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Das Mittelalter – Die Herausbildung einer europäischen Kultur
Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches in der Völkerwanderungszeit verschoben sich die politischen Koordinaten deutlich. Die Einheit des Mittelmeerraumes war gestört und zerbrach mit dem Vordringen des Islams seit dem 7. Jahrhundert völlig. Der Westen, dessen Zentrum und Schwergewicht nun nördlich der Alpen lag, und Byzanz entwickelten sich auseinander.
In den Germanenreichen, besonders dem bald vorherrschenden Frankenreich, verschmolzen römische, germanische und christliche Elemente und ließen eine europäische Kultur entstehen, die sich, etwa durch Missionierung (u. a. der Slawen), weiter ausbreitete. Die Epoche, in der die Grundlagen für das moderne Europa gelegt wurden, wird in Abgrenzung vom Altertum bzw. der griechisch-römischen Antike und der Neuzeit als Mittelalter bezeichnet und entspricht in etwa der Zeit zwischen 500 und 1500.
Da vieles, was im Mittelalter als selbstverständlich galt, uns heute fremd und unverständlich ist, beispielsweise die große Bedeutung von Kirche, Klöstern und religiösen Strömungen im Volk oder aber die Macht von Riten und Symbolen, ist man geneigt, es auf Ritter, Burgen, Kreuzzüge und Hexenverbrennungen zu reduzieren. Dabei wird aber die Vielschichtigkeit der mittelalterlichen Gesellschaft übersehen. Nicht zuletzt haben wichtige »moderne« Entwicklungen damals ihren Anfang genommen, etwa in den Bereichen des städtischen Lebens und des Wirtschaftslebens.
486–507 | Chlodwig I. begründet das Frankenreich |
800 | Karl der Große wird in Rom zum Kaiser gekrönt |
1077 | Höhepunkt des Investiturstreites: Bußgang Heinrichs IV. nach Canossa |
1095 | Papst Urban II. ruft zum 1. Kreuzzug auf |
1337 | Beginn des Hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England |
1453 | Die Osmanen erobern Konstantinopel: Ende des Byzantinischen Reichs |
1492 | Kolumbus entdeckt Amerika |
Die Reichskrone – die Krone der Könige und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das sich 962 mit Otto I. aus dem Ostfrankenreich herausbildete – wird in der Schatzkammer der Wiener Hofburg aufbewahrt. |
Das Reich der Franken: Auf dem Weg nach Europa
Wer waren die Franken?
Das Volk der Franken, war ein Verband mehrerer Kleinstämme. Aus ihrem Herrschaftsbereich, rechtsrheinischen Gebieten in den heutigen Niederlanden und Nordwestdeutschland, drangen die Franken immer wieder über den Rhein nach Gallien auf das Gebiet des Römischen Reiches vor. 358 wurde der fränkische Stamm der Salier besiegt, in Toxandrien (Nordbrabant) angesiedelt und als Förderaten den Römern zum Heeresdienst verpflichtet. In der Folgezeit dehnten die salischen Franken ihr Siedlungsgebiet in Nordgallien stetig aus. Regiert wurden sie von Fürsten aus dem Geschlecht der Merowinger, benannt nach dem um 450 herrschenden Merowech. Seinem Sohn Childerich I. (Reg. um 457–482), noch Föderat Roms, gelang im Folgenden die Schaffung eines eigenständigen Herrschaftsbereichs mit dem Zentrum Tournai.
Wie wurde Chlodwich I. fränkischer König?
Von Tournai aus brach Childerichs Sohn und Nachfolger Chlodwig I. (466–511, reg. seit 482) zu neuen Eroberungen auf: Mit dem Sieg über Syagrius beendete er die Herrschaft Westroms in Gallien. Nach Kriegen gegen Alemannen und Westgoten und der Eingliederung mehrerer kleinerer Fürstentümer herrschte Chlodwig über ein Gebiet, welches das heutige Belgien, einen Großteil Frankreichs und Regionen im Westen und Süden Deutschlands umfasste. Hauptstadt war Paris. 508 wurde Chlodwig von Byzanz als König anerkannt.
Was bedeutete die Taufe des Frankenkönigs?
Ein entscheidender und für die Zukunft des Frankenreiches so bedeutender Schritt, der nicht selten als Epochenabgrenzung zwischen Altertum und beginnendem Mittelalter diente, war die Taufe Chlodwigs 498 durch Bischof Remigius (um 436–um 533) in Reims. Die Annahme des katholischen Glaubens durch Chlodwig und sein Volk führte zum Konflikt mit dem Ostgotenkönig Theoderich dem Großen (um 454–526), der ein Bündnis aller arianischen Germanenreiche auf dem Gebiet des ehemaligen Römischen Reiches anstrebte. Im Unterschied zum Ostgotenreich erlaubte die Annahme des katholischen Bekenntnisses durch Chlodwig die Integration von fränkischer und gallorömischer Bevölkerung. Noch in seinem Todesjahr (511) bereitete Chlodwig mit der Synode von Orléans der katholischen Kirche den Weg zur fränkischen Reichskirche.
Blieb das Reich nach dem Tod König Chlodwigs geeint?
Nein, nach dem Tod König Chlodwigs teilten seine Söhne das Reich unter sich auf. Die vier entstehenden Territorien mit den Zentren Reims (unter Theuderich), Orléans (Chlodomer), Paris (Childebert) und Soissons (Chlothar) waren jedoch keine eigenständigen Staaten, sondern Verwaltungsdistrikte eines gemeinsamen Reiches. Trotz innerer Machtkämpfe fanden die Brüder zu einer gemeinsamen Außenpolitik und eroberten in den 530er Jahren Thüringen sowie weitere alemannische und bayerische Gebiete; die Eingliederung des (2.) Burgunderreiches eröffnete den direkten Zugang zum Mittelmeer. Nach dem Tod Childeberts (558) war das Reich unter dem letzten überlebenden Chlodwig-Sohn, Chlothar I. (um 498–561), noch einmal vereint. Als Chlothar starb, folgte eine erneute Aufteilung des fränkischen Herrschaftsgebiets unter seinen Söhnen, was nach wenigen friedlichen Jahren zum offenen Machtkampf zwischen ihnen führte. Es entstanden drei Teilreiche: Neustrien im Westen, Austrien (auch Austrasien) im Osten und Burgund.
Wie kam es zum Bruderkrieg zwischen Austrien und Neustrien?
Der Bruderkrieg begann nach der Ermordung sowohl des Königs von Austrien als auch des Königs von Neustrien und wurde von deren Witwen Brunhilde (um 550– 613) und Fredegunde (um 550–597) weitergeführt. Als Feindschaft zwischen Brunhild und Kriemhild fand dieser Konflikt seinen Niederschlag im Nibelungenlied. Aus dem Krieg ging schließlich Fredegundes Sohn Chlothar II. (Reg. 584–629) als Sieger hervor. Unterstützt von Aristokraten Burgunds und Austriens, gewann er von Neustrien aus die Herrschaft über das Gesamtreich (613). Dafür musste er dem Adel große Zugeständnisse machen: Mit dem nach ihm benannten Edictum Chlotarii (614) sicherte er den Reichsteilen Selbständigkeit zu, die Neustrien, Austrien und Burgund zu dauerhaften politischen Größen machte. Außerdem verpflichtete er sich, seine Beamten nur noch aus dem Kreis der grundbesitzenden Adeligen zu wählen. Damit begab sich der König in die Abhängigkeit mächtiger Adelsfamilien und verstärkte eine Entwicklung, die schon früher eingesetzt hatte: An die Stelle der öffentlichen Ämter der römischen Zeit trat die private (und vererbbare) Macht einzelner Personen und Familien.
Wer war der letzte merowingische König des Gesamtreichs?
Dagobert I. (605–639) herrschte als letzter merowingischer König über das Gesamtreich. Die Folgezeit war von neuen Teilungen und dem Verfall der Königsherrschaft geprägt.
In dieser Zeit stiegen zu den eigentlichen Machthabern die Hausmeier (von lateinisch maior domus), die Vorsteher des königlichen Haushalts auf. Sie führten das Heer und faktisch die Regierungsgeschäfte. 687 gelang es dem Hausmeier von Austrien, Pippin II. (um 635–714), durch einen Sieg über seinen Amtskollegen von Neustrien und Burgund die Herrschaft über das Gesamtreich zu gewinnen. Damit war ein wichtiger Schritt zur Wiedervereinigung des fränkischen Reichsgebiets vollzogen.
Wie verlief der Aufstieg der Karolinger?
Der erste bedeutende Karolinger, Pippin I. (um 580–640), hatte die Adelsopposition Austriens gegen Königin Brunhilde angeführt und war unter Chlothar II. Hausmeier. Nach dem Tod seines Enkels Pippin II. sicherte sich dessen unehelicher Sohn Karl Martell (»der Hammer«, um 688–741) bis 720 die Nachfolge. Das Frankenreich zeigte zu diesem Zeitpunkt Auflösungserscheinungen: Aquitanien war seit 672 fast selbständig, Alemannen, Bayern, Bretonen und Thüringer waren auf dem selben Weg. In mehreren Kriegen unterwarf Karl Martell die abgefallenen Völker und erneuerte dadurch das Frankenreich. Den Ansturm der Araber (Mauren), die ab 711 die Iberische Halbinsel erobert hatten, schlug er 732 zurück und vertrieb sie 739 aus dem Rhônetal. Die Herrschaft der muslimischen Mauren in Europa blieb danach bis zu ihrem Ende (1492) auf das Gebiet südlich der Pyrenäen beschränkt.
Obwohl die Merowingerkönige über keine reale Macht mehr verfügten, waren sie in den Augen der Untertanen immer noch die rechtmäßigen Herrscher. Nicht einmal Karl Martell, der seit 737 sogar ohne Schattenkönig herrschte, nahm den Königstitel an. Seine Söhne Karlmann (vor 714–754) und Pippin III. (um 715–768) jedoch beriefen 743 letztmalig einen Merowingerkönig, um die Niederschlagung von Aufständen staatsrechtlich abzusichern. 751 setzte Pippin, nach Karlmanns Rückzug in ein Kloster Alleinherrscher, schließlich den letzten Merowingerkönig Childerich III. ab und wurde selbst König.
Wurde die neue Dynastie anerkannt?
Autorität und Akzeptanz der neuen Dynastie wurden durch Ereignisse in Italien gestärkt: Nach der Eroberung von Teilen des byzantinischen Exarchats Ravenna (751) durch die Langobarden unter König Aistulf fühlte sich die römische Kirche bedroht. Auch Byzanz, dessen Statthalter im Westen die Päpste waren, leistete keine Hilfe mehr. Als neuer Bündnispartner kam nur noch das Frankenreich infrage. 754 reiste Papst Stephan II. (reg. 752–757) zu Pippin und bat ihn um Schutz. Nach alttestamentarischem Vorbild (1 Samuel 10) salbte er Pippin und dessen Söhne zu Königen und ernannte Pippin zum Beschützer der Römer (Patricius Romanorum). Dieser revanchierte sich mit zwei Feldzügen gegen die Langobarden (754 und 756); die eroberten Gebiete um Ravenna und Rom übergab er dem Papst (Pippinische Schenkung). Dadurch wurde dieser auch zum weltlichen Herrscher, wenn er auch faktisch vom Frankenreich abhängig blieb.
Für die aufstrebenden Karolinger bedeutete die Krönung den vorläufigen Höhepunkt ihres Aufstiegs von einer regionalen Adelsfamilie zum legitimen Herrschergeschlecht über das gesamte Frankenreich und zum neuen Schutzherrn des Nachfolgers Petri in Rom.
Wer wurde Nachfolger König Pippins?
Als Pippin 768 starb, wurde das Reich unter seinen Söhnen Karl (747–814) und Karlmann (751–771) aufgeteilt. Karl (I.) drängte seinen Bruder mehr und mehr ins Abseits, aber bevor es zum offenen Machtkampf kommen konnte, starb Karlmann – Karl war alleiniger Herrscher. Ein Bündnis mit dem Langobardenkönig Desiderius (Reg. 756–774), an dessen Hof Karlmanns Erben geflohen waren, zerbrach. Als Papst Hadrian I. (772–795) Karl um erneute Unterstützung im Kampf gegen die Langobarden bat, zog dieser nach Italien, unterwarf das Langobardenreich (773/74) und nahm in der Folge den langobardischen Königstitel an. Auch bestätigte er dem Papst die Pippinische Schenkung (774, 781).
War Karl ein kriegerischer König?
Wenn es um die Interessen seines Reiches ging, scheute Karl keinen Waffengang. Von 772 bis 804 führte er verschiedene Kriege gegen die heidnischen Sachsen, die über ihr Stammesgebiet zwischen Weser und Elbe bis weit ins heutige Friesland und nach Westfalen vorgedrungen waren. Ihre Christianisierung betrieb Karl mit äußerster Härte. Nachdem die Sachsen 782 ein gegen die Slawen ausgesandtes fränkisches Heer geschlagen hatten, ließ er eine große Zahl (angeblich 4500) sächsischer Geiseln in Verden an der Aller hinrichten. Der danach ausgebrochene Aufstand unter dem sächsischen Herzog Widukind endete 785 mit dem Friedensschluss und der Taufe Widukinds. Bis 804 waren die Sachsen dann schließlich vollständig unterworfen. Die kirchliche Eingliederung des eroberten Gebiets geschah durch Gründungen von Bistümern in Münster, Osnabrück, Paderborn, Bremen, Minden und Verden. Allerdings blieb das sächsische Recht neben dem fränkischen weitgehend bestehen.
In weiteren Kriegen zwischen 789 und 812 machte Karl die slawischen Wilzen, Sorben und Tschechen tributpflichtig. Er zerschlug das Awarenreich in Südosteuropa (803) und unternahm einen Feldzug gegen die Araber in Spanien (778), der trotz einer Niederlage bei Roncesvalles den Norden bis zum Ebro unter fränkische Kontrolle brachte. Zum Schutz vor Einfällen der Araber errichtete Karl 795 in Nordspanien die Spanische Mark.
Warum wurde der fränkische König neuer Kaiser?
Nach seinen Siegen war Karl unangefochtener Herrscher eines Großreiches, in dem das Christentum sich weit nach Norden und Osten ausgedehnt hatte. Als Schutzherr Roms nahm er eine Aufgabe wahr, die traditionell dem byzantinischen Kaiser zugefallen war, die dieser aber nicht mehr erfüllen konnte. Als mit Irene (auch Eirene, 752–803) eine Frau am Bosporus regierte (seit 780 für ihren Sohn, 797–802 offiziell als Herrscherin), war der Kaisertitel nach kirchlicher Auffassung unbesetzt. Am Weihnachtstag des Jahres 800 krönte daher Leo III. (um 750–816, Papst seit 795) Karl zum Römischen Kaiser. Ob Karl diese Krönung wirklich angestrebt hatte oder, wie sein Biograf Einhard berichtet, von ihr überrascht worden war, ist umstritten. Einerseits passte der Kaisertitel gut zu Karls Politik, die ganz bewusst auf das geistig-kulturelle Erbe der Antike zurückgriff (karolingische Renaissance). Andererseits brachte sie Karl in Konflikt mit Byzanz, das sich als legitimer Nachfolger des Römischen Reiches betrachtete und den »westlichen« Kaiser erst 812 mit dem Vertrag von Aachen gegen territoriale Zugeständnisse (Venetien, Istrien und Dalmatien) anerkannte. Auch drohte eine Abhängigkeit der fränkischen Herrscher vom Papst, der den fränkischen König ja erst zum (abendländischen) Kaiser machte. Seinen Sohn und Nachfolger Ludwig I. (den Frommen, 778 bis 840) krönte Karl 813 in Aachen daher selbst, ohne Zutun des Papstes, zum Mitkaiser.
Welches Erbe hinterließ Kaiser Karl der Große?
Als Karl der Große am 28. Januar 814 starb, hinterließ er ein scheinbar gefestigtes Erbe. Mit seinen zahlreichen Reformen prägte er nicht nur die weitere Geschichte Frankreichs und Deutschlands. Die so genannte karolingische Renaissance brachte eine Rückbesinnung auf antike Kunst, Architektur und Literatur sowie auf die lateinische Sprache; sie hatte maßgeblichen Einfluss auf die Wissenschaft und Bildung im Mittelalter. Die Verwaltung des Reiches stellte Karl durch Grafen und durch Königsboten zu deren Kontrolle auf eine neue organisatorische Grundlage. Die sich in seiner Regierungszeit durchsetzende Dreifelderwirtschaft verschaffte der Landwirtschaft steigende Erträge. Karls Münzreform von 780/81 wurde auch in England übernommen und behielt dort bis 1971 Gültigkeit. Die Bezeichnung Karls des Großen als »Vater Europas« ist durchaus nicht übertrieben, wenn man sich vor Augen führt, dass die sechs Gründungsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1957), der Vorläuferin der Europäischen Union, fast genau das Herrschaftsgebiet Karls umfassten.
Wie führten Karls Nachkommen das Reich weiter?
Karls Sohn Ludwig I., der Fromme, legte bereits 817 in der Ordinatio imperii (»Regelung der Herrschaft«) die Aufteilung des Reiches auf seine drei Söhne fest, wobei der Kaisertitel auf Lothar I. übergehen sollte. Als er diese fränkische Tradition der Reichsteilung im Erbfall zugunsten von Karl II. (dem Kahlen), einem Sohn aus zweiter Ehe, wieder änderte, erhoben sich die anderen Söhne gegen ihn (830/833), erzwangen seine Abdankung und setzten ihn in Klosterhaft. Zwar wurde er 834 wieder als Kaiser eingesetzt, aber die Machtkämpfe innerhalb seiner Familie hielten bis über seinen Tod hinaus an.
Erst mit dem Vertrag von Verdun (843), der eine Dreiteilung des Frankenreiches zwischen den drei Brüdern Karl II., Lothar I. und Ludwig II. vorsah, wurde eine Einigung erzielt. Ludwig erhielt das Ostfränkische Reich, was ihm den Beinamen »der Deutsche« brachte – es entsprach fast dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor 1990. Das Mittelreich Lothars umfasste einen schmalen Landstreifen von Friesland und der Scheldemündung bis Mittelitalien; als Schutzherr der römischen Kirche erhielt Lothar den Kaisertitel. Das Westfränkische Reich Karls entsprach (mit Ausnahme der Bretagne) dem heutigen Westen Frankreichs und Belgiens; die östliche Grenze verlief etwa von der Rhein- zur Rhônemündung.
Bald nach dem Tod Lothars (855) fiel das Mittelreich im Norden an Ostfranken (870/80). Lothars Sohn Ludwig erhielt den Süden des Reichs und den Kaisertitel. Als Ludwig 875 ohne Nachkommen starb, zerfiel auch sein Reich. Der Papst, von den nordafrikanischen Sarazenen bedroht, ernannte zwar noch einige ihn unterstützende Karolinger zu Kaisern, musste aber jetzt für seine Verteidigung auf Regionalfürsten aus Italien zurückgreifen.
Welche Entwicklung führte zum Ende der karolingischen Dynastie?
Letztmalig gelang es Karl III. (dem Dicken, 839–888, Kaiser 881–887), einem Sohn Ludwigs des Deutschen, beinahe das ganze Reich Karls des Großen unter seine Herrschaft zu bringen. Mit seiner Absetzung durch seinen Neffen Arnulf von Kärnten im Jahre 887 sollte das Frankenreich endgültig geteilt bleiben; Westfranken und Ostfranken gingen fortan getrennte Wege.
Arnulf konnte seine Herrschaft in Ostfranken festigen. Er schlug 891 die Wikinger, die im 9. Jahrhundert immer wieder fränkische Städte überfielen. Die Unterstützung des Papstes gegen die Langobarden brachte Arnulf 896 als letztem Karolinger auch die Kaiserkrone ein. Sein Sohn, Ludwig das Kind (893–911), war der letzte ostfränkische König aus dem Geschlecht der Karolinger. Die zunehmend mächtiger gewordenen Stammesherzöge von Bayern, Franken, Sachsen, Schwaben und Thüringen wählten einen der Ihren, Konrad (I.), Herzog der Franken, zum ostfränkischen König.
Im Westfränkischen Reich hielten sich die Karolinger bis zum Tod Ludwigs V. (987); sie konnten sich aber kaum mehr gegen den starken Adel durchsetzen.
Wussten Sie, dass …
König Childerich I. in der Kleidung eines römischen Generals begraben wurde?
die Merowinger angeblich lange Haare trugen und bei ihren seltenen Auftritten in der Öffentlichkeit von Ochsenkarren aus Proklamationen verlesen haben sollen?
Was war die »Karolingische Renaissance«?
Mit diesem Begriff ist die Rückbesinnung auf Kunst und Werte der Antike in der Zeit Karls des Großen gemeint. Nach den langen Jahrhunderten des Verfalls und der Unruhe im Gefolge des Untergangs des Römischen Reiches erkannte man im Altertum eine Vorbildfunktion für die eigene Zeit. Kunst und Architektur lehnten sich an frühchristlichen und byzantinischen Traditionen an. Die an antiken Vorbildern orientierten karolingischen Minuskeln (Kleinbuchstaben) verbreiteten sich in großen Teilen Europas. In der Krönung des Frankenkönigs Karl zum römischen Kaiser sah man ein Wiederaufleben des glanzvollen römischen Reichs (renovatio imperii).
Welche Funktion hatte Karls Hofschule?
Karls Hofschule, die Schola Palatina, versammelte Gelehrte aus allen Teilen Europas am Hof, neben dem angelsächsischen Gelehrten Alkuin etwa den langobardischen Geschichtsschreiber Paulus Diaconus, Bischof Theodulf von Orléans und den fränkischen Geschichtsschreiber Einhard, Karls späteren Biografen. Sie sollten für Wissen und Gelehrsamkeit in der Umgebung des Kaisers sorgen. Nach dem Vorbild der Hofschule entstanden im ganzen Reich Dom- und Klosterschulen, die nach antikem Muster Bildung vermitteln sollten.
Wussten Sie, dass …
Karl der Große zunächst Analphabet war und erst in höherem Alter mühsam lesen und schreiben lernte?
Kaiser Karl fünfmal verheiratet war? Daneben hatte er diverse Konkubinen und eine große Schar ehelicher und unehelicher Kinder.
Das Lehnswesen: Von Lehnsherren, Vasallen und Unfreien
Was versteht man unter dem Lehnswesen?
Im mittelalterlichen Lehnswesen verlieh der Lehnsherr – das war zunächst einmal der König, aber auch ein reicher Adliger – auf Lebenszeit einem Lehnsmann ein Lehen. Dabei handelte es sich meist um Land. Der Lehnsmann musste als Gegenleistung dem Lehnsherrn – meist militärische – Gefolgschaft leisten. Die vom Lehnswesen geprägte mittelalterliche Gesellschaftform bezeichnet man als Feudalismus.
Lehnsherr und meist adliger Lehnsmann traten mit der Lehnsvergabe in ein gegenseitiges lebenslanges Treueverhältnis ein. Sie schworen einander, nichts zum Schaden und alles zum Nutzen des anderen zu tun. Der Vasall schwor seinem Lehnsherrn Gehorsam und verpflichtete sich zu Diensten wie der Heeresfolge. Der Lehnsherr wiederum sorgte für den Schutz seines Vasallen.
Auch Bistümer und Klöster erhielten Lehen. Mit dem Wandel von einem Heer aller Freien hin zu einer Berufsarmee aus Reitern (Rittern) im 7. und 8. Jahrhundert diente das Lehnswesen zu deren Versorgung. Diese wurde durch das Land samt den dort lebenden Menschen, aber auch durch Ämter und Rechte gewährleistet. Karl der Große belehnte seine Reichsverwalter, die Grafen, mit reichem Grundbesitz, um den Stammesadel zu entmachten.
Wie entstand die Lehnspyramide?
Auch der Vasall konnte Lehnsherr sein und einen Teil seines Besitzes an Untervasallen (Aftervasallen) weitergeben, die ihm Kriegs- und Amtsdienste leisteten. So entstand eine Lehnspyramide mit dem König an der Spitze. Dessen Lehnsmänner, die Kronvasallen, standen ihrerseits über mehreren Untervasallen.
Im deutschen Raum differenzierte sich die kleine adelige Oberschicht im Hochmittelalter weiter aus: Unterhalb des Königs standen die geistlichen und die weltlichen Fürsten, die nächste Stufe bildeten Grafen und Freiherren, darunter standen die Ministerialen (ehemals Unfreie, die dank ihrer Aufgaben am Hof in den Adel aufgerückt waren) und ihre Vasallen; die letzte Stufe bildeten jene, die aufgrund ihrer Geburt zwar Lehen erhalten, aber nicht vergeben konnten.
Konnten auch Bauern Lehnsmänner werden?
Nein. Unter den Lehnsmännern standen die unfreien Bauern, denen gegen Natural- und Arbeitsleistungen Land zur Verfügung gestellt wurde, allerdings nicht in Form eines Lehens. Es bestand keine gegenseitige Treuepflicht, auch keine Heeresfolge, stattdessen eine einseitige Abhängigkeit des Unfreien.
Stärkte das Lehnswesen die königliche Macht?
Jein, das Lehnswesen konnte die Macht des Königs stärken, aber auch schwächen. Schon im 9. Jahrhundert fiel das Lehen nach dem Tod des Vasallen nicht mehr automatisch an den Lehnsherrn zurück, sondern immer häufiger traten dessen Erben wie selbstverständlich in das bestehende Lehnsverhältnis ein. Damit wurde das Lehen faktisch zum erblichen Besitz des Vasallen.
Das führte zunächst zum Verfall der königlichen Macht: Ein Kronvasall, der sich der Treue seiner Lehnsmänner sicher war, konnte unabhängig vom König oder sogar gegen ihn über sein Lehen verfügen; seine eigenen Vasallen hatten nämlich nur ihrem Lehnsherrn, nicht dem König Treue geschworen. So schritt in Deutschland und Italien die Bildung von Territorien fort, in denen der nominelle Herrscher es immer schwerer hatte, seinen Machtanspruch geltend zu machen.
In Frankreich gelang es den Königen seit dem 11. Jahrhundert, diese Entwicklung umzukehren. Lehen, die durch Tod oder Illoyalität hinfällig geworden waren, wurden wieder dem König zugeschlagen und gegebenenfalls neu verliehen. Entscheidend war auch, dass die Untervasallen ihrem Herrn die Treue nur insoweit versprachen, wie ihre Treuepflicht gegenüber dem König nicht verletzt wurde. Diese Treuepflicht aller Vasallen gegenüber dem König gilt als eine der Ursachen für die Stärkung der königlichen Zentralgewalt in Frankreich wie auch in England. In Deutschland kam es dagegen zur Zersplitterung in viele unabhängige Herrschaftsbereiche.
Wussten Sie, dass …
im mittelalterlichen Lehnswesen germanische, keltische und römische Elemente verschmolzen? Es verband sich das germanische Gefolgschaftswesen, das ein Treueverhältnis zwischen Herr und Gefolgsmann bedeutete, mit der gallorömischen Kommendation, bei der es sich um die Ergebung eines Vasallen in den Schutz eines Herren handelte.
sich der eng an Grundbesitz geknüpfte Feudalismus nur solange aufrechterhalten ließ, als die Landwirtschaft der zentrale Wirtschaftsfaktor war?
sich der Begriff »Feudalismus« für die mittelalterliche Gesellschaftsordnung von dem lateinischen Wort für »Lehen«, »feudum«, ableitet?
Das Reich im Hochmittelalter: Drei Dynastien auf dem Thron
Mit welchem Stamm begann die deutsche Geschichte?
Sie begann mit den Franken. Nach dem Aussterben der ostfränkischen Karolinger mit dem Tod Ludwigs des Kindes (911) wählten Franken, Sachsen, Bayern und Alemannen Konrad, den fränkischen Herzog (seit 906), zum König. Diese Ereignisse werden gemeinhin als Beginn der »deutschen Geschichte« angesehen. Konrads Kampf gegen die mächtigen Stammesherzöge war wenig erfolgreich, da er nur bei den süddeutschen Bischöfen Unterstützung fand. Im Sinne einer Stärkung des Reiches empfahl er vor seinem Tod (918) seinen erbittertsten Gegner, den sächsischen Herzog Heinrich, als Nachfolger.
Wie entstand die Dynastie der Ottonen?
Mit Heinrich I. (um 875–936), 919 von Franken und Sachsen zum König gewählt, saß erstmals ein Nichtfranke auf dem Thron des von Merowingern und Karolingern geformten Reiches. Nach wenigen Jahren erkannten auch Bayern und Alemannen Heinrichs Königtum an. Die Herzogtümer, besonders in Süddeutschland, akzeptierten Heinrich zunächst allerdings nur, weil sie königliche Rechte in ihrem Herrschaftsbereich behielten. Mit dem Übergang des Königtums auf Heinrichs Sohn Otto I. (der Große, 912–973) kehrte man der fränkischen Tradition den Rücken, das Reich unter den Söhnen des verstorbenen Königs aufzuteilen. Mit Otto begann die Individualsukzession (Thronfolge eines Einzelnen), das Reich wurde unteilbar und damit zu einer dauerhaften politischen Größe.
Wie sicherte Otto I. seine Herrschaft?
Auf Veranlassung Königin Adelheids von Niederburgund und Italien (931–999) zog Otto 951/52 nach Norditalien. Durch den Sieg über Markgraf Berengar von Ivrea, der das Königreich Italien usurpiert hatte (950 Krönung in Pavia), sicherte sich Otto den langobardischen Königstitel. Die Verwaltung Italiens überließ er Berengar, der damit sein Vasall (Lehnsmann) wurde. Ottos Sohn Liudolf (um 930–957), der durch die zweite Ehe seines Vaters mit Adelheid um die eigene Thronfolge fürchtete, erhob sich jedoch 953/54 zusammen mit seinem Schwager, Herzog Konrad dem Roten von Lothringen († 955). Mit der Niederschlagung dieses Aufstandes und dem Sieg über die Ungarn auf dem Lechfeld (955), der den ungarischen Übergriffen auf das Reichsgebiet ein Ende setzte, festigte Otto seine Herrschaft.
Was war das ottonische Reichskirchensystem?
Es bedeutete, dass Otto I. die Bischöfe in die Reichsverwaltung mit einbezog. Ganz ohne verwandtschaftliche Verbindungen kam er jedoch auch in diesem »Reichskirchensystem« nicht aus: Seinen Bruder Brun machte er zum Erzbischof von Köln und übertrug ihm die Verwaltung Lothringens. Erzbischof von Mainz wurde sein unehelicher Sohn Wilhelm.
Durch die Übertragung von Ländereien und königlichen Hoheitsrechten (Regalien) an kirchliche Würdenträger sollte die Entstehung von Erbdynastien verhindert werden. Nach dem Tod eines Bischofs (oder Reichsabtes) fielen Territorium und Hoheitsrechte wieder an den König zurück. Durch seine Mitwirkung bei Wahl und Einsetzung (Investitur) der geistlichen Würdenträger behielt er die Kontrolle.
Wie stärkte Otto I. das Kaisertum?
Durch den zweiten und den dritten Italienfeldzug. Vom Papst gegen Berengar um Unterstützung gebeten, zog Otto 961 zum zweiten Mal nach Italien (bis 965). Die Kaiserkrönung durch Johannes XII. (um 937–964, Papst seit 955) 962 in Rom erneuerte das Kaisertum der Karolinger und verband es bis zum Ende des Reiches 1806 mit den deutschen Königen. Die Übernahme des Kaisertitels führte zum Konflikt mit Byzanz, noch verschärft durch Ottos dritten Italienzug (966–972), auf dem er auch gegen byzantinische Gebiete in Süditalien vorging. Zum Ausgleich führte u. a. die Hochzeit Ottos II. (955–983), seit 967 Mitkaiser, mit der byzantinischen Prinzessin Theophano (um 950–991) und die Räumung der besetzten Gebiete. Als Gegenleistung erkannte Byzanz Ottos Kaisertum an.
Wen bekämpften die Nachfolger Ottos?
Ottos Sohn und Nachfolger, Otto II., unterstützte auf seinem Italienzug (980–982) den Papst gegen den römischen Stadtadel, erlitt aber im Süden eine schwere Niederlage gegen die arabischen Sarazenen. Als Otto II. im Jahr 983 starb, konnten Theophano und Adelheid den Anspruch Ottos III. (980–1002) auf die Krone verteidigen. Otto III., der 994 die Regierung übernahm, zog 996 nach Italien und ließ sich zum Kaiser krönen. Bis 999 geriet er wiederholt in Auseinandersetzungen mit dem römischen Stadtadel. Er starb, bevor seine Idee einer Renovatio Imperii Romanorum (Erneuerung des Römischen Reiches), also der Rückgriff auf römische und karolingische Traditionen sowie die Einbeziehung des Papstes, Kontur gewinnen konnte.
Nachfolger Ottos III. wurde dessen Vetter Heinrich II. (973–1024). Im Osten musste er sich mit dem erstarkten Königreich Polen auseinander setzen, im Westen konnte Heinrich einen Teil Flanderns als Reichslehen gewinnen und sich die Anwartschaft auf das Königreich Burgund sichern.
Wie ging die Herrschaft an die Salier über?
Als Heinrich II. 1024 kinderlos starb, standen zwei Kandidaten zur Wahl, die beide aus der fränkischen Familie der Salier stammten; die Entscheidung fiel zugunsten Konrads II. (um 990–1039). Die Salier traten in die Fußstapfen der Ottonen, 1027 erlangten sie den Kaisertitel. Den Höhepunkt ihrer Macht erreichten sie unter Konrads Sohn Heinrich III., der 1041 Böhmen und 1044 kurzzeitig auch Ungarn unter die Lehenshoheit des Reiches brachte. Sein Erbe trat 1056 sein erst sechsjähriger Sohn Heinrich IV. (1050–1106) an. Bis zur Volljährigkeit des Königs regierten die Erzbischöfe von Köln und Bremen an seiner Stelle.
Als Heinrich selbst die Regierung übernahm, brauchte er zehn Jahre, bis er mit einem Sieg über die aufständischen Sachsen (1075) seine königliche Autorität wiederhergestellt hatte. Unter Heinrich IV. erreichte auch ein weiterer Konflikt seinen Höhepunkt: Gregor VII. (um 1021–1085, Papst seit 1073) suchte den Vorrang des Papstes vor allen weltlichen Machthabern – auch dem Kaiser – zu begründen. Das damit verbundene Vorgehen gegen die Laieninvestitur, das heißt die Einsetzung der Bischöfe durch den weltlichen Herrscher, musste das Reichskirchensystem in seinen Grundfesten erschüttern. Der König war nämlich auf die Loyalität seiner Bischöfe, die zugleich weltliche Aufgaben erfüllten, angewiesen. Der »Investiturstreit« eskalierte. Erst seinem Sohn Heinrich V. (1086–1125) gelang es, den Investiturstreit mit dem Kompromiss des Wormser Konkordats (1122) beizulegen.
Warum gelangten die Staufer an die Macht?
Heinrich V. war der letzte Salier auf dem Kaiserthron. Als sein Nachfolger wurde 1125 Lothar III. von Supplinburg (1075–1137) gewählt. Nur zwei Jahre später erhoben einige Fürsten den Staufer Konrad III. (1093 bis 1152) zum Gegenkönig, der erst nach dem Tod Lothars 1137 allgemein anerkannt wurde. Konrad musste sich mit den Herrschaftsansprüchen der Welfen, angeführt von Heinrich dem Stolzen, Schwiegersohn Lothars und Herzog von Bayern und Sachsen, auseinander setzen. Konrads Neffe und Nachfolger Friedrich I. Barbarossa (1122–1190) fand zwischenzeitlich einen Ausgleich mit Heinrichs Sohn, Heinrich dem Löwen (um 1129–1195).
Wie kam es zum offenen Konflikt mit den Welfen?
1176 weigerte sich Heinrich, am Italienfeldzug teilzunehmen, der mit einer schweren Niederlage Barbarossas gegen die verbündeten lombardischen Städte endete. Nach Deutschland zurückgekehrt, betrieb Barbarossa den Sturz Heinrichs, der 1181 nach England ins Exil ging. Dessen Sohn Otto IV. (um 1176–1218), unterstützt vom Papst und seinem Onkel, dem englischen König Richard I. Löwenherz (1157–1199, reg. seit 1189), wurde 1198 von antistaufischen Fürsten gegen Barbarossas Sohn Philipp von Schwaben (um 1178–1208) zum König gewählt. Nach Philipps Tod als regulärer König anerkannt, konnte sich Otto 1209 zum Kaiser krönen lassen. Als sich mit päpstlicher Hilfe wieder ein Staufer, Friedrich II. (1194–1250), durchsetzte, war die reichspolitische Bedeutung der Welfen endgültig gebrochen.
Was ist die Bilanz der Stauferzeit?
Die Stauferzeit wurde geprägt von den herausragenden Herrscherpersönlichkeiten Barbarossa und Friedrich II. Allerdings hinterließ sie wegen der langen Auseinandersetzungen mit den Welfen und dem Papst sowie mit den selbstbewussten norditalienischen Städten ein geschwächtes Reich. Mit seinen Zugeständnissen an die geistlichen und weltlichen Fürsten (1220 bzw. 1232) begünstigte Friedrich II. die Bildung unabhängiger Landesherrschaften. Nach dem Ende der Stauferdynastie (1254) brach eine Zeit ohne allgemein anerkannten Herrscher an, das Interregnum; es endete erst 1273 mit der Wahl des Grafen Rudolf von Habsburg (1218–1291) zum König.
Wussten Sie, dass …
sich in der ottonischen Architektur deutliche stilistische Anlehnungen an antike, frühchristliche und byzantinische Vorbilder zeigen? In bewusster Anknüpfung an die römische Antike wurden etwa für den 955 begonnenen Bau des Magdeburger Kaiserdoms Bauteile aus Rom verwendet.
Wie erhielt das Reich seinen Namen?
Das als Erbe des Ostfränkischen Reiches der Karolinger bis 1806 auf deutschem Boden bestehende Reich führte während des größeren Teils seines Bestehens nicht das Wort »deutsch« in seinem Namen. Bei der Kaiserkrönung Ottos I. (962) wurde es, in Anknüpfung an den römischen Kaisertitel, Imperium Romanum (»Römisches Reich«) genannt. Diese Bezeichnung wurde 1157 von Barbarossa auf Sacrum Imperium Romanum (»Heiliges Römisches Reich«) erweitert, um die Gleichrangigkeit von Kaiser und Papst zu betonen. Erst auf dem Wormser Reichstag 1484 erhielt das Reich den Namen »Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation«, den es bis zu seiner Auflösung 1806 behielt. Der Verzicht auf die Bezeichnung »deutsch« lag darin begründet, dass sich die weltlichen und geistlichen Eliten zunächst weiterhin als Bayern, Franken, Lothringer, Sachsen oder Schwaben verstanden.
Wussten Sie, dass …
Heinrich II. als einziger deutscher Herrscher 1146 heilig gesprochen wurde? Heinrich gründete das Bistum Bamberg (1007) und förderte Klöster und Bistümer durch umfangreiche Schenkungen.
Warum wurde Heinrich IV. mit dem Kirchenbann belegt?
Hintergrund des Kirchenbanns über Heinrich IV. ist der so genannte Investiturstreit. Darin ging es um die Befugnis, Geistliche wie Bischöfe oder Äbte in ihre Ämter einzusetzen (die Investitur). Seit Otto dem Großen stritten Kaiser und Päpste um dieses Recht. Als Heinrich IV. in den 1070er Jahren in Oberitalien Bischöfe einsetzte, belegte ihn Papst Gregor VII. nach mehreren fruchtlos gebliebenen Ermahnungen mit dem Kirchenbann, also der Exkommunikation. Damit waren alle Christen von ihrem Treueeid gegenüber dem König entbunden. Viele der deutschen Fürsten, die ihn bis dahin gestützt hatten, versagten dem König nun die Gefolgschaft. Er musste handeln. Im Januar 1077 trat er auf der Burg Canossa dem Papst im Büßergewand gegenüber. Dieser löste den König daraufhin vom Kirchenbann. Der Investiturstreit wurde jedoch erst 1122 definitiv beigelegt.
Die Staufer: Kampf um ein starkes Heiliges Römisches Reich
Wann begann der Aufstieg der Staufer?
Der Aufstieg der Staufer (auch Hohenstaufen) fing unter Kaiser Heinrich IV. an. Dieser ernannte 1079 Friedrich (um 1050 bis 1105), Ritter von Staufen, zum Herzog Friedrich I. von Schwaben. Durch die Heirat Friedrichs mit Heinrichs Tochter Agnes entstanden dynastische Verbindungen zu den Saliern. Als mit dem Tod Heinrichs V. (1125) das Geschlecht der Salier ausstarb, erhob daher Friedrichs Sohn, Herzog Friedrich II. (1090–1147, reg. seit 1105) von Schwaben, Anspruch auf den Königsthron. Nachdem stattdessen Lothar von Supplinburg (1075–1137) 1125 als Lothar III. zum König gewählt wurde, ließ sich Friedrichs Bruder Konrad III. (1093–1152) 1127 zum Gegenkönig ernennen. Er konnte sich nach Lothars Tod schließlich durchsetzen, wurde 1138 gekrönt und begründete so das Königtum der Staufer.
Übrigens: Benannt sind die Staufer nach der Burg Stauf auf dem Hohenstaufen (Schwäbische Alb).
Gab es Rivalen der Staufer in Deutschland?
Ja, die Welfen. Konrads Hauptgegner im Kampf um den Königsthron war Heinrich X. (der Stolze, um 1108–1139), Herzog von Bayern (1126–1138) und Sachsen (1137 bis 1139). Er stammte aus dem Geschlecht der Welfen, das schon unter Karl dem Großen nachweisbar ist und sich vom schwäbischen Grafen Welf I. (gestorben um 820) ableitete. Unter Welf IV., dem Herzog von Bayern (1070–1077 und von 1096 bis zu seinem Tod 1101), war das von ihm begründete jüngere Welfenhaus zur rivalisierenden Macht der Salier aufgestiegen.
Heinrich der Stolze, von seinem Schwiegervater Lothar zum Nachfolger in Sachsen und im Reich bestimmt, verweigerte Konrad die Anerkennung als König. Konrad ließ daraufhin Heinrich ächten und übertrug seine Herzogtümer Sachsen und Bayern anderen Fürsten. Heinrichs Sohn Heinrich der Löwe (um 1129–1195) erhielt zwar 1142 Sachsen wieder zurück, blieb aber weiterhin in Gegnerschaft zu den Staufern.
Wer legte den Streit mit den Welfen bei?
Das war Friedrich I., der nach dem Tod seines Onkels Konrad (1152) den Thron bestieg. Wegen seiner welfischen Abstammung – er war Vetter Heinrichs des Löwen – gab er Anlass zur Hoffnung auf einen Ausgleich zwischen Welfen und Staufern. 1154 belehnte er Heinrich wieder mit dem Herzogtum Bayern. Heinrich erkannte nun Friedrichs Königtum an und leistete ihm Heeresfolge. Durch territoriale Ausdehnung jenseits der Elbe und Stadtgründungen (u. a. Lübeck) vergrößerte er seine Hausmacht; in den daraus entstehenden Konflikten mit anderen Fürsten wurde er von Friedrich gestützt. Der Streit zwischen Staufern und Welfen schien nun beigelegt.
Wie wurde Friedrich I. Kaiser?
Er stellte sich auf die Seite des Papstes. Nachdem Friedrich den Welfen-Konflikt beigelegt hatte, zog er erstmals nach Italien. Dort lieferte er dem Papst Hadrian IV. (um 1110–1159, Papst seit 1154) Arnold von Brescia aus, der die weltliche Macht der Kirche in Rom in Frage gestellt hatte. Hadrian ließ Arnold von Brescia hinrichten und krönte Friedrich den Staufer zum Kaiser (1155).
Blieb das Verhältnis zwischen Kaiser und Papst ungetrübt?
Nein, es kam zum Konflikt. Friedrich wollte das Kaisertum nämlich vom Papst lösen. Friedrich, von den Italienern mit dem Beinamen Barbarossa (»Rotbart«) bedacht, hatte eine sehr hohe Vorstellung von der kaiserlichen Würde: Dem Kaiser sollte Vorrang vor allen anderen Königen gebühren, und er sollte universale Macht besitzen. Barbarossas politisches Vorbild war Karl der Große, dessen Heiligsprechung er 1165 veranlasste. Zwar strebte Friedrich nicht wirklich die Herrschaft etwa über England oder Frankreich an, doch sah er sich über den anderen Königen stehend. König Heinrich II. von England (1133 bis 1189, reg. seit 1154) erkannte diese Position des Kaisers 1157 für kurze Zeit an, der französische König jedoch nie.
Einen wichtigen Schritt zur Lösung vom Papst hatte bereits Konrad III. unternommen, als er sich ohne päpstliche Krönung offiziell als Kaiser bezeichnete. Über das künftige Verhältnis zwischen Kaiser- und Papsttum wurde dann 1157 eine Entscheidung forciert. Denn auch der Papst beanspruchte für sein Amt höchste Autorität; auf dem Reichstag von Besançon ließ Hadrian IV. das Reich zu einem päpstlichen Lehen (beneficium) erklären. Damit wäre der Kaiser formal auf den Status eines dem Papst untergeordneten Lehnsmannes herabgestuft worden. Barbarossa verweigerte dies.
Um auch auf geistlichem Gebiet eine Unterordnung unter den Papst zu vermeiden, wurde das Römische Reich in Heiliges (Römisches) Reich (Sacrum Imperium) umbenannt. Der Kaiser stand also unmittelbar zu Gott und war darin dem Stellvertreter Christi auf Erden ebenbürtig. Daraufhin schwenkte der Papst ins Lager der Kaiser-Gegner.
Was hatte Barbarossa in Italien weiter vor?
1158 zog Friedrich erneut nach Italien, um die kaiserliche Herrschaft im Norden zu sichern. Anlass war der Hilferuf einiger Städte, die unter der mailändischen Expansion zu leiden hatten. Nach der Unterwerfung Mailands berief er einen Reichstag in die Ebene von Roncaglia. Mit den Ronkalischen Gesetzen, angeblich ein Rückgriff auf alte kaiserliche Rechte, wollte er die Reichshoheit in Italien wiederherstellen und die kommunale Selbstverwaltung der Städte beschneiden; kaiserliche Amtsträger (Podestà) sollten die Hoheitsrechte ausüben. Eine erste Erhebung unter der Führung Mailands beantwortete Barbarossa mit der Zerstörung der Stadt 1162, womit zunächst der Friede gewahrt, aber gleichzeitig Hass geschürt war.
Wer stellte sich gegen den Kaiser?
Die italienischen Städte stellten sich gegen ihn. Sie erhielten zudem mit dem 1159 gewählten Papst Alexander III. (um 1105 bis 1181) einen starken Verbündeten. Alexander war ein entschiedener Gegner Barbarossas und verbrachte daher die meiste Zeit seines Pontifikats im französischen Exil, konnte sich jedoch nacheinander gegen drei vom Kaiser protegierte Gegenpäpste durchsetzen. Der Versuch Friedrichs, den Stuhl Petri mit seinen Parteigängern zu besetzen, provozierte weitere Gegnerschaft: Neben Byzanz und dem Königreich Sizilien, die um ihre Stellung in Italien fürchteten, standen auch Kastilien, Aragón, Ungarn, Norwegen sowie England und Frankreich auf der Seite Alexanders. Barbarossa verfolgte dennoch seine ehrgeizige Politik weiter und eroberte 1166/67 ganz Norditalien und Rom, bevor in seinem Heer Malaria ausbrach und er nur mit Mühe zurück nach Deutschland gelangen konnte.
Konnte sich der Staufer in Italien behaupten?
Nein. Nach dem vorläufigen Rückzug Friedrichs fühlten sich die Städte Norditaliens zum Zusammenschluss gegen Barbarossa ermutigt. Sie bildeten den Lombardischen Bund. Gegen diesen erlitt Barbarossa dann im Jahr 1176 bei Legnano eine entscheidende Niederlage. Das zwang Barbarossa zur definitiven Aufgabe seiner Italienpläne. Sein Frieden mit Alexander 1177 machte diesen zum rechtmäßigen Papst und großen Sieger des Konflikts. Es erfolgten Friedensschlüsse mit Wilhelm II. von Sizilien (1154–1189, reg. seit 1166) und im Vertrag von Konstanz (1183 unterzeichnet) mit dem Lombardischen Bund. Darin blieb der Kaiser formal Lehnsherr, besaß aber faktisch keine Möglichkeiten mehr, seine Rechte gegen die Städte durchzusetzen.
Hatte das Scheitern in Italien Folgen in Deutschland?
Nein, nördlich der Alpen hatte Barbarossa seine Macht gefestigt. Die Ausdehnung des Reiches nach Osten war zwar nicht in erster Linie sein Verdienst, sondern das der Welfen, Heinrichs des Löwen und Albrechts des Bären, die durch Eroberungen und Städtegründungen die Voraussetzungen für eine deutsche Kolonisation und Mission geschaffen hatten. Aber auch Barbarossa war trotz seiner langen Aufenthalte in Italien nicht untätig gewesen. In Süddeutschland hatte er sich durch den Zusammenschluss mehrerer Grafschaften eine Art Krongut geschaffen, und 1178 ließ er sich zum König von Burgund krönen. Eine viel versprechende Perspektive bot 1186 auch die Heirat des Barbarossa-Sohns Heinrich VI. (1165–1197, reg. seit 1190) mit Konstanze (1154–1198), der Erbin des sizilisch-normannischen Königreiches. Bei dem 1189 beginnenden 3. Kreuzzug übernahm Barbarossa mit dem englischen und dem französischen König die Führung. Bei Philomelion und Ikonion besiegte er zweimal muslimische Heere. Der plötzliche Tod des Kaisers 1190 beim Baden im Fluss Saleph (heute Göksu, Türkei) war für die Kreuzfahrer ein Schock.
Wie kam es zur Versöhnung zwischen Welfen und Staufern?
Die Niederlage Barbarossas in Italien war auch dadurch verursacht worden, dass Heinrich der Löwe seinem Vetter die Heeresfolge verweigert hatte. Barbarossa hatte darum 1179 über Heinrich die Reichsacht verhängt und ihm im folgenden Jahr beide Herzogtümer entzogen. Als Schwiegersohn des englischen Königs Heinrich II. floh Heinrich der Löwe 1181 an dessen Hof. 1189 kehrte er zurück und versöhnte sich 1194 mit Kaiser Heinrich VI., dem Nachfolger Barbarossas.
Errangen die Welfen noch einmal die Macht?
Ja, sie stellten mit Otto IV. (um 1176 bis 1218), Sohn Heinrichs des Löwen, den König. Der als Thronfolger vorgesehene Friedrich II. (1194–1250), beim Tod seines Vaters, Heinrichs VI., erst drei Jahre alt, hatte im Reich keine Anerkennung gefunden. Sein Onkel Philipp von Schwaben (um 1176–1208) ließ sich dann im März 1198 selbst zum König wählen, um den Anspruch der Staufer auf die Krone aufrechtzuerhalten. Wenige Monate später wählte die Opposition im Reich dann Otto IV. zum Gegenkönig. Dieser konnte sich die Unterstützung des Papstes Innozenz III. (um 1160–1216, Papst seit 1198) sichern, der mit der Durchsetzung der staufischen Thronfolge in Sizilien (1194) eine Einkreisung des Kirchenstaates fürchtete. Der Papst erkannte Ottos Königtum an und erhielt dafür von diesem die italienischen Gebiete des Reiches übertragen. 1209 schließlich wurde Otto von Innozenz auch zum Kaiser gekrönt. Bereits im folgenden Jahr kam es allerdings zum Bruch, als Otto entgegen vorheriger Vereinbarungen eine eigenständige Italienpolitik betrieb und zu diesem Zweck das Königreich Sizilien angriff.
Hielt der Papst den Welfen die Treue?
Nein, der Papst wechselte die Fronten und unterstützte den Staufer Friedrich II. Nach einer schweren Niederlage in der Schlacht bei Bouvines (1214) musste sich Otto IV. zurückziehen, und Friedrich wurde 1215 in Aachen zum König gekrönt. Bereits im Jahr seiner Kaiserkrönung (1220) stellte auch Friedrich II. die Weichen für eine erneute Auseinandersetzung mit dem Papst, als er seinen Sohn Heinrich (VII.) (1211–1242), schon 1212 König von Sizilien, auch zum römisch-deutschen König wählen ließ. Damit gab er der ständigen Furcht des Papsttums, im Norden wie im Süden von ein und demselben Regenten bedrängt zu werden, neue Nahrung. Unter Papst Gregor IX. (um 1170–1241) kam es gar dazu, dass über den Kaiser der Bann verhängt wurde.
Wie verlief die Herrschaft Friedrichs II.?
Neben den Problemen mit dem Papst erstand Friedrich auch in seinem Sohn ein Gegner. Heinrich (VII.) hatte 1228 die Regierung in Deutschland übernommen. Er verfolgte die ehrgeizige Politik, die staufische Haus- und kaiserliche Zentralgewalt im Bündnis mit den Städten auszuweiten, was ihm die Gegnerschaft der deutschen Fürsten einbrachte. Sein Vater dagegen war stets bereit gewesen, seine Ziele mit Zugeständnissen durchzusetzen, etwa in Form von Privilegien an die geistlichen und die weltlichen Fürsten, und eine Schwächung der königlichen Macht in Kauf zu nehmen. Heinrich (VII.) verbündete sich mit den lombardischen Städten, wurde jedoch 1235 von Friedrich besiegt und bis zu seinem Tod gefangen gehalten.
Für Friedrich brachten auch ein Sieg gegen den Lombardischen Bund (1237) und der Tod Gregors (1241) kein Ende der Kämpfe. Innozenz IV. (um 1200–1254, Papst seit 1243) exkommunizierte Friedrich auf dem Konzil von Lyon (1245) und erklärte ihn für abgesetzt. Heinrich Raspe (um 1204–1247) wurde daraufhin 1246 im Reich zum Gegenkönig (»Pfaffenkönig«) gewählt; nach seinem baldigen Tod folgte ihm Wilhelm von Holland (1227–1256). Trotz zahlreicher Gegnerschaft behauptete sich Friedrich und konnte in Italien gerade wieder erste militärische Erfolge vorweisen, als er 1250 unerwartet starb.
Leitete Friedrichs Tod das Ende der Stauferzeit ein?
Ja, mit Friedrichs Tod ging die Epoche der Staufer ihrem Ende entgegen. Sein Sohn Konrad IV. (1228–1254), letzter staufischer König im Reich, starb in Apulien an der Malaria, als er versuchte, als König von Sizilien (ab 1251) sein Erbe in Italien anzutreten. Nach der Hinrichtung von Konrads Sohn Konradin (1268) und dem Tod von Friedrichs unehelichen Söhnen Manfred (König von Sizilien, 1266) und Enzio (König von Sardinien, 1272) war die Dynastie der Staufer erloschen.
Von welchen Ahnen stammen die Staufer her?
Die Dynastie der Staufer, die erfolgreich Anspruch auf den Königstitel erhob, war über ihren Begründer Heinrich IV. mit den Saliern verwandt. Da die Salier wiederum Nachfahren Ottos I. des Großen waren, bestand eine direkte Verbindung von dem ersten ottonischen König, Heinrich I. (Regierungszeit 919 bis 936), dem Sohn Ottos des Erlauchten und Urenkel Karls des Großen, bis zum letzten staufischen König, Konrad IV. (Regierungszeit 1250 bis 1254), dem Vater Konradins, des letzten (legitimen) Staufers, der enthauptet wurde. Die 14 Generationen zählen neun Könige, die zusammen zwei Drittel der Zeit von 919 bis 1254 herrschten.
Wussten Sie, dass …
die Nationalsozialisten den Stauferkaiser Friedrich I. propagandistisch vereinnahmten? Sie nannten im Zweiten Weltkrieg den Überfall auf die Sowjetunion »Unternehmen Barbarossa«.
Friedrich I. Barbarossa bei dem Kreuzzug, bei dem er tragisch durch einen Unfall umkam, unter anderem von Richard I. Löwenherz von England begleitet wurde?
Worum geht es in der Kyffhäusersage?
Diese Sage drückt den Glauben an die mythische Wiederkunft des Stauferkaisers Friedrich I. Barbarossa aus. Ihre Bezeichnung rührt vom Kyffhäuser her, einem Berg im Harz, in dessen Höhle der Kaiser seit Jahrhunderten schlafe und auf sein Wiedererscheinen warte. Ursprünglich bildete sich die Sage nach dem Tod Friedrichs II. und bezog sich auch auf diesen. Die Sehnsucht nach der Rückkehr des starken Herrschers, der in der Lage wäre, das Reich zu einigen, übertrug man bald auf den volkstümlichen Friedrich I. Die Sage erfreute sich bei den Romantikern großer Beliebtheit und wurde im 19. Jahrhundert von nationalistischen Strömungen dankbar verwertet.
Wussten Sie, dass …
Friedrich Barbarossas Niederlage im Jahr 1176 bei Legnano gegen den Lombardischen Bund der erste bedeutende Sieg von Fußtruppen (Bürgerheer) gegen ein Ritterheer war? Damit deutete sich auch auf militärischem Gebiet die Ablösung der Feudalherrschaft durch die bürgerlich-städtische Gesellschaft an.
Wer waren die Guelfen und die Ghibellinen?
Dies sind die italienischen Bezeichnungen für die Welfen und die Staufer, deren Konflikte nicht nur die Innenpolitik im staufischen Königreich in Deutschland prägten, sondern auch in Italien Spuren hinterließen. Das Wort »Ghibellini« für die Staufer leitet sich von Waiblingen ab, einem staufischen Besitz und im Übrigen dem Geburtsort Friedrich Barbarossas. »Guelfi« ist einfach die italienische Form für Welfen. Die beiden Bezeichnungen wurden in Italien weit über den eigentlichen dynastischen Konflikt hinaus verwendet, und zwar »Guelfi« für Kaisergegner (das waren auch Anhänger des Papstes und föderalistischer Strukturen) und »Ghibellini« für Kaiseranhänger. Selbst als der Kaiser in Italien schon längst keinerlei Rolle mehr spielte, hielten sich in italienischen Städten die beiden Namen als vorurteilsbeladene Bezeichnungen gegnerischer Parteien bis in die Neuzeit.
Wussten Sie, dass …
Friedrich II. aus vier Ehen und zahlreichen weiteren Verbindungen 19 Kinder hatte?
sich Friedrich II. bei seinem Kreuzzug 1229 in das Heilige Land in der Grabeskirche zum König von Jerusalem krönen ließ? Ein Anrecht auf diesen Titel leitete er aus seiner Ehe mit der bereits 1228 gestorbenen Isabella II., Königin von Jerusalem, ab.
Wodurch zeichnete sich Friedrich II. als Persönlichkeit aus?
Der Stauferkaiser verfügte über eine für seine Zeit sehr bewusste Auffassung von Individualität. Schon zu Lebzeiten setzte der 1194 in Iesi bei Ancona geborene und 1250 in Fiorento bei Lucera gestorbene Friedrich II. die Welt mit seiner Persönlichkeit in Erstaunen. Man sprach in Bezug auf ihn von »stupor mundi«. Er war hochgebildet, kunstsinnig und äußerst wissbegierig. Er soll eine Vielzahl von Sprachen beherrscht haben, neben Deutsch und Italienisch auch Französisch, Latein, Griechisch und Arabisch. Besonders kennzeichnend und vollkommen untypisch für seine Zeit war seine Art, den Kreuzzug im Heiligen Land zu führen. Er setzte nicht Waffengewalt und Kriegslist ein, sondern vielmehr Diplomatie und Verhandlungsgeschick. Von seinen Gegnern als Antichrist verdammt, von seinen Anhängern als Messias verehrt, wurde er wegen seiner Toleranz gegenüber Muslimen und Juden und seiner Aufgeschlossenheit gegenüber den Naturwissenschaften von dem Historiker Jacob Burckhardt gar als »der erste moderne Mensch auf dem Thron« bezeichnet.
Wie entstand das Königreich Sizilien?
Es erwuchs 1130 aus dem Zusammenschluss der normannischen Besitztümer Apulien, Kalabrien und Sizilien unter König Roger II. (1095–1154, reg. seit 1130). Unter dem Einfluss von Griechen und Arabern entstand eine zentrale Bürokratie. Die Mutter Friedrichs II., Konstanze, hatte ihren erst dreijährigen Sohn nach dem Tod Heinrichs VI. (1197) vorsorglich zum König von Sizilien krönen lassen. Er wuchs auch auf der Insel auf. Unter seiner Herrschaft erfuhren Wissenschaft und Kultur eine hohe Blüte. So gründete er etwa 1224 die Universität Neapel. Nach dem Ende der Staufer wurde Karl von Anjou (1226–1285) vom Papst mit dem Königreich belehnt (1266).
Der Papst: Oberhirte und Weltenherrscher
Wo liegen die Anfänge des Papsttums?
Der Anspruch des römischen Bischofs auf Vorrang wurde meist aus der Nachfolge des Apostels Petrus – der Überlieferung nach der erste Bischof von Rom – abgeleitet, nährte sich aber auch aus der Bedeutung Roms als Zentrum des Imperium Romanum. Schon früh wollten die römische Kirche und ihre Bischöfe, die Päpste, die Christenheit führen. Bereits Viktor I. (189–199) und dann Stephan I. (254–257) versuchten, die römische Tradition auch für andere christliche Gemeinden verbindlich zu machen.
In der unübersichtlichen Lage nach dem Untergang des Weströmischen Reiches im Jahr 476 gelang es der römischen Kirche, sich nicht nur als ordnende Kraft zu behaupten, sondern dabei auch weltliche Macht zu erlangen. Als byzantinische Statthalter wahrten die Päpste zugleich auch ihre politische Bedeutung gegenüber der Ostkirche.
Wie wirkte sich die Karolingerherrschaft auf das Papsttum aus?
Mit den Karolingern (754 bzw. 800) gewann der Nachfolger auf dem Stuhl Petri eine neue Schutzmacht und konnte gleichzeitig die Abhängigkeit von Byzanz überwinden. Die Beziehung zwischen den Päpsten und den fränkischen (später römisch-deutschen) Kaisern erhöhte die Legitimität beider, war allerdings durch einen schwelenden Interessenkonflikt belastet: Die Päpste strebten nach wie vor die Oberherrschaft über die Gesamtkirche an, während die Kaiser ihrerseits die Kontrolle über die Reichskirche behalten wollten. Stets war das Papsttum bemüht, etwaige Schwächungen der römisch-deutschen Herrscher durch innere oder äußere Gegner zum Ausbau der eigenen Position zu nutzen.
Warum kam es zum Konflikt zwischen Papst und Kaiser?
Das Papsttum wollte den Einfluss der weltlichen Macht auf die Kirche zurückdrängen. Leo IX. (1049–1054) leitete eine durch die cluniazensische Klosterreform angestoßene kirchliche Erneuerung ein und trat für das Zölibat (Ehelosigkeit für Geistliche) und gegen die Simonie, den Verkauf geistlicher Ämter, ein. Reformen wurden dann unter Gregor VII. (1073–1085) auf der Fastensynode 1075 umgesetzt; das Verbot der Laieninvestitur, also der Einsetzung von Bischöfen und Äbten durch weltliche Fürsten, war ein schwerwiegender Eingriff in die Herrschaftspraxis im Reich. Der darüber ausbrechende Investiturstreit endete in Deutschland mit dem Kompromiss des Wormser Konkordats (1122); zuvor hatte es Konkordate mit Frankreich (1104) und England (1107) gegeben, allerdings mit deutlich geringerer Auswirkung auf die königliche Zentralgewalt.
Strebte das Papsttum nach der Weltherrschaft?
Zumindest erhob es den Anspruch, den es auch teilweise durchsetzen konnte. Der Investiturstreit leitete eine mehr als zwei Jahrhunderte währende Phase ein, in der das Papsttum seinen größten Einfluss entfaltete, zahlreiche Machtkämpfe mit europäischen Herrschern durchstand und genug Autorität besaß, um die Kreuzzüge auszulösen.
Zu den herausragenden Persönlichkeiten auf dem Heiligen Stuhl gehörten Alexander III. (1159–1181) und Innozenz III. (1198 bis 1216). Alexander ging etwa aus den langjährigen Auseinandersetzungen mit Friedrich I. Barbarossa als Sieger hervor. Innozenz bestimmte im Reich den Ausgang des Konflikts zwischen den Welfen und Staufern, auch griff er in die englische Politik ein. Die von Innozenz initiierten Albigenserkriege (1209 bis 1229) führten zur weitgehenden Auslöschung dieser Glaubensgemeinschaft.
Gelang dem Papsttum bis 1250 die dauerhafte Schwächung des Kaisers in Deutschland, so überspannte Papst Bonifaz VIII. (1294 bis 1303) ein halbes Jahrhundert später gegenüber Frankreich den päpstlichen Anspruch auf Weltherrschaft. Mit der Übersiedlung nach Avignon (1309–1337) unter dem (französischen) Papst Klemens V. (1305–1314) begann eine lange Phase des Niedergangs des Papsttums und der Abhängigkeit der Kirche von Frankreich.
Inquisition
Mit Inquisition (von lateinisch inquisitio: „gerichtliche Untersuchung“) wird seit dem Mittelalter die Verfolgung von Glaubensabweichlern bezeichnet. Sie begann 1184 mit der päpstlichen Bulle „Ad abolendam“, die die stark gewachsenen Gemeinschaften der Katharer und Waldenser als Ketzer verurteilte. Durchgeführt wurde die Inquisition zunächst von den Bischöfen, daneben traten seit 1199 päpstliche Gesandte. Papst Innozenz III. rief gegen die vor allem in Südfrankreich starken Albigenser sogar zum Kreuzzug auf (Albigenserkriege 1209 bis 1229). 1229 legte das Konzil von Toulouse Inquisitionsverfahren und Strafmaß fest; für den Vollzug der Bestrafung war die weltliche Gewalt zuständig. Gegen die Ansprüche Friedrichs II. schuf Gregor IX. 1231 eine mit Dominikanern und Franziskanern besetzte päpstliche Inquisitionsbehörde. Der von Friedrich 1224 eingeführte Scheiterhaufen wurde nun auch von der Kirche eingesetzt, seit Innozenz IV. fand außerdem die Folter (1252) Anwendung. Die Inquisition im Mittelalter richtete sich meist gegen abweichende Glaubensrichtungen im Volk, in der frühen Neuzeit wandte sie sich verstärkt gegen Theologen und Kleriker– sie wurde gegen die Reformation und (in Spanien) gegen konvertierte Juden und Mauren eingesetzt. 1965 wurde die päpstliche Behörde zur „Glaubenskongregation“.
Wussten Sie, dass …
das Papsttum die erste internationale Institution der Weltgeschichte war? Bereits im Hochmittelalter lenkte es die kirchlichen Geschicke vieler Völker von Island bis Sizilien und von Portugal bis Kleinasien.
die Inquisition heute noch existiert? Die Institution, die seit 1965 Glaubenskongregation heißt, hat sich zwar im 19. und 20. Jahrhundert stark gewandelt, wacht aber heute noch über den katholischen Glauben.
Warum wurde die Inquisition geschaffen?
Das Papsttum wollte ab dem 12. Jahrhundert die zunehmende Zahl von Glaubensabweichlern verfolgen. Die Geschichte der Inquisition begann im Jahr 1184 mit der päpstlichen Bulle »Ad abolendam«, die die stark gewachsenen Gemeinschaften der Katharer und Waldenser als Ketzer verurteilte. Durchgeführt wurde die Inquisition zunächst von den Bischöfen, daneben traten seit 1199 päpstliche Gesandte. 1229 legte dann das Konzil von Toulouse Inquisitionsverfahren und Strafmaß fest; für den Vollzug der Bestrafung war die weltliche Gewalt zuständig. Gregor IX. schuf dann im Jahr 1231 eine mit Dominikanern und Franziskanern besetzte päpstliche Inquisitionsbehörde. Im 13. Jahrhundert wurden schließlich auch der Scheiterhaufen und die Folter eingeführt.
Kloster- und Kirchenreform: Aufbruch in der Kirche
Wo gab es die ersten christlichen Mönche?
An den Küsten des Roten Meeres. Es waren vermutlich Einsiedler (Anachoreten), die sich vor der Christenverfolgung im Römischen Reich in die ägyptische Wüste zurückgezogen hatten. Die Zönobiten (griechisch »Gemeinschaftsleben«) verbanden die Abgeschiedenheit in einer Klause mit gemeinsamen Gebeten. Eine Ordensregel für sie verfasste der griechische Eremit Antonius (251–356), der auf einer Nilinsel ein Kloster gegründet hatte. Diese Lebensform verbreitete sich in Nordafrika, Italien und Gallien.
Wer begründete das westliche Mönchtum?
Es war Benedikt von Nursia (um 480 bis 547), der Begründer des Klosters Montecassino (Mittelitalien). Er gab dem Gemeinschaftsleben Vorrang vor dem Eremitentum, nicht Askese, sondern Arbeit sollte das spirituelle Leben ergänzen – dies wurde im Spätmittelalter in der prägnanten Formel »Ora et labora« (»Bete und arbeite!«) zusammengefasst. Die benediktinische Regel verbreitete sich im gesamten Abendland, die Benediktiner wurden zum wichtigsten Orden der katholischen Kirche. Durch den angelsächsischen Missionar Bonifatius, den »Apostel der Deutschen«, entstand eine enge Bindung an die Karolinger, die dazu führte, dass im 9. Jahrhundert die Benediktregel für alle Klöster im Fränkischen Reich verbindlich wurde.
Warum kam es zur cluniazensischen Reform?
Die Nähe zu den Herrschenden führte das Mönchsleben in eine Krise. Äbte und Klöster verstrickten sich in die Machtkämpfe des Adels, und die weltliche Ausrichtung zahlreicher Benediktiner führte zu einem Verfall des klösterlichen Lebens. Ansätze einer Reform von Mönchtum und Kirche gingen vom 910 gestifteten Kloster Cluny in Burgund aus. Das Kloster war mit dem Privileg der freien Abtwahl ausgestattet und direkt dem Papst unterstellt, was ihm eine gewisse Unabhängigkeit von Feudalherrn und Bischöfen sicherte.
Wie sah die Reform aus?
Von Anfang an bemüht, den Einfluss der Laien auf Kloster und Kirche zurückzudrängen, setzten sich die Äbte von Cluny besonders gegen den Verkauf kirchlicher Ämter (Simonie) ein. Auch wurde das Mönchsleben wieder stärker an der Regel des Benedikt und an der Klosterordnung, den Consuetudines (lateinisch »Gewohnheiten«), ausgerichtet, wobei das Gebet in den Vordergrund rückte. Im 10. und besonders im 11. Jahrhundert nahmen zahlreiche Klöster die cluniazensische Reform an. Cluny hatte als Kopf eines gut organisierten Klosterverbandes und durch seine bedeutenden Äbte sehr großen Einfluss: Mit Majolus, Odilo und Hugo wurden die Geschicke Clunys zwischen 954 und 1109 von nur drei Äbten bestimmt. Ihr enger Kontakt zu Ottonen und Saliern und die Einsetzung reformorientierter Päpste ermöglichten die Übertragung vieler cluniazensischer Ideen auf die Gesamtkirche im Reich.
Welche Folgen hatte die Kirchenreform?
Die vom Kaiser zunächst geförderte Kirchenreform, die nun gleichfalls bemüht war, den weltlichen Einfluss zurückzudrängen, führte bald zu einem Machtkampf zwischen Papst und Kaiser, der seinen Höhepunkt im Investiturstreit (ab 1075) fand. Abt Hugo, Vertrauter beider Seiten, erfüllte in dieser Zeit auch diplomatische Aufgaben und konnte so das Ansehen Clunys weiter steigern. Die Kirchenreform erneuerte die Kirche (unter anderem durch die Einführung des Zölibats) und stärkte die Unabhängigkeit des Papsttums, die Voraussetzung für die päpstliche Machtpolitik des 12. und 13. Jahrhunderts.
Zisterzienser
Sie waren der neue Reformorden, der 1098 in Cîteaux – daher der Name – im Burgund gegründet wurde und im 12. Jahrhundert großen Einfluss erlangte. Ihre Forderung nach Rückkehr zum einfachen, gottgefälligen Leben entsprach offenbar einem weit verbreiteten Bedürfnis nach Religiosität. Vordenker war Bernhard von Clairvaux (1090–1153). Herrscher suchten seinen Rat, und Pilger wollten die Predigten des wortgewaltigen Abtes hören. Bis zu seinem Tod erhöhte sich die Zahl der Zisterzienserklöster auf über 300, wovon er 68 selbst gegründet hatte. Ab etwa 1125 gab es auch einen weiblichen Ordenszweig.
Die Zisterzienser besetzten wichtige Ämter, entwickelten aber auch neue Techniken in der Landwirtschaft. Großen Anteil hatten sie an der Kultivierung und Christianisierung der slawischen Länder. Im 13. Jahrhundert wurden die durch ihre Erfolge zu Reichtum gelangten Zisterzienser von den Bettelorden überflügelt. Diese lehnten jeglichen Besitz ab, auch für ihre Ordensgemeinschaft, und stellten die Seelsorge ins Zentrum ihres Wirkens. Die wichtigsten Bettelorden des Mittelalters waren die Dominikaner, Franziskaner, Karmeliter und Augustiner-Eremiten.
Welche Rolle spielten die Zisterzienser?
Sie waren der neue Reformorden, der im Jahr 1098 im burgundischen Cîteaux – daher der Name des Ordens – gegründet wurde und im 12. Jahrhundert großen Einfluss erlangte. Ihre Forderung nach Rückkehr zum einfachen, gottgefälligen Leben entsprach offenbar einem weit verbreiteten Bedürfnis nach Religiosität. Vordenker des Ordens war Bernhard von Clairvaux (1090–1153). Herrscher suchten seinen Rat, und Pilger wollten die Predigten des wortgewaltigen Abtes hören. Bis zu seinem Tod erhöhte sich die Zahl der Zisterzienserklöster auf über 300, wovon er 68 selbst gegründet hatte. Ab etwa 1125 gab es auch einen Ordenszweig für Frauen.
Wussten Sie, dass …
das frühmittelalterliche Mönchtum in Europa beinahe der einzige Träger von Kultur und Wissenschaft war?
die mittelalterlichen Klöster auch für die wirtschaftliche Entwicklung des Abendlandes eine entscheidende Rolle spielten?
die Zisterzienser nach Bernhard von Clairvaux auch Bernhardiner genannt werden?
die zu Reichtum gelangten Zisterzienser im 13. Jahrhundert von den neuen Bettelorden überflügelt wurden? Nun waren die Dominikaner, Franziskaner, Karmeliter und Augustiner-Eremiten die Reformorden.
Kreuzzugsbewegung und Kreuzzüge: Ein heiliger Krieg?
Warum rief der Papst zu einem Kreuzzug auf?
1071 erlitt das Byzantinische Reich bei Mantzikert (Armenien) eine vernichtende Niederlage gegen die Seldschuken, die ein islamisches Großreich errichtet hatten. Papst Gregor VII. plante bereits 1074, den byzantinischen Christen gegen die Muslime beizustehen. Als die Seldschuken auch Jerusalem (1077) und Antiochia (1085) eroberten, sandte der byzantinische Kaiser Alexios I. Komnenos (reg. 1081–1118) einen Hilferuf an den Westen. Diesen nahm Papst Urban II. (1088 bis 1099) zum Anlass, auf dem Konzil von Clermont 1095 zum Kreuzzug aufzurufen.
Welche Absicht steckte hinter dem Vorhaben?
Triebfeder neben dem Beistand für die Glaubensbrüder im Osten gegen die als »Ungläubige« bezeichneten Muslime war vor allem die Hoffnung auf eine Überwindung des Morgenländischen Schismas: 1054 war es zum endgültigen Bruch zwischen Ost- und Westkirche gekommen, der nun durch Waffenhilfe gekittet werden sollte – mit dem Ziel der Vorrangstellung Roms in der dann wieder vereinten Kirche. Ein zweites Ziel war die Befreiung der Pilgerstätten in Jerusalem. Der Kreuzzug verknüpfte diese mit der Idee des »Heiligen Krieges« gegen die »Ungläubigen«. Für den Kreuzzug ins Heilige Land erlaubte der Papst das sonst den Pilgern verbotene Tragen von Waffen.
Wie kam es zum Kreuzzug der Armen?
In Frankreich und Deutschland sammelten sich unter dem Eindruck der Predigten Peters von Amiens (um 1050–1115) zahlreiche Angehörige der Unterschichten, um zu einem inoffiziellen Kreuzzug, dem »Kreuzzug der Armen«, aufzubrechen. Auf ihrem Weg entlang von Rhein, Neckar und Donau bis Konstantinopel kam es in vielen Städten zu Massakern an den Juden, den »Feinden Christi«. In Kleinasien plünderten die »Kreuzfahrer« zumeist griechisch-orthodoxe Christen aus, bevor sie 1096 von Seldschuken vernichtet wurden.
Im »Kreuzzug der Armen« zeigte sich ein weiteres Kreuzzugsmotiv: die mit Heils- und Erlösungserwartungen (Ankunft des »himmlischen Jerusalem«) verknüpfte religiöse Begeisterung in der Bevölkerung. Sie hatte zwei Wurzeln: die zunehmende, durch Bevölkerungswachstum und Missernten verursachte Armut sowie die Unzufriedenheit mit der Kirche. Der damit verbundenen Radikalität und sozialen Sprengkraft öffnete Papst Urban mit seinem Kreuzzugsaufruf ein Ventil.
Was war das Motiv für die Teilnahme des Adels?
Auch im Adel, der die Ritterheere des »regulären« Kreuzzugs stellte, begünstigten soziale Umstände die Teilnahme an diesem riskanten Unternehmen. Um eine immer weitere Zersplitterung von Herrschaftsgebieten und Landgütern zu vermeiden, hatte sich das alleinige Erbrecht für den Erstgeborenen durchgesetzt. Jüngere Söhne hatten daher kaum die Chance, ein ihrem Status gemäßes Leben zu führen. Ihnen boten die Kreuzzüge Gelegenheit, sich nicht nur im Kampf auszuzeichnen, sondern auch Reichtümer und Land zu erwerben. Anhänger fand die Kreuzzugsidee zunächst vor allem in Frankreich, der Heimat des Papstes, und bei den Normannen. Der deutsche Adel hielt sich zurück, lediglich Lothringer unter der Führung Gottfrieds von Bouillon (um 1061–1100) beteiligten sich.
Wie verlief der Kreuzzug?
Im August 1096 brachen die Kreuzfahrer nach Konstantinopel auf, wo sie zurückhaltend empfangen wurden. Der byzantinische Kaiser hatte sich ein Söldnerheer erhofft, das unter seiner Führung gegen die Seldschuken ziehen würde – nicht ein Heer aus Adeligen (Rittern), die ihre eigenen Ziele verfolgten. Alexios ließ die Kreuzritter erst weiterziehen, nachdem sie ihm den Lehnseid geschworen hatten, was bedeutete, dass alle eroberten Gebiete dem Kaiser von Byzanz unterstellt werden mussten. Nach geleistetem Eid zogen die Kreuzfahrer weiter und eroberten Nicäa (1097), Antiochia (1098) und Jerusalem (1099), wo sie in einem Blutrausch die muslimische und jüdische Bevölkerung niedermetzelten.
Wie entstanden die Kreuzfahrerstaaten?
Entgegen der Absprache mit Byzanz gründeten die Kreuzfahrer in den eroberten Gebieten eigenständige Staatswesen, die Kreuzfahrerstaaten. Der bedeutendste unter ihnen war das Königreich Jerusalem, das nach dem Tod des Eroberers und ersten christlichen Herrschers von Jerusalem, Gottfried von Bouillon, von dessen Bruder und Nachfolger Balduin I. (1058–1118) durch Annahme des Königstitels begründet wurde. Das Königreich umfasste um die Mitte des 12. Jahrhunderts neben dem heutigen Israel auch Teile Jordaniens, Syriens und des Libanons. Weitere Kreuzfahrerstaaten waren das Fürstentum Antiochia sowie die Grafschaften Edessa und Tripolis.
Warum kam es zu einem 2. und 3. Kreuzzug?
Die Muslime gingen zum Gegenangriff über, die Seldschuken eroberten die Grafschaft Edessa (1144). Im Abendland predigte der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux (1090–1153) den erneuten Kreuzzug. Unter Beteiligung des französischen, sizilischen und deutschen Königs begann 1147 der 2. Kreuzzug. Er endete im Desaster: Die französischen und deutschen Truppen kamen bereits arg dezimiert in Jerusalem an und scheiterten 1149 mit einem Angriff auf Damaskus.
Auch der 3. Kreuzzug war eine Reaktion auf muslimische Eroberungen; Saladin (1138–1193), Sultan von Ägypten und Syrien, hatte 1187 das Königreich Jerusalem eingenommen. Kaiser Friedrich I. Barbarossa, Philipp II. August (Frankreich) und Richard Löwenherz (England) zogen ins Heilige Land, um dies rückgängig zu machen. Als Barbarossa in Kleinasien beim Baden ertrank, kehrte ein großer Teil des deutschen Heeres um. Dem Rest der Kreuzfahrer gelang noch die Eroberung Akkos, Jerusalem blieb aber muslimisch.
Welche Aufgabe hatten die Ritterorden?
Diese zunächst zur Krankenpflege eingesetzten geistlichen Gemeinschaften übernahmen in den eroberten Gebieten bald auch militärische Aufgaben. Sie besaßen eine straffe Hierarchie mit einem Kern aus (zumeist) Adeligen, die das Mönchsgelübte abgelegt hatten. An der Spitze stand ein Großmeister oder (beim Deutschen Orden) Hochmeister. Obwohl sie sich durch gegenseitige Rivalität schwächten, wurden sie über die Zeit der Kreuzzüge hinaus zu reichen und politisch mächtigen Organisationen.
Was waren die wichtigsten Ritterorden?
Die bedeutendsten christlichen Ritterorden waren die Templer, die Johanniter und der Deutsche Orden. Die 1119 gegründeten Templer (eigentlich »Orden der armen Ritter Christi«) waren als einziger Orden von Anfang an rein militärisch ausgerichtet. Die Finanzierung und den Nachschub im Heiligen Land sicherten ihre Niederlassungen in Europa, die erfolgreich wirtschafteten und den Herrschern sogar Geld liehen. Der aus diesen Aktionen erwachsende große Einfluss wurde den Templern Anfang des 14. Jahrhunderts zum Verhängnis, als der französische König den Orden auflöste und seine Angehörigen durch die Inquisition verfolgen ließ.
Den Besitz der Templer erhielten in der Folge ihre schärfsten Kontrahenten, die Johanniter. Diese nannten sich so nach einem im 11. Jahrhundert in Jerusalem für Pilger errichteten Hospital, sie wurde daher auch Hospitaliter genannt. Sie beherrschten nach dem Ende der Kreuzzüge die Inseln Zypern und Rhodos, seit 1530 auch Malta (daher auch Malteser). Der während der Belagerung von Akko gegründete Deutsche Orden fand schon im 13. Jahrhundert sein Hauptbetätigungsfeld im Baltikum. Das von ihm christianisierte und bis in die Reformationszeit beherrschte Territorium wurde zum Kerngebiet der späteren Großmacht Preußen.
Wie entwickelte sich die Kreuzzugsidee weiter?
Im 13. Jahrhundert trieb die Idee der Kreuzzüge seltsame Blüten. Die Teilnehmer des 4. Kreuzzugs, die die Schiffspassage von Venedig ins Heilige Land nicht bezahlen konnten, ließen sich vom venezianischen Dogen Enrico Dandolo (um 1108–1205) zu Eroberungen in Dalmatien überreden. Schließlich plünderten die Kreuzfahrer Konstantinopel und errichteten auf byzantinischem Boden das Lateinische Kaiserreich. Zwar wurde 1261 das Byzantinische Reich wiederhergestellt, war aber ein Schatten seiner einstigen Größe.
Papst Innozenz III. (1198–1216) rief 1208 zu einem Kreuzzug gegen Anhänger einer christlichen Lehre, die Albigenser in Südfrankreich, auf. 1212 schließlich brachen einige Tausend Minderjährige und Arme aus Deutschland und Frankreich, von Kreuzzugspredigern angestachelt, zum »Kinderkreuzzug« auf; im Heiligen Land kamen sie allerdings nie an. Viele erreichten zwar die Häfen Marseille und Genua, fanden dort aber keine Schiffe und kehrten um. Nicht wenige wurden in die Sklaverei verkauft, zwei Schiffe sanken bei Sardinien.
Wie verliefen die späteren Kreuzzüge?
Den einzigen erfolgreichen späten Kreuzzug unternahm Friedrich II. Als er 1228 aufbrach, hatte er sein Kreuzzugsgelübde von 1215 bereits mehrmals verschoben sowie durch sein Fernbleiben den Misserfolg der Expedition gegen das ägyptische Damiette verursacht. Friedrich suchte keine militärische Entscheidung, sondern setzte auf Verhandlungen mit Sultan Al-Kamil. So erreichte er die Übergabe Jerusalems, Bethlehems und Nazareths und sicherte im Gegenzug den Muslimen freien Zugang zu ihren heiligen Stätten zu. Anschließend krönte sich Friedrich zum König von Jerusalem.
Die letzten beiden Kreuzzüge unternahm der französische König Ludwig IX. (der Heilige), nachdem Jerusalem 1244 erneut von Muslimen erobert worden war. Der 6. Kreuzzug scheiterte wegen Ludwigs Niederlage und Gefangennahme vor Kairo, der 7. Kreuzzug durch seinen Tod an einer Seuche. Mit dem Fall Akkos (1291) war die Herrschaft der Kreuzfahrer im Heiligen Land endgültig beendet.
Was waren die Folgen der Kreuzzüge?
In politischer und religiöser Hinsicht brachten die Kreuzzüge, die Hunderttausenden Menschen das Leben kosteten, dem christlichen Europa keinen Ertrag. Das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen vergifteten sie – mit Auswirkungen bis heute. Allerdings förderte der Kontakt mit dem Islam auch Kultur und Naturwissenschaft im christlichen Abendland. Die Ausweitung des Fernhandels kam besonders den italienischen Stadtrepubliken zugute.
Wie wurde Jerusalem zur heiligen Stadt dreier Weltreligionen?
Um 1000 v. Chr. eroberten die Israeliten Jerusalem und machten es durch den Bau des Tempels (ca. 953 v. Chr.) zu ihrem religiösen Zentrum, das es auch in der Diaspora – 135 n. Chr. wurden alle Juden aus Jerusalem vertrieben – blieb. Seit Kaiser Konstantin wurde die Stadt, in der Jesus (um 30) gekreuzigt worden war, zum religiösen Zentrum der Christenheit ausgebaut (etwa mit der Grabeskirche, 335). Nach der muslimischen Eroberung 638 durften erstmals 70 jüdische Familien in die Stadt zurückkehren. Kalif Omar I. ließ auf dem Tempelberg die Al-Aksa-Moschee (vollendet 691) errichten; Jerusalem stieg nach Mekka und Medina zur wichtigsten Pilgerstätte des Islams auf.
Warum wurde der Islam als Bedrohung empfunden?
Eine islamische Eroberung Konstantinopels hätte eine Machtverschiebung zulasten des christlichen Westens bedeutet. Der Islam, im 7. Jahrhundert vom Propheten Mohammed auf der Arabischen Halbinsel begründet, hatte sich in weniger als 100 Jahren im Westen über Ägypten und Nordafrika nach Spanien, im Osten bis ins Indusgebiet ausgebreitet. Sein Vordringen in Europa wurde 732 bei Tours und Poitiers von Karl Martell gestoppt. Der Mittelmeerraum war seitdem zweigeteilt in einen christlichen Norden und einen islamischen Süden.
Wussten Sie, dass …
auf dem 1. (offiziellen) Kreuzzug 1096 zahlreiche deutsche Städte Schauplätze von Judenverfolgungen wurden?
sich Heinrich IV. die Missbilligung des Papstes zuzog, als er den zur Taufe gezwungenen Juden 1097 die Rückkehr zu ihrem Glauben genehmigte?
Die mittelalterliche Stadt: Entwicklung urbaner Zentren
Woher kam die Siedlungsform der Stadt?
Durch die griechische Kolonisation hatten sich Städte im 1. Jahrtausend v.Chr. im westlichen Mittelmeerraum verbreitet – sehr früh bereits auch als planvoll angelegte Stadt. Im Landesinneren Mittel- und Westeuropas führten die römischen Eroberer durch ihre Garnisonsstädte eine neue Siedlungskultur ein. Diese verfiel jedoch nach dem Untergang des Weströmischen Reiches (476 n.Chr.), infolge von Plünderungen während der Völkerwanderungszeit und weil die Herrschaft der germanischen Führungsschichten sich nicht auf städtische Zentren stützte. Lediglich in Oberitalien gab es im frühen Mittelalter bereits eine ausgebildete Stadtkultur.
Warum stieg die Zahl der Städte an?
Als im 11. Jahrhundert Europa durch die Zunahme der Bevölkerung sowie die Ausweitung von Handel und Gewerbe eine Blütezeit erlebte, gewann auch nördlich der Alpen die städtische Lebensform wieder an Gewicht. Städte entstanden, etwa durch Zusammenwachsen einer Burg (daher auch »Bürger«) mit einer Siedlung in der Nähe. Auch aus alten Königs- und Kaiserpfalzen (Aachen, Frankfurt am Main), Markt- und Kaufmannssiedlungen sowie um Klöster und Kirchen (Köln, Mainz, Trier) konnten sich Städte entwickeln. Auch gab es Neugründungen, von denen sich geistliche wie weltliche Herrscher wirtschaftliche Vorteile und Ansehen versprachen.
Warum war die Verkehrsanbindung so wichtig?
Die günstige Lage einer Stadt war wichtig für ihren Aufstieg. Denn obwohl in der Stadt ein sehr vielfältiges Spektrum von Berufen vertreten war, blieb ihr Lebensnerv der Markt, und die charakteristische Berufsgruppe der Stadt waren Händler und Kaufleute. Auf dem Markt wurden Güter aller Art umgesetzt, sowohl aus lokaler Produktion als auch aus dem Fernhandel stammende Waren. Handwerker und Bauern konnten sich auf die Produktion für den Markt spezialisieren, was zu einem höheren Grad der Arbeitsteilung führte. Das Zusammentreffen von Menschen unterschiedlicher Regionen und Berufe förderte die Entwicklung neuer Ideen und Techniken sowie den Austausch von Wertvorstellungen.
Wie ging der Aufstieg des Bürgertums vor sich?
Zahlenmäßig waren die Bürger zwar eine kleine Minderheit, doch besaßen nur sie alle Rechte – im Unterschied etwa zu Gesellen, Tagelöhnern und Armen. Ihr Selbstbewusstsein schöpften sie aus ihrem erworbenen Reichtum. Entschieden vertraten sie ihre Interessen auch gegen ihre Stadtherren. In vielen Städten gelang es den Bürgern, oft erst nach gewaltsamen Auseinandersetzungen, bestehende Privilegien zu erweitern und ein eigenes Stadtrecht durchzusetzen.
Was wurde im Stadtrecht festgelegt?
Das Stadtrecht regelte das Zusammenleben der Menschen, gab den Bürgern häufig eine eigene Interessenvertretung und band vor allem den Stadtherrn an Regeln. Die Ausformung des Stadtrechts war von der Stärke und Zusammensetzung des Bürgertums, vom Stadtherrn und dem Verlauf der Auseinandersetzung mit ihm, aber auch von wirtschaftlichen und geographischen Gegebenheiten abhängig – in einer Hafenstadt gab es andere Dinge zu regeln als in einer Bischofsstadt im Landesinnern. Das Stadtrecht wurde vielfach aber auch von anderen Städten übernommen.
Welche Funktion hatten die Zünfte?
Seit dem 12. Jahrhundert bildeten sich Zusammenschlüsse von Personen heraus, die dasselbe Handwerk oder Gewerbe ausübten. Die Mitgliedschaft in der Zunft wurde zur Voraussetzung, um in der Stadt seinen Beruf ausüben zu können (Zunftzwang). Die Zunft legte Produktionsmenge, Preis und Qualität fest, regulierte die Ausbildung und besaß eine eigene Gerichtsbarkeit. Sie war zugleich eine Art Lebensversicherung, die, wenn ein Zunftmitglied starb, für Witwe und Waisen sorgte, aber auch das Risiko von Krankheit und Arbeitslosigkeit abfederte. Die Mitgliedschaft wurde bald auf die Nachfahren der Zunftmitglieder und ausgesuchte Neulinge beschränkt. Dadurch wurde die Zunft zum Kartell, das sich gegen technische Neuerung wandte.
Wer waren die Patrizier?
In vielen Städten bildete sich mit der Zeit ein kleiner Kreis von Kaufmannsfamilien heraus, die den übrigen Bürgern an Reichtum und Ansehen überlegen waren und als Oberschicht die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen trafen. Sie nannten sich in Anlehnung an die römische Geschichte Patrizier. Gegen ihre Herrschaft begehrten im 14. und 15. Jahrhundert in zahlreichen Städten die Zünfte auf. Diese mitunter blutig ausgetragenen Konflikte führten meist zu einem Kompromiss, der eine Beteiligung der Handwerker am Stadtregiment vorsah, oder endeten mit einem Sieg der Patrizier, und nur selten setzten sich die Zünfte durch wie in Augsburg (1368).
Warum gab es eine städtische Unterschicht?
Viele von einem Feudalherrn abhängige Bewohner aus dem Umland zogen in die Städte; nach Jahr und Tag galten ihre Bindungen als gelöst (»Stadtluft macht frei.«). Aber wer keine Arbeit fand, war zum Betteln gezwungen. Das Bild der mittelalterlichen Stadt war geprägt von Armen, die sich auf den Straßen herumtrieben und vor Kirchen, Klöstern und Patrizierhäusern auf ein Almosen hofften. Dadurch verschlechterte sich nicht zuletzt auch die hygienische Situation in den Städten, weshalb immer wieder Seuchen ausbrachen.
Welche Stellung hatten die Juden?
Als Nichtchristen konnten sie kein Bürgerrecht erwerben und nicht Mitglied einer Zunft werden. Deshalb waren sie aber nicht notwendigerweise arm. Als Händler hatten Juden maßgeblichen Anteil an der Entwicklung des Fernhandels. Außerdem waren sie als Geldverleiher tätig, was Christen verboten war. Die Lage der Juden verschlechterte sich, nachdem es während der Kreuzzüge zu Übergriffen gekommen war. In der Folgezeit wurden sie des Ritualmordes an Christen angeklagt und als Brunnenvergifter für die Pest verantwortlich gemacht. Häufig lebten die Juden in eigenen Vierteln oder Straßen, zunächst freiwillig, später gezwungenermaßen (Getto); immer wieder wurden sie auch aus der Stadt vertrieben.
Warum waren die italienischen Städte so mächtig?
Die Städte in Oberitalien (Lombardei) gewannen schon früh weit gehende politische Eigenständigkeit. Die Langobarden waren durch mehrere Niederlagen gegen fränkische bzw. deutsche Herrscher geschwächt, die andererseits nicht dauerhaft in Italien präsent sein konnten. Auch gewannen Norditaliens Städte – und damit ihre Bürger – in der militärischen Auseinandersetzung mit den Sarazenen Profil. Genua war bereits 962, als Otto I. die Lehnshoheit des Reiches neu begründete, faktisch unabhängig. Die Stadt regierten Kaufleute und Handwerker, die als ihre Vertretung Konsuln wählten. In Mailand markierte der Aufstand von 1045 den Beginn des bürgerlichen Gemeinwesens. Florenz besaß im frühen 12. Jahrhundert städtische Freiheit und bestimmte eigene Konsuln. Enge Wirtschaftsbeziehungen stärkten die Unabhängigkeit einer Stadt vom Reich, wie etwa der Handelsvertrag Venedigs mit Byzanz (992). Ihr Selbstbewusstsein demonstrierten die Vertreter der Städte, indem sie ihren Lebensstil mehr und mehr dem des Adels anglichen und nach außen in Verhandlungen wie Fürsten auftraten. Einige der reichen Städte dehnten ihre Macht auch über das Umland aus. Später, besonders in der Zeit der Kreuzzüge, schufen sie sich gezielt Handelsstützpunkte auf der Balkanhalbinsel und im östlichen Mittelmeer.
Wie verteidigten die norditalienischen Städte ihre Stellung?
Ihre faktische Unabhängigkeit erkämpften die Städte Norditaliens im 12. Jahrhundert an der Seite des Papstes gegen Kaiser Friedrich I. Barbarossa, der seine Ansprüche rechtlich (Ronkalische Gesetze 1158) und militärisch geltend machte (Zerstörung des aufständischen Mailand 1162). Nachdem er zwei Niederlagen 1167 und 1176 hinnehmen musste, sah sich Barbarossa gezwungen, im Frieden von Konstanz (1183) die Autonomie der im Lombardischen Bund zusammengeschlossenen Städte anzuerkennen. Der Sieg des Lombardischen Bundes über Barbarossa 1176 bei Legnano war der erste eines Bürgerheeres über ein (adeliges) Ritterheer in einer wichtigen Schlacht. Damit hatte das Bürgertum die Vorherrschaft der Feudalherren auch auf militärischem Gebiet zu brechen begonnen.
Welche politische und kulturelle Bedeutung erlangten die Städte?
Der wirtschaftliche Aufschwung wurde durch die dauerhaft gewonnene Unabhängigkeit noch gefördert. Ihre Interessen versuchten die Stadtstaaten zunehmend auch militärisch durchzusetzen, wie etwa die Aktivitäten Venedigs im 4. Kreuzzug mit der Eroberung Konstantinopels (1204) zeigten. Genua und Venedig stiegen zu Handelsmächten auf, die (mit Unterbrechungen) mehr als hundert Jahre um die Vorherrschaft rangen, bis Venedig 1381 den Kampf für sich entschied.
Über ihre Handelskontakte mit der islamischen Welt, die dem christlichen Abendland an Wissen weit voraus war, vermittelten die italienischen Städte neue Kenntnisse nach Europa. Italien etwa war führend in der Mathematik, was die Entwicklung des Bankwesens förderte. Wissenschaften und Künste blühten auf, die italienischen Handelsstädte wurden zu Metropolen der Renaissance. Mehrere von ihnen hatten im Mittelalter deutlich über 100000 Einwohner, während in der größten deutschen Stadt, Köln, um 1200 gerade einmal 35000 Menschen lebten.
Wie veränderten sich die Machtverhältnisse?
Der Machtzuwachs der Städte führte zu einer Einschränkung des Personenkreises, der Einfluss auf die Politik nahm. Venedig, schon seit dem frühen Mittelalter von einem Dogen geführt, begrenzte 1297 dessen Kontrollinstanz, den Großen Rat, auf wenige Familien. In Mailand und Pisa trat die Herrschaft eines Einzelnen (Signorie) an die Stelle eines autonomen Gemeinwesens (Kommune). Familien mit der Macht von Fürsten wie die Visconti in Mailand (1278) und die Medici in Florenz (seit 1434) dominierten nun die Politik der Stadt.
Gegen Ende des Mittelalters geriet die Unabhängigkeit wieder in Gefahr. Pisa fiel 1406 an Florenz; Genua, im 14. Jahrhundert einige Jahre lang zu Mailand gehörend, kam wie dieses 1499 zeitweise an Frankreich, Mailand fiel 1535 an die Habsburger. Das wieder unabhängige Genua, Florenz und Venedig konnten ihre Stellung bis ins 18. Jahrhundert halten.
Wohin wurde Lübisches und Magdeburger Recht exportiert?
Die Stadt Lübeck wurde von Heinrich dem Löwen gegründet (1159) und von ihm mit einem eigenen Recht ausgestattet. Das lübische Stadtrecht verbreitete sich im gesamten Ostseeraum und galt in fast 100 Städten, besonders Hafenstädten, seit dem 13. Jahrhundert etwa in Rostock, Kiel, Stralsund und Reval (Tallinn). Bedeutend für die Ostkolonisation wurde das 1188 aufgezeichnete Stadtrecht Magdeburgs. Viele Stadtgründungen nahmen das Magdeburger Recht an, das weit über den deutschen Siedlungsraum hinaus Geltung erlangte. Magdeburger Stadtrecht gaben sich zum Beispiel Dresden, Gera, Wilna (Vilnius), Krakau und Stettin.
Wussten Sie, dass …
die Stadtherren, also die geistlichen und weltlichen Herrscher, ihren Städten oft Privilegien gewährten? Sie verzichteten auf Hoheitsrechte, etwa auf das Markt-, Münz- und Zollrecht, und ließen sich dies finanziell vergelten.
es bis ca. 1100 in Mitteleuropa nur einige hundert Städte gab?
bereits mittelalterliche Städte Bauvorschriften herausgaben? So war zum Beispiel wegen des Brandschutzes der Abstand der Häuser zueinander vorgeschrieben, andere Bestimmungen betrafen die Höhe oder die Fassadengestaltung.
Wussten Sie, dass …
das 4. Laterankonzil (1215) den Juden den Grunderwerb verbot sowie den gesellschaftlichen Verkehr mit Christen untersagte? Zudem schrieb es ihnen das Tragen eines Judenzeichens (»Gelber Fleck«) vor.
die Juden in den Ruf von Brunnenvergiftern kamen, weil sie aufgrund ihrer strengeren Reinheitsvorschriften weniger als Christen von Seuchen betroffen waren?
Warum entstanden die Gettos?
Ausgangspunkt der Diskriminierung von Juden waren die Beschlüsse mehrerer Konzilien, beginnend mit dem 3. Laterankonzil (1179). In zahlreichen Ländern Europas bildeten sich Gettos, zuerst in Valencia/Spanien (1390). Das nach einer Kanonengießerei benannte geto nuovo (italienisch »neue Gießerei«) in Venedig (1516) gab dem Getto schließlich seinen Namen. Rom zwang die Juden 1555 zur Umsiedlung in ein Getto, das mit einer Mauer umgeben wurde. Die Gettos wurden im Zuge der Judenemanzipation aufgelöst, zuletzt das römische (1870). Die Nationalsozialisten pferchten die Juden in Gettos (wie Warschau, Lodz) zusammen, von wo man sie in die Vernichtungslager transportierte.
Handel: Ausweitung des internationalen Warenaustauschs
Seit wann gibt es Handel?
Der Handel gilt als eine der wichtigsten Antriebsfedern der menschlichen Kommunikation. Durch Handel kommen die Menschen miteinander in Verbindung. Handel ist der Auslöser vieler Entdeckungen und Neuerungen.
Die Menschen begannen schon früh miteinander in Handelsbeziehungen zu treten, zunächst in Form des Tauschhandels. Bereits in vorgeschichtlicher Zeit wurden dabei weite Entfernungen überwunden. Die frühen Hochkulturen pflegten Handelskontakte untereinander und mit weniger entwickelten Kulturen. Das Europa der Bronzezeit und der Mittelmeerraum zur Römerzeit waren nicht zuletzt wohl organisierte Handelsnetzwerke; die Seidenstraße (um 100 v. Chr.) verband China und Rom über ca. 6000 Kilometer. In der Völkerwanderungszeit weit gehend unterbrochen, wurden die Handelsbeziehungen im Mittelalter wieder aufgenommen.
Wie belebten die Juden den Fernhandel?
Gegen Ende des 10. Jahrhunderts erlebte der Handel Westeuropas mit der Levante, dem östlichen Teil des Mittelmeeres, eine Wiedergeburt. Maßgeblich waren daran die Juden beteiligt, die in christlichen wie muslimischen Ländern lebten (seit der arabischen Eroberung 638 auch wieder in Jerusalem) und in regem Austausch miteinander standen.
Der Levantehandel öffnete nicht nur die Tür zur arabischen Welt, sondern – da die Araber die aus Asien nach Westen führende Seidenstraße kontrollierten – auch nach Asien und bis in den Fernen Osten. Begehrte Handelswaren waren zum Beispiel Seide, Gewürze, Baumwolle, Elfenbein, Porzellan, Farbstoffe, Perlen und Edelsteine. Außerdem kam auf diesem Weg neues (oder vergessenes) Wissen (zum Beispiel Mathematik oder Medizin) ins christliche Europa.
Wer profitierte vom Aufschwung des Handels?
Die größten Nutznießer waren vor allem die italienischen Stadtstaaten, die zu reichen Seemächten und kulturellen Zentren aufstiegen, die das politische Geschehen ihrer Zeit maßgeblich bestimmten. Vom Aufschwung des Handels während der Kreuzzüge profitierten besonders Genua und Venedig, die auch nach der Abtretung ihrer levantinischen Stützpunkte an die Türken den Levantehandel aufrechterhielten.
Im westlichen Mittelmeer waren die südfranzösischen und katalanischen Hafenstädte (Marseille, Montpellier, Narbonne, Barcelona) vielfach als Zwischenhändler am Handel mit der arabischen Welt beteiligt. Dadurch wirkten sie als Bindeglied eines Wirtschaftsraumes, der Europa, das islamische Afrika, die Levante und Asien umfasste.
Wo wurden die ersten Messen eingerichtet?
Als seit Ende des ersten Jahrtausends die Handelsverbindungen vom Mittelmeerraum nach Nord- und Osteuropa intensiviert wurden, entwickelten sich viele Städte, besonders entlang der Handelsrouten und an Verkehrsknotenpunkten, zu Messestandorten. Unter dem Schutz des Königs oder der Kirche, oft mit Privilegien (reduzierte Zölle und Abgaben, eigene Messegerichtsbarkeit, Aufhebung des Zinsverbots) ausgestattet, wurden diese Messeplätze zu Anziehungspunkten für Händler aus vielen Ländern.
Ihre Reiserouten richteten die Kaufleute mehr und mehr an den Terminen der wichtigsten Messen aus. Ende des 12. Jahrhunderts wurden die sechs Messen der Champagne zeitlich aufeinander abgestimmt. Überflügelt wurden sie Ende des 13. Jahrhunderts durch die flandrischen Städte, vor allem Brügge, Gent und Ypern. Die ersten deutschen Städte mit Messeprivileg waren Frankfurt am Main (1240) und Leipzig (1268).
Warum begannen sich die Kaufleute zu organisieren?
Das Kaufmannsdasein barg einige Risiken. Neben den Gefahren des Reisens war abseits der Messeprivilegien die Rechtsstellung des Kaufmanns in der Fremde oft unsicher. Zur gegenseitigen Unterstützung schlossen sich die Kaufleute daher zu Gilden oder genossenschaftlichen Vereinigungen (Hansen) mit dem Ziel einer gemeinsamen Interessenvertretung zusammen. Deutsche Kaufleute hatten eigene Niederlassungen in London (1157), auf der schwedischen Ostseeinsel Gotland (1161) und im russischen Nowgorod (Ende des 12. Jahrhunderts).
Wann entstand die Hanse?
Um 1230 hob ein Vertrag zwischen Hamburg und Lübeck zur Kontrolle der Handelsrouten zwischen Nordsee und Ostsee die Zusammenarbeit auf die Ebene der Städte. Durch zahlreiche Beitritte wurde dieses Bündnis zu einem mächtigen Städtebund erweitert, der (Städte-)Hanse, formal gegründet auf dem 1. Hansetag in Lübeck 1356. Gemeinsam handelten die Hansestädte Privilegien für die Mitglieder ihres Verbandes aus und verliehen ihren Forderungen durch Handelsboykotte Nachdruck. Die Hanse wurde bald zur beherrschenden Handelsmacht im Nord- und Ostseeraum und in den Gebieten der deutschen Ostkolonisation. Sie besaß aber auch gute Verbindungen in den Orient (über Nowgorod, Lemberg) sowie nach Italien (über Brügge).
Den Höhepunkt ihrer Macht erreichte die Hanse nach einem gewonnenen Krieg gegen Dänemark (1367/68). Ihr Niedergang begann im 15. Jahrhundert, als die aufstrebenden Nationalmonarchien den losen Städtebund überflügelten und sich das Schwergewicht des Handels außerdem nach Übersee verlagerte.
Wussten Sie, dass …
der Hanse in ihrer Blütezeit 180 bis 200 Städte angehörten?
auf dem letzten Hansetag 1669 nur noch sechs Städte erschienen?
die Hanse-Farben Weiß und Rot sich in den Wappen vieler früherer Hansestädte finden?
Lübeck, der Hauptort der Hanse, im ausgehenden Mittelalter nach Köln die zweitgrößte Stadt Deutschlands war? In vielen Hansestädten galt das Lübische (= Lübecker) Stadtrecht.
Wie entstanden die Messen?
Schon der Begriff »Messe« für eine meist regelmäßig an einem bestimmten Ort stattfindende Veranstaltung mit Marktcharakter deutet auf deren ursprüngliche Verbindung zur Kirche: Messen wurde zunächst an religiösen Festtagen, oft am Tag des Namenspatrons einer Kirche, nach der heiligen Messe abgehalten. Da dies wegen der Abhängigkeit von kirchlichen Festtagen in der Regel einmal im Jahr geschah, wurden sie zunächst auch als »Jahrmärkte« bezeichnet. Unter dem Schutz des geistlichen oder weltlichen Herrn konnten Waren verkauft werden, was zunehmend auch Ortsfremde nutzten, besonders in Städten an wichtigen Handelsrouten.
Wandel der Lebensverhältnisse: Agrarrevolution und Kolonisation
Wie entwickelte sich die Bevölkerung?
Das mittelalterliche Europa verzeichnete ein enormes Bevölkerungswachstum. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich zwischen 600 und 1000. Durch eine Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzflächen und ihre effektivere Bebauung musste der Ertrag gesteigert werden, um mehr Menschen zu ernähren. Die Bevölkerungszahlen verdreifachten sich nach der Jahrtausendwende in Frankreich und Deutschland bis zum Ausbruch der großen Pestepidemie Mitte des 14. Jahrhunderts.
Welche Bedeutung hatte die Landwirtschaft?
Die Landwirtschaft besaß im Mittelalter eine überragende Bedeutung. Im Frühmittelalter arbeitete fast jeder in der Landwirtschaft, die Übrigen – geistliche und weltliche Herren mit ihrem Hof – wurden durch Frondienste ernährt, welche die abhängige Bevölkerung ihnen zu leisten hatte. Um 1500 waren immer noch vier von fünf Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt, und selbst in den Städten, wo neue Berufe und Lebensformen (als Kaufmann, Amtsträger) entstanden, wurde in großem Umfang landwirtschaftlich produziert.
Wie veränderte sich die Stellung der Bauern?
Durch den Einfluss der Städte und ihrer Märkte gewann auch für viele Bauern die Geldwirtschaft gegenüber der Naturalwirtschaft an Bedeutung. Ihren über den Eigenbedarf hinausgehenden Ertrag konnten sie nun mit Handelspartnern ihrer Wahl gegen Geld (und gegen andere Waren) eintauschen, wodurch sich ihre Abhängigkeit vom Grundherrn verringerte. So traten die Bauern in den arbeitsteiligen Warenkreislauf ein, wodurch sie allerdings mit der Zeit ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit verloren. Sie waren nun auf den Erlös ihrer Erzeugnisse angewiesen, zumal auch häufig die Frondienste durch finanzielle Abgaben abgelöst wurden.
Neugründungen von Siedlungen im Rahmen des Landesausbaus erhielten meist rechtliche Vergünstigungen vom Grundherrn, der sich davon neben einem Zuwachs an Macht auch zusätzliche Einnahmen versprach. Diese Vorzüge konnten unter anderem in verminderten Abgaben, in dörflicher Selbstverwaltung oder in Freizügigkeit bestehen. Sie wirkten bald auch auf die schon länger bestehenden Dörfer zurück und führten insgesamt zu einer Verbesserung der rechtlichen Stellung der Bauern.
Was versteht man unter Binnenkolonisation?
Bei der Binnenkolonisation, die zunächst eine Folge des Bevölkerungswachstums war, wurden weitere Flächen erschlossen und damit eigene Siedlungsgebiete erweitert. Küstenbereiche wurden durch Eindeichung, Moorgebiete durch Trockenlegung und Waldflächen – auch in den Mittelgebirgen – durch Rodung erschlossen. Dörfer wurden gegründet, die im Gegensatz zu den gewachsenen Haufendörfern planmäßig angelegt waren, oft entlang einer Straße (Straßendorf) oder um einen Dorfplatz herum (Angerdorf).
Die Binnenkolonisation war begleitet von einer umfangreichen Migration (Wanderung). Vor allem denjenigen Bauernsöhnen, die den väterlichen Hof nicht erbten, bot sie die Chance, in der Fremde eine eigene Existenz aufzubauen. Die Kultivierung der neu erschlossenen Siedlungsgebiete sowie die Ausstattung der Höfe mit Vieh und Ackerbaugeräten mussten die Bauern selbst leisten.
Wie wurde die Landwirtschaft intensiviert?
Im Laufe des Hochmittelalters wurden die Ackerflächen mehr als verdoppelt und die Besiedlung dadurch dichter. Der Getreideanbau wurde ausgedehnt, weil er eine bessere Ernährung der Bevölkerung gewährleistete als die Weidewirtschaft. Die Dreifelderwirtschaft, der Wechsel von Sommergetreide (Hafer, Gerste), Wintergetreide (Roggen, Dinkel) und Brache, brachte eine weitere Ertragssteigerung, weil nun nicht mehr die Hälfte, sondern nur noch ein Drittel der Ackerfläche zur Regeneration brachliegen musste. Das leistungsfähigere Pferd verdrängte den Ochsen als Zug- und Arbeitstier. Dreschflegel, Hufeisen und eisenbeschlagenes Wagenrad, Wasser- und Windmühle und andere Neuerungen bedeuteten weitere Verbesserungen. Der Ertrag konnte im Verhältnis zur Aussaat gesteigert werden, und neben Getreide wurden nun auch Weinreben, Flachs und Hanf angebaut.
Der Landesausbau, der seinen Anfang in der Île-de-France (Region um Paris) genommen hatte, erfasste weite Teile Europas und erreichte durch die (deutsche) Ostkolonisation (12.–14. Jahrhundert) auch die von Slawen bewohnten Gebiete Ostmitteleuropas.
Warum kam es zu einer Krise?
Trotz der Errungenschaften des Landesausbaus kam es bereits im frühen 14. Jahrhundert zu einer Krise, weil die Landwirtschaft kaum die Ernährung der stark gewachsenen Bevölkerungszahl gewährleisten konnte. Lebensmittelknappheit führte zu einem Bevölkerungsrückgang. Die Pest, die Europa Mitte des 14. Jahrhunderts heimsuchte, beendete die Zeit des Landesausbaus und die Ostkolonisation. Dramatische Menschenverluste ließen den Nahrungsmittelbedarf zurückgehen, die Preise für Agrarprodukte verfielen. Andererseits stiegen wegen Arbeitskräftemangels die Löhne. Viele Menschen zogen nun in die Städte, zahlreiche Siedlungsplätze wurden aufgegeben. Die Wälder dehnten sich aus, auch die Viehwirtschaft gewann wieder an Bedeutung.
Auf dem Land wie in der Stadt führte die Neuverteilung des Besitzes zu sozialen Konflikten und Umwälzungen. Westlich der Elbe konnte das System der Leibeigenschaft nicht mehr aufrechterhalten werden. Vielfach – wegen des Mangels an Geistlichen auch bei den Kirchenpfründen – kam es zu einer Konzentration des Grundbesitzes, was den Anbau von Spezialkulturen wie Obst oder Wein lohnte.
Was war die Ostkolonisation?
Als Ostkolonisation oder (Deutsche) Ostsiedlung wird das Vordringen deutscher Siedler nach Ostmitteleuropa vom 12. bis zum 14. Jahrhundert bezeichnet. Getragen wurde sie in der Hauptsache von den Fürsten östlicher Reichsgebiete, etwa dem Markgrafen Albrecht von Brandenburg (um 1100–1170) und Herzog Heinrich der Löwe von Sachsen und Bayern (um 1129–1195). Heinrich führte 1147 den von Bernhard von Clairvaux parallel zum 2. Kreuzzug propagierten Wendenkreuzzug, der die Ostkolonisation durch die Christianisierung der Obotriten voranbrachte. Die Germanisierung erfolgte 1) durch Gründung von bäuerlichen Siedlungen, von Städten und Klöstern, 2) an der Küste durch die wirtschaftliche Tätigkeit der Hanse, 3) in Ostpreußen, Kurland und Livland durch den Deutschen Orden. Mit der Großen Pest Mitte des 14. Jahrhunderts endete die Siedlungsbewegung.
Wussten Sie, dass …
die Endsilbe –rode (oder –reuth/-rath) im Ortsnamen auf die Gründungsgeschichte hinweist? Sie findet sich bei vielen im Hochmittelalter (etwa von der Mitte des 11. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts) durch Rodung entstandenen Siedlungen.
der Zisterzienserorden nach zahlreichen Klostergründungen im Slawengebiet einen bedeutenden Beitrag zum Landesausbau leistete?
an den Folgen der Großen Pest in Europa zwischen 1347 und 1352 über 25 Millionen Menschen starben?
Spätmittelalterliche Krisen: Krieg, Pest und Kirchenspaltung
Was löste den Hundertjährigen Krieg aus?
Ein Thronfolgestreit. Als der französische König Karl IV. (reg. seit 1322) im Jahr 1328 ohne männlichen Erben starb, bedeutete dies das Ende der seit 987 regierenden Kapetinger. Karls Neffe, der englische König Eduard III. (1312–1377, reg. seit 1327), beanspruchte die Nachfolge auf den Thron Frankreichs; ihm wurde aber Karls Vetter Philipp VI. (1293 bis 1350, reg. seit 1328) vorgezogen.
Welche Spannungen zwischen England und Frankreich gingen voraus?
Seit Wilhelm der Eroberer (um 1027–1087) von der Normandie aus England erobert und sich zum König gekrönt hatte (1066), besaßen die englischen Könige große französische Gebiete als Lehen – für Frankreich stellte das eine andauernde Bedrohung dar. Andererseits befand sich Flandern, das Hauptabsatzgebiet für englische Wolle und damit wichtiger Handelspartner Englands, in politischer Abhängigkeit von Frankreich. Als Philipp 1337 im schottischen Thronstreit Partei gegen Eduard ergriff und ihm sein Lehen, das Herzogtum Guyenne, entzog, erklärte sich Eduard III. 1338 zum französischen König und landete in Antwerpen, um Frankreich anzugreifen.
Wie verlief der Krieg?
Der Krieg zwischen England und Frankreich war nicht tatsächlich ein 100 Jahre dauernder Waffengang. Er bestand vielmehr aus drei größeren Kriegsphasen, die immer wieder von Waffenstillständen unterbrochen wurden. Am Ende der ersten Phase, die durch den Frieden von Brétigny 1360 markiert wurde, beherrschte England große Teile Frankreichs. Neun Jahre später nahm Frankreich unter Karl V. (1338–1380, reg. seit 1364) den Krieg wieder auf und konnte die Engländer bis 1375 deutlich zurückdrängen. Nach dem Tod Eduards (1377) und seines Sohnes und besten Feldherrn Eduard (»Schwarzer Prinz«, 1330–1376) gewann Frankreich weiteres Terrain zurück.
Wer trug am Ende den Sieg davon?
Die dritte und längste Phase des Hundertjährigen Krieges eröffnete König Heinrich V. von England (1387–1422, reg. seit 1413) und besiegte Frankreich 1415 bei Azincourt. Das verbündete Burgund besetzte 1418 Paris. Im Vertrag von Troyes (1420) erreichte Heinrich seine Anerkennung als Nachfolger des französischen Königs Karl VI. (1368–1422, reg. seit 1380). Dessen Sohn Karl VII. (1403–1461, reg. seit 1422) fand sich mit dieser Lage aber nicht ab und kämpfte weiter um die französische Krone. Nachdem Jeanne d'Arc, die »Jungfrau von Orléans« (1412–1431), die Stadt Orléans von englischer Belagerung befreit hatte, konnte sich Karl 1429 in Reims, in der Krönungskathedrale der französischen Könige, krönen lassen. Bis 1453 gelang es ihm, seit 1435 im Bündnis mit Burgund, die Engländer nahezu vollständig vom französischen Festland zu verdrängen.
Wie wütete die Große Pest in Europa?
Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wurde Europa – wie auch große Teile der übrigen Welt – von einer Epidemie heimgesucht: 1338 brach in der Mongolei die Beulenpest aus und fand über die Fernhandelsverbindungen den Weg nach Westen. Über die genuesisch beherrschte Stadt Kaffa kam sie nach Genua (1347) und wütete danach fünf Jahre lang in Europa. Der »Großen Pest« fiel etwa ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer, ca. 25 Millionen Menschen. Während einige Städte (zum Beispiel Mailand, Nürnberg, Lüttich) und Territorien (zum Beispiel Böhmen, der größte Teil Polens) verschont blieben, wurden anderswo ganze Landstriche entvölkert.
Da »Pest« damals ein Sammelbegriff für alle Seuchen war, müssen nicht alle Opfer zwangsläufig an der Beulenpest gestorben sein, vermutlich grassierten in einigen der betroffenen Gebiete auch Lungenpest, Milzbrand oder andere ansteckende Krankheiten.
Warum verlor die Kirche ihre Glaubwürdigkeit?
Die Scholastik (von lateinisch schola = »Schule«), die seit dem 9. Jahrhundert an den Universitäten, Kloster- und Domschulen als theologisch-philosophische Wissenschaft gelehrt wurde, genügte dem einfachen Volk nicht. Statt sich mit gelehrten Abhandlungen über die Vereinbarkeit des christlichen Glaubens mit (antikem oder neuem) Wissen zu beschäftigen, suchten viele Menschen mystische Erfahrungen oder folgten radikalen Ideen.
Als weltliche Herren hatten die Päpste viel von ihrem moralischen Ansehen eingebüßt, weil sie nun erkennbar eigene Interessen vertraten und bereit waren, sie – auch mit militärischen Mitteln – durchzusetzen. Seit 1309 befanden sich die Päpste in französischer Abhängigkeit und residierten in Avignon. Korruption und ausschweifende Hofhaltung beschädigten ihr Ansehen weiter und machten neue Finanzquellen notwendig, Ämter- und Ablassverkauf wurden eingeführt.
Wie kam es zur Spaltung der Christenheit?
Als Papst Gregor XI. (1370–1378) die »babylonische Gefangenschaft der Kirche« 1377 beendete und nach Rom zurückkehrte, stand die schwerste Krise der katholischen Kirche noch bevor: das Große Abendländische Schisma. Nach Gregors Tod wurden zwei Nachfolger gewählt, Urban VI. (1378–1389) und Gegenpapst Klemens VII. (1379–1394), der wieder nach Avignon ging. Die Christenheit des Abendlandes war geteilt in zwei rivalisierende Obödienzen (Anhängerschaften, von lateinisch oboedire = »gehorchen«) – England, Portugal, Italien und (mehrheitlich) das Reich stellten sich auf die Seite Roms, Frankreich, Schottland, Neapel und andere hielten zu Avignon. Erst das Konstanzer Konzil (1414–1418) beendete durch die Wahl Martins V. (1417–1431) das Schisma, ohne die Kirche jedoch wirklich zu erneuern.
Wussten Sie, dass …
der Hundertjährige Krieg auf beide Kriegsgegner eine nachhaltige Wirkung hatte? Zur Finanzierung des Krieges wurden höhere Steuern erhoben, was in England 1381 zur Bauernerhebung unter Wat Taylor führte. Lange Krisen erschütterten beide Länder, woraus in Frankreich das Königtum, in England das Parlament gestärkt hervorging.
während die Pest in Europa wütete, die schwärmerisch-fromme Laienbewegung der Flagellanten (auch Geißler) in Ungarn, Deutschland, den Niederlanden und England mit öffentlichen Bußübungen und Selbstgeißelung als Mittel zur Befreiung von der Sünde in Erscheinung trat? Ihre Anhänger zogen umher und hetzten vielerorts die Bevölkerung gegen die Juden auf – und gegen die Kirche, wenn diese die Juden schützen wollte.
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