Lexikon

Preußen

ehemaliges Land des Deutschen Reiches, umfasste zuletzt (1939) 294 160 km2 mit 41,8 Mio. Einwohnern. Es gliederte sich in die Provinzen Brandenburg, Grenzmark Posen-Westpreußen, Hannover, Hessen-Nassau, Hohenzollernsche Lande, Ostpreußen, Pommern, Rheinprovinz, Sachsen, Schlesien, Schleswig-Holstein und Westfalen; die Hauptstadt Berlin bildete einen eigenen Verwaltungsbezirk.

Geschichte

Der Name Preußen stammt von dem zwischen Weichsel und Memel ansässigen baltischen Stamm der Pruzzen (Prußen) und bezeichnete ursprünglich nur dessen Siedlungsgebiet, etwa das spätere Ost- und Westpreußen umfassend.

Deutscher Orden und der Große Kurfürst

Zur Christianisierung der Pruzzen rief der Piastenherzog Konrad I. 1225/26 den Deutschen Orden ins Land. Der Deutsche Orden empfing von Kaiser Friedrich II. (Goldbulle von Rimini) das Kulmerland sowie das übrige, noch zu erobernde Land der Pruzzen als Lehen und erhielt die Reichsfürstenwürde in Preußen. Dem Orden folgten zahlreiche Siedler (Ostsiedlung), die um die Burgen herum Städte gründeten: 1231 Thorn, 1232 Kulm, 1233 Marienwerder, 1237 Elbing, 1253 Memel, 1255 Königsberg. Aber erst 1283 gelang die vollständige Unterwerfung der Pruzzen. 1309 wurde der Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens von Akko nach Preußen (Marienburg) verlegt. 1441 wurde der Hochmeister persönlicher Landesherr von Preußen.
Nachdem der Deutsche Orden im 2. Frieden von Thorn 1466 das Bistum Ermland, Westpreußen und Danzig verloren hatte, behielt er vom alten Ordensgebiet lediglich Ostpreußen, das nach der Säkularisation des Ordensstaats 1525 in ein (evangelisches) erbliches Herzogtum Preußen unter polnischer Lehnshoheit umgewandelt wurde. Dieses Herzogtum fiel 1618 durch Erbverträge an die kurbrandenburgische Linie der Hohenzollern. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, war nach der Übernahme der Regierung 1640 bestrebt, seine durch den Dreißigjährigen Krieg schwer zerrütteten Länder, die zu fast selbständigen politischen Gebilden unter adlig-bürgerlichen Landständen geworden waren, in einem einheitlichen Gesamtstaat zusammenzufassen. Für Preußen war er außenpolitisch, ohne den Schutz des Reiches, dem er nur für Brandenburg als Kurfürst und Reichsstand angehörte, auf Bündnispolitik angewiesen. In den Verträgen von Wehlau 1656 und Oliva 1660 erreichte er die Aufhebung der polnischen Lehnshoheit über Preußen und gliederte es in seine Stammlande ein.

Königreich und Großmacht

Die europäische Geschichte Preußens begann, als der Sohn des Großen Kurfürsten, Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, aufgrund seiner Souveränität in Preußen und durch Vereinbarungen mit dem Kaiser am 18. 1. 1701 in Königsberg seine Krönung als Friedrich I., „König in Preußen“, vornahm und mit dieser persönlichen Rangerhöhung das preußische Königtum begründete. Sein Sohn, König Friedrich Wilhelm I., setzte seine Kraft für die innere Konsolidierung seines Staates ein. Er schuf die Grundlagen des preußischen Verwaltungs- und Militärstaats. Das Heer wurde unter seiner persönlichen Leitung ausgebildet und auf eine Friedensstärke von 83 000 Mann gebracht. Der preußische Offiziersstand, fast nur noch aus Söhnen des eingesessenen Adels bestehend, bildete den ersten Stand im Staat und behielt diese Vorrangstellung bis zum Ende der Monarchie. Der Mannschaftsstand wurde mehr und mehr aus Landeskindern rekrutiert. Die ständische Herrschaftsschichtung von Gutsherr und Bauern setzte sich im Heer zwischen Offizier und Mannschaft fort. In der Verwaltung, deren oberste zentrale Verwaltungsbehörde das Generaldirektorium war, dem in den einzelnen Provinzen die Kriegs- und Domänenkammern entsprachen, wurden die ständisch-adligen Landräte der Kreise zu Organen staatlicher Auftragsverwaltung.
König Friedrich II., der Große, begann mit den geordneten Finanzen und dem schlagkräftigen Heer seines Vaters die Vergrößerung seines Staatsgebiets und die Stärkung seiner Macht durch die Schlesischen Kriege, wobei der Siebenjährige Krieg den Besitz Schlesiens endgültig sicherte und damit die Stellung Preußens als zweite deutsche Vormacht begründete. In der 1. Polnischen Teilung erwarb Friedrich 1772 wieder Ermland und Westpreußen (mit dem Netzedistrikt, aber noch ohne Danzig und Thorn ), die Verbindung zwischen Brandenburg und Ostpreußen. Durch seine expansive Politik erschütterte Friedrich der Große die Vormachtstellung Habsburgs im Reich und beschwor den preußisch-österreichischen Dualismus herauf.
Innenpolitisch wurde Preußen unter Friedrich dem Großen zu einem Beispiel des aufgeklärten Absolutismus. Eine Justizreform wurde 1746 vom preußischen Großkanzler S. von Cocceji begonnen und kam im Preußischen Allgemeinen Landrecht zum Abschluss. Die merkantilistische Wirtschaftspolitik förderte den Steinkohlenbergbau in Oberschlesien (wie auch im Ruhrgebiet), den Landesausbau im Oder- und Netzebruch, die Einrichtung von Manufakturen und die Heranziehung von Kolonisten in größerem Umfang. Das Heer wurde auf eine Friedensstärke von 180 000 Mann gebracht. Im brandenburgisch-preußischen Adel entstand ein preußisches Staatsbewusstsein.

Von der Französischen Revolution zum Deutschen Reich

Eine Modernisierung der Herrschaftsordnung, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts unter dem Anstoß der Ideen der Französischen Revolution notwendig wurde, brachte der Nachfolger Friedrichs des Großen, Friedrich Wilhelm II., nicht zustande. Er leitete eine Schwenkung der Politik zu Österreich ein. Bei der 2. und 3. Polnischen Teilung gewann Preußen größere Gebiete (Neuostpreußen und Südpreußen). Der dadurch herbeigeführte Bruch mit Österreich und die schwankende Neutralitätspolitik Friedrich Wilhelms III. isolierten Preußen, so dass es 1806 Napoleon I. allein gegenüberstand und nach den Niederlagen von Jena und Auerstedt im Frieden von Tilsit (1807) alle linkselbischen Gebiete sowie den größten Teil des Gewinns aus den Polnischen Teilungen abtreten musste.
Aus dieser Niederlage heraus fand Preußen die Kraft zu umfassenden inneren Reformen (Freiherr vom Stein: Bauernbefreiung, Städteordnung). Der Staatsgedanke Friedrichs des Großen wurde befruchtet durch Ideen der Französischen Revolution und des freien englischen Wirtschaftssystems (Fürst Hardenberg: Gewerbefreiheit, Judenemanzipation). Berlin wurde nach der Gründung der Universität (1810) Zentrum der geistigen Erneuerung (A. von Humboldt und W. von Humboldt, F. Schleiermacher, J. G. Fichte). Das preußische Heer wurde nach den ethischen Grundsätzen von Pflicht und Freiheit zum Volksheer der allgemeinen Wehrpflicht umgewandelt (G. von Scharnhorst, N. von Gneisenau, H. von Boyen). In den Befreiungskriegen erstarkte neben dem preußischen Staatsbewusstsein das deutsche Nationalgefühl, eine der Voraussetzungen für die spätere Reichsgründung von 1871.
Auf dem Wiener Kongress (1814/15) gewann Preußen als Mitglied des neuen Deutschen Bunds seine Machtstellung zurück. Die Provinzen Rheinland, Westfalen, Sachsen und das Großherzogtum Posen wurden neu gebildet. Die Restauration setzte sich auch in Preußen durch. Die Abneigung gegen revolutionäre Strömungen wurde zur Behinderung für die Fortführung der Reformen; 1819 traten Boyen und W. von Humboldt zurück. Statt des versprochenen Parlaments traten lediglich die Provinzialstände zusammen, in denen der besitzende Adel vorherrschte. Die Spannung zwischen dem national und liberal gesinnten Bürgertum und monarchischen Kreisen nahm zu, je mehr die Regierung durch Pressezensur und Demagogenverfolgungen sich den liberalen Tendenzen entgegenstellte und unter Friedrich Wilhelm IV. ein romantisch-konservatives und orthodox-kirchliches monarchisches Prinzip zu vertreten begann.
Die Märzrevolution von 1848 brachte zwar ein liberales Ministerium unter Ludolf Camphausen und die Ausschreibung von Wahlen zu einer preußischen Nationalversammlung, doch wurde die Frage einer deutschen Reichsverfassung nicht von Preußen, sondern erst von der Frankfurter Nationalversammlung angeschnitten. Da jedoch, wie überall in Deutschland, die Revolution nach den ersten Erfolgen stecken blieb, weil die Monarchie im Militär und im konservativen Beamtentum sowie bei breiten Schichten der Bevölkerung noch fest verankert war, konnte Friedrich Wilhelm IV. die ihm als König von Preußen seitens der Frankfurter Nationalversammlung angetragene deutsche Kaiserkrone ausschlagen, wieder ein konservatives Ministerium berufen, die preußische Nationalversammlung auflösen und eine konstitutionelle Verfassung oktroyieren.
Einige Ergebnisse der Revolution blieben bestehen (neue Gerichtsverfassung mit Schwurgerichten und öffentlichen Verfahren u. a.). Bis 1858 regierte jedoch die Reaktion, getragen von der hochkonservativen und orthodox-kirchlichen Kamarilla, die sich um den König scharte. 1854 wurde die 1. Kammer in das Herrenhaus mit erblichen oder vom König auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern umgewandelt, nachdem schon 1850 das allgemeine und gleiche Wahlrecht durch das Dreiklassenwahlrecht für die 2. Kammer ersetzt worden war.
Prinzregent Wilhelm, seit 1861 König Wilhelm I., versuchte, der Mehrheit des preußischen Abgeordnetenhauses Rechnung zu tragen und in der Neuen Ära eine Liberalisierung durchzuführen. Jedoch zeigten sich im Konflikt um die Heeresreform (Verfassungskonflikt), die nach der Berufung O. von Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten 1862 rücksichtslos durchgeführt wurde, erneut die Gegensätze zwischen monarchisch-konservativ-militärischer Staatsregierung und liberalem Bürgertum in der Mehrheit des Parlaments.
Außenpolitisch stand Bismarck nach der engen Bindung an Russland (Alvenslebensche Konvention 1863) ebenfalls vor dem Dualismus zwischen Österreich und Preußen. Nach dem gemeinsamen Krieg gegen Dänemark 1864 und im Deutschen Krieg sah Bismarck sich jedoch zu einer Lösung der deutschen Frage im kleindeutschen Sinn unter Preußens Führung gedrängt (Norddeutscher Bund 1867, Deutsch-Französischer Krieg 1870/71, Reichsgründung 1871).
Nach den Annexionen von 1866 nahm Preußen über die Hälfte der Fläche und Bevölkerung des neuen Reichs ein und hatte daher den entscheidenden Einfluss. Der preußische König war als Kaiser Bundespräsident. Fast durchgehend bestand Personalunion des preußischen Ministerpräsidenten mit dem Reichskanzler; außerdem wurden in der Regel die Staatssekretäre der Reichsämter zu preußischen Ministern ohne Geschäftsbereich ernannt. Das preußische Außenministerium verwandelte sich ins Auswärtige Amt des Reichs, die preußische Marine in die Kaiserliche Marine; der preußischen Armee wurden durch Militärkonventionen die Heereskontingente der übrigen Staaten außer Bayern und Sachsen angegliedert. Innerpreußische Auseinandersetzungen betrafen fast immer das Reich (Kulturkampf, Sozialistengesetz, Ostmarkenpolitik), so dass seit 1871 die Geschichte Preußens in der deutschen Geschichte aufging.

Preußen im 20. Jahrhundert

Um die Jahrhundertwende setzte eine zunehmende Agitation der rasch anwachsenden Sozialdemokratie und der liberalen Parteien für eine Reform des preußischen Dreiklassenwahlrechts und für die Einführung des parlamentarischen Regierungssystems im Reich ein, der die preußisch-deutsche Monarchie sich jedoch nicht einmal im 1. Weltkrieg anzupassen wusste, sondern erst kurz vor Kriegsende zu spät entsprach. So musste am 9. 11. 1918 Kaiser Wilhelm II. außer Landes gehen, abdanken und damit die Tradition der preußischen Krone aufgeben. Mit dem preußischen Königtum endete zugleich das von ihm getragene deutsche Kaisertum.
Nach der Novemberrevolution von 1918 blieb das Territorium Preußen, zwar geschwächt durch Abtretungen infolge des Friedensvertrages von Versailles, als weitaus größtes Land des Reichs bestehen, jedoch wurden in der Weimarer Republik die Präsidialstellung Preußens sowie die Personalunion von Reichskanzler und preußischem Ministerpräsidenten beseitigt und Preußen durch die Verfassung vom 30. 11. 1920 ein demokratisch-parlamentarischer Freistaat wie die anderen deutschen Länder. Die Regierung in Preußen blieb 19201932 relativ stabil, zumeist unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten O. Braun, der jedoch am 20. 7. 1932 dem Staatsstreich F. von Papens ohne Gegenwehr wich. So unterlag Preußen 1933 wie die anderen deutschen Länder der Gleichschaltung durch den Nationalsozialismus. Der letzte Ministerpräsident von Preußen war der Nationalsozialist H. Göring. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der preußische Staat durch ein Gesetz des Alliierten Kontrollrats vom 25. 2. 1947 aufgelöst.
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