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Wilhelm II.

deutscher Kaiser und König von Preußen 18881918, * 27. 1. 1859 Potsdam,  4. 6. 1941 Haus Doorn, Provinz Utrecht (Niederlande); Enkel von Wilhelm I., Sohn von Kaiser Friedrich III. und dessen Gemahlin Viktoria, vermählt in erster Ehe mit Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein (* 1858,  1921), in zweiter Ehe 1922 mit Prinzessin Hermine von Schönaich-Carolath (* 1887,  1947). Nach seiner Thronbesteigung (15. 6. 1888) entfremdete sich Wilhelm schnell durch seine Sozialpolitik Bismarck, den er 1890 zum Rücktritt zwang, ohne selbst in der Lage zu sein, das Reich konsequent zu führen. Nach der Daily-Telegraph-Affäre 1908, die Wilhelms Selbstbewusstsein entscheidend traf, regierte er streng konstitutionell; im 1. Weltkrieg ließ er sich von der Obersten Heeresleitung fast ganz ausschalten. Außenpolitisch schwankte er zwischen einer Vorliebe für England, das er jedoch durch seinen Flottenbau herausforderte, und dem Wunsch nach Ausgleich mit Russland (Björkövertrag) und Frankreich. Trotz seines Festhaltens am Zweibund mit Österreich-Ungarn (Bosnische Krise 1908) versuchte er in der Julikrise 1914 ernsthaft, aber zu spät, den Frieden zu erhalten. Nach dem militärischen Zusammenbruch des Deutschen Reichs im 1. Weltkrieg und nach der Novemberrevolution trat Wilhelm am 10. 11. 1918 auf Rat Hindenburgs auf niederländischen Boden über, wo er nach seiner Thronentsagung am 28. 11. 1918 in Haus Doorn zurückgezogen lebte.
Wilhelm II. (Deutscher Kaiser)
Wilhelm II. (Deutscher Kaiser)
Wilhelm II. sorgt für Verstimmung
Wilhelm II. sorgt für Verstimmung
Das "Daily-Telegraph"-Interview von Kaiser Wilhelm II., erschienen am 28. Oktober 1908, das in England Verärgerung auslöst (Ausschnitte):

ihr Engländer ... seid verrückt, verrückt, verrückt wie die Märzhasen. Was ist über euch gekommen, dass ihr euch so völlig einem Argwohn überlassen habt, der einer großen Nation ganz unwürdig ist? Was kann ich mehr tun, als ich schon getan habe? Ich habe mit allem Nachdruck, der mir zu Gebote steht, in meiner Rede in der Guildhall [1907 in London] erklärt, dass das Ziel meines Herzens der Friede ist und einer der mir teuersten Wünsche, in den besten Beziehungen zu England zu leben ...

Meine Aufgabe ist keine von den leichtesten. Die vorherrschende Empfindung in großen Teilen der mittleren und unteren Klassen meines Volkes ist England nicht freundlich. Ich bin also sozusagen in einer Minderheit in meinem eigenen Land, aber sie ist eine Minderheit der besten Elemente, geradeso wie in England gegenüber Deutschland ...
Im Allgemeinen glaubt man in England, während der Dauer des südafrikanischen Krieges sei Deutschland feindlich gesinnt gewesen. Zweifellos war die öffentliche Meinung in Deutschland den Engländern feindlich - bitter feindlich. Die Presse war feindlich; die private Meinung war es. Aber wie ist es mit dem offiziellen Deutschland? ... Gerade während ihrer schwarzen Woche, im Dezember 1899, ... empfing ich einen Brief von der Königin Victoria, meiner verehrten Großmutter, der in Sorge und Kummer geschrieben war und deutliche Spuren der Angst trug ... Ich ließ mir durch einen meiner Offiziere einen möglichst genauen Bericht über die Zahl der Kämpfer auf beiden Seiten in Südafrika und über die momentane Stellung der einander gegenüberstehenden Streitkräfte beschaffen. Mit den Zeichnungen von mir, arbeitete ich einen Plan aus ... Dann sandte ich ihn eiligst nach England ...
Als merkwürdiges Zusammentreffen lassen sie mich hinzufügen, dass der von mir aufgestellte Plan dem sehr nahe kam, der wirklich von Lord Roberts angenommen und von ihm erfolgreich ausgeführt wurde ...
Aber, werden sie fragen, was ist mit der deutschen Flotte? Meine Antwort ist klar. Deutschland ist ein junges, wachsendes Reich ...
Deutschland muss eine mächtige Flotte haben ... Es kann wohl einmal geschehen, dass England selbst froh sein wird, dass Deutschland eine Flotte hat, wenn beide Länder gemeinsam auf derselben Seite ihre Stimme erheben werden in den großen Debatten der Zukunft."
Er will das Höchstgefährliche...
Er will das Höchstgefährliche...
Ein widersprüchliches Persönlichkeitsbild Kaiser Wilhelms II. zeichnete der Dichter Theodor Fontane in einem Brief an einen Freund (5. 4. 1897):

Was mir an dem Kaiser gefällt, ist der totale Bruch mit dem Alten, und was mir an dem Kaiser [nicht] gefällt, ist das im Widerspruch dazu stehende Wiederherstellenwollen des Uralten. In gewissem Sinne befreit er uns von den öden Formen und Erscheinungen des alten Preußentums, er bricht mit der Ruppigkeit, der Popligkeit, der spießbürgerlichen Sechsdreierwirtschaft der 1813er Epoche, er lässt sich, aufs Große und Kleine hin angesehen, neue Hosen machen, statt die alten auszuflicken. Er ist ganz unkleinlich, forsch und hat volles Einsehen davon, dass ein Deutscher Kaiser was andres ist als ein Markgraf von Brandenburg. Er hat eine Million Soldaten und will auch hundert Panzerschiffe haben; er träumt (ich will ihm diesen Traum hoch anrechnen) von einer Demütigung Englands. Deutschland soll obenan sein, in all und jedem. Das alles - ob es klug und ausführbar ist, lass ich dahingestellt sein - berührt mich sympathisch, und ich wollte ihm auf seinem Turmseil willig folgen, wenn ich sähe, dass er die richtige Balancierstange in Händen hätte. Das hat er aber nicht. Er will, wenn nicht das Unmögliche, so doch das Höchstgefährliche, mit falscher Ausrüstung, mit unausreichenden Mitteln. Er glaubt das Neue mit ganz Altem besorgen zu können, er will Modernes aufrichten mit Rumpelkammerwaffen; er sorgt für neuen Most und weil er selber den alten Schläuchen nicht mehr traut, umwickelt er eben diese Schläuche mit immer dickerem Bindfaden und denkt: nun wird es halten. Es wird aber [nicht] halten...
Preußen - und mittelbar ganz Deutschland - krankt an unsren Ost-Elbiern. Über unsren Adel muss hinweggegangen werden; man kann ihn besuchen wie das ägyptische Museum und sich vor Ramses und Amenophis verneigen, aber das Land [ihm] zu Liebe regieren, in dem Wahn: Dieser Adel sei das Land - das ist unser Unglück, und so lange dieser Zustand fortbesteht, ist an eine Fortentwicklung deutscher Macht und deutschen Ansehens nach außen hin gar nicht zu denken. Worin unser Kaiser die Säule sieht, das sind nur [tönerne Füße]. Wir brauchen einen ganz andren Unterbau. Vor diesem erschrickt man; aber wer nicht wagt, nicht gewinnt. Dass Staaten an einer kühnen Umformung, die die Zeit forderte, zu Grunde gegangen wären - [dieser] Fall ist sehr selten. Ich wüßte keinen zu nennen. Aber das Umgekehrte zeigt sich hundertfältig.
Ein Embryoid am 8. Tag. ©M. Zernicka-Goetz
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