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Interview: Wenn der Körper nicht abnehmen will

Fast ein Fünftel der Erwachsenen in Deutschland ist fettleibig: Sie haben so starkes Übergewicht, dass ihr Body-Mass-Index (BMI) bei mindestens 30 liegt. Seit 2022 gibt es weltweit außerdem erstmals mehr adipöse Kinder und Jugendliche als untergewichtige. Gerade für stark übergewichtige Menschen ist das Abnehmen meist besonders schwer – aber warum? Kann das an der Genetik liegen? Und ist die viel gepriesene Abnehmspritze wirklich ein Allheilmittel?
AMA / Universität Augsburg, 26.05.2025
Freundesgruppe nach dem Sport
Gewichtsverlust durch Sport wird überschätzt. Nur mithilfe von sportlichen Aktivitäten abzunehmen ist schwierig.

© South_agency, iStock

Wer starkes Übergewicht hat, schleppt nicht nur einfach mehr Pfunde mit sich herum – er riskiert auch seine Gesundheit. Denn Adipositas erhöht das Risiko für zahlreiche Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, aber auch psychische Erkrankungen. Menschen mit einem Body-Mass-Index von mehr als 30 sollten daher unbedingt versuchen abzunehmen. Aber leichter gesagt als getan. Denn gerade bei Adipositas machen Körper und Stoffwechsel es besonders schwer, Gewicht zu verlieren. Viele Diäten scheitern.

Doch wie kann es Betroffenen gelingen, endlich Normalgewicht zu erreichen? Warum kommen die Pfunde häufig wieder? Und was hat es mit der Abnehmspritze auf sich? Diese und weitere Fragen beantwortet Kerstin Stemmer, Professorin für Molekulare Zellbiologie von der Universität Augsburg, im Interview.

Wieso sind so viele Menschen von Adipositas betroffen?

Stemmer: Unsere Umwelt und unser Lebensstil haben sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert. Hochkalorische Lebensmittel sind jederzeit verfügbar, körperliche Arbeit nimmt ab, Bewegung wird weniger – viele Tätigkeiten finden heute im Sitzen statt. Die Energiezufuhr übersteigt dauerhaft den Verbrauch. Gleichzeitig ist unser Körper noch immer auf das „Überleben“ in Zeiten des Mangels programmiert: Er speichert Energie in Form von Fett und gibt sie nur ungern wieder her.

Welche Rolle spielen die Gene?

Viele denken: „Man muss sich nur zusammenreißen.“ Aber so einfach ist es nicht. Genetik spielt eine wichtige Rolle. In den meisten Fällen liegt jedoch nicht eine einzelne genetische Ursache vor, sondern ein komplexes Zusammenspiel aus Genetik, Umweltfaktoren und Verhalten. Sogar Vorlieben für bestimmte gesunde oder ungesunde Nahrungsmittel, oder ob wir uns gerne sportlich betätigen, liegen in unseren Genen. Heute sind mehrere hundert Genvarianten bekannt, also kleine individuelle Veränderungen in den Genen, die einen unterschiedlichen Einfluss auf das Körpergewicht nehmen können. So passiert es, dass manche Menschen trotz ähnlichen Lebensstils schneller zunehmen als andere.

Bis zu einem gewissen Maß können wir unsere genetische Veranlagung beeinflussen, indem wir beispielsweise versuchen, schlechte Ernährungsgewohnheiten zu verändern. Meistens fallen wir nach kurzer Zeit aber wieder in alte Muster zurück, vor allem da wir in einer stark Adipositas-fördernden Umwelt leben. In sehr seltenen Fällen liegt zudem ein genetischer Defekt vor. Auch eine – ebenfalls seltene – Resistenz gegen das Hormon Leptin kann Übergewicht fördern.

Warum ist Abnehmen so schwer – und warum kommt das Gewicht oft wieder?

Langfristig schlank zu bleiben, erfordert mehr als Disziplin: Der Körper „merkt“ sich das alte Gewicht und strebt aktiv danach zurück. Es ist wichtig zu verstehen, dass Personen mit einem BMI über 30 ihr Mehrgewicht nicht dauerhaft durch eine Diät loswerden können. Bei einer Diät versucht der Körper, die verlorene Energie wieder zurückzuholen – er senkt den Ruheumsatz, also den Kalorienverbrauch des Körpers im absoluten Ruhezustand, und steigert das Hungergefühl. Dieser Mechanismus ist tief im Stoffwechsel verankert und war früher überlebenswichtig.

Heute führt er dazu, dass viele Menschen nach dem Abnehmen wieder zunehmen – manchmal sogar noch mehr als vorher. Diesen Effekt nennt man Jo-Jo-Effekt. Er tritt häufig bei sogenannten Crash-Diäten verstärkt auf, bei denen man in sehr kurzer Zeit viel Gewicht verliert. In wissenschaftlichen Studien hat man herausgefunden, dass der Ruheumsatz noch Jahre später deutlich niedriger ist und die Betroffenen deshalb wieder schnell an Gewicht zunehmen.

Setzen einer Wegovy-Abnehmspitze am Bauch
Auch mit den neuen Abnehmspritzen gilt: Es gibt für Adipositas bis heute keine Heilung, nur Behandlungen.

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Was kann nun die sogenannte „Abnehmspritze“?

Ein großer Fortschritt in der Adipositastherapie ist die medikamentöse Behandlung mit sogenannten GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Semaglutid. Dieses Medikament wirkt wie ein natürliches Hormon, das nach dem Essen ausgeschüttet wird. Es signalisiert dem Gehirn: „Du bist satt.“ Semaglutid wirkt auf mehreren Ebenen: Es hemmt das Hungergefühl im Gehirn, auch Heißhungerattacken werden seltener. Es verlangsamt die Magenentleerung, was auch zur Sättigung beiträgt und es verbessert die Blutzuckerregulation nach dem Essen.

Studien zeigen: Mit einer wöchentlichen Injektion bis maximal 2,4 Milligramm Semaglutid können Betroffene im Schnitt etwa 15 Prozent ihres Körpergewichts verlieren. Dabei scheint die Wirkung bei einem hohen Body-Mass-Index stärker zu sein als bei einem niedrigen BMI.

Gibt es Nebenwirkungen?

Ja, wie bei jedem Medikament. Die Abnehmspritze darf deshalb nur unter ärztlicher Verordnung eingenommen werden. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Verdauungsstörungen wie Durchfall, Erbrechen oder Übelkeit. Diese Beschwerden treten meist am Anfang auf und lassen mit der Zeit nach.

Wie lange muss man die Spritze nehmen?

Die Wirkung hält nur an, solange das Medikament regelmäßig eingenommen wird. Wird es abgesetzt, kehren Appetit und Gewicht oft zurück. Heute gehen wir davon aus, dass Adipositas eine chronische Erkrankung ist – also nicht heilbar. Das bedeutet: Viele Menschen brauchen eine langfristige oder sogar lebenslange Behandlung.

Gibt es auch neue Medikamente?

Ja. Seit 2024 ist mit Tirzepatid ein weiterer Wirkstoff auf dem Markt. Dieser kombiniert die Wirkung des GLP-1 mit einem ähnlich wirksamen zweiten Hormon, dem GIP. Der Kombinationswirkstoff unterdrückt das Hungergefühl, regt aber durch GIP noch stärker die Insulinproduktion an. In klinischen Studien war die Wirkung auf Blutzucker und Gewicht stärker als bei Semaglutid. Zudem wird intensiv an Kombinationen mit weiteren Substanzen geforscht, die Fett-, Energie- und Zuckerstoffwechsel positiv beeinflussen, aber aktuell noch nicht zugelassen sind.

Und reicht die Spritze allein aus?

Nein. Die Medikamente helfen beim Einstieg – aber entscheidend ist der Lebensstil. Damit das Gewicht dauerhaft reduziert bleibt, müssen neue, gesunde Gewohnheiten fest im Alltag verankert werden. Dazu gehören vor allem eine ausgewogene Ernährung und mehr Bewegung. Entscheidend ist aber, dass diese Umstellung mit Hilfe der Abnehmspritze viel häufiger gelingt.

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