschwer zu erkennen ist die Piazza della Signoria mit der monumentalen Loggia dei Lanzi und dem wuchtigen Palazzo Vecchio. Im Vordergrund thront unterm Baldachin der Papst, umgeben von mehreren geistlichen Würdenträgern.

Spielen in dem Fresko auch weltliche Themen eine Rolle?

Ja, und zwar positioniert sich der Auftraggeber Sassetti in der Machtstruktur von Florenz: Am rechten Bildrand begegnen wir einem blau gewandeten Alten: Antonio Pucci, der als Parteigänger der Medici Verhandlungen mit der römischen Kurie geführt hatte. Daneben ist Lorenzo I. de' Medici (1449–1492) porträtiert, genannt der Prächtige, einer der reichsten und mächtigsten Männer seiner Zeit. Zu seiner Linken ließ sich der Auftraggeber selbst abbilden. Die Nähe zu dem großen Medici war gewollt und sollte vor allem Sassettis Loyalität gegenüber dem bedeutendsten Mann von Florenz unterstreichen. Beigestellt ist dieser Gruppe sein Sohn Federigo, der, wie einer der Medici-Söhne, für die geistliche Laufbahn bestimmt war.

Was wissen die Forscher von Ghirlandaios Leben?

Nicht viel. Man weiß, dass er 1449 als jüngstes von acht Geschwistern in Florenz geboren wurde und dort auch starb (1494). Er war Schüler in der Mosaik- und Malerwerkstatt des Alessio Baldovinetti. Zwischen 1480 und 1491 hatte er wohl seine produktivste Zeit und galt als anerkannter Künstler. Aus zwei Ehen hatte Ghirlandaio drei Töchter und drei Söhne. Einer der Großen der Kunstgeschichte lernte in Ghirlandaios Werkstatt: Michelangelo Buonarroti.

Wussten Sie, dass …

die Kirche Santa Trinità um 1200 an Stelle eines älteren Baus des 10. Jahrhunderts errichtet wurde? Im rechten Querschiff liegt die Kapelle mit den Ghirlandaio-Fresken.

die seit Beginn des 14. Jahrhunderts in Kirchen ausgeführten Freskenzyklen auch nicht-lesekundigen Menschen das Leben der Heiligen vermitteln sollten?

Botticellis Geburt der Venus: Keusche Schönheit

In was für einem geistig-kulturellen Umfeld entstand »Die Geburt der Venus«?

Sandro Botticelli malte das Bild 1484 bis 1485 in Florenz. Der wohlhabende Stadtstaat am Arnoufer war damals eines der Kulturzentren Europas und Ursprung sowie Mittelpunkt der Renaissance. Antike Schriftquellen und Ruinen wurden studiert, das dunkle Mittelalter schien überwunden – eine neue Zeit brach an. Der reichste Florentiner, Bankier Cosimo de' Medici, förderte diese Bewegung, indem er unter anderem die so genannte Platonische Akademie gründete: einen Kreis von Gelehrten, in den auch Maler und Bildhauer aufgenommen wurden. Mit Unterstützung der Medici hatte der Arzt Marsilio Ficino 1462 bis 1468 die Werke des griechischen Philosophen Platon übersetzt, die nun das Fundament neuer Denkmuster und Bildthemen bildeten.

Die philosophische Schule des Neuplatonismus geht von der Vorstellung aus, dass die Seele unsterblich ist und dass es eine Urweisheit gibt, welche die gesamte Geschichte kennzeichnet. Vom obersten Schöpfer ausgehend, ist sie auch im Menschen als Idee oder Möglichkeit vorhanden.

Auftraggeber des Venusbildes war vermutlich Lorenzo di Pier Francesco de' Medici aus einer Nebenlinie der Medici-Dynastie. Das Werk war für einen Raum in seiner Villa Castello nahe Florenz bestimmt.

Was stellt das Gemälde eigentlich dar?

Das Gemälde beschreibt die Ankunft der Liebesgöttin Venus auf Erden. Der Szene ist eine grausame Begebenheit vorausgegangen: Im Kampf der Götter hat Kronos seinen Vater Uranos entmachtet und ihn dabei entmannt, wobei sein Samen ins Meer fiel. Aus der wundersamen Verbindung von Himmel und Wasser ward die Liebesgöttin in einer Muschel geboren. Von links naht der Windgott Zephyr in Begleitung seiner Ehefrau Chloris. Er bläst der soeben aufgetauchten Venus den Westwind zu und treibt sie damit ans Ufer. Dort wartet der weibliche Genius des Frühlings, um Venus in ein blumenbesticktes Gewand zu hüllen. Doch Botticelli zieht es vor, dem Betrachter die schöne unbekleidete Venusgestalt zu offerieren.

Wie ist die Venusfigur gestaltet?

Die zauberhafte junge Frau ist das Ergebnis exakter anatomischer Studien. Sie ist von bestechender Plastizität, vollführt einen sinnlichen Hüftschwung und versucht, mit keuscher Geste – wenngleich nur halbherzig – ihre Brust zu verbergen. Mit der Ankunft der Liebesgöttin regnet es Rosen. Dank der Gegenwart von Venus gewinnt die Natur wieder Kraft, kehrt der Frühling nach hartem Winter zurück. Alles in diesem Bild ist von neuem Leben erfasst: Der Windstrom des Zephyr bewegt Gewänder und Haare, Wellen, Zweige und Blütenblätter.

Was sind die besonderen Merkmale des Werkes?

Die Formen leben vom leichten Fluss der Linien, die Figuren scheinen zu schweben. Das Bild ist ein einziger Ausdruck von Grazie und Eleganz, ein typisches Werk des dolce stilo, des »Weichen Stils«, wie er nach dem Ausklang der Spätgotik im Werk Botticellis weiterlebte. Die »Geburt der Venus« ist ein geglückter Versuch, antike Philosophie und christliche Heilslehre zusammenzubringen. Bereits die Komposition zeugt davon. Mangels direkter Vorbilder für das Thema griff Botticelli auf ein altbekanntes Motiv zurück, die Taufe Christi im Jordan, und ersetzte die biblischen Personen einfach durch mythologische.

Wussten Sie, dass …

Botticellis »Venus« mit einem Tabu brach? Sie ist der erste weibliche Akt der Neuzeit. Zuvor hatte Donatello den ersten männlichen Akt nach der Natur modelliert, einen jungen David aus Bronze (um 1430).

das Bild »Der Frühling« als Hochzeitsbild der Medici deren dynastische, politische und wirtschaftliche Ziele ausdrücken soll?

Botticelli eine Handschrift der »Göttlichen Komödie« Dante Alighieris mit 92 Federzeichnungen illustrierte?

Welche Einflüsse prägten den Maler in seiner künstlerischen Laufbahn?

Der Florentiner Sandro Botticelli war gemeinsam mit Leonardo da Vinci ein Schüler von Andrea del Verrocchio. Malerei studierte er schließlich auch bei dem bedeutenden Fra Filippo Lippi.

Das Malen frommer Andachtsbilder brachte Botticelli Ruhm ein, seine Spezialität waren fließende Gewänder. Durch die Protektion der Medici kam er in Kontakt mit der geistigen Elite der Zeit. Die Humanisten führten ihn ein in die Welt der griechisch-römischen Mythologie. Wahrscheinlich befanden sich in der Kunstsammlung der Medici antike Venusstatuen, die Botticelli studieren konnte. Am Ende seines Lebens geriet er in den Bann des fanatischen Bußpredigers Savonarola, der ihn veranlasste, einige seiner Bilder zu vernichten.

1480–1484 malte er, berufen von Papst Sixtus IV., drei Fresken in der Sixtinischen Kapelle in Rom, die biblische Szenen darstellen.

Andrea Mantegna, Der Tote Christus: Perspektive als Konzept

Welche Faktoren prägten das Schaffen Mantegnas?

Leben und Werk des Künstlers entwickelten sich um 1500 in einer Zeit umfassender gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen. Das Schaffen Mantegnas ist von seinem Interesse für die Archäologie und seiner Vorliebe für Perspektive und Illusionismus bestimmt.

Um 1500 herrscht in Italien noch der gotisch-erlesene Stil der Höfe, der nun jedoch einem wachsenden Interesse für die Antike weicht. Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler erarbeiten zuerst in Florenz und später in ganz Italien mit der Wiederentdeckung der antiken Kultur die Basis für die Wiederbelebung eines kulturellen Modells, in dessen Zentrum der Mensch steht. In der Frührenaissance finden die Ideale der lateinischen und griechischen Philosophie ihre Entsprechung in der Erforschung der harmonischen Proportionen des menschlichen Körpers. Er hat als Idealmaß auch für Architektur und Städteplanung Geltung. Im Zeitalter des Humanismus wird der Mensch als alleiniger Urheber seiner eigenen Geschichte wiederentdeckt. Aufgabe der Künstler war es, diese Idee in der Kunst sichtbar zu machen.

Setzt der »Tote Christus« das Menschenbild der Renaissance um?

Ja, Mantegnas »Toter Christus« gilt als herausragendes Beispiel für die Anwendung der neu entdeckten Ideale auf die bildliche Darstellung. Der Maler hat deutlich nicht die christliche Thematik in den Vordergrund seiner Darstellung gerückt. Er lässt vielmehr den Betrachter einen intimen Moment zwischen Menschen erleben: die Beweinung Christi vor der Grablegung durch Maria und zwei weitere Personen. Das kleine Gefäß rechts neben dem Kissen verweist auf die letzte Ölung. Die realistische Darstellung der christlichen Bildinhalte ist für die Zeit um 1500 ungewöhnlich.

Wie erzielt der Künstler beim Betrachter den Eindruck besonderer Nähe?

Das Gemälde zeigt in extrem verkürzter Perspektive den Leichnam Christi. Sein in der Totenstarre bereits ergrauter Körper nimmt fast das gesamte Bild ein. Man wähnt sich unvermittelt im Bild, als ob man an der Szene teilhätte. Der tote Christus liegt auf einer Bahre aus rosa Marmor, sein Kopf ist durch das Kissen leicht zum Betrachter hin geneigt. Das Leichentuch bedeckt lediglich den Unterkörper des Toten. Die ungewöhnliche Nahsicht der Darstellung verhindert eine Zuordnung der Szenerie in einen konkreten räumlichen oder zeitlichen Kontext.

Was verrät das Bild über den Künstler?

Mantegna nutzte die Darstellung eines religiösen Themas als Vehikel, um seine Bravour in den beiden Hauptbereichen der Malerei zu demonstrieren, in Anatomie und Perspektive. Jeder Künstler der Renaissance absolvierte anatomische Studien als Teil seiner Ausbildung, um den Menschen »in seiner Wesentlichkeit« kennen zu lernen. Im »Toten Christus« sind sie vor allem in der Wiedergabe des Brustkorbes und seiner Muskulatur deutlich erkennbar.

Die ungemein gewagte Perspektive, die Andrea Mantegna für seinen Christus wählte, finden wir auch in den Fresken der Camera degli Sposi (Gemach der Eheleute), die der Künstler 25 Jahre zuvor im Palazzo Ducale von Mantua angefertigt hatte.

Bereits 25 Jahre zuvor hatte Giovanni Bellini einen toten Christus gemalt, der von Engeln getragen wird. Das Bild weist einige formale Ähnlichkeiten mit Mantegnas Gemälde auf. Und doch markieren die beiden Werke zwei unterschiedliche Welten, zwei gänzlich verschiedene kulturelle Epochen. Auf beiden Bildern ist die Figur Christi bildfüllend präsentiert; die anatomisch korrekte Wiedergabe des menschlichen Körpers aber – wie wir sie zeitgleich auch bei Albrecht Dürer finden – und die geradezu waghalsige Perspektive machen das Werk Andrea Mantegnas zu einer Ikone der »neuen« Kultur der Renaissance.

Wo arbeitete Mantegna?

Der humanistisch ausgerichteten Familie Gonzaga, die ihn 1460 als Hofmaler nach Mantua geholt hatte, blieb Mantegna über drei Generationen (Ludovico, Federico und Francesco II. sowie dessen Gattin Isabella d'Este) hinweg treu.

Seine Ausbildung erhielt der um 1430 in Isola di Cartura bei Padua als Sohn eines Tischlers geborene Andrea Mantegna 1441–1448 bei dem Maler Francesco Squarcione in Padua. Schon mit 17 Jahren führte er seinen ersten Auftrag aus: eine nicht erhaltene Altartafel für die Kirche S. Sofia. Mit der Ausmalung der Kapelle für Antonio Orvetari in der Chiesa degli Eremitani in Padua begann er seine erste Freskenarbeit. 1456–1459 schuf er den Hochaltar der Kirche San Zeno Maggiore in Verona. 1460 schließlich erhielt Mantegna den Ruf der Gonzagas. An deren Hof blieb er, unterbrochen von Aufenthalten in Florenz (1466–1468) und Rom (1488/89), bis zu seinem Tod 1506.

Wussten Sie, dass …

Mantegnas Bild sich beim Tod des Künstlers noch in seinem Atelier befand? Der »Tote Christus« entstand in der letzten Schaffensphase Mantegnas. Wahrscheinlich hatte er das Gemälde für seine eigene Grabkapelle vorgesehen, die noch zu Lebzeiten des Künstlers in der Kirche Sant'Andrea in Mantua errichtet worden war.

die realistische Anmutung des toten Christus durch die Verwendung einer besonderen Maltechnik verschärft wird? Mantegna arbeitete mit Tempera ohne den üblichen Lackzusatz zur »Dämpfung« der Farben. So wirken die Farben besonders echt und lebensnah.

Dürers Selbstbildnis im Pelzrock: Inbegriff deutscher Renaissancekunst

Wie waren die Lebensumstände Albrecht Dürers?

Albrecht Dürer war mit 28 Jahren bereits ein über die Grenzen Nürnbergs hinaus bekannter, erfolgreicher Maler und Grafiker. Er verkehrte im Kreis von Humanisten und kannte die Schriften der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit. In dem Nürnberger Humanisten Willibald Pirckheimer fand er einen langjährigen Freund. Um 1500 konnte Dürer, der sich als begnadeter Künstler stets ins rechte Licht zu setzten wusste, von seiner Kunst gut leben und ausgedehnte Auslandsreisen unternehmen. Der vielseitig begabte Künstler und Kunsttheoretiker wusste um die eigene Meisterschaft und erfreute sich – im aufblühenden Individualkult der Renaissance nicht ungewöhnlich – an der eigenen Persönlichkeit. Über seinen Tod hinaus sollte sein Ruhm unsterblich bleiben. Der Hinweis auf die »unvergänglichen Farben« und die moderne Technik der Ölmalerei in der Inschrift rechts oben war also nicht ganz unpassend gewählt.

Welchen gesellschaftlichen Rang des Künstlers spiegelt das Porträt?

Der Maler erscheint als gepflegter Herr von höherem Stand in modischer Kleidung. Einen pelzbesetzten Gehrock, wie ihn Dürer anhat, trug die bessere Gesellschaft nur zu besonderen Anlässen. Dieser ist unterhalb der Schultern schwarz abgesetzt und geschlitzt– typisch für die damalige Herrenmode. Dürers Haar fällt in langen, fein geringelten Strähnen bis auf die Schultern, über der Stirn bildet sich ein kurz geschnittener Haarwirbel. Wahrscheinlich trug der Künstler seit 1495 ständig schulterlanges Haar und einen Kinn- und Zwirbelbart. Ein solches Outfit war damals ungewöhnlich. Es sind Briefe erhalten, in denen sich Dürers Zeitgenossen über die Extravaganz des Malers mokierten.

Wie ist das Selbstbildnis komponiert?

Der Künstler sieht frontal aus dem Bild. Mit dieser sonst nur von Andachtsbildern bekannten strengen Frontalität wählte Dürer eine Bildnisform, die dem Selbstporträt besondere Würde verleiht und es einem Idealtypus annähert: dem Gesicht Christi. Das belegen Vergleiche mit byzantinischen Ikonen und zeitgenössischen Christusdarstellungen. Auch das strenge Kompositionsschema unterstreicht den Versuch einer idealtypischen Darstellung. Dem Bildaufbau liegt ein ausgewogenes, mathematisch berechnetes Konstruktionssystem zugrunde. Die Proportionen gehen auf geometrische Grundformen wie Kreis, Dreieck und Quadrat zurück. Anhand kleiner, aber nicht zufälliger Details werden bildbestimmende Achsen erkennbar, die die Form eines Kreuzes bilden. Auch ist eine Aufteilung der Flächen nach der klassischen Proportionsvorgabe des goldenen Schnitts und entsprechend dem Teilungsschema byzantinischer Christusbildnisse nachweisbar.

Wollte Dürer sich als Christus darstellen?

Die Ähnlichkeit des Selbstporträts mit Christusbildern verführt zu dieser Annahme. Dürers Absicht war aber eine andere. Betrachten wir das Bild im Detail. Die Augen des Künstlers sind weit geöffnet. Im rechten Auge spiegelt sich ein kleines Kreuz, das auch auf einen religiösen Zusammenhang schließen lässt. Dichter und Theologen deuteten das Auge als das Fenster der Seele. Symbolisch ist gemeint, dass der Gläubige das Kreuz Christi ständig vor Augen haben soll – eine Auslegung, die auf die Lehre eines Thomas von Kempen verweist, welche im Spätmittelalter als imitatio Christi große Verbreitung fand. Auch das Frömmigkeitsideal der Franziskaner forderte eine äußere und innere Ähnlichkeit mit Christus. Dürer war von dieser Glaubenshaltung sehr beeindruckt. Seine Annäherung an Christus ist somit nicht blasphemisch, sondern Ausdruck der Bereitschaft, Christus zu folgen. Die optische Ähnlichkeit meint in Wirklichkeit die wesensmäßige – er will dem Gottessohn in dessen Ziel entsprechen, bescheiden, einfach und demütig zu leben.

Dürer als Inbegriff der deutschen Kunst

Das Selbstportrait von 1500 ist das letzte, das Dürer von sich malte. Wahrscheinlich hat es sein Atelier zu seinen Lebzeiten nie verlassen. Erst nach Dürers Tod gelangte die kleine Lindenholztafel ins Nürnberger Rathaus. Seitdem wird sie behandelt wie eine Ikone. Noch Jahrhunderte nach seiner Vollendung stehen heute Museumsbesucher andächtig vor diesem Bild – als sei in ihm alles enthalten, was bildende Kunst in Deutschland auszeichnet. Dürer wäre es wohl nicht unrecht.

Selten hat ein Künstler es der Nachwelt so leicht gemacht, sein Werk exakt zu datieren und zuzuordnen – Dürer lieferte auf seinem Selbstbildnis einen entsprechenden Kommentar gleich mit. Links oben stehen die Jahreszahl 1500 und das Monogramm AD für Albrecht Dürer. Rechts vermerkt eine lateinische Inschrift in goldgelber Antiqua: »So malte ich, Albrecht Dürer aus Nürnberg, mich selbst mit unvergänglichen Farben im Alter von 28 Jahren.

Wussten Sie, dass …

Dürer seine Erscheinung in dem berühmten Selbstporträt geschönt hat? Der »Betrug« kam bei der Restaurierung nach einem Säureattentat 1988 zu Tage. Unter der Farbschicht liegt eine detailreiche Vorzeichnung, die Dürers wahres Gesicht zeigt: mit weniger feinen Zügen, einer klobigeren Nase, kürzerer Stirn, höher liegenden Backenknochen und kleineren Augen. Kein Zweifel: Mit Hilfe der Farbgebung hatte Dürer sein Antlitz »mal-chirurgisch« verschönert. Authentisch sind dagegen sein langes Haar, der lang gestreckte Hals und die zarten, feingliedrigen Hände.

Was ist über Dürers Biografie bekannt?

Der am 21.5.1471 in Nürnberg geborene Sohn eines Goldschmieds lebte genau in der Übergangszeit von der Spätgotik zur Renaissance. In seiner Künstlerpersönlichkeit fanden die beiden Epochen zusammen. Als Maler, Holz- und Kupferstecher verband er auf geniale Weise Elemente der gotischen deutschen Kunst mit den Entwicklungen der italienischen Renaissance.

Seine Lehre absolvierte Dürer in der Goldschmiedewerkstatt seines Vaters und lernte von 1486 bis 1490 weiter bei dem Holzschnittzeichner und Maler Michael Wolgemut. Nach Wanderjahren (1490 bis 1494) in Colmar und Basel lernte er 1495 und 1505/06 Italien und seine Kunst kennen, 1520/21 dann auch die Niederlande. Nach einem schaffensreichen Leben starb er am 6.4.1528 in seiner Heimatstadt.

Michelangelos David: Die berühmteste Skulptur der Welt

Wann entstand die »David«-Statue?

Der »David« von Michelangelo Buonarroti, der sich selbst nur Michelangelo nannte, gilt als Hauptwerk in der frühen Schaffensphase des Künstlers. Am 5. Juni 1504 wurde auf der Piazza della Signoria eine fast 4,50 Meter hohe Kolossalplastik aufgestellt. Sie stellt den biblischen Helden David dar, der mit Intelligenz und Geschicklichkeit den Riesen Goliath besiegt. Der Transport zum endgültigen Aufstellungsort hatte aufgrund der Schwere der Marmorskulptur über fünf Tage gedauert; währenddessen war »David« von der Bevölkerung mit Steinen beworfen und beschädigt worden. Man vermutet, dass die Bewohner von Florenz Anstoß nahmen an der völligen Nacktheit des »David«, die bereits vorher für hitzige Diskussionen gesorgt hatte.

Wie löste man das Problem der Platzierung?

Ursprünglich war Michelangelo beauftragt worden, eine Davidstatue für einen der Chorpfeiler des Florentiner Domes zu fertigen. Die Nacktheit widersprach aber wohl dem geplanten Aufstellungsort in einem Sakralraum, so dass eine hochkarätige Kommission – der unter anderem Sandro Botticelli und Leonardo da Vinci angehörten – eingesetzt wurde, um eine neue Platzierung zu diskutieren. Man entschied sich für den Platz vor dem Palazzo Vecchio, dem Rathaus der Stadt. Damit unterlag die Davidstatue einem grundsätzlichen Funktionswandel: von der ursprünglich geplanten Aufstellung in einem Innenraum und in religiösem Zusammenhang zur Platzierung im öffentlichen Außenraum vor dem wichtigsten Regierungsbau der Republik mit deutlich (staats)politischer Zielsetzung.

Wie gestaltete Michelangelo die Figur?

In Anlehnung an antike Statuen wie etwa den Apoll vom Belvedere aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. schuf Michelangelo eine in Proportion und Haltung dem humanistischen Ideal entsprechende Figur. Sie verallgemeinert den biblischen Schafhirten David zu einem heroischen Menschen: Ruhe und Bewegung, Konzentration und Anspannung, Überlegtheit und Willenskraft kennzeichnen die Darstellung Davids, der versucht, den Gegner einzuschätzen und im richtigen Moment mit der richtigen Reaktion zu besiegen. Im Kontext der geplanten Aufstellung in einem Kirchenraum ist das Thema »David und Goliath« sinnfällig. Im öffentlichen Außenraum an einer stadtpolitisch prominenten Stelle vor dem Rathaus aber unterliegt der »David« einem völlig anderen Deutungs- und Funktionszusammenhang.

Wofür steht der »David«?

Zusammen mit dem »David« und der »Judith-Holofernes-Gruppe« von Donatello ist dieses Hauptwerk Michelangelos das wichtigste Sinnbild der Florentiner Kommune. Doch wenn der »David« Florenz verkörpert – wer ist dann der Riese Goliath? Bereits Zeitgenossen gaben die Antwort auf diese Frage: Der kleine, aber intelligente und schlagkräftige David aus Florenz behauptet sich gegen den römischen Goliath des Vatikans. Der »David« erhielt durch seinen Aufstellungsort im öffentlichen Außenraum eine unerhörte politische Prominenz. Bis heute wird er von Touristenströmen millionenfach besichtigt und fotografiert als »künstlerische Allegorie« der Stadt Florenz. Doch da die Auftraggeber den ursprünglichen Auftrag an Michelangelo so grundsätzlich veränderten, empfand der Künstler die Aufstellung vor dem Rathaus als persönliche Niederlage.

Welches Erlebnis hatte den Künstler enttäuscht?

1496 war Michelangelo nach Rom gegangen, wo er sich mit der im Vatikan eingerichteten Antikensammlung vertraut machte. Hier entstand seine erste wichtige Skulptur, die lebensgroße Figur des Weingottes Bacchus. Allerdings war der Auftraggeber, Kardinal Raffaello Riario, mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Die Arbeit kam in die Antikensammlung eines Bankiers. Was war geschehen?

Der Auftrag des Kardinals hatte von Michelangelo eine bewusste Antikenfälschung gefordert. Michelangelo machte das Motiv des Rausches, des Torkelns, zum Hauptaspekt seiner Arbeit. Die ideale antike Körperhaltung ging dadurch verloren. Jeder hätte sofort bemerkt, dass es sich nicht um eine antike römische Statue, sondern um eine zeitgenössische Interpretation des Bacchus handelte. Dieses Dilemma zwischen Tradition und Innovation, zwischen konkretem Auftrag und künstlerischer Umsetzung war letztlich auch der Grund, warum der »David« in Florenz nicht wie geplant im Florentiner Dom Aufstellung fand.

Wussten Sie, dass …

Michelangelo den »David« aus einem riesigen Marmorblock schuf, den ein anderer Bildhauer 40 Jahre zuvor vergeblich zu bearbeiten versucht hatte?

der Künstler hinter einem Sichtschutz arbeitete, um vor Fertigstellung niemandem einen Blick auf das Werk zu ermöglichen?

Welche Sorgen plagten Michelangelo trotz seines Erfolgs als Künstler?

Obwohl Michelangelo bereits zu Lebzeiten den Beinamen »Il Divino« (»Der Göttliche«) erhielt, war er eine gebrochene Persönlichkeit. Ständig quälten ihn Selbstzweifel über die Qualität seines künstlerischen Schaffens. Zeit seines Lebens war er zudem von Geldsorgen geplagt – ein trauriger Kontrast zur künstlerischen Größe des Jahrhundertgenies.

Geboren in Caprese, zog der Künstler schon als Kind mit seiner Familie nach Florenz, wo er Malerei und Bildhauerei lernte. Der Sturz der Medici trieb ihn zunächst nach Bologna, 1495 kehrte er aber in seine nun von Savonarola beherrschte Heimatstadt zurück. Spannungsreich war Michelangelos Beziehung zu Rom und den dortigen Päpsten. Mehrere große Aufträge gelangten nie zur Ausführung oder blieben Fragment. Auch die Medici waren trotz aller politischen Wirren bis zu Michelangelos Tod wichtige Auftraggeber. Michelangelo starb 1564 in Rom.

Hieronymus Boschs Jüngstes Gericht: Vision vom Weltenende

In welchem geistigen Klima entstand das Bild?

Als das Werk entstand, das vermutlich von Philipp dem Schönen, Herzog von Burgund und Brabant und späterer König von Kastilien, 1504 bei Bosch in Auftrag gegeben wurde, herrschte im Abendland eine allgemeine Hysterie: Selbst ernannte Propheten sagten das bevorstehende Weltenende voraus. Seuchen, Überschwemmungen oder Missgeburten wurden als Zeichen göttlichen Zorns gedeutet. Ein Zeitgenosse Boschs wagte gar die Prognose, dass von 30000 Menschen am Ende nicht mehr als zwei gerettet würden.

Die Mitteltafel in Boschs Flügelaltar zeigt dazu passend tatsächlich nur wenige, die von Engeln gen Himmel geführt werden. Der Rest der Menschheit scheint verloren. Die Kirche sah es als Hauptaufgabe an, die Menschen auf das Jüngste Gericht vorzubereiten. In zahllosen Büchern und Predigten wurden die endlosen Qualen der Verdammten beschrieben. Boschs Darstellung vom Ende der Welt ist somit ein Dokument des Zeitgeistes um 1500.

Welche Elemente prägen Boschs höllisches Szenario?

Boschs Vision vom letzten Tag der Menschheit und der Herrschaft des Bösen ist kleinteilig und grotesk, fantastisch, anziehend und abstoßend zugleich. Er malt eine Höllenfauna, bestehend aus Kröten, Ottern, Nattern sowie Drachen, und hält einen nicht enden wollenden Vorrat an Mischwesen bereit, bizarr verformte Menschentiere und Maschinen, welche den Menschen auf grausame Weise quälen. Der Künstler bricht dabei bewusst mit traditionellen Darstellungsformen: Der Einfluss Gottes ist reduziert, das Lager der Seligen verschwunden. Eingerahmt von einer Paradies- und einer Höllendarstellung schildert die Mitteltafel keinen dazwischen schwebenden Hoffnungszustand. Am Tag des Jüngsten Gerichts hat das Böse von der Erde bereits Besitz ergriffen. Aus der Vogelperspektive blicken wir auf eine Welt, in der nurmehr Chaos, Anarchie, Dunkel und Verwüstung herrschen. Nirgendwo finden wir Trost, die himmlische Sphäre Gottvaters ist weit entfernt.

Was zeigt der linke Flügel?

In aufgeklapptem Zustand schildert das Werk zur Linken das Leben von Adam und Eva im Paradies, deren Sündenfall und die Vertreibung. Der Garten Eden ist friedlich und leer, in der Mitte steht der Baum der Erkenntnis. Nicht nur das erste Menschenpaar erfährt Gottes gerechte Strafe, auch die abtrünnigen Engel Luzifers werden aus dem Himmel verstoßen.

Was ist auf dem Weltgericht zu sehen?

In dem obersten Feld des Mittelteils hält Christus Gericht. Während Posaunenengel zum letzten Appell blasen und Maria wie auch Johannes das Geschehen schweigend verfolgen, sehen wir die Apostel wild gestikulierend, als seien sie damit keinesfalls einverstanden. Die Sphäre des Himmlischen Gerichts ist der Erde entrückt, Gottes Gerechtigkeit kann die Welt nicht mehr erreichen, des Teufels grausamer Vollzug ist in vollem Gange.

Vor dem Betrachter breitet sich eine von Bränden und Zerstörung heimgesuchte Landschaft aus. Die Welt ist nurmehr ein nachtschwarzes Fegefeuer, Schauplatz von brutalen Massakern und Folterungen. Die Menschheit wird drangsaliert von Dämonen, merkwürdigsten Kobolden und Kopffüßlern oder Zwitterwesen aus Insekten, Schlangen, Reptilien, Fischen und Ratten. Dazwischen blitzt blankes Metall hervor, scharfe Messer und Spieße oder mobile Foltermaschinen mit skurriler Mechanik. Apathisch, vom Schmerz übermannt, haben sich die Menschen mit ihrem Schicksal abgefunden: Sie werden aufgespießt, gepfählt, verstümmelt oder in Obstpressen verrührt.

Wie ist die Hölle auf dem rechten Flügel gestaltet?

Die Darstellung der Hölle auf dem rechten Flügel ist das Schreckensbild ewiger Verdammnis. An der Pforte zur Hölle empfängt der Satan seine Beute. Riesige Ungeheuer verschlingen ihre Opfer – im Reich der Hölle geht es offenbar kaum schlimmer zu als auf Erden.

Wer war Hieronymus Bosch?

Bosch (um 1450–1516), Maler dämonischer Welten und Schreckensvisionen, wurde in 's Hertogenbosch geboren, wo er bis zu seinem Tod arbeitete. Vermutlich leitet sich sein Name von dem niederländischen Provinzstädtchen ab. Fern der Kunstzentren entwickelte er eine eigenwillige Bilderwelt, die Fantasien und Traumbildern keine Grenzen setzte. Seine Sittengemälde sind plakativ und verschlüsselt zugleich, abstrus und satirisch, bisweilen heiter, aber auch zeitkritisch und auf eine verblüffende Weise modern.

Wussten Sie, dass …

die Altarflügel mit Bavo und Jakobus zwei in den Niederlanden und Kastilien verehrte Heilige zeigen? Es ist wohl eine Anspielung auf den Auftraggeber, Philipp von Burgund und Flandern sowie seine Frau Johanna.

Boschs »moderner« Malstil den Surrealisten des 20. Jahrhunderts als Anregung diente?

Leonardos Mona Lisa: Die Malerei entdeckt das Seelenleben

Wer ist auf dem Gemälde dargestellt?

Vor dem Hintergrund einer dramatischen Gebirgslandschaft blickt uns eine dunkel gekleidete Frauengestalt an. Die Dame ist etwa 25 Jahre alt. Ihren Zeitgenossen blieb sie weitgehend unbekannt – heute ist sie eine der berühmtesten Frauen der Renaissance. Ihr Name: Lisa del Giocondo. Sie war die Gemahlin des Florentiner Seidenhändlers Francesco del Giocondo, des Auftraggebers des Gemäldes.

Ein transparenter Schleier bedeckt das lange, gelockte Haar. Mit einer leichten Drehung wendet sich Mona Lisa dem Betrachter zu und fixiert ihn mit einem stillen Lächeln. In der Vergangenheit hob man immer wieder dieses geheimnisvolle Lächeln als eine Besonderheit des Bildes hervor. Es brachte und bringt sogar eingefleischte Museumsmuffel dazu, das obligatorische Schlangestehen im Pariser Louvre für einen kurzen Blick auf Leonardos weltberühmtes Bild in Kauf zu nehmen.

Was macht die Figur so geheimnisvoll?

Die Wirkung des Porträts beruht allerdings auf mehr als einer schlichten Mundbewegung. Die Faszination des Bildes gründet im Gesamtausdruck des Gesichtes. Mona Lisas Blick hat etwas seltsam Bannendes, dabei höchst Unbestimmtes. Sieht man näher hin, erkennt man, dass Leonardo die rechte Gesichtshälfte geschickt verfremdete. Mit Hilfe einer etwas größeren Schattenzone am rechten Auge entwickelte er einen Effekt, der dem eines aufgelegten Lidschattens vergleichbar ist. Zusätzlich verunklärte er den rechten Mundwinkel und zog ihn mit abstrahierenden Pinselstrichen in die Breite, wodurch jener nicht genau fassbare Ausdruck entstand. Bei Mona Lisas linker Gesichtshälfte verzichtete der Maler auf künstliche Effekte – somit präsentiert er uns zwei ungleiche Gesichtshälften, deren subtiles Zusammenspiel eine intensive psychologische Wirkung entfaltet.

Die Intensität des Blicks wird noch dadurch verstärkt, dass das linke, dem Betrachter näher liegende Auge auf der vertikalen Mittelachse des Bildes liegt. Hier entwickelte Leonardo einen Kunstgriff, mit dem die Maler bis in das 19. Jahrhundert hinein häufig operieren sollten. Der achsiale Effekt wird noch dadurch unterstrichen, dass die Augen knapp über der Horizontlinie des Bildhintergrundes positioniert sind. Die Horizontlinie erfährt auf diese Weise einen irritierenden Bruch. Es scheint, als läge der Horizont links vom Kopf etwas tiefer.

Wie belebt Leonardo die Frauenfigur?

Der Maler experimentiert mit den verschiedensten Mitteln, um die gemalte Gestalt zum Leben zu erwecken. Dazu gehört auch der kunstvolle Umgang mit Licht und Schatten. Die Buntfarben sind reduziert und lassen die Fleischfarben der Haut hervortreten. Gewand und Schleier werden in ein merkwürdiges Dunkel getaucht. Der Hautton (das so genannte Inkarnat), der die Farbgebung dominiert, verleiht dem Körper eine für damalige Betrachter ungewohnt lebensechte Fleischlichkeit. Die ausgedehnten Schattenzonen wiederum suggerieren räumliche Tiefe, etwa hinter den verschränkten Händen Mona Lisas.

Welche neuen Techniken führte Leonardo in die Malerei ein?

Eine innovative Leistung vollbringt Leonardo im raffinierten Einsatz weniger Pinselzüge und Lichtreflexe, um die Arme aus der Schattenzone heraustreten zu lassen. Der Künstler entwickelte eine Frühform der Hell-Dunkel-Malerei, des Chiaroscuro. Das malerische Verfahren wurde in der Folgezeit vor allem in Venedig aufgegriffen und etablierte sich vom frühen 17. Jahrhundert an europaweit zu einer der wichtigsten Maltechniken.

Eine weitere entscheidende maltechnischen Erfindung Leonardos war das Sfumato, das Verwischen und Verschwimmen der Linien und Umrisse. Auf diese Weise konnten Übergänge weicher und fließender modelliert und alle Bildelemente zu einer überzeugenden räumlichen Einheit verschmolzen werden.

Was ist das Neue an dem Porträt?

Obschon sich die Porträtmaler seit etwa 1360 bemühten, identifizierbare und unverwechselbare Persönlichkeiten zu verbildlichen, präsentierten sie eher durch Konventionen festgelegte Typen als wirklich individuelle Charaktere. Leonardos Bild bedeutete eine gewaltige Pionierleistung: Es zeugt von seinem Bemühen, eine zeitgenössische Persönlichkeit als beseeltes Individuum im Bild einzufangen, ohne dabei den komplexen Regelkatalog der Figurenmalerei zu verletzen.

Welche weiteren Interessen verfolgte Leonardo neben der Malerei?

Wie kein anderer Maler verkörpert Leonardo da Vinci (1452–1519) den Forschertyp unter den Künstlern der Renaissance. Sein wissenschaftliches Interesse galt der Natur und der Technik – und allem voran dem großen Geheimnis Mensch. In der Malerei rang Leonardo nicht zuletzt um die Enträtselung der menschlichen Wahrnehmung. Darüber hinaus beschäftigte sich Leonardo da Vinci mit Mechanik, Militärwesen, Architektur und Anatomie. Bekannt sind seine Versuche, eine Flugmaschine zu konstruieren.

Den größten Teil seiner Jugend verbrachte Leonardo in Florenz. Die Medici ermöglichten ihm ein Studium bei Andrea del Verrocchio. Aus seiner Frühzeit sind wenige authentische Werke überliefert.

1487 ging der Maler nach Mailand, wo er für die Sforzas arbeitete. Dort entstand auch sein bekanntestes Fresko, das »Letzte Abendmahl«, für die Kirche Santa Maria delle Grazie.

Sankt Peter in Rom: Die bedeutendste Kirche der Christenheit

Warum steht die Peterskirche in Rom?

Die Päpste formten als Bischöfe von Rom das Gesicht der Stadt. Im Zentrum ihrer Bemühungen stand die Peterskirche, die für die gesamte Christenheit zu einem Fixpunkt werden sollte – bis heute symbolisiert im Segen »urbi et orbi«, den der Papst alljährlich »Stadt und Welt« vom zentralen Balkon aus spendet.

Was stand vorher an dem jetzigen Platz der Kirche?

Alt Sankt Peter. Unter dem ersten christlichen Kaiser Konstantin I. 324 begonnen (vollendet 349), entstand sie als fünfschiffige, flach gedeckte Basilika auf einem heidnischen Friedhof, auf dem man das Grab des Apostels Petrus vermutete. Erst nach der Rückkehr der Päpste aus dem Exil in Avignon wurde der heutige Bau 1506 in Angriff genommen. Unter dem extravaganten Papst Julius II. (1503–1513) nahm er langsam Gestalt an. Fatalerweise sollte ausgerechnet der Ablasshandel, der das Unternehmen finanzieren musste, Martin Luthers Kirchenkritik entzünden und damit das Christentum spalten.

Warum wurde so lange gebaut?

Die lange Baugeschichte stand im Zeichen der Konkurrenz zweier widerstrebender Konzepte: des Richtungsbau-Gedankens, auf den nicht zuletzt aus liturgischen Gründen immer wieder zurückgegriffen wurde (ein Langhaus kann eine größere Gemeinde fassen!), und des Zentralbau-Prinzips im Sinne des Architekten Bramante, das die Glaubenssymbolik pointierter zum Ausdruck bringt. Es wurde auch von Michelangelo favorisiert. Liturgische Erwägungen und der Stilwandel zum Barock führten zum Anbau eines Langhauses (ab 1607) und der Hinzufügung der breiten Fassade zum Petersplatz. Durch Papst Urban VIII. wurde 1626 der größte Kirchenbau der Christen (Gesamtlänge 211 Meter, Kuppelhöhe 132 Meter) eingeweiht.

Wie viele Menschen fasst der Raum?

Der Innenraum bietet 60000 Gläubigen Platz und zählt zu den eindrucksvollsten Kirchenräumen überhaupt. Er ist ganz auf den sakralen Mittelpunkt des Baus hin ausgerichtet: Berninis barocken Hauptaltar über dem Grab Petri (1624–1633) am Kreuzpunkt zwischen Lang- und Querschiff – ein monumentaler, 29 Meter aufragender Baldachin über vier gewundenen Bronzesäulen. In der Apsis fällt der Blick auf eine weitere barocke Fantasie Berninis, den symbolischen Thron Petri (die Cattedra). Unzählige Meisterwerke der Renaissance und des Barock – darunter Giottos Mosaik »Sturm auf dem See Genezareth« – zählen zur hochrangigen Ausstattung des Petersdoms. Michelangelo sollte mit seiner frühen, anrührenden »Pietà« (1498–1500) seinen Ruhm als Bildhauer begründen.

Wie groß ist die Kuppel?

Die von Michelangelo entworfene Kuppel sitzt über einem hohen Kuppelunterbau mit einem Durchmesser von 42 Metern. Einer inneren Raumschale ist die äußere Kuppelschale übergestülpt, die von einer Laterne bekrönt wird. Bereits bei ihrer Vollendung 1590 wurde die Cupola als Wunderwerk bestaunt.

Wussten Sie, dass …

die Peterskirche offiziell San Pietro in Vaticano heißt?

der Grundriss von Sankt Peter vom antiken Pantheon inspiriert ist?

Bramante mit seinem Tempietto San Pietro in Montorio (1502) den ersten reinen Zentralbau Roms nach antikem Vorbild geschaffen hatte?

Giottos Mosaik »Sturm auf dem See Genezareth« bereits aus der Vorgängerkirche stammt?

Wer waren die Architekten?

Orientierungsmodell für alle weiteren Nachfolger war der Entwurf Donato Bramantes (1444–1514), der nach Bauten in Mailand als Baumeister Julius' II. die Architektur der Hochrenaissance maßgeblich prägte.

Verschiedene Anbauten, besonders durch Raffael (1483–1520), der allerdings als Bauleiter kaum nennenswerte Spuren hinterließ, wurden 1547 bis 1564 unter Michelangelo (1475 bis 1564) wieder entfernt. Die von diesem entworfene Kuppel wurde von seinem Nachfolger Giacomo della Porta (1539–1602) vollendet.

Domenico Fontana (1543–1607), der als Hausarchitekt Sixtus' V. auch den Lateranspalast entworfen hatte, brachte vermutlich seinen Neffen Carlo Maderno (1556–1629) ins Spiel. Ihm fiel die wenig dankbare Aufgabe zu, die die Gesamtproportionen verfälschenden Maßnahmen (Langhaus, Fassade) durchzuführen.

Gianlorenzo Bernini (1598–1680) schließlich war unter Papst Urban VIII. und sechs weiteren Päpsten Bauleiter in Rom. Aus seiner Hand stammt der Entwurf für die Kolonnaden, mit denen er einen der Peterskirche würdigen Vorplatz schuf.

Die Erschaffung Adams: Michelangelos Schöpfungsgeschichte

Wer gab die Cappella Sistina in Auftrag?

Papst Julius II. war ein großer Kunstmäzen. 1505 lockte er Michelangelo nach Rom mit dem Auftrag, ein päpstliches Grabmal zu schaffen. Kaum lagen die ersten Entwürfe vor, ließ der Papst das Grabprojekt fallen und wies Michelangelo an, das Gewölbe der Sixtinischen Kapelle auszumalen. Obwohl in der Freskomalerei ungeübt, nahm Michelangelo die schwere Aufgabe an. Nach einem ersten unbefriedigenden Entwurf erweiterte er die auszumalende Gewölbefläche auf rund 1000 Quadratmeter, sah die Darstellung der Schöpfungsgeschichte auf neun rechteckigen Bildfeldern im Mittelteil vor und entwickelte ein aus rund 300 Figuren bestehendes Bildprogramm, dem der Papst am Ende zustimmte.

Wie ist Adam dargestellt?

Auf dem Boden einer noch vegetationslosen Erde liegt müde der erste Mensch, als sei er aus einem Urschlaf erwacht. Michelangelo beschreibt Adam als einen kräftigen und anmutigen jungen Mann, der sich mühsam aufzurichten versucht, während er seinen linken Arm dem Schöpfergott entgegenstreckt. Dieser ist eine würdevolle greise Gestalt mit grauweißem Haar und langem Bart, begleitet und getragen von Engeln. Ein majestätischer Mantel, wie ein Segel im Fahrtwind aufgebläht, umhüllt die himmlische Formation und geleitet sie durch das Universum. In nächster Nähe zu Adam streckt Gottvater seine Hand aus und vollendet seine Schöpfung, indem er ihm durch eine kurze Berührung der Zeigefinger Leben und Geist spendet.

Welcher Augenblick der Schöpfung ist zu sehen?

Michelangelo zeigt den Moment unmittelbar vor dem entscheidenden Schöpfungsakt – ein spannungsgeladener, an Bedeutung für die Menschheit kaum zu übertreffender Augenblick. Die ganze Dramatik der Darstellung lebt von dieser Berührung, der gesamte Bildaufbau mit dem an dieser Stelle ausgeblendeten Hintergrund ist darauf ausgerichtet. Michelangelo nutzte das relativ niedrige, jedoch breite Deckenfeld für einen kompositorischen Kunstgriff. Die beiden Hauptakteure sind schräg und dabei parallel zueinander angeordnet mit einem noch halb schlafenden Adam und einem schwebenden Gottvater. Wie unterschiedlich sind doch die beiden Welten: links Jugend und Unerfahrenheit, Hilflosigkeit und Passivität, eine leblose, an die Schwerkraft der Erde gebundene Kreatur, die ihren Finger kaum zu heben vermag und den Blick sehnsüchtig auf den Schöpfer richtet. Rechts hingegen die kreative Kraft eines alten, weisen Gottes, der sein Werk vollendet, indem er sich des Menschen mit beinahe väterlicher Fürsorge annimmt. Michelangelo beschreibt den Schöpfungsakt nicht als ein göttliches Modellieren mit Ton und Erde. Adam ist bereits als körperlich vollkommenes Geschöpf existent. Der Schöpfungsakt ist hier in unbeschreibbare Sphären entrückt, Geist und Odem fließen unsichtbar durch die Kuppen der Zeigefinger. Der große erste Akt der Menschheitsgeschichte wird mit besonderer Leichtigkeit und genialer Einfachheit vorgetragen. Der Künstler vergaß auch nicht eine andere wichtige Tatsache: In weiser Voraussicht hält Gott gegen Adams Einsamkeit ein weibliches Wesen bereit, das unter seinem Arm neugierig hervorschaut …

Auf welchen Bibeltext bezog sich Michelangelo?

Michelangelo folgte mit seiner Darstellung der Erschaffung Adams der Beschreibung in der Genesis, dem ersten Buch des Alten Testaments. Hier heißt es, dass Gott den Menschen als sein Ebenbild schuf. Als letztes Werk der Schöpfung wird der Mensch als deren Krönung hervorgehoben – von Gott in die Welt gesetzt und zugleich ihm ebenbürtig. Nie zuvor in der Kunst war die Erschaffung des Menschen in ähnlich überzeugender Ausdruckskraft beschrieben worden. Spätere Malergenerationen konnten das Elementare dieses Vorgangs nur kopieren, nie mehr vollkommener darstellen.

Wie arbeitete Michelangelo?

Vier Jahre lang stand Michelangelo Tag für Tag auf einem 20 Meter hohen, primitiven Holzgerüst unter dem Gewölbe – »gekrümmt wie ein syrischer Bogen«. Man fragt sich, wie er aus dieser Distanz Szenen und Figuren in richtiger Perspektive malen konnte. Außer einem Gehilfen, der ihm die Farben zubereitete, war Michelangelo auf sich allein gestellt. Sein Auftraggeber hatte wenig Geduld und drängte auf eine schnelle Fertigstellung. Endlich, am 31. Oktober 1512, war es so weit. Bei der feierlichen Enthüllung war die gesamte römische Prominenz vertreten, auch Michelangelos Erzrivale Raffael – der sprachlos staunte.

Wussten Sie, dass …

Michelangelo eigentlich Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simonibar hieß?

der Künstler durch seine Arbeit jahrelang seine ganze Familie unterstützte?

Michelangelo 1541 im Auftrag des neuen Papstes Klemens VII. auch noch das große Altarbild in der Kapelle fertigstellte? Das Fresko stellt das Jüngste Gericht dar.

in der Sixtinischen Kapelle bis heute das Konklave, die Zusammenkunft der Kardinäle bei der Papstwahl, abgehalten wird?

Der Isenheimer Altar: Predigt in schockierenden Bildern

Was sind die Besonderheiten des Isenheimer Altars?

Das aus mehreren großformatigen Bildern bestehende Werk ist als Wandelaltar – das ist ein Altar mit auf- und zuklappbaren Flügeln – mit neun Tafeln und einer bemalten Gesamtfläche von 37 Quadratmetern angelegt.

Den Auftrag zu dem gewaltigen Opus erteilte 1512 der italienische Domherr Guido Guersi für ein Hospital des Antoniterklosters im elsässischen Ingelheim. Der Isenheimer Altar war Antonius, dem Ordensgründer und Schutzpatron bei ansteckenden Krankheiten, geweiht. Mit ergreifendem Realismus stellte der Künstler Matthias Grünewald mittelalterliche Themen in teils traditioneller, teils manieristisch-expressiver Form dar.

Die Bildtafeln des 1516 vollendeten Werks wurden 1794 ins nahe gelegene Colmar gebracht und sind seit 1852 im dortigen Unterlinden-Museum ausgestellt. Der einst mehr als fünf Meter hohe spätgotische Aufbau des Schnitzaltars blieb in Ingelheim und ging später verloren.

Wie sind die Tafeln des Altarbilds angeordnet?

In geschlossenem Zustand zeigt der Isenheimer Altar die Kreuzigung Christi, an den Seiten den heiligen Sebastian und den Ordenspatron Antonius sowie in der Predella (am Altarunterbau) die Grablege Christi. An Fest- und Feiertagen wurde der Altar geöffnet und die Gläubigen sahen drei verschiedene Ansichten: Auf dem linken Außenflügel die Verkündigung, im Mittelteil die Geburt Christi und rechts die Auferstehung des Herrn. Nur am 17. Januar, dem Festtag des heiligen Antonius, wurden auch die Innenflügel geöffnet, so dass der Schrein mit reich vergoldeten Holzskulpturen zu sehen war. Die hier versammelten Heiligen sind Augustinus, Antonius und Hieronymus, während in der Predella Christus inmitten der Apostel erscheint. Auf den Flügeln sieht man Szenen aus dem Leben des Einsiedlers Antonius.

Wie gestaltete der Künstler die zentrale Kreuzigungsszene?

Grünewald konfrontiert den Betrachter mit einem gequälten Christus am Kreuz. Der Leib ist gekrümmt und deformiert, der ausgemergelte Körper geschunden, die Hände sind krampfhaft gespreizt, die Füße verbogen. Nach der Geißelung stecken noch Dornen im Fleisch, aus den Wunden fließt Blut. Man fühlt geradezu, wie schwer die Dornenkrone drückt. Christi Haupt ist nach vorne gesunken, der letzte Atem ausgehaucht. Die dahinter ausgebreitete, trostlose Landschaft liegt in gespenstischem Dunkel. Angesichts der Agonie ihres Sohnes sinkt Maria in Ohnmacht, wird aber von Johannes, dem Lieblingsjünger des Herrn, gehalten. In ihrer Verzweiflung fällt Maria Magdalena auf die Knie und hebt flehend die Hände. Auf der gegenüberliegenden Seite steht Johannes der Täufer, der mit den Worten »Jener muss abnehmen, ich aber wachsen« auf Christus verweist. Neben ihm erscheint ein Lamm als Sinnbild des Opfertodes Christi; es trägt ein Kreuz und lässt sein Blut in den Abendmahlskelch fließen. Im Kontrast zu dieser Dramatik steht die stille Ruhe in der Predella, die sich mit der Bestattung des Christuskörpers einstellt.

Schuf Grünewald auch Bilder der Freude?

Ja. Die Weihnachtsszene zeigt eine glückliche junge Mutter mit ihrem Neugeborenen. Griffbereit stehen im Vordergrund Wiege und Badezuber. In einer strahlenden Himmelsgloriole im Hintergrund erscheint von Engelscharen umgeben Gottvater. Im prunkvollen Rundtempel zur Linken musizieren die Engel.

In der Szene der Auferstehung und Himmelfahrt Christi sehen wir den Erlöser als verklärte Lichtgestalt gemalt, von einem bunten Farbkranz umgeben und mit erhobenen Händen die Wundmale zeigend. Nach oben schwebend werden die Leichentücher, die in reicher Farbschattierung aufleuchten, mitgerissen, während die Kriegsknechte unten, vom himmlischen Licht geblendet, zu Boden stürzen.

Wussten Sie, dass …

sich Grünewald auf den Seitentafeln des Altars wohl selbst dargestellt hat? Die Forschung vermutet im Eremiten Paulus ein Selbstbildnis des Malers. Für den weißbärtigen Antonius soll dagegen der Auftraggeber Modell gestanden haben.

Ist Matthias Grünewald ein Phantom?

Nein, seine Werke sind nachgewiesen, aber seine Identität ist bis heute umstritten, sein Lebenslauf teilweise ungeklärt.

Mathis Nithart (oder Neithart) wurde wohl um 1460 in Würzburg geboren, verbürgt ist sein Sterbedatum, der 31.8.1528 (Halle an der Saale). Später änderte er seinen Familiennamen in Gothart. Durch eine vermutliche Verwechslung seines Biografen Joachim von Sandrart wird er schon seit dem 17. Jahrhundert in der Kunstgeschichte als Matthias Grünewald geführt. Sein erstes datiertes Werk stammt von 1503. Seit 1508 arbeitete er für den Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg. Von 1520 bis zu seinem Tod 1528 wirkte er in Albrechts Residenzstadt Halle als »Wasserkunstmeister«. Über seine privaten Verhältnisse ist wenig bekannt.

Raffaels Sixtinische Madonna: Vom Altarbild zum Kultbild

Wo sollte das Bild hängen?

Raffael malte die »Sixtinische Madonna« wohl um 1515/16 für die Benediktinerkirche San Sisto in Piacenza. Es ist eines der wenigen Leinwandbilder dieser Epoche, zumeist wurde noch auf Holz gemalt. Der Künstler arbeitete damals in Rom. Manche Kunsthistoriker vermuten, dass Papst Julius II. der Auftraggeber des wohl berühmtesten Bildes Raffaels gewesen sein könnte, allerdings starb er bereits 1513. Wahrscheinlicher ist, dass die Mönche von San Sisto das Altarbild selbst bestellten.

Wie ist der Bildaufbau strukturiert?

Raffael inszeniert einem Theaterregisseur gleich mit dem Pinsel eine Art Bühnenbild: Ein schwerer samtgrüner Vorhang öffnet sich und dem Betrachter strömt goldenes Licht entgegen. Die Lichtfülle überstrahlt ein Heer aus unzähligen Engelsköpfen im Gefolge Mariens. Im Zentrum des Lichtstrahls schwebt die Muttergottes mit wehendem Gewand durch die Lüfte heran. Mit einer fast unmerklichen Schrittbewegung tritt sie in einen unwirklichen bühnenartigen Raum, der durch den Vorhang und eine Brüstung angedeutet ist.

Der Christusknabe auf ihrem Arm wirkt in seiner michelangelesken Körperlichkeit als ausgereifte Persönlichkeit. Sein ernster Blick verrät, dass er sein mit Leiden verbundenes Erlösungswerk schon jetzt erahnt. Wer das Bild an seinem ursprünglichen Aufstellungsort sah, der erlebte eine mit malerischen Mitteln inszenierte Marienerscheinung. Der Künstler provozierte bei den Gläubigen gewissermaßen ein heiliges Erschauern.

Wen stellen die anderen Figuren dar?

Die Madonna wird flankiert von zwei Heiligen, Sixtus – der die Züge des Papstes Julius II. trägt – und Barbara. In der für Raffael charakteristischen pyramidalen Komposition bildet Maria die Mitte. Der Fuß ihres rechten Standbeins und ihr linker Oberschenkel markieren die vertikale Mittelachse des Gemäldes – ein Detail, das dazu beiträgt, trotz der vielfältigen Körperbewegungen der Figuren eine Atmosphäre von Ruhe und Würde zu schaffen. Die heilige Barbara blickt mahnend zu den beiden Engeln herab, die – statt angemessen Aufmerksamkeit zu zollen – dem Laster untätiger Muße erliegen und die Erscheinung der Madonna zu versäumen drohen. Sixtus hingegen wendet sich als Fürsprecher der Menschen an Maria und Christus.

Nach welchem Modell ist das Bild geschaffen?

Zur Entstehungszeit der »Sixtinischen Madonna« wurden Altarbilder häufig nach dem Muster der Sacra Conversazione komponiert. Unter diesem Begriff (der erst im 19. Jahrhundert geprägt wurde) versteht man eine fiktive Versammlung von Heiligen um die Muttergottes. Oft thront die Madonna als Himmelskönigin in der Mitte, während um sie herum die Heiligen durch Mimik und Gestik andeutungsweise miteinander oder mit dem Betrachter kommunizieren.

Was macht Raffael aus dem Modell?

Raffael hat hier das konventionelle Schema in eine Szenerie von ungezwungener Natürlichkeit verwandelt. Die Heiligen entwickeln eine autonome und lebensnahe Präsenz. Zugleich wird aus dem Heiligenbild ein Handlungsbild. Der Maler zeigt das Geschehen in einem entscheidenden Moment: Maria erscheint in diesem Augenblick mit dem Heilsbringer Christus, noch haben nicht einmal alle Engel ihre Ankunft realisiert. Mit dem Moment, in dem Sixtus seine Fürbitte einlegt, ist für den Gläubigen die Erlösung näher gerückt.

Wie kam es zum Kult um die »Sixtinische Madonna«?

Seit fast 150 Jahren versammeln sich Besucherscharen in der Dresdener Gemäldegalerie in stummer Ergriffenheit vor der »Sixtinischen Madonna«. Die Struktur des Bildes darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Raffael das Gemälde ursprünglich für eine ganz andere räumliche Situation konzipiert hatte: für den Aufsatz eines Hochaltars in einem dunklen Kirchenraum.

Im 16. und 17. Jahrhundert wurde die »Sixtinische Madonna« nicht zu den Hauptwerken Raffaels gerechnet. Die beispiellose Erfolgsgeschichte des Bildes setzte erst am Ende des 18. Jahrhunderts ein. Im Jahre 1754 wurde das Altarbild von seinem Standort im oberitalienischen Piacenza entfernt und an den sächsischen Hof verschickt. Wenige Jahrzehnte später erkor der Literaten- und Künstlerkreis der Dresdener Romantiker das Bild zur Ikone eines veränderten Lebensgefühls. Der Ruhm der »Sixtinischen Madonna« verbreitete sich rasch, als der junge Wilhelm Heinrich Wackenroder 1797 seine berührenden »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« veröffentlichte. Seine Schrift verklärt Raffaels Gemälde zum Inbegriff des Andachtsbildes schlechthin. In dieser romantischen Tradition stehen letztlich noch heute die modernen Reproduktionen von Madonna und Engeln – zumeist rührseliger Andenkenkitsch.

Wussten Sie, dass …

der Maler Carl Gustav Carus (1789–1869) das Gemälde 1857 zum »ersten Bild der Welt« adelte?

der Maler im antiken Pantheon in Rom beerdigt wurde?

die beiden Engel im Vordergrund das bekannteste Detail des Gemäldes darstellen? Sie sind auf zahllosen Postern, Tassen und T-Shirts verbreitet.

Wirkte der Maler der Madonna von Anfang an in Rom?

Nein. Geboren wurde der Maler in der umbrischen Stadt Urbino als Sohn eines Goldschmieds. Er lernte in der Werkstatt von Pietro Vanucci (genannt Perugino). Schon früh bekam er eigene Aufträge und erwarb sich mit Sakralwerken für Kirchen in Perugia und Città di Castello erste Anerkennung. Besonders seine seit 1504 in Florenz entstandenen Madonnenbilder machten den Maler in ganz Italien bekannt.

1508 ging er auf Empfehlung Bramantes, des Architekten der Peterskirche, nach Rom. Papst Julius II. beauftragte ihn mit der Ausmalung der päpstlichen Gemächer (Stanzen). Berühmt ist vor allem »Die Schule von Athen«, eine Allegorie der Philosophie. Der Auftrag bedeutete für Raffael die Krönung seines Lebenswerks.

Der gefeierte Malerfürst starb bereits im Alter von 37 Jahren. Die Todesursache ist bis heute umstritten – diskutiert werden eine Geschlechtskrankheit oder auch eine ansteckende Seuche wie die Pest.

Die Himmelfahrt Mariens von Tizian: Ein Fest von Form und Farbe

Warum gilt Mariens Himmelfahrt in der Kunst als schwieriges Thema?

Bilder, die die Himmelfahrt Mariens zeigen, sollen, über den bloßen Flug der Gottesmutter hinaus, die Einmaligkeit des göttlichen Wunders illustrieren. Eine authentische und überzeugende Darstellung ist für den Künstler eine echte Herausforderung. Mit seinem ersten großformatigen Bild, dem ersten Hochaltar der Neuzeit, schaffte Tizian diese Gratwanderung.

Was war problematisch an Tizians Altarbild?

Die Arbeit, die Tizian 1518 präsentierte, begeisterte den Auftraggeber zunächst gar nicht. Als der Franziskanerkonvent dem Maler 1516 den Auftrag erteilte, für das geräumige Gotteshaus Santa Maria Gloriosa dei Frari ein Altarbild zu malen, ging er von einem Werk mit relativ bescheidenen Maßen aus. Tizians Großbild entsprach kaum diesen Erwartungen. Erst als die Kunstagenten des Kaisers großes Interesse an dem Gemälde bekundeten und eine stolze Kaufsumme für das Werk boten, erkannten die Franziskaner den wahren Wert des Bildes und entschieden sich für seine sofortige Aufstellung. Von 1877 bis 1921 hing die »Assunta« in Venedigs prominenter Gemäldegalerie der Accademia, kehrte dann jedoch an ihren angestammten Platz im Chor der Frari-Kirche zurück.

Wie erzielt der Künstler die Raumwirkung?

Dazu tragen die schiere Größe des Bildes und seine Positionierung im Kirchenraum bei. Alle Kleinteiligkeit und harmlose Fabulierkunst war einer zeitlosen Monumentalität und Dramatik gewichen. Das 6,90x3,60 Meter große Bild am Hauptaltar beanspruchte den Chor als Gehäuse und ließ sich am besten aus der Distanz im Kirchenraum bewundern. Auch aus großer Distanz hebt sich die Gestalt der Muttergottes hervor. Von einem bestimmten Punkt im Mittelschiff aus kann man das Altarbild durch das Portal des spätmittelalterlichen Lettners betrachten, als sei es mitsamt seinem halbkreisförmigen Abschluss exakt in die Laibung des steinernen Triumphbogens vor dem Mönchschor eingepasst.

Welche Funktion haben Form und Farbe?

Sie bestimmen entscheidend die Wirkung des Bildes. So erzeugt das dominierende kräftige Karminrot große Leuchtkraft. Dieser Farbwert erscheint sehr klar, fast übernatürlich. Im Zusammenspiel mit Blau und der Lichtfarbe Gelb sind die drei Grundfarben in vollkommener Reinheit vertreten. Die Farben stehen dabei nicht unvermittelt nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen.

Auch die Komposition reduziert sich auf ihre geometrischen Grundformen: Die Apostelschar bildet in der Fläche ein Rechteck; die überirdische Sphäre der Wolkenglorie ergibt einen Kreis. Zwei Jünger und Maria sind durch leuchtendes Rot hervorgehoben und bilden ein Dreieck, das irdische und überirdische Welt, Rechteck und Kreis, verbindet.

Was bedeuten die verschiedenen Bildelemente?

Mit ihnen verdeutlicht der Maler die Begegnung zweier Welten, deren Akteure in die vorderste Bildebene gerückt sind. Die Schar der Jünger, die eben noch um die verstorbene Maria in ihrer Mitte trauert, reagiert teils heftig, teils pathetisch, verzweifelt und erschüttert auf das plötzliche Wunder. Die Apostel blicken Maria sehnsüchtig oder angstvoll nach, wollen sie festhalten oder ihr folgen. Während Maria bereits im Himmel von Engeln umgeben ist, bleiben die Männer auf der Erde zurück. Zwischen Himmel und Erde schwebt Maria, die ewig Vermittelnde. Sie bildet das Zentrum des Bildes, frei und unverstellt strebt sie, von Engeln getragen, dem göttlichen Licht entgegen. Während ihr Körper aus Scheu noch leicht zurückweicht, sind ihre Arme bereits erhoben, als wollte sie Gott ganz in sich aufnehmen. In ihrer Gottessehnsucht schaut sie verzückt, als wäre ihre Seele bereits beim Herrgott angelangt. Dieser kommt ihr aus der Tiefe des Raumes und des Lichtes entgegen und breitet seine Arme aus. Seine dienstbaren Geister tummeln sich auf dichten Wolkenbänken und bilden unterhalb Marias ein Halbrund, das sich oberhalb Gottes zu einem Vollkreis schließt. Im grellen göttlichen Licht verlieren sich die Konturen der Engel, geht das leuchtende Gelb in den Goldglanz eines endlosen Himmelsraumes über.

War Tizian ein Wunderkind?

Wenn man das von einem Zehnjährigen, der schon beeindruckend malen kann, sagen will, dann ja. In diesem Alter kam Tiziano Vecellio, geboren 1477 bei Belluno, nach Venedig, um Maler zu werden. Gelernt hat er beim Meister Giovanni Bellini, später wohl auch beim großen Giorgione, neben dem er 1508/09 die nicht überlieferten Fresken am Fondaco dei Tedeschi in Venedig ausführte. Die Himmelfahrt Mariens, die so genannte Assunta, schuf er 1516–1518. Mit Portäts Karls V. zog er die Aufmerksamkeit des Kaisers auf sich, der ihn 1533 zum Hofmaler ernannte. Schon lange hatte der Papst um Tizian geworben, 1545 schließlich zog der Maler tatsächlich nach Rom, porträtierte den Papst und malte die berühmten »Danae«. 1550 porträtierte Tizian Kaiser Karls Sohn und Nachfolger, Philipp II. von Spanien. Nach einem schaffensreichen Leben starb er am 27. August 1576 in Venedig an der Pest.

Wussten Sie, dass …

Kaiser Karl V. seinen Hofmaler Tizian in den prestigeträchtigen Orden der Ritter vom Goldenen Sporn aufnahm?

die Barockmalerei des 17. Jahrhunderts, namentlich die Bilderwelt von Rubens, entscheidend auf Tizians Gestaltungsprinzipien aufbauen sollte? Diese waren einfach und genial zugleich.

Venedig in seiner Blütezeit, dem frühen 16. Jahrhundert, die führende Kunststadt war? Maler wie Tizian, Tintoretto und Veronese zauberten Farben von unvergleichlicher Intensität und Leuchtkraft auf Holz und Leinwand und wagten sich an neue Darstellungsformen heran, welche die Pracht der Barockmalerei vorwegnahmen.

Schloss Chambord: Lustschloss mit innovativer Architektur

Welche Funktion hatte das Schloss?

Schloss Chambord entstand als repräsentatives königliches Lustschloss mit 440 Räumen. Der gewaltige Komplex liegt etwa fünf Kilometer von der Loire entfernt in einem ummauerten Waldstück der Sologne, dem bevorzugten Jagdrevier König Franz' I. Der Bau wurde 1519 begonnen, im selben Jahr, in dem der Bauherr mit seiner Bewerbung um die Kaiserwürde gegen Karl I. von Spanien (Karl V.) unterlag. Dieser soll seinerseits bei einem späteren Besuch den Schlossbau gerühmt haben als »Inbegriff dessen, was menschliche Kunst hervorzubringen imstande ist«.

Welcher Architekt plante Chambord?

Den mehrfach abgewandelten Plan, der auf eine eigene Idee des Herrschers zurückgeht, lieferte Domenico da Cortona (gestorben um 1549). Wahrscheinlich kam er als Schüler des Giuliano da Sangallo nach Frankreich, des großen italienischen Architekten, der im Dienst Karls VIII. tätig war. Als leitende Baumeister wirkten Jacques und Denis Sourdeau.

In ihrer Komplexität folgt die Anlage dem Vorbild idealstädtischer Planungen der italienischen Renaissance. Die Architektur steht hier nun ganz im Dienst der Repräsentation und Überhöhung der absolutistischen Herrschaftsidee.

Wie wirkt das Schloss?

Der vielfältig gegliederte, aber streng symmetrische Mittelbau suggeriert Wehrhaftigkeit und folgt darin der Tradition des französischen Festungsbaus des 14. Jahrhunderts – auch wenn er tatsächlich gar keine Verteidigungsfunktion erfüllen muss. Der Donjon (von lateinisch dominatio für Herrschaft), der traditionelle trutzige Wohnturm, ist hingegen zu einem dreistöckigen Wohnpavillon mit mächtigen Ecktürmen umkonzipiert. Er entstand ab 1526, danach wurden die ihn umgebenden Flügelbauten errichtet, an deren vier Ecken behäbige Rundtürme weitere wehrhafte Akzente setzen. Flügelbauten und Ecktürme sowie die Schlosskapelle im Westflügel folgten unter Franz' Sohn Heinrich II.

Was ist so besonders an diesem Bauwerk?

Ein auffallendes Charakteristikum von Schloss Chambord ist die Tatsache, dass hier eine Treppe das Zentrum bildet. Wohnbereich wie auch Flügelbauten, die gesamte Anlage ist auf sie ausgerichtet. Als kunstvolle doppelläufige Wendeltreppe führt sie innerhalb des Donjons über drei Stockwerke bis zur Dachterrasse empor. Dort wird sie in einer pittoresken Laterne (Aufsatz) einläufig weitergeführt. Sie hebt auch am Außenbau die Treppenanlage heraus und prägt den Gesamteindruck nicht unerheblich mit. Auf dem Weg nach oben ermöglichen zahlreiche Durchblicke und Fenster wechselnde Perspektiven.

Wer hinterließ seine Spuren im Inneren?

Auf den Erbauer verweisen immer wieder die Kapitelle, die das Initial F mit der Krone und dem gekrönten Salamander zeigen. Das kleine Tier ging angeblich unverletzt durchs Feuer und galt als Symbol unantastbarer Herrscherwürde. Putten und neckische Eroten spielen auf die Funktion als Lustschloss an. Lilien und gekrönte Halbmonde können wiederum als Indiz dafür gelesen werden, welches prominente Paar dies besonders zu schätzen wusste: der spätere König Heinrich II. (1519–1559) und seine Mätresse Diane de Poitiers.

Wussten Sie, dass …

rund 300 Schlösser und Adelssitze am Mittellauf der Loire liegen? Die größte Anlage ist diejenige von Chambord.

das Schloss unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. (Regierungszeit 1643–1715) noch einmal verändert wurde? Der König zog vermutlich seinen Hofarchitekten Jules Hardouin-Mansart zu Rate.

von der Dachterrasse aus eine einzigartige Aussicht über die zahllosen Türmchen und 365 Schornsteine des Schlosses bis hin zu den Wäldern der Umgebung zu genießen ist?

Aus welchem Herrschergeschlecht stammte Franz I.?

König Franz I. (1494–1547) stammte aus einer Seitenlinie der Valois. Seine Regierungszeit zeichnet der Umstand aus, dass es ihm niemals gelang, sich aus der Umklammerung durch die Habsburger zu befreien und die Vorherrschaft in Italien zu erringen.

Franz I. ging als Prototyp des absolutistischen Herrschers in die Geschichte ein. Der Lebensstil des Königs war ganz auf Repräsentation ausgerichtet und fand besonders in prächtigen Schlossbauten Ausdruck. Als großzügiger Förderer von Künsten und Wissenschaften erwies er sich als wahrer Renaissancepotentat. Er prägte einen eigenen, besonders von italienischen Künstlern beeinflussten Dekorationsstil (François-premier), mit dem er der Renaissance in Frankreich den Weg bereitete. Schulbildend wurde dieser Stil, der Traditionen französischer Gotik mit Einflüssen der italienischen Spätrenaissance verband, in der Schule von Fontainebleau.

Pieter Bruegels Jäger im Schnee: Beginn einer neuen Tradition

Was zeigt Bruegels berühmtes Winterbild?

Man meint, die frostige Kälte unter dem fahlen, grauen Himmel zu spüren. Dunkel und schattenlos heben sich die Bäume, Menschen und Tiere von der verschneiten Landschaft ab. Vor der Gaststätte »Zum Hirschen« werden Vorbereitungen zum Absengen der Borsten geschlachteter Schweine getroffen. Mit den heimkehrenden Jägern und ihren Hunden wandert der Blick über die weiße Landschaft. Auf den zugefrorenen Fischteichen gönnen sich die Menschen Winterfreuden beim Schlittschuhlaufen oder Eisstockschießen. Es ist auch ein Unglück zu erkennen, denn aus dem Kamin eines Hauses schlagen Flammen. Menschen versuchen, das Feuer zu löschen. In der Ferne schließen rechts die Berge mit steilen Felsen schroff ab. Links am Horizont erstreckt sich die vereiste Fläche eines Binnensees.

Woher kam die Tradition der Monatsdarstellung?

Die Abbildung der Monate mit den jeweils charakteristischen Tätigkeiten des Menschen war im 15. und frühen 16. Jahrhundert typisch für die Buchmalerei. Damit illustrierte man Kalender von Stundenbüchern, wie man die nach kirchlichem Tages- und Jahreslauf geordneten Gebetsbücher für private Zwecke nannte. Pieter Bruegel überführte diese Tradition erstmals in die Landschaftsmalerei. Sie war im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in Antwerpen von Joachim Patinir als verdichtetes Abbild der Welt und Schauplatz der christlichen Heilsgeschichte begründet worden. Bruegel bekannte sich zu dieser traditionellen Bildform, die man heute »Weltlandschaft« nennt. Er schilderte die Schöpfung Gottes mit der Vielfalt ihrer Erscheinungen im Wechsel der Jahreszeiten und der Aktivitäten der Menschen. Sein Gespür für atmosphärische Wirkung war der älteren Landschaftsmalerei noch unbekannt.

Wie wirkte Bruegels Winterbild auf die Kunst?

Bruegel hat noch weitere Winterlandschaften gemalt und wirkte damit später traditionsbildend. In drei Bildern versetzte er Episoden der Weihnachtsgeschichte – die Volkszählung, die Anbetung der Könige und den Bethlehemitischen Kindermord – in winterliche flämische Dörfer. Das Heilsgeschehen sollte so überzeugend wie möglich vergegenwärtigt werden. Ein weiteres Bild zeigt ein friedliches flämisches Dorf mit einer Vogelfalle im Vordergrund. Bruegels Winterbilder sind die ersten einer großen Tradition, die bis ins 19. Jahrhundert reichen sollte.

Was beeinflusste die Entstehung der Winterbilder?

Es ist wohl kein Zufall, dass Bruegels Winterbilder alle ab 1565 entstanden sind: Bruegel verarbeitete die Erfahrungen während des besonders kalten Winters von 1564/65. Er war Teil einer weltweiten Abkühlung des Klimas, der so genannten kleinen Eiszeit, die etwa von 1450 bis 1880 andauerte. Die anhaltende Popularität von Winterdarstellungen erklärt sich also auch durch ein Klimaphänomen.

Wie entfaltete sich Pieter Bruegels künstlerische Karriere?

Pieter Bruegel wurde zwischen 1525 und 1530 in einem Dorf in Brabant geboren. 1552 schrieb er sich in die Lukasgilde, die Malerzunft von Antwerpen, ein. Eine Italienreise führte ihn 1552/53 nach Rom und Neapel. In Antwerpen arbeitete er mit Hieronymus Cock, dem wichtigsten Verleger von Drucken, zusammen. Seit etwa 1555 entstanden mehrere Folgen von Drucken, dann erst die berühmten Gemälde. Er malte biblische Geschichten, fantastische Themen in der Tradition Hieronymus Boschs und allegorische Szenen aus dem Volks- und Bauernleben, die die Interpreten bis heute herausfordern. 1569 starb Bruegel in Brüssel. Von seinen beiden Söhnen führte Pieter Bruegel der Jüngere die Tradition seines Vaters fort, Jan Bruegel der Ältere wurde ein Meister kleinformatiger Bilder.

Wussten Sie, dass …

das Bild zu einer Folge von vermutlich ehemals sechs Bildern mit Darstellungen von je zwei Monaten in einem Bild gehört? Sie sind heute über verschiedene Museen verstreut.

Bruegels Sohn Pieter vor allem für seine Darstellungen der Hölle bekannt wurde und daher zur Unterscheidung von seinem Vater als »Höllenbruegel« bezeichnet wird?

Tintorettos Kreuzigung: Spiritualität in grandiosen Dimensionen

Welche Fähigkeiten machten Tintoretto zum »gewaltigsten Geist« der Malerei?

Tintoretto, einem Hauptmeister des europäischen Manierismus mit großem Einfluss auf die Barockmalerei, gelang es, das Spirituelle, Geisterhafte, Jenseitige – also das eigentlich nicht Darstellbare – auf die Leinwand zu bringen. Der Kunsthistoriker Giorgio Vasari notierte bereits 1568, Tintoretto sei liebenswürdig in all seinem Tun, nur in der Malerei sei er wunderlich, bizarr, flink und kühn und der gewaltigste Geist, den die Malerei je besessen habe. Kaum einer verstand es wie Tintoretto, komplizierte Körperhaltungen und -bewegungen stimmig darzustellen. Atemberaubend sind seine Kompositionen und Bilderfindungen, gewöhnungsbedürftig sein oft gespenstisch wirkendes Kolorit, schier unglaublich ist der Umfang seiner Produktion meist großformatiger Ölgemälde auf Leinwand.

Wie kam Tintoretto zu dem Auftrag für die »Kreuzigung«?

Die Scuola di San Rocco, eine der von Bruderschaften getragenen sozialen Einrichtungen Venedigs, wollte einen Neubau künstlerisch ausgestalten lassen und dafür einen Wettbewerb ausschreiben. Tintoretto kam dem Wettbewerb zuvor, indem er in nur drei Wochen heimlich die Apotheose des heiligen Rochus (Rocco) malte und in der Scuola anbringen ließ. Er wollte kein Geld dafür, nur den Auftrag für weitere Bilder. Ein solches Angebot konnte man nicht ablehnen. Tintoretto wurde direkt beauftragt und in die Bruderschaft aufgenommen. Für die Sala dell'Albergo, die einstige Herberge der Bruderschaft, malte Tintoretto zwischen 1564 und 1567 einen Passionszyklus, dessen Hauptwerk die 60 Quadratmeter große »Kreuzigung« ist.

Wie ist das Bild aufgebaut?

Mittelpunkt des Gemäldes ist die Figur des gekreuzigten Christus, eine gemarterte, aber körperlich makellose Erscheinung – wir sehen einen von Lichterglanz umgebenen Heiland, der über dem Geschehen und damit förmlich über den Dingen schwebt. Ein Schwamm mit Essig wird ihm gereicht, während seine Mutter am Fuß des Kreuzes zusammenbricht und von den wenigen Getreuen Christi umsorgt wird. Ein Alter beugt sich vor, als wolle er seine Anteilnahme durch einen Handkuss bezeugen.

Die Hinrichtung der beiden Schächer, die links und rechts von Jesus gekreuzigt werden, schildert Tintoretto in den unterschiedlichen Stadien: Zunächst werden Löcher für die Kreuze ausgehoben, dann die Verurteilten, die am Boden liegen, an Holzbalken gefesselt und diese schließlich aufgerichtet. Die Durchführung der grausamen Handlungen erfolgt mit einer Routine und handwerklichen Perfektion, die den Betrachter schaudern lassen.

Für wie viele Auftraggeber war Tintoretto tätig?

Für einen: Zwischen 1565 und 1587 fertigte er rund 30 Gemälde für die Scuola di San Rocco. 1577 verpflichtete er sich vertraglich, den Rest seines Lebens dieser Arbeit zu widmen. Auch wollte er jedes Jahr zum Festtag des heiligen Rochus »drei große, fertig installierte Bilder« schenken. Tintoretto war nicht nur ein ausgezeichneter Maler, sondern auch ein gewiefter Geschäftsmann, wie seine finanziellen Verhandlungen zeigen. So schrieb er der Scuola di San Rocco: »Was die Bezahlung der Decke des Kapitelsaals angeht, bescheide ich mich mit den zweihundert Dukaten … Jenen Preisaufschlag, zu dem es bei gewissenhafter Schätzung und Beurteilung meines Werkes … käme, schenke ich der Scuola, allerdings unter der Bedingung, dass mir in Anerkennung meiner Mühen und der oben genannten Werke, die ich auf Lebenszeit zu machen habe, jedes Jahr am Rochustag ... eine Pension von einhundert Dukaten ausgezahlt wird.« Die Rochus-Bruderschaft willigte ein.

Die venezianische Scuola

Die so genannten Schulen Venedigs waren keine Bildungsanstalten, sondern von Bürgern getragene Einrichtungen, die wichtige soziale Aufgaben wie Waisen- und Witwenfürsorge übernahmen oder auch Herbergen und Hospitäler unterhielten. Ihre Ursprünge lagen in den religiösen Laienbruderschaften des Mittelalters, in denen sich Angehörige eines bestimmten Berufs oder einer ethnischen Gruppe zusammenfanden. So gab es beispielsweise auch die Scuola Grande Tedesca der in Venedig lebenden Deutschen. Ab 1539 mussten in Venedig alle Handwerker und Arbeiter einer solchen »Scuola« angehören.

Zu den bedeutendsten gehörte die Scuola Grande di San Rocco, die heute noch existiert. Der heilige Rochus hatte als Patron der Pestkranken einen hohen Stellenwert in der Hafen- und Fernhandelsstadt Venedig, die öfter als andere Städte von der Seuche heimgesucht wurde. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ließ sich die wohlhabende Rochus-Bruderschaft einen neuen monumentalen Bau errichten. Entsprechend repräsentativ sollte die künstlerische Ausgestaltung ausfallen. So wurde 1564 ein Wettbewerb ausgeschrieben.

Doch das Geschehen zieht auch unzählige Schaulustige an, biblische und zeitgenössische Gestalten, die der Kreuzigung mit Betroffenheit oder Neugier beiwohnen. Im Hintergrund erscheinen skizzenhaft zwei Orientalen. Ihre schemenhafte Erscheinung ist typisch für eine Malweise, die Tintoretto begründete und die einer seiner besten Schüler, El Greco, übernehmen sollte.

Wie kam Jacopo Robusti zu dem Namen »Tintoretto«?

Der in der Kunstgeschichte als Tintoretto bekannte Maler hieß eigentlich Jacopo Robusti. Da sein Vater Seidenfärber war, wurde er in der Nachbarschaft alsbald Tintoretto – das Färberlein – gerufen. Niemand konnte ahnen, dass dieser Spitzname einmal in jedem Buch über italienische Malerei stehen würde.

Geboren wurde Tintoretto am 29.9.1518 in Venedig, dort starb er auch am 31.5.1594, und bis auf eine mutmaßliche Reise nach Rom (1547/48) kam er wohl nie aus seiner Heimatstadt heraus.

Über Tintorettos Lehrzeit ist nicht viel bekannt, für kurze Zeit soll er jedoch im Atelier Tizians (1477 bis 1576), des Hauptmeisters der venezianischen Renaissance, gearbeitet haben. Mit dem »Markuswunder« schuf er 1548 ein erstes viel beachtetes Werk, bald folgten größere Staatsaufträge.

Tintorettos Werkstatt wurde nach seinem Tod von seinem Sohn Domenico weitergeführt.

Wussten Sie, dass …

Tintoretto auch in den Vorstand der Bruderschaft von San Rocco gewählt wurde?

die »Scuola«, also »Schulen« genannten Einrichtungen in Venedig soziale Aufgaben wie Waisenfürsorge oder Krankenpflege übernahmen?

es in Venedig auch eine »Scuola Grande Tedesca« hab, in der sich die in Venedig lebenden Deutschen zusammenfanden?

Der Raub der Sabinerin von Giovanni da Bologna: Entfesselte Dynamik

Was ist das Außergewöhnliche an der »Sabinerin«?

Giambolognas berühmtestes – und bestes – Werk ist die erste Figurengruppe der europäischen Kunst, die dem Betrachter eine Vielzahl von Ansichten bietet. Der Schöpfer dieser virtuosen Marmorgruppe hat die italienische Bildhauerei in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geprägt, der Zeit des Manierismus zwischen den Arbeiten eines Michelangelo und eines Bernini. Die feierliche Enthüllung des Kunstwerks erfolgte im Jahr 1583 in der Loggia dei Lanzi, wo die Skulptur heute noch steht. Diese halb offene Halle im Zentrum von Florenz diente für Kundgebungen und Empfänge.

Wie ist die Gruppe komponiert?

Die Gruppe besteht aus drei Figuren, die sich auf kunstvolle Weise zu einer einzigen geschlossenen Gesamtkomposition zusammenfügen. Zuunterst sehen wir in gekrümmter Haltung einen Älteren, der sich mit seiner Rechten abstützt und mit der Linken zu wehren versucht. Augen und Mund sind angstvoll aufgerissen, der Blick auf die Frau gerichtet, die in schwindelnder Höhe davongetragen wird. Über ihn schreitet kraftvoll die muskulöse, männliche Hauptfigur hinweg. Sie trägt und umgreift eine junge Frau, die sich windet und dabei den vergeblichen Versuch unternimmt, sich aus der festen Umklammerung zu lösen. Ihre Arme greifen Hilfe suchend in den Raum aus. Aus ihrem verzerrten Gesicht spricht Leid und Ohnmacht, ein Hilfeschrei verhallt ungehört.

Wie erzeugt der Künstler die Bewegungsdynamik?

Giambologna wendet hier einen ebenso einfachen wie genialen Kunstgriff an: Er kombiniert die Figuren eines Geduckten, eines Tragenden und einer Getragenen. Deren Einheit ergibt sich durch eine Staffelung aller Bewegungen: Sie nimmt ihren Anfang in der am Boden zusammengekauerten Figur des Alten, setzt sich im Auf- und Vorwärtsstreben des jungen Mannes fort und mündet in die freie körperliche Entfaltung der Frau. Die Struktur dieser Bewegung folgt dabei einer Spirale. Zunächst vollführt der Alte in der Hocke eine komplizierte Körperdrehung und setzt dabei eine Schraubbewegung im Uhrzeigersinn in Gang. Der ihn bezwingende Mann greift diesen Schwung auf. Von seiner Sohle bis zum Scheitel setzt sich die Spiralbewegung fort. In der effektvollen Drehung der weiblichen Figur findet sie schließlich ihren Abschluss und läuft in den Fingerspitzen des linken ausgestreckten Armes aus.

Geht man um die Figurengruppe herum, wird erkennbar, dass die verschiedenen Ansichten nicht nur unterschiedliche Silhouetten bilden; man gewinnt zugleich den Eindruck, als brächte der Alte den Jungen zu Fall, als könnte die Frau dem Entführer aus den Armen gleiten.

Was bewirkt die schlangenartige Form des Werks?

Dem Aufbau von Giambolognas Werk liegt die in der Kunstgeschichte sehr treffend als »figura serpentinata« bezeichnete Struktur zugrunde. Die »schlangenartige Figur« führt in kreisender Bewegung aufwärts und entwickelt dabei eine Dynamik, die jeden Betrachter fasziniert und ihn ebenfalls in Bewegung setzt, indem sie ihn zum Umschreiten des Kunstwerks animiert.

Ausgehend von ersten Versuchen im Hellenismus setzte sich erstmals der Manierismus mit der Mehransichtigkeit von Einzel- und Gruppenfiguren auseinander. Die »figura serpentinata« wird zur bestimmenden Form dieser Epoche. Ihre künstlerische Umsetzung bedeutet zugleich eine annähernde Überwindung aller Gesetze der Statik und führt bis an die Grenzen der Virtuosität und bildhauerischen Machbarkeit.

Was reizte den Künstler an der Skulptur?

Giambolognas Figurengruppe verdankt ihre Entstehung primär rein formalen Gesichtspunkten. Das Thema interessierte den Künstler erst in zweiter Linie. So stellte die »figura serpentinata« in dieser großen Dreiergruppe eine Herausforderung dar, über deren Realisierung bereits Michelangelo nachgedacht hatte. Reizvoll ist außerdem das Kräftespiel der Geschlechter in vollkommener Nacktheit. Der Titel des Werkes stand bei seiner Enthüllung noch nicht fest. Schließlich kam ein gebildeter Bürger namens Don Vincenzo Borghini auf den Einfall, hier sei der Raub der Sabinerinnen thematisiert: In ihrer sagenumwobenen Frühzeit litt die Stadt Rom an akutem Frauenmangel, woraufhin Romulus den Nachbarstamm der Sabiner zu Festspielen einlud und das gesellige Beisammensein zum Raub der Sabinerfrauen nutzte.

Woher stammte Giovanni da Bologna?

Giovanni da Bologna (auch Giambologna) stammte nicht etwa aus dem oberitalienischen Bologna, sondern dem flämischen Ort Douai im heutigen Nordfrankreich. Er wanderte nach Rom, lernte dort 1550 den greisen Michelangelo kennen, zog weiter nach Florenz, wo er seinen Namen Jean de Boulogne italienisierte und am Hofe des toskanischen Großherzogs Cosimo de' Medici zahlreiche Aufträge erhielt. Seinen internationalen Ruf verdankt Giambologna Kleinbronzen, welche die Medici auf diplomatischer Ebene an befreundete Fürstenhöfe verschenkten. Der von Giambologna geprägte Florentiner Manierismus wurde international bestimmend und war noch im 18. Jahrhundert greifbar. Viele seiner Schüler, etwa Hubert Gerhard, Hans Reichle und Adrian de Vries machten später in Prag, München und Augsburg Karriere.

Wussten Sie, dass …

»Der Raub der Sabinerin« aus einem einzigen Marmorblock gearbeitet ist? Selbst der weit ausgreifende linke Arm der Frau ist nicht angesetzt.

auch der berühmte Neptunsbrunnen in Bologna (1563–1567) ein Werk Giovanni da Bolognas ist?

der Künstler persönlich dem sächsischen Kurfürsten Christian I. eine Skulptur schenkte? Anlass war die Übernahme der Regentschaft durch Christian, das Geschenk eine 40 cm hohe Figur des Kriegsgottes Mars, heute als »Dresdner Mars« bekannt.

El Grecos Begräbnis des Grafen Orgaz: Himmelfahrt eines Sterblichen

Wie kam der Maler zu seinem Namen?

El Greco, der Grieche, hieß eigentlich Domenikos Theotokopoulos und war 1541 als Spross einer wohlhabenden Familie auf Kreta zur Welt gekommen. Seine künstlerische Ausbildung führte vom Studium der byzantinischen Ikonenmalerei in die Werkstatt Tizians nach Venedig und weiter nach Rom. Schließlich fand er Kontakt zur spanischen Delegation und erhielt Aufträge in Toledo, der alten spanischen Königsstadt, in der er die restlichen 37 Lebensjahre verbringen sollte.

Wer war der Dargestellte?

Gonzalo de Ruiz, Graf von Orgaz und Kanzler von Kastilien, hatte sich mit großzügigen Stiftungen einen Namen gemacht, ehe er 1323 verstarb. In seinem Testament hatte er verfügt, dass die Einwohner des Städtchens Orgaz, das zu seinem Besitz gehörte, für den Unterhalt der Toledaner Kirche Santo Tomé jedes Jahr eine hohe Geldsumme aufzubringen hätten. 1562, also fast 250 Jahre nach des Grafen Tod, glaubte Orgaz, sich nicht mehr an die Verfügung halten zu müssen, und stellte die Zahlungen ein. Doch der Gemeindepfarrer von Santo Tomé prozessierte und bekam Recht. Nach so viel Gerechtigkeit war eine Renovierung des Stiftergrabes angesagt! Außerdem wurde El Greco beauftragt, für die Grablege ein Bild zu malen. Von besonderer Brisanz war dabei die Darstellung eines Wunders, das bei der Bestattung geschehen sein soll: In dem Moment, als der Leichnam beerdigt werden sollte, erschienen die Heiligen Stephanus und Augustinus und legten den Verstorbenen eigenhändig ins Grab.

Wie ist das Bild aufgebaut?

Das Bild ist in seiner Komposition streng zweigeteilt. Es zeigt in der unteren Hälfte die Trauergemeinde, über der sich ein Wolkenmeer mit Heiligen und himmlischen Heerscharen ausbreitet. Die Begräbnisszene könnte kaum trister sein: Ernst, stumm und gefasst nimmt die Gemeinde Abschied vom Grafen. Keiner erschrickt, als plötzlich die beiden Heiligen in ihren liturgischen Gewändern erscheinen und sich des Verstorbenen annehmen. Bei den Trauergästen, die Roben und Accessoires des 16. Jahrhunderts tragen, handelt es sich um die Porträts von Zeitgenossen El Grecos. Ein einfacher Priester wendet uns den Rücken zu und richtet seinen Blick ehrfürchtig zu Gott. Ein Engel führt die Seele des Verstorbenen gen Himmel, wo Maria und Johannes der Täufer sich vermittelnd an Christus wenden.

Welcher Gattung lässt sich »Das Begräbnis des Grafen Orgaz« zuordnen?

El Grecos Gemälde ist Gruppenporträt, Altar-, Andachts- und Historienbild in einem. Hier findet man das irdische Detail ebenso wie die immateriell schimmernde Welt des Göttlichen. Legende und historisches Ereignis sind in die Gegenwart von 1586 projiziert. El Grecos Bild ist aber nicht nur ein Dokument gegenreformatorischer Propaganda. Es markiert auch die Schwelle zwischen der Renaissance und dem expressiveren Manierismus, einem Stil, der gerade unerklärbare göttlich-irreale Phänomene wie beispielsweise ein Wunder darstellen kann.

Wie malte El Greco?

Der Maler hat hier bereits zu seinem unverwechselbaren Stil, seiner persönlichen Variante des Manierismus gefunden. Die Figuren sind grazil, stark modelliert und überlängt und ihre Umrisse auf nervöse Weise bewegt. Die Farbpalette ist von fahlem Weiß und vielen Grauwerten bestimmt und die Gesamtstimmung des Bildes unwirklich, um nicht zu sagen beklemmend visionär. Von vielen seiner Zeitgenossen kritisiert, wirkt El Grecos Kunst heute auf atemberaubende Weise modern.

Wer stand Modell für die Figuren?

Der lesende Priester am rechten Bildrand ist der Gemeindepfarrer Andrés Núñez, der gegen die Bürgerschaft von Orgaz vor Gericht gegangen war. Bei dem vornehmen Herrn mit weißem Bart und gütigem Blick handelt es sich um Don Antonio de Covarrubias, einen Humanisten und Freund El Grecos. Der Knabe am linken Bildrand, der auf das wundersame Geschehen hinweist, soll El Grecos Sohn Jorge Manuel sein. In den Wolken begegnen wir der Apostelschar und – im Meer der Heiligen kaum zu erkennen – in der ersten Reihe rechts sitzend König Philipp II.: ein Kunstgriff von unfreiwilliger Komik, war der Monarch damals doch noch quicklebendig.

Wussten Sie, dass …

bei König Philipp II. El Grecos eigenwillige, nicht gerade gefällige Kunst keine Gnade fand? So blieb die spanische Kirche sein Hauptauftraggeber.

der Schriftsteller Stefan Andres 1936 in seiner Novelle »El Greco malt den Großinquisitor« die Arbeitsbedingungen von Künstlern in einer Diktatur thematisierte? Der Text gilt als Werk der Inneren Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland.

Caravaggios Berufung des heiligen Matthäus: Eine ganz neue Sicht

Wie fand Caravaggio zu seinem realistischen Malstil?

Nur wenige europäische Künstler konnten mit ihrem Werk innerhalb kurzer Zeit die Bildsprache der Malerei so revolutionieren, wie dies Caravaggio um 1600 an der Schwelle von der Renaissance zum Barock gelang. Allerdings waren die ersten Jahre als Kunstmaler in Rom für den jungen Caravaggio schwierig, sein impulsiver Charakter erschwerte ihm den Eintritt in die elitäre, konservative Kunstszene der Stadt. Mangels größerer Aufträge malte Caravaggio Obst- und Blumenbilder sowie Genreszenen, deren Motive er im Volksleben der Stadt suchte. Sein Interesse an der Realität des Alltags wurde bald zu seinem Markenzeichen, auch bei der Umsetzung religiöser Themen. Die »Opferung des Isaak« aus dem Jahr 1594 ist eines der frühen Beispiele für Caravaggios Übersetzung einer heilsgeschichtlichen Szene in ein Gemälde des Realismus.

Auf welche Schwierigkeiten stieß der Maler?

Seine Gabe für realistische Darstellungen und die Entlehnung von Bildmotiven aus dem Volksleben brachte Caravaggio erhebliche Probleme. Obwohl die katholische Kirche auf dem Konzil von Trient gefordert hatte, religiöse Inhalte dem Volk verständlicher darzulegen und näherzubringen, waren Caravaggios Bilder vielen entschieden zu weltlich. Die Zweifel der Auftraggeber führten in einigen Fällen sogar zur Ablehnung der bestellten Werke.

Wie setzte sich Caravaggio schließlich durch?

Trotz aller Widerstände machte Caravaggios außergewöhnliche Fähigkeit im malerischen Umgang mit Licht und Schatten den jungen Maler schließlich berühmt. 1599 erhielt er endlich seinen ersten großen Auftrag für drei Gemälde: »Das Martyrium des Matthäus«, »Die Berufung des Matthäus« und »Matthäus und der Engel« wurden für die Kapelle der Contarelli in der Kirche San Luigi dei Francesi in Rom geordert, die dem Apostel Matthäus gewidmet ist.

Was ist das Besondere an den drei Bildern?

Diesen Zyklus könnte man als »work in progress« bezeichnen: An den drei Werken lässt sich deutlich die malerische Entwicklung des Künstlers ablesen. Das in der Martyriums-Darstellung noch erkennbare Erbe der Renaissancemalerei mit der Präsenz großformatiger Aktfiguren im Vordergrund lässt Caravaggio bereits beim zweiten Werk mit der Berufung des Heiligen hinter sich.

Was ist auf dem zweiten Bild des Matthäus-Zyklus dargestellt?

Mit dem zweiten dieser Bilder gelangte er zu einer vollkommen neuen Bildsprache. Nach dem Tod von Judas – so die biblische Begebenheit – musste ein neuer Apostel gesucht werden. Joseph und Matthäus stellten sich zur Wahl. Die Apostel baten Christus, ihnen zu zeigen, wen sie aussuchen sollten.

Caravaggio zeigt in seinem Bild genau diesen Moment: In einem dunklen, karg ausgestatteten Raum sitzen fünf Männer an einem Tisch, einer hat dem Betrachter den Rücken zugekehrt und sich zur Seite gewandt. Neben ihm stehen Petrus und, von ihm fast vollständig verdeckt, Christus: Beide zeigen nach rechts; in der leichten Verzögerung des Gestus von Petrus drückt Caravaggio die Inspirationsfunktion Christi bei der Berufung des neuen Apostels aus. Die Geste der beiden wird von dem Zöllner Matthäus wiederholt. Geste und Gesichtsausdruck drücken die Frage nach der getroffenen Entscheidung aus.

Was ist das auffälligste Stilmerkmal im Bild?

Das Licht. Die außergewöhnlich lebhafte Gebärdensprache und das Spiel der gegensätzlichen Körperhaltungen der dargestellten Figuren wird durch Caravaggios kühne Behandlung von Licht und Schatten noch unterstützt. Das Licht erhellt hier nicht nur die Szenerie, sondern ist ein entscheidendes Medium der Erzählung. Der von rechts oben einfallende Lichtstrahl erleuchtet nicht nur das eigentlich verdeckte Gesicht und die Hand Christi, sondern schenkt der Szene ihre tiefere Bedeutung. Wie ein Scheinwerfer fällt der Lichtstrahl schließlich auf die Figur des Auserwählten: Matthäus.

Was war an Caravaggios Leben so außergewöhnlich?

Caravaggio wurde 1571 als Michelangelo Merisi in Caravaggio, einem Städtchen zwischen Mailand und Bergamo geboren. Nach der künstlerischen Ausbildung in Mailand siedelte der erst 20-Jährige wie viele seiner Kollegen in die Kunstmetropole Rom um, wo die päpstliche Bau- und Kulturpolitik ein gutes Auskommen versprach.

Dort wurde das Leben Caravaggios zu einer filmreifen Legende. Schlägereien, Diebstähle und zahlreiche Anklagen führten am Ende zu seiner Verbannung aus Rom. Auf seiner Flucht über Neapel, Malta und Sizilien schuf Caravaggio noch eine Anzahl unbestrittener Meisterwerke. Sein Ruhm wurde immer größer, sein Ruf gleichzeitig immer zweifelhafter. Im Sommer 1610 starb er erst 39-jährig einsam in Porto d'Ercole an Malaria, wenige Tage später traf das Begnadigungsschreiben des Papstes ein.

Caravaggios Leben und Werk haben schon kurz nach seinem Tod den Stoff für mehrere Bücher geliefert. Bis heute ist sein Leben mehrmals verfilmt worden.

Wussten Sie, dass …

die Auftraggeber des Matthäus-Zyklus wenige Jahre zuvor eine erste Realisation des Themas durch Caravaggio abgelehnt hatten?

das erste Gemälde des Zyklus, »Das Martyrium des Matthäus«, noch der Renaissance-Malerei verhaftet war? Hier dominieren noch großformatige Figuren im Vordergrund.

Rubens' Raub der Töchter des Leukippos: Sinnbild barocker Malerei

Welche Geschichte liegt dem Werk zugrunde?

Rubens interpretiert in seinem zwischen 1615 und 1618 gemalten »Raub der Töchter des Leukippos« einen antiken Mythos, der in verschiedenen Fassungen überliefert ist. Die Mehrzahl stellt die Verlobung der Töchter des Königs Leukippos von Messenien mit den Zwillingen Idas und Lynkeus dar. Die Entführung der Bräute durch die Dioskuren (Zeussöhne) Castor und Pollux führte zu einem blutigen Kampf, bei dem die beiden Bräutigame und – je nach Überlieferung – auch Castor starben. Rubens wählte für sein Bild die seltenere Variante, nach der die Entführung mit einer Hochzeit endete: Der unsterbliche Faustkämpfer Pollux ehelicht Phoebe; der sterbliche Castor, Rossebändiger und Reiter, Hilaeira.

Wie sind die Figuren angeordnet?

Rubens hat die Entführungsszene in eine kunstvoll balancierte Gruppierung umgesetzt. Die nackten Körper von Phoebe und Hilaeira werden dem Betrachter in ihrer ganzen Schönheit und Hilflosigkeit präsentiert, einmal als Rückenakt, das andere Mal von vorn. Es war nicht Rubens' Absicht, eine logische Bewegungsabfolge wiederzugeben. Das auf dem Boden kniende Mädchen hebt noch abwehrend seinen linken Arm. Die Emporgehobene streckt zwar ihren linken Arm Hilfe suchend aus und richtet ihren Blick, himmlischen Beistand erhoffend, nach oben; ihre Gestik kündigt jedoch schon Ergebung in ihr Schicksal, wenn nicht Hingabe an – die rechte Hand ruht zärtlich auf dem Unterarm ihres Entführers. Die Männer wirken ruhig und beherrscht, ihr Griff scheint behutsam. Der Blick Castors, des gerüsteten Reiters, fällt liebevoll auf das Gesicht des erschrockenen Mädchens unten, das von Pollux, dem Faustkämpfer mit nacktem Oberkörper, gehalten wird.

Die Pferde, um die sich Putti (geflügelte Liebesgötter in Kindergestalt) bemühen, rahmen die Gruppe der Helden und Mädchen. Ein Putto greift in die Zügel des braunen Pferdes und blickt den Betrachter vielsagend an – das Pferd steht für die Leidenschaft, die von der Liebe gezügelt wird.

Welche Bedeutung hat die Farbe im Bild?

Die sinnliche Farbgebung, die sich um die Frauenkörper entfaltet, betont die Erotik des gemalten Geschehens. Rubens wurde für seine reiche Farbgebung berühmt. Kaum ein anderer Künstler wusste Haut und Fleisch des menschlichen Körpers so lebendig zu charakterisieren wie er. Strahlende Farbigkeit, Harmonie im Gesamteindruck und Betonung der Handlung zeichnen seine Farbgestaltung aus. Rubens' Stil wurde zum Ausgangspunkt der Farbfreude des Rokokos. Im 19. Jahrhundert ließ sich der französische Maler Eugène Delacroix von Rubens anregen und griff in seinem Werk dessen Verbindung von Farbigkeit mit einem dramatischen Erzählstil wieder auf.

Warum wurde der »Frauenraub« zum Mythos?

Rubens' Bildthema des »Frauenraubs« konnte nur in einer patriarchalen Welt zum Gegenstand von Mythos und Kunst werden. Die Frau stand damals entweder unter der Vormundschaft des Vaters oder des Ehegatten. Ein »Frauenraub« verletzte die Rechte der Familie und wurde schwer bestraft. Was in der sozialen Realität nicht erlaubt war, fand sich aber in den antiken Mythen als Tat von Helden und Göttern vielfach und meist wohlwollend beschrieben. Auch Castor und Pollux galten als Helden und Halbgötter, deren Tat nicht negativ bewertet wurde.

Wurde das Thema öfter behandelt?

Die Kunst der Neuzeit griff das Thema des Frauenraubs in zahlreichen Werken auf. Zweifellos schmeichelte es den männlichen Auftraggebern, eignete sich aber stets auch zum Zwecke allegorischer Aufwertung: Frauenraubdarstellungen aus der Zeit des beginnenden Absolutismus konnten den mit Gewalt durchgesetzten Anspruch von Fürsten auf Herrschaft über ihr Land oder ihre Stadt demonstrieren.

Was inspirierte das Gemälde?

Der »Raub der Töchter des Leukippos« könnte auch von einer für heutige Ohren provokanten Stelle in der »Liebeskunst« des römischen Dichters Ovid, geschrieben um Christi Geburt, angeregt worden sein (1,673 bis 680): »Du magst es Gewalt nennen, willkommen ist diese den Mädchen; was sie freut, wollen sie oft nur widerwillig hergeben. (…) Phoebe erlitt Gewalt, Gewalt wurde der Schwester angetan; jedoch beiden Geraubten waren die Räuber erwünscht.« Wahrscheinlich gibt es noch eine allegorische Sinnebene, die bislang nicht entschlüsselt werden konnte.

War Peter Paul Rubens nur als Maler tätig?

Nein, er wirkte auch als Architekt und Diplomat. Der Flame Peter Paul Rubens, geboren 1577 in Siegen in Westfalen, gestorben 1640 in Antwerpen, zählt zu den Begründern der Barockmalerei. Umfassend gebildet, im Kontakt mit bedeutenden Gelehrten seiner Zeit, war er neben seiner umfangreichen künstlerischen Tätigkeit auch als Diplomat im Dienst der Erzherzogin Isabella, Statthalterin der spanischen Niederlande, tätig. Zu seinen Auftraggebern zählten die Fürsten Europas. Er schuf zahlreiche religiöse und mythologische Bilder, umfangreiche Gemäldezyklen für Schlösser und Kirchen, Porträts und Landschaften, entwarf Titelblätter für Bücher und war sogar als Architekt tätig.

Dank seines Erfolgs konnte er sich schließlich in der Nähe von Mecheln einen Landsitz zulegen. Der Maler starb 1640 wahrscheinlich an Gicht. Der Verkauf seines Nachlasses brachte über eine Million Gulden ein.

Wussten Sie, dass …

das Bild als Allegorie auf die Doppelhochzeit zwischen den spanischen und französischen Thronfolgern Ludwig XIII. und Philipp IV. mit Prinzessinnen aus dem jeweils anderen Haus gesehen werden kann? Beim feierlichen Vertragsschluss 1612 wurden die Prinzen als Castor und Pollux gefeiert.

Rubens in seinen letzten Jahren nur noch Skizzen anfertigte? Die Ausführung überließ er seinen Schülern.

Gianlorenzo Berninis David: Pathos des Augenblicks

Welche Bedeutung hat Gianlorenzo Bernini für die italienische Kunst?

Bernini prägte 70 Jahre lang Architektur und Skulptur im hochbarocken Rom. Wie kein anderer repräsentiert er den Höhepunkt der italienischen Barockskulptur. Nach der formalen Überzogenheit des Manierismus scheint es, als ob bei Bernini der Stein nun freigegeben worden sei, um einzig der Entfaltung von körperlicher und seelischer Bewegung der dargestellten Figuren zu dienen.

Welcher biblische Stoff ist in der Skulptur verarbeitet?

Die Geschichte Davids steht im 1. Buch Samuel. Der Philister Goliath, ein großer, schwer bewaffneter Mann, hatte Saul, den König der Israeliten, aufgefordert, ihm einen seiner Männer zum Zweikampf zu schicken. Auf diese Weise wollte er den Krieg zwischen ihnen entscheiden. Nur der junge David traute sich das zu. Er lehnte es ab, Sauls Rüstung zu tragen, und suchte in einem Bach Kieselsteine für seine Steinschleuder. Am Ende besiegte er den Riesen.

Wie ist die Goliath-Geschichte in der Skulptur umgesetzt?

Geschickt hat Bernini bei seiner 1623 entstandenen Skulptur die abgelehnte Rüstung zu Füßen Davids in Szene gesetzt: Sie dient nach dem Vorbild römischer Statuen als Stütze und erklärt zugleich die Nacktheit der Figur. Bernini hat David in einem dramatischen Moment kurz vor der Tat festgehalten. Den Feind fest im Blick, die Lippen entschlossen aufeinandergepresst, dreht sich David in einer geschraubten Bewegung nach rechts, um die Schleuder in Position zu bringen. Der Spannung des Augenblicks entspricht die Anspannung des muskulösen Körpers. Der Realismus, in dem etwa das rohe Seil oder die üppigen Haare dargestellt sind, bildet einen effektvollen Kontrast zu der seidigen Oberfläche des Körpers. Ein Vergleich mit Werken zum selben Thema aus früheren Zeiten, etwa Donatellos Florentiner »David«, macht die gewaltige Weiterentwicklung der Kunst deutlich.

Wie geht es mit David weiter?

David wird Goliath schon mit dem ersten Steinwurf betäuben und ihn danach mit seinem eigenen Schwert enthaupten. Die Leier, die Bernini unter der Rüstung versteckt hat, weist in die Zukunft: Auf ihr wird der spätere König der Israeliten seine Psalmen begleiten.

Was ist das Besondere an Berninis Darstellung der David-Figur?

Die Statue des David ist äußerst charakteristisch für die Arbeit des Künstlers. Der Barockmeister liefert keine distanzierte Präsentation eines Geschehens, sondern er lässt den Betrachter eine von Lebendigkeit durchpulste, im Augenblick subjektiv nachvollziehbare dramatische Szene erleben. Technische Virtuosität verknüpft mit hohem Einfühlungsvermögen und der Fähigkeit, seelische Zustände meisterhaft in Stein zu bannen, machten Bernini zu einem der größten Bildhauer aller Zeiten. Dem »David« in der römischen Galleria Borghese verlieh er seine eigenen Gesichtszüge.

Für wen entstand die Skulptur?

»David« gehört zu den vier großen Jugendwerken, die Bernini für seinen ersten Gönner schuf, den Kardinal Scipione Borghese (1578–1640). Dazu zählt auch »Apoll und Daphne«, ein Werk, das Bernini selbst noch im Alter zu seinen besten zählte. Die Geschichte der Nymphe Daphne, die sich auf der Flucht vor dem liebestollen Apoll in einen Lorbeerbaum verwandeln lässt, ist in den »Metamorphosen« des römischen Dichters Ovid nachzulesen. Auch hier hat Bernini einen Augenblick mitten in der dramatischen Handlung festgehalten: Daphne ist noch in Bewegung, doch an den Extremitäten ihres Körpers beginnt bereits die Verwandlung in den festgewurzelten Baum.

Wussten Sie, dass …

der Auftraggeber des »David«, Kardinal Borghese, dem Künstler, der sich selbst im Gesicht der Skulptur porträtierte, den Spiegel gehalten haben soll?

Bernini auch als Maler bestehen konnte? Von seinem Talent zeugen unter anderem seine lebhaften Selbstporträts.

der Künstler Festdekorationen, Bühnenbilder und Denkmäler wie den bis heute beliebten Elefanten mit Obelisk entwarf?

Bernini in Rom neben dem Brunnenbau auch für die Instandhaltung der Wasserleitungen zuständig war?

Wie verlief die Karriere des italienischen Bildhauers?

1624 wurde Bernini ohne jegliche Ausbildung als Architekt zum Leiter der Bauarbeiten von Sankt Peter ernannt, ein Gunstbeweis des damaligen Papstes Urban VIII. Mit seinen 25 Jahren war er bereits an der höchsten Sprosse der Karriereleiter angelangt. Für den Petersdom schuf Bernini den bronzenen Baldachin über dem Petersgrab, die Statue Konstantins des Großen und mehrere päpstliche Grabmäler. Sein Ruhm drang auch ins Ausland. Ludwig XIV. von Frankreich bat ihn 1665, für den Umbau des Louvre Pläne zu fertigen. Bernini reiste nach Paris, doch seine Idee einer kurvierten Fassade fand keinen Beifall.

Zu Berninis Aufgaben gehörten die Rekonstruktion antiker Skulpturen und der Bau von Brunnen. Unter seinem zweiten päpstlichen Förderer Alexander VII. prägte Bernini mit den Kolonnaden des Petersplatzes, der Ausstattung der Engelsbrücke und mit Kirchen wie Sant'Andrea al Quirinale das Gesicht des katholischen Rom.

Taj Mahal: Ein Denkmal unvergänglicher Liebe

Aus welcher Zeit stammt das Bauwerk?

Das Grabmal für die Lieblingsfrau des Mogul-Kaisers Shah Jahan wurde 1631 bis 1648 im indischen Agra errichtet. Mit den vier flankierenden Türmen wirkt der Bau auf den ersten Blick wie eine Moschee. Der fünfte Mogul-Kaiser Shah Jahan (1592–1666) widmete das Grabmal Arjumand Banu Begam, der Lieblingsfrau aus seinem Harem. Sie war 1631 im Alter von nur 38 Jahren bei der Geburt ihres 14. Kindes gestorben. Nach ihrem Ehrentitel Mumtaz i-Mahal, Auserwählte des Palastes, wurde die prächtige Anlage benannt.

Wie sollte die Anlage des Taj Mahal ergänzt werden?

Ursprünglich hatte Shah Jahan den Plan, sich in einem identischen Grabmal aus schwarzem Marmor und in spiegelbildlicher Symmetrie gegenüber dem Taj Mahal bestatten zu lassen. Er musste ihn jedoch fallen lassen, als infolge seiner überbordenden Baufreude die Staatsfinanzen praktisch erschöpft waren. Nachdem er seine letzten Lebensjahre in ständiger Haft verbracht hatte, wurde er 1666 an der Seite seiner Gemahlin im Taj Mahal beigesetzt.

Wer führte die Arbeit aus?

Osmanische, indische und persische Architekten und Kunsthandwerker, die aus allen Teilen des islamischen Weltreiches dienstverpflichtet wurden, sollen an der riesigen Anlage mitgearbeitet haben. Einschließlich Park und Nebengebäude erreicht sie eine Ausdehnung von 567 x 305 Metern. Den Hauptkomplex markiert ein hohes Tor. Dahinter erstreckt sich ein nach den streng formalen Prinzipien islamischer Gartenarchitektur gestalteter Park. In seiner Mitte führt ein Wasserbecken direkt auf das ganz mit weißem Marmor verkleidete Mausoleum zu – das eigentliche Taj Mahal.

Wie ist der Bau strukturiert?

Der Baukörper als Ganzes bildet ein an den Kanten leicht abgeschrägtes Quadrat. Er erhebt sich über einem Podest und wird von vier minarettartigen Türmen flankiert – eine Reverenz an die Konventionen islamischer Sakralarchitektur. Die Anordnung der einzelnen Bauvolumina und Räume folgt einem in der Mogul-Zeit beliebten symmetrischen Grundriss-Schema. Es beruht auf der gegenseitigen Durchdringung eines Kreuzes und eines Quadrates und wurde aus der indischen Architektur übernommen. Dominierend wirkt die riesige, mit einem breiten Intarsienband gesäumte Zwiebelkuppel, die kleinere Seitenkuppeln flankieren. In die Verkleidung aus weißem Marmor sind filigrane Intarsien aus roten, blauen und grünen Halbedelsteinen eingelassen. Sie bilden rahmende Bänder oder füllen abgegrenzte Flächen mit streng stilisierten geometrischen Ornamenten oder floralen Arabesken.

Unter der Kuppel im Inneren stehen hinter reich verzierten Marmorgittern prächtige, ebenfalls mit Intarsien geschmückte Kenotaphe (Leergräber) des fürstlichen Paares. Dessen sterbliche Überreste ruhen in Sarkophagen in der Krypta des beeindruckenden Monuments.

Wer waren die Moguln?

Die islamische Dynastie der Moguln, eines Reitervolks aus Usbekistan, gründete unter Babur (1483–1530), einem Nachkommen des legendären mongolischen Eroberers Timur Lenk (Tamerlan), in Indien ein Großreich. Zeitweise umfasste das Reich die gesamte Nordhälfte des indischen Subkontinents.

Baburs Enkel Akbar gelang es in seiner fast 50-jährigen Regierungszeit (1556–1605), die Rajputen gleichzuschalten, eine im Norden Indiens herrschende Kriegerkaste. So kam es nach und nach zu einer Vermischung beider Kulturen. In die Zeit fiel auch die erste Blüte des so genannten Mogul-Stils, der sich durch die Verknüpfung indischer und islamischer Elemente auszeichnet. Während der Regierung des Akbar-Enkels Shah Jahan (1628–1658) fand der späte Mogul-Stil seine Vollendung.

Wussten Sie, dass …

an der Ausführung einer der vollkommensten Schöpfungen indisch-islamischer Mogul-Architektur 20000 Künstler und Handwerker mitgewirkt haben sollen?

die Grabanlage nach dem schweizerischen Psychologen C. G. Jung »durch ein beinahe göttliches Wunder« die »unsichtbare und allzu eifersüchtig gehütete Schönheit des islamischen Eros« offenbare?

die britischen Kolonialherren im 19. Jahrhundert Teile des Gebäudes in Europa versteigern wollten?

Van Dycks Porträt Karls I.: Höhepunkt höfischer Barockmalerei

Was verband van Dyck mit Karl I. von England?

Wirtschaftliche Interessen. Der König, der Anthonis van Dyck 1632 an seinen Hof holte, zeigte sich spendabel, finanzierte seinem Lieblingsmaler ein ansehnliches Anwesen und einen luxuriösen Lebensstil, bedachte ihn mit kostbaren Geschenken und zeichnete ihn mit Würden aus. Van Dyck erwies sich all der Ehren würdig und erreichte in England als Porträtist einen Grad an Virtuosität, der ihn für Generationen englischer Künstler zum Vorbild machte. Mehr als 20 Porträts fertigte der flämische Künstler in nicht einmal zehn Jahren von seinem Förderer Karl I. von England an.

Welche Funktion hatte die höfische Porträtkunst?

Herrscherporträts dienten vorwiegend der Repräsentation und sollten über die bloße Abbildung des Königs hinausgehen. So bergen etwa die unterschiedlichen Rollen, in denen Karl I. von van Dyck dargestellt wurde, zusätzliche, symbolische Bedeutungen: Der König als liebender Familienvater beispielsweise steht auch für den »Vater« seiner Untertanen und betont zudem den dynastischen Aspekt des Königtums.

Welchen Prinzipien folgten solche Porträts?

Sie wurden in aller Regel geschönt. Karl I. war alles andere als ein attraktiver Mann, vielmehr schmächtig und unscheinbar. Doch sein Lieblingsmaler van Dyck wusste ihn in imposanter Gestalt darzustellen, was der Eitelkeit des Königs natürlich schmeichelte und seinem übersteigerten Bedürfnis nach Selbstdarstellung entgegenkam. Besonders gern sah er sich hoch zu Ross, in Anlehnung an das antike Reiterstandbild des römischen Kaisers Marc Aurel sogar einmal unter einem Triumphbogen. Für dieses würdevolle, fast imperiale »Reiterporträt mit dem Stallmeister St. Antoine« von 1632 ließ sich Anthonis van Dyck von seinem Vorbild Tizian inspirieren, der in beeindruckender Weise Kaiser Karl V. zu Pferd porträtiert hatte.

Eigenwilliger und künstlerisch wesentlich bedeutender ist jedoch van Dycks »Karl I. auf der Jagd« aus der Zeit um 1635. Die Szene, die wie eine zufällige Momentaufnahme wirkt, zeigt den König in der freien Natur, nachdem er vom Pferd gestiegen ist. Das Tier, das gerade von einem Bediensteten versorgt wird, ist hier nur ein Attribut, das auf die Möglichkeit des repräsentativen Reiterporträts hinweist.

Welche sozialen Aussagen stecken im Porträt Karls I.?

Die Kleidung des Monarchen wirkt schlicht und den Erfordernissen der Jagd angepasst: ein Wams, ein breitkrempiger Hut und Reiterstiefel. Und doch ist auch dieses Bildnis, bei aller Natürlichkeit der Situation, erfüllt von herrscherlicher Pose. Einige eindeutige Details weisen darauf hin, dass dieser Mann nicht einfach nur ein Jäger ist, sondern ein Aristokrat: der Degen etwa oder an Brust und Knie das Aufblitzen des hellblauen Bandes des berühmten Hosenbandordens. Selbst Karls betont ungezwungene Körperhaltung wirkt dominant: Entschlossen und breitbeinig steht er da, auf seinen Stock gestützt. Der in die Taille gestemmte linke Arm weist den Betrachter unweigerlich auf Distanz.

Entscheidend für die Wirkung ist jedoch der Blickwinkel des Malers und somit des Betrachters: Er geht von unten nach oben, wie es der gesellschaftlichen Hierarchie entspricht, an deren Spitze der König steht. Durch die Untersicht lässt van Dyck seinen »kleinen« König größer erscheinen, als er war, und gibt ihm die Gelegenheit, selbstherrlich auf die anderen – nämlich jeden Betrachter des Bildes – herabzusehen.

Welche Bedeutung hatte Karl I. für die englische Kunst?

Karl I. (Reg. 1625–1649) erwarb sich einen prominenten Platz in der Kunstgeschichte. Er gehörte zu den wichtigsten Kunstsammlern seiner Epoche, kaufte alte Meister genauso wie zeitgenössische Kunst. So liegt der heutige Reichtum der öffentlichen Museen und Galerien Großbritanniens auch in der Sammelwut des königlichen Kunstkenners begründet, der politisch allerdings eine wenig glückliche Hand bewies: Sein absolutistischer Herrschaftsanspruch und seine Bevorzugung der Katholiken führten England in den Bürgerkrieg. Karl wurde gefangen gesetzt und öffentlich enthauptet.

Wussten Sie, dass …

der Maler mit seinen Königsporträts das aristokratische Bildnis in der Barockzeit entscheidend prägte?

Anthonis van Dyck vor allem in England noch weit bis in das 18. Jahrhundert hinein als großes Vorbild für Porträtisten wie Joshua Reynolds (1723–1792) oder Thomas Gainsborough (1727–1788) wirkte? In seiner Maltechnik, mit seinem leichten und schnellen Pinselstrich, wies er bereits in die Rokokozeit hinein.

Wann begann Anthonis van Dycks künstlerische Laufbahn?

Der im Jahr 1599 in Antwerpen geborene Anthonis van Dyck galt schon früh als »Wunderkind«. Aufgrund seiner außerordentlichen Begabung wurde er bereits im Alter von zehn Jahren zu einem namhaften Maler in die Lehre geschickt. 18-jährig trat er in die Werkstatt von Peter Paul Rubens (1577–1640) ein und wurde bald mit wichtigen Aufträgen betraut. Rubens bezeichnete ihn als seinen »besten Schüler«.

1620 verließ der junge Maler die Heimat in Richtung England, wo er für Jakob I. (Reg. 1605–1625) tätig wurde. Damals lernte van Dyck Gemälde Tizians (1477–1567) kennen, die ihn zutiefst beeindruckten. Fasziniert von den italienischen Meisterwerken, reiste van Dyck nach Italien, wo er einige Jahre malerische Studien betrieb. 1627 kehrte er nach Antwerpen zurück; seit 1632 lebte er bis auf zwei kurze Unterbrechungen in England. Von 1635 bis zu seinem Tod 1641 schuf er ausschließlich Porträts, teils in Öl, teils als Radierungen und Kupferstiche.

Poussins Raub der Sabinerinnen: Figurenreiche Komposition

Was bedeutete Rom für das 17. Jahrhundert?

In ganz Europa grassierte im 17. Jahrhundert das »Antikenfieber«, und nirgends fühlte man sich dem idealisierten Zeitalter näher als in Rom. In der ewigen Stadt verbrachte der französische Maler Nicolas Poussin (1594 bis 1665) seine fruchtbarsten Jahre, unterbrochen nur von einem zweijährigen Parisaufenthalt 1640–1642. Hier in Rom wurden die Stätten des Altertums freigelegt, die große Geschichte der Stadt studiert. Auch Poussin boten die antiken Bauten ein reiches Spektrum an Motiven.

Was interessierte Poussin an der Antike?

Sein Interesse galt weniger der historischen Wirklichkeit, als der möglichen Vorbildfunktion der Antike: Die römisch-antike Kunst stellte für Nicolas Poussin – wie für viele seiner Zeitgenossen – den Inbegriff einer zeitlosen und vernunftgemäßen Kunst dar. In einer Gegenbewegung zum Manierismus, dem auch Poussin in seiner frühen Phase anhing, ging es ihm nun um ein antikes Ideal aus Konzentration, Vernunft und Ordnung. Geschult an der Kunst der Antike und der italienischen Renaissance, fand Poussin in Rom zu jener kühl-klaren Farbgebung und dem strengen Bildaufbau, Komponenten seiner Malerei, die ihn als frühen Wegbereiter des französischen Klassizismus ausweisen und ihm Vorbildfunktion für mehrere Generationen französischer Maler verliehen.

Ist die Geschichte vom Frauenraub wahr?

Wahrscheinlich ist es nur ein Mythos, der für Poussins um 1635 entstandenes Gemälde »Raub der Sabinerinnen« Pate stand. Der antike Geschichtsschreiber Livius überliefert, dass die Römer vor ihrer eigentlichen Stadtgründung am Tiber an eklatantem Frauenmangel litten. Sie sollen daher die in friedlicher Nachbarschaft lebenden Sabiner mitsamt ihren Frauen und Töchtern zu einem Fest eingeladen haben, in dessen Verlauf sie die jungen Mädchen raubten.

Welche Szenen der Geschichte sind dargestellt?

In seinem Gemälde »Raub der Sabinerinnen«, das heute zu den Schätzen des Pariser Louvre gehört, konzentriert sich Nicolas Poussin auf den grausamen Höhepunkt des heimtückischen Geschehens, den kollektiven Frauenraub durch die Römer. Schauplatz ist ein weiter städtischer Platz, eingerahmt von mehreren nüchternen Bauten, die mit ihren Quadern und Säulenvorhallen an Stadtpaläste der Renaissance erinnern. Am linken Bildrand ragt ein monumentaler, breit gelagerter Tempel mit schmucklosem Giebel und mächtigen toskanischen Säulen empor. Er ist sichtbar noch nicht fertig – ein Symbol für die wachsende, noch unvollendete Stadt Rom. Am linken Rand des Gemäldes befindet sich – erhöht über der Menge – eine Dreiergruppe: Auf einem Podium steht der bekrönte Stadtgründer Romulus in der Haltung einer klassischen Statue und mit der bestimmenden Geste eines Imperators. Mit der Linken hält er seinen leuchtend roten Umhang empor und gibt damit den Römern das Zeichen zum Frauenraub. Hinter ihm beobachten zwei Senatoren das Geschehen.

Wussten Sie, dass …

der Raub der Sabinerinnen von vielen Künstlern der Epoche behandelt wurde? Als vorbildhaft wurde die raumgreifende Plastik in der Loggia dei Lanzi in Florenz gesehen, die der flämisch-italienische Bildhauer Giovanni da Bologna (1529–1608) geschaffen hatte.

Poussin, bevor er ein Gemälde in Angriff nahm, zunächst alles nur Greifbare über sein Thema las? Er fertigte sogar kleine Modellfiguren an, die er mit Stoff drapierte und so auf einem Brett aufstellte, wie sie später im Bild auftreten sollten.

Wie entwickelte sich Nicolas Poussins Kunstverständnis?

Nicolas Poussin, 1594 (wahrscheinlich im Juni) in Villersin-Vexin geboren, kam 1624 in Venedig mit den Werken Bellinis und Tizians in Kontakt – eine Art Initialzündung für das junge Malertalent. Von da ging er nach Rom, wo er bis auf eine zweijährige Unterbrechung den Rest seines Lebens verbrachte.

Hier, an einem der Zentren der antiken Welt, studierte er intensiv die klassische Malerei und Bildhauerei, was sich in seinen streng durchkomponierten, hell ausgeleuchteten Historiengemälden und Landschaften niederschlug. In seiner Kunstlehre vertrat er die Ansicht, die Malerei solle sich vor allem um Klarheit und strenge Gesetzmäßigkeit bemühen.

Poussins Maxime, die später auch die des Klassizismus wurde, lautete: »Man sollte vor allem alles tun, um sich nicht auf Kleinigkeiten einzulassen, mit denen man den Wert des Themas verringern könnte.« Am 19.11.1665 starb Poussin in Rom.

Die Nachtwache von Rembrandt: Revolutionäres Gruppenporträt

Welche Geschichte verbirgt sich hinter dem Titel?

Rembrandts Bild gehört zu den bekanntesten Darstellungen einer Nachtszene der europäischen Malerei, jeder hat seinen Namen, »Nachtwache«, schon einmal gehört – aber das Gemälde war ursprünglich gar kein Nachtbild, es war heller und größer, und es hieß auch nicht »Nachtwache«.

Zunächst trug das Gemälde den Titel »Kapitän Frans Banningh Cocq gibt seinem Leutnant den Befehl zum Abmarsch der Schützenkompanie«. Es wurde im Jahr 1642 bestellt, um den Festsaal der Amsterdamer Kloveniersgilde zu schmücken, der Vereinigung der Büchsenschützen. Es sollte die Mitglieder der Schützengilde feiern – und das größte Bild werden, das Rembrandt (1606–1669) je gemalt hat. Schon die heutigen Maße sind mit 359 auf 438 Zentimeter enorm. Dabei handelt es sich bei der »Nachtwache«, die im Rijksmuseum Amsterdam hängt, um eine stark beschnittene Version.

Was zeigt das Gemälde tatsächlich?

Wohl eine Art Militärparade. Die Männer auf dem Bild sind im Aufbruch begriffen. Wahrscheinlich geht es zu einem Umzug, was an ihrer Festtagskleidung zu erkennen ist. Sie halten also keineswegs Nachtwache – diesen Name hat das Gemälde erst im 19. Jahrhundert erhalten, wohl bedingt durch seine dunklen Farben.

Aber auch diese Farben sind nicht original, sondern erst nachträglich entstanden, durch natürliches Nachdunkeln und durch Restauratoren, die ein wenig nachhalfen, da man die Alten Meister lieber etwas gedämpfter sehen wollte. Heute zeigt sich das Werk annähernd im ursprünglichen Zustand wie zu Rembrandts Zeiten: Nach einem Anschlag im Jahr 1975 wurde es grundlegend und mit kunsthistorischer Sorgfalt restauriert.

Wie reagierten die Auftraggeber auf das Bild?

Von Anfang an waren die Mitglieder der Kloveniersgilde nicht so recht glücklich mit dem Gemälde. Denn Rembrandt hatte das Thema auf seine Weise bearbeitet: Er ließ die Schützen nicht wie auf den üblichen Gildenbildern im Stil eines Klassenphotos posieren, sondern rückte eine zentrale Handlung in den Vordergrund. Das führte zwangsläufig dazu, dass nur einige Gildenmitglieder gut zu erkennen waren. Es hatten jedoch alle bezahlt.

Wie sind die Figuren auf dem Bild gestaltet?

Hauptmann Frans Banningh Cocq, der selbstbewusst blickende Mann in Schwarz mit der roten Schärpe und dem Spitzenkragen, weist mit sicherer Geste seinen Männern den Weg. Er trägt keine Waffe, nur einen Stock als Zeichen seines militärischen Ranges. Schwarz war traditionell die Farbe der Kleidung von Ratsherren und Kaufleuten. Und Banningh Cocq gehörte zu dieser städtischen Führungsschicht. Seine Haltung und sein Auftreten kennzeichnen ihn deutlich als Anhänger des bürgerlichen Lagers, der politisch Karriere machen möchte. Sein Gegenpart ist der hell gekleidete Mann neben ihm: Weiß war die Farbe des französischen Hofes und galt in den bürgerlichen Niederlanden als wenig geliebtes höfisches Symbol.

Was hat das kleine Mädchen im Bild zu suchen?

Das weiß man nicht genau. Über das Mädchen mit dem Huhn ist viel spekuliert worden. Ist es überhaupt ein Mädchen? Die Gestalt deutet darauf hin und es zogen bei solchen Aufmärschen auch immer Kinder mit. Ihr Gesicht aber ist eher das einer Frau. Vermutlich stellt die weibliche Figur eine Magd dar – sie wurde ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechend verkleinert gemalt. Aber zweifellos war sie Rembrandt wichtig, denn sie ist als einzige Figur in dem Getümmel hell angeleuchtet. Zudem stellt sie die Verbindung zu den Symbolen der Kloveniersgilde her; denn »klauw« heißt Klaue, und die Krallen des Huhns, das sie trägt, sind im Licht zu erkennen. Das zweite Gildensymbol, der Gewehrkolben, fällt gleich bei dem Schützen links vor dem Mädchen ins Auge.

Wussten Sie, dass …

die »Nachtwache« eines der am häufigsten reproduzierten Gemälde überhaupt ist? Man findet es auf T-Shirts und Pralinenschachteln und sinnigerweise auch als Werbung für eine Wach- und Schließgesellschaft.

das Gemälde im Verlauf des 17. Jahrhunderts in Vergessenheit geriet? Es wurde umgehängt und aus Platzmangel verkleinert: allein auf der linken Bildseite um 65 Zentimeter, eine Reduzierung, die selbstverständlich die Gesamtkomposition veränderte.

Wie verlief Rembrandts Leben als Künstler?

Rembrandt, der eigentlich R. Harmensz van Rjin hieß, erlebte Zeiten größten künstlerischen Erfolgs wie auch Phasen bitterster Armut. Er wurde 1606 in Leiden geboren. In seiner Frühzeit schuf er vor allem biblische Szenen, in denen er mit immer radikaleren Gegensätzen von Licht und Schatten arbeitete.

1631 übersiedelte er nach Amsterdam, wo er Bilder von teils monumentaler Größe schuf und sich auf Braun- und Rottöne konzentrierte. Als revolutionär galten seine Gruppenbilder (neben der »Nachtwache« vor allem die »Anatomie des Dr. Tulp«), in denen er im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht nur Einzelporträts addierte, sondern seine Figuren in echten Gruppenhandlungen zeigte.

Rembrandt schuf über 400 Gemälde und 1700 Zeichnungen und Radierungen, war aber kein guter Geschäftsmann. 1657 wurden sein Haus und seine Besitztümer zwangsversteigert. 1669 starb er zurückgezogen in Amsterdam.

Velázquez' Las Meninas: Kunst des Augenblicks

Wo hängt das Gemälde?

Der Prado, eine der glanzvollsten Gemäldesammlungen der Welt, präsentiert in einem separierten, geheimnisvoll abgedunkelten Raum eine Ikone der spanischen Malerei des 17. Jahrhunderts: »Las Meninas« (Die Hoffräulein). Das Bild zählt zu den Hauptwerken von Diego Velázquez, es wirft bis heute einige Fragen auf und ist vieles zugleich: Gruppen- und Künstlerporträt, Interieur, Hoffamilienporträt und Atelierbild.

Was stellt das Bild dar?

Im Mittelpunkt des Bildes posiert die fünf Jahre alte Infantin Margarita, ein blondes, ausnehmend hübsches und selbstbewusstes Kind. Dem königlichen Hofzeremoniell gemäß reicht ihr eine Hofdame auf einer Schale zu trinken, während eine andere sich bereithält, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Am rechten Bildrand erblicken wir zwei Kleinwüchsige, deren Aufgabe als Hofnarren es ist, den von Langeweile bestimmten Alltag im Königspalast mit Späßen aufzulockern. Man hält sie, weil ihr Anblick das Selbstwertgefühl der »normal Gewachsenen« stärkt. Vor ihnen liegt ein Hund, auch er nicht mehr als ein nettes Spielzeug. Im Mittelgrund tauchen aus dem Dunkel eine Ehrendame in Klostertracht und der so genannte guardadamas auf, der die Hofdamen bei Audienzen und Kutschenfahrten begleitete. Am Ende des Raumes entdecken wir eine weit geöffnete Tür und einen elegant gekleideten Herrn im lichten Treppenaufgang, wohl der Hausmarschall der Königin.

An der dunklen Rückwand links neben dem Durchgang hängt ein gerahmter Spiegel, in dem sich schemenhaft die Gesichter des Königspaares Philipp IV. und Marianne abzeichnen. Links taucht hinter einer angedeuteten Staffelei der Maler Velázquez mit Farbpalette, Malstock und Pinsel auf.

Was erfährt man über die Prinzessin?

Das von rechts einfallende Tageslicht hebt die Prinzessin aus dem Halbdunkel deutlich hervor. Dem Maler ist es gelungen, ungeachtet der Etikette etwas vom Gemütszustand des Kindes zu beschreiben. Hier zeigt sich Velázquez' ganze Größe: Feinste psychologische Einfühlung wird verknüpft mit respektvoller Distanz. Die ernste Haltung ist Ausdruck von Standesbewusstsein und des Wissens um die gewaltigen zukünftigen Aufgaben. Margarita war zu diesem Zeitpunkt (um 1656) das einzige Kind Philipps, also eine gute Partie auf dem diplomatisch-politischen Parkett, sollte ein männlicher Thronfolger ausbleiben. Für Spaniens Krone stand es damals nicht zum Besten. Philipp hatte politische Rückschläge erlitten, die Weltmacht Spanien stand vor dem Ruin, der königliche Hof war völlig verarmt.

Welche Elemente charakterisieren die Darstellung?

Bildbestimmend ist das Spiel mit Entfernungen, Blickbeziehungen und der Verbindung von Bild- und Betrachterraum. Damit wird die Darstellung zu einer spannenden, weil nicht sofort erkennbaren Momentaufnahme während der Entstehung des Gemäldes. Der Standpunkt von Betrachter und Herrscherpaar auf der einen Seite und der Bildraum auf der anderen sind trickreich miteinander verbunden. Wer ist nun letztlich Modell und wer Betrachter?

Velázquez nimmt als hochgestellte Persönlichkeit als Hofkünstler am Bildgeschehen teil. Das Bild ist ein Dokument für die Existenz eines Atelierraumes in königlichem Ambiente. Dies ist bemerkenswert, da die Malerei in Spanien Mitte des 17. Jahrhunderts für ein besseres Handwerk gehalten wurde. Das Bild verschweigt, dass Velázquez, der zum Hofmarschall, königlichen Kammermaler und »Leibtürhüter« aufgestiegen und damit finanziell versorgt war, aufgrund seines gesellschaftlichen Ranges und administrativer Verpflichtungen kaum Zeit für die Malerei fand.

Was sagt das Spiegelbild?

Forschen wir dem Spiegelbild an der Rückwand des Saales nach, so muss sich das Herrscherpaar folgerichtig auf der gegenüberliegenden Seite befinden, also dort, wo auch der Betrachter des Bildes steht. Damit stellt sich die Frage: Wen hat Velázquez tatsächlich porträtiert? Die Prinzessin, die während einer kurzen Erholungspause vom plötzlichen Besuch der Eltern überrascht wird, oder aber das elterliche Königspaar selbst?

Wussten Sie, dass …

das 1656 entstandene Werk »Las Meninas« eines der letzten Bilder des Malers ist?

das Gemälde in der Tat Kunstgeschichte geschrieben hat? Goya, die französischen Impressionisten und Picasso setzten sich mit der Magie seiner Komposition und der »Kunst des Augenblicks« auseinander.

Schloss Versailles: Symbolbau des Absolutismus

Welcher Konkurrenzbau regte die Errichtung des Schlosses an?

Ein Hauptwerk des klassizistisch gemäßigten Barocks in Frankreich, die Schloss- und Parkanlage Vaux-le-Vicomte (1656–1661), erregte den Neid des damaligen französischen Königs Ludwig XIV. Ein geniales Künstlertrio hatte sie geschaffen: der Baumeister Louis Le Vau (1612–1670), der Maler Charles Le Brun (1616–1690) und der Gartenarchitekt André Le Nôtre (1613–1700). Ludwig XIV. empfand den opulenten Besitz Nicolas de Fouquets, Finanzminister seines Regenten Kardinal Jules Mazarin, als Majestätsbeleidigung. Ab 1661 ließ er sich nahe Paris von denselben Künstlern und anstelle eines Jagdschlosses Ludwigs XIII. sein eigenes Domizil in noch größerem Maßstab erbauen. Es sollte wie kein anderes Bauprojekt des Sonnenkönigs dessen persönliche Handschrift tragen und in den folgenden Jahrzehnten zum Hauptprojekt der absolutistischen Staatskunst werden.

Wer baute den Spiegelsaal?

Ludwigs Günstling Jules Hardouin-Mansart (1646–1708) übernahm 1678 die Bauleitung. Er fügte eine 73 Meter lange Spiegelgalerie an sowie eine zweigeschossige Schlosskapelle und machte die mehrflügelige Anlage zu einem viel bewunderten Gesamtkunstwerk. Aller Gigantomanie zum Trotz waren sämtliche Bauteile des neuen Schlosses durch eine strenge Gliederung harmonisch verbunden.

1682 wurden Regierung und Hofstaat nach Versailles verlegt. Ab 1762 entstanden der Nord- und Ostflügel nach italienischem Vorbild. Während der Französischen Revolution 1789 brachten aufständische Volksmassen die Königsfamilie nach Paris auf die Guillotine, das prunkvolle Mobiliar wurde zerstört oder durch Versteigerung in alle Winde zerstreut.

Welche Funktion hat die Spiegelgalerie?

Die Privatappartements des Königs (erbaut von Jacques-Ange Gabriel) lagen im Nordflügel, diejenigen der Königin im Süden. Als Verbindung diente eine die ganze Breite des Hauptflügels einnehmende Spiegelgalerie. 17 riesige Spiegel vervielfältigen die prächtige Parkperspektive gleichsam ins Unendliche. In den Deckengemälden Le Bruns darüber werden die Taten Ludwigs verherrlicht. Zusammen mit den Ecksalons de la Paix (Ludwig als Friedensbringer) und de la Guerre (Allegorie des siegreichen Frankreich) sowie dem ehemaligen Thronsaal Salon d'Apollon (der Sonnengott Apollon als mythologischer Vorläufer des Sonnenkönigs Ludwig) entfaltet das ikonografische Programm des Absolutismus hier seinen höchsten Prunk.

Was kennzeichnet den französischen Parkstil?

In bewusstem Gegensatz zum naturbelassenen englischen Garten prägte der Landschaftsarchitekt Le Nôtre mit dem Schlosspark von Versailles einen streng formalen Gartentyp. Als klassischer französischer Garten wurde er zu einem häufig kopierten Vorbild. Symmetrisch-axiale Prospekte, ornamental gestaltete Rabatten, in geometrischen Formen gestutzte Bäume und Hecken, Brunnen, geradlinig eingefasste Wasserflächen und Schmuckstatuen sind einem streng durchkomponierten Gesamtkonzept untergeordnet und auf das Schloss hin ausgerichtet. Der Gedanke absoluten Herrschertums durchdringt alles bis hin zur »domestizierten« Natur.

Wussten Sie, dass …

im Park zwei Lustschlösser für die königlichen Mätressen, Grand Trianon für die Marquise de Maintenon und Petit Trianon für Madame du Barry stehen?

Wilhelm I. 1871 im Versailler Spiegelsaal zum Kaiser des Deutschen Reichs proklamiert wurde?

1919 am selben Ort von den Deutschen der Kapitulationsvertrag des Ersten Weltkriegs unterzeichnet werden musste?

Wie nahm der Sonnenkönig Einfluss auf die Kunst?

Ludwig XIV. (Regierungszeit 1643–1715) gelang es, alle Kunstbestrebungen der Zeit seinem absolutistischen Konzept zu unterwerfen und damit zu einer eigentlichen »Staatskunst« zu machen. Sie markiert den Höhepunkt des barocken Klassizismus und wurde für ganz Europa exemplarisch. In ihrem Anspruch komplex und großartig statt individuell oder intim, versucht sie das System staatstragender Tugenden auch ikonografisch umzusetzen – mit heroischen Inhalten und zahllosen Bezügen auf die antike Mythologie (Ludwig als Göttervater Zeus oder als Gott der Künste Apollon). In diesem Sinne nahm der Souverän auch direkten Einfluss auf die künstlerische Ausbildung: durch die Gründung von Kunstakademien oder die Eingliederung der Teppichwirkerei Gobelin unter Leitung Charles Le Bruns in die königlichen Manufakturen, die auch die Innendekoration für sein ehrgeiziges Schlossprojekt lieferten.

Jan Vermeers Maler im Atelier: Ein Berufsstand stellt sich vor

Inwiefern ist der Titel des Gemäldes umstritten?

Es gibt mehrere Titel für das Bild. Da ist in einigen Dokumenten von »De Schilderconst« die Rede, von der Malkunst also. Während »Maler im Atelier« die reine Genreszene beschreibt, bedeutet »Von der Malkunst« bereits Interpretation und Einstieg in ein tieferes Bildprogramm. Was sehen wir? Das Gemälde zeigt einen behaglich eingerichteten Wohnraum. Alles Handwerkliche ist ausgeblendet– der Künstler malt im Sonntagsstaat.

Was macht das Gemälde so besonders?

Das Bild fasziniert vor allem durch die minutiöse, stilllebenhafte Schilderung sowie durch die außergewöhnliche Stille, die ihm innewohnt. Im linken Vordergrund ist ein voluminöser Vorhang bestimmend, der den Blick auf einen hellen Innenraum freigibt, auf ein paar Möbel und Requisiten sowie auf zwei Personen, die uns Betrachter nicht wahrnehmen. Im Zentrum des Raums sitzt ein Maler an seiner Staffelei und malt eine Frau, offenbar sein Modell. Der Mann hat uns den Rücken zugekehrt. Er hat langes Haar, trägt ein schwarzes Barett, ein dunkelgraues Wams und dazu eine Kniebundhose, rot-weiße Strümpfe sowie schwarze Schuhe. Die Dame ist bekleidet mit einem leinenfarbenen Rock und eingehüllt in ein großes, hellblaues Tuch. Ihr gelocktes Haar trägt einen Kranz aus Lorbeerblättern. In ihrer Linken hält sie ein Buch, in der Rechten eine Trompete. Ihr Körper ist dem hellen Tageslicht zugewandt, das wohl aus einem Fenster hinter dem Vorhang einfällt. Ihr Blick aber senkt sich in Richtung eines Tisches. Auf ihm erkennen wir ein Buch, den Gipsabguss eines Gesichts, ein Stück Leder, ein aufgeschlagenes Heft und Tücher. Die Rückwand des Raums ziert eine Landkarte mit der Darstellung der Niederlande. Im Vorder- und Hintergrund stehen leere Stühle. Den Boden bedecken schwarz-weiße Fliesen. An der Balkendecke hängt ein Kronleuchter aus glänzendem Messing.

Wodurch ist Vermeers Stil charakterisiert?

Jan Vermeer ist ein Meister der detailreichen Wiedergabe unterschiedlicher Stofflichkeit, scheinbar banal und zufällig erscheinender Dinge. Die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts stand in Diensten eines eifernden Calvinismus, der die sichtbare Schönheit dieser Welt als bloße Sinnestäuschung und eitlen Tand zu geißeln versuchte. Gemälde dennoch mit allerlei Kostbarkeit anzufüllen, war nur zulässig, wenn sie gleichzeitig auf einer tieferen Deutungsebene demaskiert wurden. Die vor diesem Hintergrund einsetzende Bilderproduktion entwickelte einen enormen Reichtum an Bildzeichen, die der Betrachter als versteckten Hinweis auf Bibelzitate oder Weisheiten entschlüsseln konnte.

Was versinnbildlichen die Figuren und Gegenstände im Gemälde?

Wie bei einer Allegorie stehen auch die Dinge in Vermeers Gemälde nicht primär für das, was sie augenscheinlich darstellen, sondern sie verweisen auf einen übergeordneten Kontext. Zunächst spielt die Gegenüberstellung von Maler und Modell auf die Legende vom heiligen Lukas als Patron der Malergilde an, der seinerzeit mit göttlichem Beistand die Jungfrau Maria gemalt haben soll. Die Dame in Hellblau ist durch ihre Attribute Buch und Trompete außerdem als Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, gekennzeichnet. Klio, die vornehmste aller Musen, soll der Malkunst, welche in antiker Zeit bei der Vergabe von Musen leider leer ausging, eine Quelle der Inspiration sein. Einen Hinweis auf den Ruhm der Malerei liefert auch das Ensemble der Gegenstände auf dem Tisch. Sie stehen gemeinsam mit dem Vorhang und der Landkarte für all jene Berufe, mit denen die Malerei in der Lukasgilde verbunden war: In der Präambel der Delfter Gilde sind die Teppichweber, Besticker, Kupferstecher, Bildhauer, Scheidenmacher (sie stellten verzierte Lederartikel her), Kunstdrucker, Buch- und Kunstdruckhändler aufgeführt. Ihnen entsprechen in dieser Reihenfolge Vorhang, Tücher, Skizzenheft (Stichvorlagen), Gipsabguss, Lederstück, Buch und Wandkarte.

Wie erscheint der Maler?

Vermeer selbst porträtiert sich in Rückenansicht. Um der verallgemeinernden Allegorie der Malkunst zu entsprechen, zog er die Anonymität vor. Was er auf die Leinwand zu malen beginnt, ist der Lorbeerkranz, Symbol für ewigen Ruhm. Der immergrüne Lorbeer ist ein Sinnbild für das Fortleben der Dinge. Denn nicht nur die Dichter, auch die Maler stiften, was bleibt.

Für wen war das Bild bestimmt?

Als das Gemälde 1665 entstand, war Jan Vermeer 33 Jahre alt, hoch angesehen und Mitglied der Delfter Lukasgilde. Zwar liegt die Vermutung nahe, dass das Bild für sie bestimmt war, aber beim Tod des Künstlers 1675 befand sich das Werk noch in seinem Besitz. Seiner Frau hatte Vermeer nicht nur große Gemälde hinterlassen, sondern ebenso große Schulden. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die meisten versteigern zu lassen. Nur »Maler im Atelier« kam auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin nicht unter den Hammer. Heute hängt das Bild im Kunsthistorischen Museum in Wien.

Wussten Sie, dass …

Vermeer nie mehr als vier Bilder pro Jahr malen konnte? Um seine große Familie ernähren zu können, widmete er sich daher auch dem Kunsthandel.

der Umgang des Malers mit dem Licht vor allem auf die französischen Impressionisten wirkte?

es einige bisher unentdeckte Bilder des Maler geben soll? Dies ist auch der Grund dafür, dass Vermeer ein beliebter Gegenstand von Fälschungen ist.

Watteaus Einschiffung nach Kythera: Sehnsucht pur

Zu welcher Zeit schuf Watteau die »Einschiffung nach Kythera«?

Frankreich im Jahr 1717 – das Ancien Régime sonnt sich im Glanz des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Dessen Absolutismus bestimmt das Leben aller Untertanen, am Versailler Hof wie im ganzen Land. Der Geschmack der Zeit ist geprägt vom festlich-eleganten, heiter und verspielt gestimmten Rokoko. Ursprungsort und Hochburg dieser Epoche ist die Stadt Paris und ihr größter Maler, Antoine Watteau.

In dessen Bilderwelt, die sich auf wenige Sujets beschränkt, agieren auf den ersten Blick die seit dem 16. Jahrhundert vertrauten Figuren der italienischen Commedia dell'Arte. Doch kommt in seinen Werken eine moderne Weltanschauung zum Ausdruck, die neue Empfindsamkeit propagiert. Das gesellschaftliche Ideal dieser Zeit ist der Galan, der geistvolle, feinsinnige Höfling mit besten aristokratischen Umgangsformen und besonderem, sensiblem Respekt vor dem weiblichen Geschlecht. Diese neue Verhaltenskultur findet ihren Niederschlag im malerischen Sujet der Fêtes galantes. Watteau wurde durch sie weltberühmt.

Was drückt das Gemälde aus?

Watteaus Inselbild ist Ausdruck einer kollektiven Sehnsucht nach dem Paradies. Kythera vereint alle Wunschvorstellungen auf sich. Der Titel des Bildes stieß zunächst auf Unverständnis. Als Watteau es der königlichen Akademie 1717 vorlegte, strich der mit der Registratur beauftragte Sekretär mit Hinweis auf die Insel den Titel durch – und ersetzte ihn durch den Vermerk »ein galantes Fest«.

Wo ist das Bildgeschehen angesiedelt?

Das Bild zeigt eine vielgestaltige Fluss- und Gebirgslandschaft. Im dunstigen Licht der Ferne kann der Besucher Kythera nur erahnen. Steile Felsen und üppige Vegetation begrenzen den Bildraum zu beiden Seiten. Vom rechten Vordergrund her breitet sich dichtes Baum- und Buschwerk aus. Von dort führt ein schmaler Pfad in einer Kehre zum Ufer, wo eine prunkvolle Barke vor Anker liegt. Am Waldrand steht eine mit rosafarbenen Rosenblüten bekränzte Hermenfigur, die Büste der schönen Göttin Aphrodite.

Den bühnenartig inszenierten Vordergrund bedeckt eine schmale, abschüssige Wiese, auf der drei junge Paare bis zu ihrem Aufbruch mit dem Boot geruht haben. Nahe der Götterstatue kniet ein Kavalier vor seiner Dame und versucht, sie zur Überfahrt zu überreden. Ein kleiner Junge zu ihrer Linken zupft unterstützend am Rocksaum ihres seidenen Kleids. Das benachbarte Paar ist zum Aufbruch bereit. Hier reicht der Herr seiner Dame beide Hände, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Das dritte Paar wendet sich bereits dem Schiff zu. Während die Dame zu den noch Zaudernden zurückblickt, schiebt sie ihr Begleiter leicht mit dem Arm um die Taille voran.

Wie ist der Aufbruch gestaltet?

Der Entschluss, an der Fahrt zur Insel teilzunehmen, gestaltet sich als ein gefühlsbetonter Prozess, bei dem letzte Vorbehalte ausgeräumt sein wollen. Die übrige Gesellschaft steht wartend am Ufer und schickt sich an, das Schiff zu besteigen. Auch hier haben wir es mit Paaren zu tun, die eng beieinanderstehen und sich unterhalten. Während die vier Herrschaften zur Linken wohl dem Hofe angehören, handelt es sich bei den hinteren um Paare aus dem einfacheren Volk. So verhalten wie die Bewegung des Pilgerzugs, ist auch die Beziehung der Partner untereinander. Wir finden keine laute, raumgreifende Geste, keinen stürmischen Liebesbeweis, stattdessen eine zärtliche Umarmung oder ein behutsames Berühren der Schulter. Selbst die Blicke sind scheu und treffen sich kaum. Angesichts der werbenden Annäherung des Verehrers schlagen die Damen die Augen nieder oder wenden sich verlegen zu Seite. Vorsichtige Annäherung und Distanzierung bestimmen ihr Verhältnis zueinander. Die Kommunikation besteht aus Zu- und Abwendung, aus Geständnis und Verstellung und wirkt fragil und glaubwürdig in der Empfindung. Zugleich sind die Bildfiguren von zarter Eleganz. In ihren vorsichtigen, meist nur aus kleinen Regungen resultierenden Bewegungen ist Individualität spürbar. Ein leichtes Vorbeugen oder eine minimale Kopfwendung werden bereits als Ausdruck einer Gemütsverfassung fassbar. Watteaus Figurenwelt ist nicht dem Schein der verlogenen Hofetikette entsprungen, sondern legt kultivierte Umgangsformen an den Tag.

Wussten Sie, dass …

von »Der Einschiffung nach Kythera« drei verschiedene Fassungen existieren? Eine weitere befindet sich heute im Berliner Schloss Charlottenburg.

Watteaus Schilderung des galanten Festes als Utopie bereits den Keim der Opposition gegen die real existierenden Zustände am königlichen Hof zu Versailles in sich trägt?

derartige Utopien nicht nur zu Watteaus Zeiten oft auf Inseln angesiedelt wurden?

Watteau zu seinem Bild vom »Eiland Aphrodites« angeregt wurde? Hier ging der Sage nach die Liebesgöttin an Land, nachdem sie aus dem Meerschaum geboren worden war.

Wie verlief der Lebensweg des Rokokomalers?

Geboren 1684 in Valenciennes, kam der Maler 1702 nach Paris, wo er vor allem durch die niederländische Malerei der Renaissance beeinflusst wurde. Zunächst betätigte er sich für den Dekorationsmaler Audran als Gestalter von Wanddekorationen (Panneaux), von denen aber nur Stiche überliefert sind.

Um 1716 kam er in das Haus des Kunstsammlers Crozat und damit in Kontakt mit den wichtigsten der damaligen Kunstkenner. Aufgrund seines »Kythera«-Bildes wurde er 1717 in die Académie française aufgenommen. Seine Darstellungen von Schäferstücken und galanten Festen beeinflussten vor allem die Mode seiner Zeit: Frisuren, Kleider und Hüte auf seinen Bildern wurden in der französischen Gesellschaft eifrig nachgeahmt.

Trotz seiner Tuberkulosekrankheit, an der er erst 36-jährig starb, schuf Antoine Watteau zahlreiche Bilder voller Lebensgenuss und Heiterkeit.

Neumanns Heilig-Kreuz in Neresheim: Ein Meisterwerk des Rokoko

Welche Bauwerke hat Neumann entworfen?

Johann Balthasar Neumann schuf mehrere Profanbauten, darunter die Würzburger Residenz, Schloss Bruchsal und Schloss Brühl. Sein Stil ist leicht erkennbar: Elemente verschiedener Herkunft bilden eine rhythmisch bewegte Einheit. Barockmotive aus Italien und Österreich werden mit gliedernden Strukturen des französischen Klassizismus verbunden. Am eindrucksvollsten findet diese Verbindung wohl in seinen prächtigen Treppenanlagen Ausdruck. Häufig ließ sich Neumann von Johann Lucas von Hildebrandt (1668–1745) beraten, einem führenden österreichischen Barockarchitekten und Spezialisten für elegante Residenzbauten, mit dem er auch in Würzburg zusammenarbeitete.

Neumanns Kirchenentwürfe variieren das barocke Prinzip einander durchdringender schwingender Räume. Sie zeugen vom Streben des Architekten, den Typus des ungerichteten, um einen zentralen Raum herum entwickelten Baus mit demjenigen des gerichteten Langbaus zu verbinden, der eine längere Hauptachse vorweist. Diese Aufgabe inspirierte ihn zu interessanten Lösungen.

Was ist das Besondere an der Kirche Heilig-Kreuz?

Neumann kombinierte hier das Prinzip des Lang- und Zentralbaus zu einer unauflöslichen Einheit. Er plante die Kirche über kreuzförmigem Grundriss als Pfeilerbasilika mit Emporen, die auf einem sehr hohen Sockelgeschoss sitzen. Dadurch wirken sie wie Ränge und verleihen dem Raum fast den Charakter einer Hofkirche. Rund- und Ovalräume sind hier zu einer durchdachten Raumfolge verkettet, die jeweiligen Kuppeln entsprechend angelegt. Vier ovale, gestaffelte Flachkuppeln sitzen im Langhaus quer zur Hauptachse, zwei Kuppeln in den stark verkürzten Querarmen in Längsrichtung. Die große Mittelkuppel im Zentrum der symmetrischen Kreuzarme ist längs ausgerichtet. Den Raumeindruck prägt die Tatsache, dass die tragenden Wandpfeiler schräg stehen; das Hauptgesims schwingt so mehrfach rhythmisch in Gebälkspitzen aus.

Was geschah nach Neumanns Tod?

Der Bau, der beim Tode des Architekten 1753 erst bis zur Hälfte gediehen war, wurde nach dessen Plänen weitergeführt. Die Wölbungen allerdings fielen flacher aus als ursprünglich vorgesehen, auch wurde die Hauptkuppel samt Vierungssäulen nur in Holz ausgeführt. Die Innenausstattung ist schließlich ganz vom kühl-eleganten Geist des Frühklassizismus durchdrungen. Ihr fehlt das Anmutig-Verspielte, Tänzerisch-Bewegte typischer Rokoko-Dekorationen und verfälscht die von Neumann angestrebte Raumwirkung. Einen Eindruck der ursprünglichen Raumidee vermitteln noch am ehesten die Fresken des Tiroler Malers Martin Knoller (1771–1775).

Welche anderen Kirchen baute der Architekt?

Gleichzeitig mit der Abteikirche in Neresheim entstand die den 14 Nothelfern geweihte Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen in Oberfranken (1743–1772). Eine verzwickte Bausituation hoch über dem Maintal veranlasste den Architekten zu einer kühnen Lösung: Wie in Neresheim, allerdings etwas kleiner, arbeitete Johann Balthasar Neumann mit dem Prinzip elliptischer Raumfolgen. Den Altarraum und damit liturgischen Mittelpunkt verlegte er jedoch aus Chor und Vierung nach vorn ins Längsschiff – eine überraschende und unkonventionelle Idee. Obgleich sich auch hier die Bauarbeiten bis weit über den Tod des Architekten hinaus hinzogen, wurde mit einer Innenausstattung im Rokokostil dessen räumlicher Vision stärker Rechnung getragen als bei der Benediktinerabteikirche.

Was ist Johann Balthasar Neumanns Hauptwerk?

Die Residenz in Würzburg. Johann Balthasar Neumann stammte aus Eger und war als Metallgießer ausgebildeter Baumeister und Ingenieur. Er trat zunächst in die militärischen Dienste des Hochstifts in Würzburg. Protegiert durch den Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn, wurde er 1719 zum Fürstbischöflichen Baudirektor ernannt.

Mit der Planung der Würzburger Residenz (1722–1744, Innenausbau bis 1754) qualifizierte er sich für weitere bedeutende Bauaufträge, besonders in Franken und im Rheingebiet. Die Residenz entstand unter Beteiligung namhafter Künstler wie Johann Dientzenhofer und Giambattista Tiepolo und ist einer der gelungensten Palastbauten jener Zeit.

Eine Stärke des Baumeisters war die Auswahl der beteiligten Ausstatter und Dekorateure – im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen übernahm er diese Aufgaben nicht selbst.

Wussten Sie, dass …

Neumann als Artillerieoffizier und Militärtechniker an der Befreiung Belgrads unter Prinz Eugen von Savoyen teilnahm?

das Konterfei des Baumeisters von 1989 bis 2000 die Vorderseite des 50-Mark-Scheins zierte? Die Rückseite zeigte die Abteikirche in Neresheim sowie die Treppe der Würzburger Residenz.

die Würzburger Residenz nach dem Vorbild von Schloss Versailles erbaut wurde?

Mr. and Mrs. Andrews von Gainsborough: Der begüterte Landadel

Welchem Genre ist das Gemälde zuzuordnen?

Es ist gleichzeitig Porträt und Landschaftsbild. Zeit seines Lebens musste der englische Maler Thomas Gainsborough (1727 bis 1788) das malen, was er gar nicht malen wollte, nämlich Porträts, von Adligen und Künstlern, von Reichen und Berühmten. Dabei hatte er holländische Landschaftsmalerei studiert! Deshalb stellte Gainsborough die Porträtierten oft in üppige Park- oder Waldlandschaften – das Hintertürchen für seine Liebe zur Landschaftsmalerei!

Warum malte Thomas Gainsborough Porträts?

Wegen der Marktlage. Im England des 18. Jahrhunderts besaßen Landschaftsbilder weder Tradition noch Ansehen und verkauften sich demnach auch nicht, so dass der große Thomas Gainsborough schließlich aufs lukrativere Porträtieren verfiel, um sich und seine Familie zu ernähren. »Es gibt keine schlimmeren Feinde für den wahren Künstler als die verdammten Gentlemen … An diesen gibt es nur ein Teil, das zu betrachten sich lohnt, und das ist ihre Börse«, nörgelte er in einem Brief über die Schicht seiner Auftraggeber.

Und trotzdem brachte er es in der Kunst der Bildnismalerei zu wahrer Meisterschaft und wurde zum Modemaler der vornehmen Gesellschaft. Vor allem zwischen 1759 und 1774, als er sich im eleganten Kurort Bath aufhielt, lebte er ausgesprochen gut von den »verdammten Gentlemen« und ihren Ladies.

Aus welchem Anlass entstand dieses Bild?

Anlässlich der Hochzeit von Robert und Frances Andrews. Die beiden heirateten im November 1748, das Gemälde »Mr. and Mrs. Andrews« entstand allerdings erst mehrere Monate später. Es ist kein offizielles Hochzeitsbild, doch verschiedene versteckte Andeutungen entsprechen der Tradition dieser Gattung: So lassen sich die reifen Ähren im Vordergrund als Fruchtbarkeitssymbol deuten, während sich die Flinte des Mannes als erotischer Hinweis entpuppt und der mächtige Baum, auf dessen knorrigen Wurzeln er steht, als Sinnbild des Stammbaumes gilt. Schließlich verweisen rechts im Bild die drei Bäume – ein kleiner Baum zwischen zwei größeren – auf die Absicht der Familiengründung.

Worauf deutet die weite Landschaft hin?

Sie ist eine Anspielung auf den großen Grundbesitz des Paares. Das junge Paar posiert vor seinem Landgut Auberies in Suffolk, das Mrs. Andrews als Mitgift in die Ehe eingebracht hatte.

Die Landschaft nimmt für ein Doppelporträt auffallend breiten Raum ein: Sie nimmt die gesamte rechte Bildhälfte ein, während sich das Ehepaar selbst mit der linken Seite zufriedengeben muss. Ungewöhnlich ist auch die exakte Lokalisierung der Landschaft. Gezeigt wird nicht irgendeine idealisierte englische Parkidylle, sondern ein topografisch genau bestimmbares Stück Land. Sogar der Baum, unter dem das Paar sich porträtieren ließ, konnte »identifiziert« werden.

Welche Bedeutung haben die Getreidegarben?

Sie zeigen, dass die Andrews' eine Art Mustergut besaßen. Deutlich zeigt Gainsborough, dass es um eine landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft geht, um fruchtbares Agrarland, das jedoch ohne die in der Genremalerei so beliebten pflügenden oder erntenden Bauern auskommt. Die Stoppelreihen des Feldes im rechten Bildvordergrund sind lang und kerzengerade gezogen – für unsere Begriffe völlig normal, doch damals ein Hinweis auf den Einsatz einer hochmodernen Maschine, die das Saatgut in gleichmäßigeren Reihen einsetzte, als es die säende Hand eines Bauern vermocht hätte.

Auf dem Gutsbetrieb von Mr. und Mrs. Andrews werden also die neuesten Errungenschaften der Landwirtschaft eingesetzt und mit Stolz präsentiert. Das Land erweist sich als üppig und fruchtbar, und so wird die Abbildung der Landschaft zum Sinnbild für Wohlstand und Fortschrittlichkeit.

Welche Hinweise gibt das Bild auf soziale Umstände der Zeit?

Sie werden durch die Schafe vermittelt, die kaum erkennbar in der Bildmitte auf einer eingezäunten Weide grasen. Mit einer wahren Flut von rund 3000 Gesetzen, den so genannten enclosure acts, wurde ab Mitte des 18. Jahrhunderts die Modernisierung und Kommerzialisierung der englischen Landwirtschaft vorangetrieben. Dazu gehörte auch die Einfriedung von Gemeindeland, das vorher traditionsgemäß auch den besitzlosen Landarbeitern als Weideland zur Verfügung gestanden hatte. Eine Folge davon war die zunehmende Verarmung dieser Schicht, die dann in die städtischen Ballungsräume zog und dort billige Arbeitskräfte für die kommende Industrialisierung stellte. Ein interessanter Hinweis darauf, dass Mr. Andrews in wirtschaftlicher Hinsicht mit der Zeit ging!

Wussten Sie, dass …

Mrs. Andrews zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit erst 16 Jahre alt war? Vielleicht wirkt sie so steif und kühl, weil ihr nicht ganz wohl bei dieser Heirat war.

Mr. Andrews, selbst reicher Erbe, als Ehemann von Mrs. Andrews mit der Verfügungsgewalt über deren nicht geringe Mitgift ausgestattet war? Die Lässigkeit, mit der er an dem Gartenbänkchen lehnt, ist also möglicherweise dem Selbstbewusstein als wohlhabender und einflussreicher Grundbesitzer geschuldet.

Tiepolos Fresko in der Würzburger Residenz: Barockes Welttheater

Welchen Rang hat die Residenz in Würzburg?

Die Würzburger Residenz galt im 18. Jahrhundert als fränkisches Versailles. Ihr Baumeister war Balthasar Neumann, der 1742 das Herzstück der Schlossanlage vollendete: eine freitragende Halle, in der das auf Repräsentation angelegte fünfschiffige Treppenhaus untergebracht ist – die Krönung der barocken Profanarchitektur in Süddeutschland. Doch der Raum verlangte nach farbenprächtiger Bemalung. Für den Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau kam nur ein Künstler in Frage: der Großmeister der venezianischen Malerei, der teuerste Freskenmaler seiner Zeit, Giovanni Battista Tiepolo (1696–1770). Für eine Jahresgage von 10000 Gulden zuzüglich Kost und Logis war er dazu bereit. Ein Würzburger Maurerpolier verdiente damals rund 200 Gulden im Jahr.

Wie lange arbeitete der Maler an dem Werk?

1750 traf Tiepolo in Begleitung seiner beiden Söhne Giandomenico und Lorenzo in Würzburg ein. Erst nach fast drei Jahren harter Arbeit war das Kunstwerk vollendet – und die Ressourcen des Fürstbischofs waren aufgebraucht. Das Ergebnis: ein Höhepunkt barocker Freskomalerei. Tiepolo schuf ein Universum aus Wolken, Apotheosen und Allegorien, ein Spiegelbild eurozentrischer Weltsicht, das Spektrum des spätbarocken Figurenrepertoires, eine heiter gestimmte Götterdämmerung im ausgehenden Absolutismus.

Durch das Halbdunkel einer flach gewölbten Eingangshalle gelangt der Besucher in den hellen Treppenschacht, der erst beim Aufwärtsschreiten den Raum in seiner ganzen Höhe und Weite entfaltet. Das Deckenfresko ist zugleich Höhepunkt und Auftakt zu den noch folgenden Repräsentationsräumen. Kein Standpunkt ermöglicht den Blick aufs Ganze.

Was ist abgebildet?

Im Zentrum des Himmels erscheint der Sonnengott Apoll als Schirmherr der Künste. Auf den umliegenden Wolkenterrassen begegnen wir antiken Göttern als Verkörperung der Planeten sowie Allegorien der Jahreszeiten und Monate. Die vier Seiten sind den Erdteilen Europa, Amerika, Afrika und Asien gewidmet. Die Schauseite nimmt die Allegorie Europas ein, verbunden mit der Verherrlichung des Bauherrn. Zwei gefiederte Himmelswesen, die Allegorien von Ruhm und Tugend, halten sein Bildnismedaillon. In seinem hermelingefütterten Purpurmantel hat sich ein Greif, der Wappenvogel des Bauherrn, eingenistet. Darunter thront majestätisch die junge blonde Europa und lauscht dem Konzert ihrer Musiker. Als Königin dieser Welt lehnt sie an der Schulter ihres Stiers. Um Europa versammeln sich stellvertretend für die Kunst die Schöpfer der Würzburger Residenz, allen voran der Baumeister Neumann, der in der Uniform eines Obristen der fürstbischöflichen Artillerie auf einem Kanonenrohr sitzt.

Wie stellt sich Tiepolo Amerika vor?

Der erste Kontinent, dem der Besucher im Treppenhaus begegnet, ist Amerika. Ins Auge fällt vor allem ein riesiges Krokodil. Auf ihm reitet Amerika in Gestalt einer dunkelhäutigen Schönheit mit buntem Federschmuck. Während ihr ein Page ein Gefäß mit heißer Schokolade reicht, blickt sie auf einen Papagei und die reiche Beute einer Hirschjagd. Indianer schleppen einen kleinen Alligator davon und braten Fleisch über offenem Feuer. Die Köpfe enthaupteter Männer im Vordergrund verweisen auf den damals, wie es hieß, in Amerika praktizierten Kannibalismus.

Was kennzeichnet Afrika?

Von besonderer Anmut ist die geheimnisvolle schwarze Schönheit, die mit weißem Kopftuch und weitem Rock auf einem Dromedar ruht und die Geschenke einer orientalischen Gesandtschaft entgegennimmt. Vor ihr sind Vasen und Elefantenzähne ausgebreitet. Ein Gesandter unterm Sonnenschirm hält ein Gefäß mit Weihrauch. Abseits kauert der betagte Flussgott Nil, halbnackt an eine leere Amphore gelehnt und ein Ruder in der Hand.

Wie ist Asien dargestellt?

Schließlich präsentiert sich auf der gegenüberliegenden Längsseite Asien als eine prächtig gekleidete Dame mit Turban, auf einem Elefanten reitend, umgeben von Dienern und Sklaven. Links versuchen einige Männer, mit Stöcken eine Tigerin zu fangen, während weiter rechts der Berg Golgatha mit Pilgern und Kreuzen, eine Pyramide sowie die Fürstin Ägyptens auftauchen.

Das Monumentalgemälde der Welt, wie sie Europa zu sehen wünschte, diente dem Fürstbischof zur Demonstration seines Ruhms, aufgrund der scherzhaften Zutaten und gelegentlichen optischen Täuschungen aber auch zur Unterhaltung seiner Gäste.

Welche Wirkung hatte Tiepolo?

Der berühmte venezianische Maler bestimmte mit seiner hellen luftigen Malweise die späte Barockmalerei südlich und nördlich der Alpen. Um 1750 bahnte sich eine Wende an, die zum schnellen Ende des Barock führte. In seinem Essay »Über Kunst und Wissenschaft« kritisierte Jean-Jacques Rousseau die »Sittenverderbnis und Üppigkeit« seiner Zeit, machte vor allem die verführerische Barockkunst dafür verantwortlich und plädierte für Einfachheit und Schlichtheit. Auch Tiepolos Kunst, die in Würzburg einen ihrer letzten Triumphe feierte, geriet als verschwenderische Kunst einer selbstverliebten aristokratischen Gesellschaft in Verruf und bald danach in Vergessenheit.

Wussten Sie, dass …

mit Tiepolo eine große Tradition zu Ende ging? Er war der letzte bedeutende Vertreter der venezianischen Kunst.

die beiden Söhne Tiepolos, Giandomenico und Lorenzo, an vielen Meisterwerken ihres berühmten Vaters einen wichtigen Anteil hatten?

das Kunstwerk wie durch ein Wunder die Bombardierung Würzburgs im März 1945 überstand?

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