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Das Christentum – eine internationale Erfolgsgeschichte

Das Christentum hat sich in den letzten beiden Jahrtausenden auf eine ganz erstaunliche Weise ausgebreitet. Entstanden ist es zunächst als kleine Gruppe innerhalb des Judentums, als religiöse Reformbewegung in einer Kultur, die unter römischer Besatzung stand und sich abseits der großen geistigen Bewegungen der Zeit befand. Von Palästina breitete sich die neue Religion zunächst über die Städte des weiten Imperium Romanum aus, fasste dann auch im Perserreich Fuß und gelangte sogar bis nach Indien. Im Mittelalter wurde dann ganz Europa christianisiert, von dort verbreitete sich die Religion im Zuge der europäischen Expansion über die gesamte Welt.

Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts ist das Christentum mit über zwei Milliarden Anhängern zum Glauben für nahezu ein Drittel der Weltbevölkerung geworden. Es hat sich über mehr Kulturen ausgebreitet als jede andere Weltreligion und dabei sehr viele unterschiedliche Einflüsse aufgenommen. Trotzdem ist das Christentum aufgrund der hierarchischen Institutionsstrukturen, die es in Form verschiedener Kirchen herausgebildet hat, ein in Lehre und Ritus weitgehend einheitlicher Glaube geblieben.

Den entscheidenden Beitrag zur Anziehungskraft des Christentums und somit zu seiner raschen Ausbreitung leistete die zentrale Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Sein Triumph über den Tod galt den Gläubigen als Beweis des nahen Endes der Welt und der baldigen Ankunft des Reiches Gottes auf Erden. Auch wenn die Kirche als Institution im Laufe ihrer Geschichte immer wieder Kritik erfahren hat, so haben die Botschaft vom auferstandenen Christus und die Verheißung des Gottesreiches ihre Faszination nicht eingebüßt.

Jesus von Nazareth: Ein Prophet mit weitreichender Botschaft

Wie verbrachte Jesus seine Kindheit?

Aufgewachsen ist Jesus vermutlich in Nazareth. Dieser Ort wird in den Evangelien mehrfach als sein Heimatort genannt. Die Evangelisten Matthäus und Lukas berichten allerdings, dass Jesus in Bethlehem geboren sei. Danach seien seine Mutter Maria und sein Vater Josef, ein Zimmermann, mit dem Kind nach Nazareth in Galiläa gezogen. Mit Sicherheit ist Jesus in einer religiösen Umgebung aufgewachsen, die Evangelien berichten von seiner Mizwa, die er im Alter von etwa zwölf Jahren beging. Wahrscheinlich gehörte Jesus als junger Mann der großen religiösen Bewegung der Pharisäer an. Darauf weisen einige der theologischen Diskussionen mit den konkurrierenden Sadduzäern hin, die in den Evangelien erwähnt werden. Weiterhin soll Jesus von Pharisäern gewarnt worden sein, dass er von den Römern als Unruhestifter gesucht würde.

Wie kam Christus zu seinen Jüngern?

Im Alter von etwa 30 Jahren traf Jesus auf Johannes den Täufer, von dem er sich taufen ließ und dessen religiöser Reformbewegung er sich anschloss. Johannes der Täufer predigte und verkündete das baldige Gericht Gottes und rief die Menschen zur Umkehr auf.

Vermutlich gewann Jesus die ersten Anhänger am See Genezareth. Er berief zunächst Fischer zu seinen Jüngern, darunter Petrus und Andreas, die in dem Ort Kapernaum am westlichen Ufer des Sees lebten. Petrus besaß dort mit seiner Frau und seiner Mutter ein Haus. Die Jünger betrachteten Jesus als ihren Lehrer und trugen nach seinem Tod seine Botschaft vom nahenden Reich Gottes weiter.

Wie zuverlässig sind die Evangelien?

Die Angaben der Evangelien bezüglich der Wege, die Jesus gezogen sein soll, sind historisch nicht zuverlässig, sondern symbolisch zu verstehen. Weder die überlieferte Zahl zwölf als Anzahl der Jünger geht auf Jesus selbst zurück noch die Bezeichnung »Apostel« (griechisch »Sendbote«). Die Zahl Zwölf soll auf die Zahl der Stämme Israels bei der Einwanderung in das gelobte Land verweisen.

War Jesus Christus der Sohn Gottes?

Die Bezeichnungen »Messias« (»Gesalbter«, griechisch »christos«) oder »Sohn Gottes« hat Jesus nicht für sich selber verwendet. Wohl aber haben ihn seine Anhänger, folgt man den Evangelien, so verstanden. So antwortet Petrus auf die Frage Jesu, was die Leute sagten, wer er sei: »Du bist Christus, der Sohn Gottes!«

In welchem Kontext stehen die Worte Jesu?

Die Predigten des Jesus von Nazareth fanden in einer Zeit statt, in der viele Prediger über das bevorstehende Reich Gottes und das Ende der Welt sprachen und dazu aufriefen, sich auf das Kommen Gottes vorzubereiten. Seine Kernsätze entsprechen der religiösen Tradition des Judentums: Das Doppelgebot der Liebe (»Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst«) und die »Goldene Regel« (»Was du willst, das dir die anderen tun, das tue ihnen«) waren nicht neu. Er diskutierte mit Pharisäern und Sadduzäern über die Auslegung der alttestamentlichen Gesetze. Die moderne historisch-kritische Forschung hat gezeigt, dass ein großer Teil der überlieferten Worte Jesu vermutlich gar nicht aus seinem Munde stammen, sondern das Produkt späterer theologischer Entwicklungen sind.

Wussten Sie, dass …

die volkstümliche Anrede »Rabbi«, mit der Jesus im Evangelium angesprochen wird, nahe legt, dass er tatsächlich Rabbiner war?

Jesus möglicherweise erst mit Johannes' gewaltsamem Tod begann, zu lehren und zu predigen?

Jesus in seinen Predigten in der Erwartung, das Ende der Geschichte sei gekommen, zur Buße aufrief?

Welche geschichtlichen Zeugnisse gibt es über das Leben von Jesus?

Weder die Geburt noch das genaue Todesjahr Jesu sind historisch gesichert. Eine der wenigen außerchristlichen Quellen ist der römische Geschichtsschreiber Tacitus (55 bis 115), der in seinem Bericht über den Brand Roms unter Kaiser Nero die dabei ausgelöste Christenverfolgung erwähnt. Er vermerkt, dass der Name »Christen« auf einen Mann namens »Christus« zurückgehe, der unter Pontius Pilatus zum Tode verurteilt worden war. Aber diese Bemerkung kann auch auf im Volk kursierende Gerüchte zurückgehen. Der jüdische Historiker Flavius Josephus berichtet von der Hinrichtung eines weisen Mannes namens Jesus.

Warum wurde der Prediger hingerichtet?

Offenbar wurde er von der römischen Besatzungsmacht als politischer Rebell gefürchtet. Historisch zutreffend ist die Angabe, dass Jesus zuletzt in das Zentrum des religiösen Lebens, in die Stadt Jerusalem gezogen ist. Ob er dort tatsächlich so triumphal einzog, wie es die Berichte der Evangelien wiedergeben, ist nicht belegt. Mit Sicherheit aber kam es dort zu seiner Festnahme und anschließenden Verurteilung. Die Art der Hinrichtung, die Kreuzigung, lässt darauf schließen, dass er als politischer Unruhestifter angeklagt und verurteilt wurde. Die Verhängung der Todesstrafe war ausschließlich der römischen Besatzungsmacht vorbehalten. Die religiöse Seite seiner Festnahme war eine Angelegenheit des jüdischen Synedrions, des obersten jüdischen Gerichts. In den letzten Jahren hat sich die Annahme gefestigt, dass der angebliche Ruf der jüdischen Menge vor dem Gericht, »Kreuzige ihn!«, den geschichtlichen Tatsachen nicht entspricht.

Warum entlastet das Evangelium Pilatus?

Offenbar wollten die Verfasser der Evangelien in einer Zeit, in der in Rom bereits christliche Gemeinden entstanden waren, die römische Besatzungsmacht von dem Vorwurf eines ungerechtfertigten Todesurteils entlasten. Entsprechend ist auch die Bemerkung des Pilatus, des römischen Statthalters, zu verstehen, er wasche seine Hände in Unschuld, denn er könne keine Schuld des Angeklagten feststellen.

Was machten die Jünger nach der Kreuzigung?

Die Anhängerschaft Jesu wurde nach dessen Hinrichtung zunächst in eine tiefe Krise gestürzt. Ein großer Teil seiner Anhänger floh nach Galiläa und in ihre Heimatorte. Wie es dazu kam, dass sie wieder nach Jerusalem zurückkehrten, ist nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. Entscheidend war offensichtlich, dass nur drei Tage nach dem Tod ihres religiösen Führers das leere Grab entdeckt wurde. Jedenfalls berichten dies die Evangelien – mit Ausnahme des ältesten, des Markusevangeliums, dessen Berichte über die Auferstehung erst später hinzugefügt wurden.

Die Evangelien betonen immer wieder, dass schon früh von seiner Auferstehung erzählt wurde und er einzelnen Jüngern in Visionen erschien. So wird über Petrus berichtet, er sei aus Galiläa nach Jerusalem zurückgekehrt, weil eine Jesusvision ihn zur Umkehr bewegt habe. Er sammelte die Anhänger Jesu in Jerusalem und begann, unter den Juden zu missionieren. Über die Anfänge der neuen Glaubensgemeinschaft wissen wir aus historischen Berichten nur wenig. Offenbar bildete die so genannte Urgemeinde eine enge Gemeinschaft.

Wie entwickelte sich die christliche Lehre?

Die Apostelgeschichte des Lukas idealisiert die ersten Christen folgendermaßen: »Alle gläubig Gewordenen hatten alles miteinander gemeinsam. Sie verkauften ihren Besitz, ihre Habe und verteilten sie an alle, je nachdem einer bedürftig war. Täglich weilten sie einmütig im Tempel, brachen reihum in den Häusern das Brot und nahmen Speise zu sich in Fröhlichkeit und Schlichtheit des Herzens. Sie priesen Gott und waren […] beliebt.« Auch scheinen bereits die ersten Christen neue Mitglieder durch die Taufe aufgenommen zu haben. Wie Jesus blieben seine Anhänger zunächst dem jüdischen Glauben treu. Doch der Inhalt ihres Glaubens veränderte sich zusehends. Stand in der Predigt Jesu das Kommen des Gottesreiches noch im Zentrum, so wurde für die ersten Christen ein anderer Inhalt zentral: Jesus sei der kommende Messias, an dessen Wiederkehr und Heilsgewalt man glauben solle. Die neue Botschaft führte zur Trennung von der jüdischen Tradition. Inzwischen hatten sich in Griechenland, Kleinasien und sogar in Rom eigene Gemeinden gebildet. Als der Tempel in Jerusalem durch die Römer zerstört und viele Juden deportiert wurden, hatte die ehemalige Endzeitsekte längst eine neue Identität gefunden. Sie löste sich vom Symbol des zentralen Tempels in Jerusalem und feierte eigene Gottesdienste, in denen des Todes und der Auferstehung als Grund für die eigene Erlösung gedacht wurde.

Wie lässt sich das tatsächliche Geburtsjahr Jesu ermitteln?

Was die Lebensdaten Jesu angeht, so sind die Evangelien nicht genau. Angeblich wurde Jesus in Bethlehem unter einer besonderen Sternkonstellation geboren – dem »Stern von Bethlehem«. Astronomische Rekonstruktionen ergeben das Jahr 7 oder 6 vor der Zeitenwende als Geburtsjahr. Der zweite Hinweis, dass Jesus zur Zeit einer Steuerschätzung unter Kaiser Augustus geboren sei, lässt keine Rückschlüsse zu, denn ein solcher Erlass ist nicht bekannt. Wohl aber wurde, als Samaria und Judäa dem römischen Statthalter in Syrien unterstellt wurden, eine Zählung und Vermögensschätzung in diesen Provinzen vorgenommen. Dieses Ereignis fällt in das Jahr 6 nach der Zeitenwende.

Wussten Sie, dass …

Jesus bei seinem provokanten Einzug in Jerusalem, dem religiösen und staatlichen Zentrum Israels, wohl tatsächlich seinen eigenen Tod einkalkulierte?

Geißelungen zum üblichen Vorspiel bei römischen Hinrichtungen gehörten?

Jesus den bei römischen Kreuzigungen üblichen Betäubungstrank aus Myrrhe abgelehnt haben soll?

die Vergöttlichung des von der römischen Besatzungsmacht zum Tode verurteilten Aufständischen durch seine Jünger bei den gläubigen Juden Ärger erregte? Es kam zu einem Predigtverbot durch die jüdischen religiösen Autoritäten.

Petrus und Paulus: Missionare und Märtyrer des Christentums

Wie verbreiteten die Apostel das Christentum?

Wie das Christentum sich zu einer neuen Religion entwickelte und über die Grenzen des Judentums hinaus wuchs, darüber gibt das Neue Testament Auskunft. Offenbar, so beginnt die Apostelgeschichte des Lukas, hatte die kleine Gemeinde in Jerusalem eine Erfahrung gemacht, die sie von einer Versammlung verzagter und desillusionierter Menschen zu begeisterten Missionaren der neuen Botschaft gemacht hatte: die »Ausgießung des Heiligen Geistes«. Über die Ausbreitung der Gemeinde erhalten wir aus der Apostelgeschichte nur bezüglich Petrus und Paulus Informationen. Ihre Tätigkeit begann in Jerusalem, dehnte sich jedoch rasch auf andere Städte aus. 30 Jahre nach dem Tod Jesu hatte die Botschaft fast den gesamten östlichen Teil des Römischen Reiches erreicht.

Was weiß man über Petrus und seine Mission?

Einer der wichtigen Köpfe der »Urgemeinde« war Petrus, der nach der Himmelfahrt Jesu die Initiative ergriff, um einen Nachfolger für Judas in den Kreis der Apostel zu wählen. Zusammen mit Johannes hatte er offenbar die Führung der Gemeinde in Jerusalem übernommen. Geboren wurde Petrus in Bethsaida am See Genezareth – er lebte in Kapernaum, als sein Bruder Andreas ihn mit Jesus bekannt machte. Im Kreis der engsten Jünger hatte Petrus wohl bald eine führende Rolle übernommen. Eine Vision überzeugte ihn davon, auch die Nichtjuden zu missionieren, eine Aufgabe, der er sich dann auch gewidmet hat. Das weitere Leben des Petrus ist weitgehend unbekannt. Mit Sicherheit hat er Antiochia besucht, ob er auch in Korinth und Rom war, ist unsicher. Die Annahme, er sei im Jahr 64 während der Christenverfolgung durch Kaiser Nero hingerichtet worden, lässt sich historisch nicht eindeutig belegen. Doch gab es bereits um 200 in Rom einen regelrechten Paulus- und Petruskult. In der Zeit des Kaisers Konstantin wurde über dem Ort des angeblichen Martyriums des Petrus eine Kirche erbaut, aus der später der Petersdom werden sollte.

Wie arbeitete Paulus im Dienst des Christentums?

Vor allem durch seine Missionsreisen. 13 Briefe des Neuen Testaments geben Zeugnis von der Persönlichkeit und dem geistigen Horizont des Juden, der um 3 n. Chr. in Tarsus als Saulus in eine römische Familie geboren wurde. Saulus rechnete sich zur Bewegung der Pharisäer und war an den ersten Gewaltakten gegen die christliche »Urgemeinde« beteiligt. Auf dem Weg nach Damaskus erschien ihm Christus in einer Vision. Saulus wurde zu Paulus, ließ sich taufen und begann, als Missionar die neue Botschaft in Kleinasien und Europa zu predigen. Auf seinen insgesamt über 30000 km langen Reisen gründete er die Gemeinden Philippi, Thessaloniki, Korinth und Ephesus. Als der »Geringste unter den Aposteln«, wie er sich selbst bezeichnete, formulierte er in seinen Briefen an die Gemeinden die ersten festen Glaubensgrundsätze, etwa über die Auferstehung und die Gnade Gottes.

Wie endete der Apostel?

Als Paulus eine Kollekte der Christen nach Jerusalem brachte, wurde er von einer aufgebrachten Menge fast erschlagen. Die römische Besatzungsmacht griff jedoch ein und sicherte ihm, dem römischen Bürger, einen ordentlichen Prozess in Rom zu. Die Apostelgeschichte berichtet, er habe nach seiner Ankunft in Rom noch einige Zeit missionieren können. Historisch wirklich gesichert ist lediglich, dass Paulus in Rom starb. Vermutlich lebte er in leichter Haft, bis ihm unter Kaiser Nero der Prozess gemacht und er dann hingerichtet wurde. Das Christentum verdankt ihm die rasche Verbreitung im Römischen Reich.

Was glaubten die ersten Christen?

Die ersten Christen waren uneins, wie die Verbreitung des Evangeliums zu gestalten sei. Sie blieben dem jüdischen Glauben treu, lebten nach jüdischen Religionsgesetzen und besuchten die Synagogen. Doch weil sie überzeugt waren, Jesus sei der von den Juden erhoffte Messias, entfernte sich die »Urgemeinde« vom tradierten Judentum.

Im Jahr 44 trafen sich in Jerusalem Missionare aus mehreren Ländern. Auf dem Apostelkonzil stritten sie erbittert um die Frage, ob sich neu Getaufte den jüdischen Religionsgesetzen zu unterwerfen hätten, sich also etwa beschneiden lassen müssten. Die Versammlung entschied zugunsten der Heidenmission, wodurch das jüdische Gesetz nicht mehr als bindend galt.

Wussten Sie, dass …

Simon den Beinamen Petrus (griechisch »der Fels«) von Jesus selbst bekommen haben soll?

Petrus während des Verhörs Jesu durch den Hohepriester vor der Kreuzigung seinen religiösen Führer dreimal verleugnet haben soll, wie es Jesus selbst vorhergesagt hatte?

Petrus als erster Papst gilt? Die Päpste sehen sich bis heute in seiner Nachfolge.

Saulus bereits vor seinem »Damaskuserlebnis« parallel den Namen Paulus trug?

von den 13 im Evangelium enthaltenen Paulus-Briefen nur sieben sicher von dem Apostel selbst stammen?

Die Heilige Schrift: Das Buch der Bücher

Was war die Heilige Schrift der ersten Christen?

Die Heilige Schrift war für die ersten Christen die gleiche wie für die Juden: die fünf Bücher Mose, die Propheten, die Psalmen, die Sprüche, das Hiobsbuch und weitere Texte. Doch die christliche Bibel wurde bald erweitert.

Welche Texte ergänzten das Alte Testament?

Als besonders verehrungswürdig wurden die Briefe des Paulus angesehen. Sie wanderten von Gemeinde zu Gemeinde. Doch Jesu Leben und Sterben, seine Predigten und Worte mussten aus der mündlichen Überlieferung in Schriftform gebracht und damit gesichert werden. In Syrien wurden Leben und Botschaft Jesu zum ersten Mal im Zusammenhang niedergeschrieben. Bei dem Autor, der sich selbst Markus nannte, handelt es sich um einen Nichtjuden, worauf seine geringen Kenntnisse der jüdischen Sitten schließen lassen. In griechischer Sprache fügte er einzelne Worte und Szenen aus dem Leben Jesu zu einem Gesamtwerk zusammen. Die Anspielungen auf die Zerstörung des Tempels und die ersten Christenverfolgungen belegen, dass das Evangelium erst nach 70 entstanden sein kann.

Wie arbeiteten die Evangelisten?

Das Evangelium des Matthäus, das in den darauf folgenden 20 Jahren entstand, zeigt stärkere inhaltliche Gestaltungen. Es wurde mit deutlichen Kenntnissen der jüdischen Überlieferung geschrieben und nahm Prophezeiungen aus dem Alten Testament auf, die dann auf Jesus ausgelegt wurden. Auch das Evangelium des Lukas zeigt stärkere inhaltliche Eingriffe dieser Art.

Wie wurden die Evangelien überliefert?

Ein zusammenhängendes »Buch« waren diese Schriften nicht, vielmehr kursierten sie als Einzeltexte in den Gemeinden. Vermutlich wurden zunächst die Paulusbriefe gegen Ende des 1. Jahrhunderts zusammengestellt. Die synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) erfuhren ab der Mitte des 2. Jahrhunderts eine zusammenhängende Überlieferung. Die Bezeichnung »Evangelium« (»frohe Botschaft«) findet sich erst ab Ende des 2. Jahrhunderts. Gegen das Evangelium des Johannes gab es anfangs Bedenken, es wurde erst später als authentischer Bericht des Lebens und der Botschaft Jesu anerkannt. Keiner dieser Texte ist im Original erhalten. Es gibt lediglich Abschriften, deren ältestes Bruchstück– auf Papyrus geschrieben– immerhin vom Anfang des 2. Jahrhunderts stammt.

Welche Schriften waren anerkannt?

Im 2. Jahrhundert kursierten zahlreiche »Geschichten von Aposteln«, deren Missionsarbeit dem Lukas, dem Verfasser der »Apostelgeschichte«, entweder nicht bekannt war oder die er bewusst unterschlagen hatte. Zudem erschien ein neues Evangelium, das ein besonderes Interesse an der Kindheit Jesu zeigte, sowie ein anderes, das die Person des Pilatus nachzeichnete.

Die Bibelwissenschaft nimmt an, dass Marcion, ein um 140 in Rom lebender Kleinasiate, als Erster eine Liste der anerkannten Schriften anlegte, allerdings griff er gleichzeitig in die Texte ein. Er kürzte das Lukas-Evangelium um Stellen, die seiner Überzeugung widersprachen.

Wussten Sie, dass …

der Evangelist Lukas Arzt war?

die drei Synoptiker (von griech. »Zusammenschau«) in Aufbau und Inhalt ähnliche Texte verfassten? Der vierte Evangelist Johannes weicht dagegen deutlich davon ab.

der Begriff des »Kanons« aus dem griechischen Wort für »Maßstab« abgeleitet ist?

der Canon Muratori Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. die vier Evangelien, 13 Briefe des Paulus, die Apostelgeschichte, zwei Johannesbriefe, den Judasbrief und die Offenbarung des Johannes zum Kanon rechnet?

Wie entstand der biblische Kanon?

Bis zum 3. Jahrhundert bildete sich ein Kanon der maßgeblichen Schriften heraus, der weitgehend Zustimmung fand. Umstritten blieben im Westen der Hebräerbrief und im Osten die Offenbarung des Johannes.

Die östliche Kirche beschloss 367 einen Kanon der als »heilig« geltenden Schriften. Der Presbyter der Kirche in Alexandrien zählte in einem Osterbrief 27 »Bücher« auf, die er zum »Neuen Testament« rechnete.

Im Westen wurde die vollständige Liste der »kanonischen« Bücher erst durch die afrikanischen Konzile von Hippo (393) und Karthago (397) als gültig anerkannt. Voraussetzung für die als »kanonisch« anerkannten Schriften war, dass sie von einem Apostel verfasst oder gefördert waren und ihr Inhalt dem allgemeinen Glauben entsprach.

Von der verfolgten Minderheit zur Staatskirche: Der Aufstieg

Wie verbreitete sich die neue Lehre?

Nach dem Tod und der Auferstehung Christi wurde das Christentum durch die Heidenmission im ganzen Römischen Reich verbreitet. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistete die römische Armee. Viele Soldaten waren zum Christentum übergetreten. Durch die häufige Verlegung der Einheiten im ganzen Reichsgebiet waren die Soldaten nicht nur Träger der Romanisierung, sondern auch Botschafter der neuen Religion.

Das Christentum, aber auch andere Religionen, die ihre Wurzeln im Osten hatten, sprachen die Menschen offensichtlich mehr an, als der kühle römische Staatskult. Die Lehre von der Gnade und Erlösung durch das Opfer Jesu bot gerade den Angehörigen der Unterschichten emotionalen Halt.

Wie kam es zum Konflikt mit dem römischen Staat?

Wegen des ersten der Zehn Gebote (»Du sollst keinen Gott neben mir haben«) gerieten viele Christen in Konflikt mit dem römischen Gesetz. Sie durften nicht am Kaiserkult und der römischen Staatsreligion teilnehmen. Ebenso wie die Juden hoben sich die Christen durch ihre religiösen Gesetze von der Gesellschaft ab, in der sie lebten. So wurden sie schnell zur Zielscheibe für Diskriminierung und Verfolgung. Immer wieder initiierten die Kaiser Pogrome und Verfolgungen. Plinius der Jüngere fragte in einer Korrespondenz mit der kaiserlichen Verwaltung in Rom, wie er denn als Provinzstatthalter mit der jüdischen Sekte der »Chresten« verfahren solle. Seine Verhöre hätten einige diffuse Vorwürfe zutage gebracht. Er wisse nicht, was davon er glauben solle.

Die Ablehnung, die die Christen erfuhren, beruhte zum Teil auf Unwissenheit und Missverständnissen. Vor allem das Abendmahl mit der Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi stieß auf Unverständnis und Ablehnung. Neben Fremdenangst und der Ablehnung des Unbekannten hatten die Christenverfolgungen aber auch ordnungspolitische Hintergründe. Denn die Verweigerungshaltung der Christen gegenüber den staatlichen Autoritäten widersprach der Staatsraison. Die Funktionäre der Reichsverwaltung brachten den Göttern Opfer als äußeres Zeichen der Loyalität gegenüber dem Herrscher dar. Den Christen war die Teilnahme an diesen Opfern aber verboten. Dadurch gerieten sie in den Verdacht, den römischen Staat grundsätzlich abzulehnen. Und zumindest was die Lehre der Göttlichkeit des Staatsoberhauptes anbelangte, war dies auch der Fall.

Wie reagierten die verfolgten Christen?

Die frühe christliche Literatur ist geprägt von der Christenverfolgung. Die Schriften der frühen Kirchenväter, wie etwa Tertullian, verwahren sich gegen die vorgebrachten Vorwürfe. Durch die Verfolgungen rückten die Christen immer enger zusammen. Dieser starke Zusammenhalt der Gemeinden und die Feste des christlichen Glaubens, von dem auch die Märtyrerlegenden Zeugnis geben, ließen die Christen in den Augen der Römer noch unheimlicher erscheinen. Doch nach den massiven Verfolgungen, denen die Christen unter Diokletian (245–313) ausgesetzt waren, wendete sich das Blatt langsam.

Wer machte den Verfolgungen ein Ende?

Der römische Kaiser Konstantin (274–337) wurde zum Retter des Christentums. Am Vorabend der Entscheidungsschlacht gegen Maxentius, seinen Rivalen in Italien, soll ihm der Legende nach ein Kreuz oder ein Chi-Rho-Monogramm mit der Inschrift »In diesem Zeichen wirst du siegen« erschienen sein. Nach seinem Sieg an der Milvischen Brücke (312) verfügte Konstantin im Mailänder Toleranzedikt, dass die christliche Religion nicht weiter verfolgt werden dürfe. Konstantin ließ sich nach der Überlieferung zwar erst auf dem Totenbett taufen, er begünstigte aber die Christen bei vielen Gelegenheiten.

Konstantin integrierte die Christen in die Verwaltung des Reiches und übertrug ihnen wichtige Aufgaben. Unter seinen Nachfolgern verdrängten die Christen nach und nach die alte heidnische Elite des Reiches. Julian Apostata, der so genannte Ketzerkaiser und letzte Herrscher aus der konstantinischen Dynastie, versuchte vergeblich, diese Entwicklung umzukehren. Er ließ die verfallenden Tempel der alten Götter restaurieren und hob die Bevorzugung der Christen in der Reichsverwaltung auf. Nach seinem Tod auf einem Feldzug nach Mesopotamien wurden seine Maßnahmen rückgängig gemacht. Das Christentum begann, sich endgültig durchzusetzen. Unter Theodosius dem Großen wurde es 392 als einzig zugelassener Glaube zur Staatsreligion.

Wussten Sie, dass …

der erste Christ, der wegen seines Glaubens den Tod fand, der Diakon Stephanus war? Er wurde vom Synedrion, dem politischen Organ der jüdischen Tempelpriester, wegen Gotteslästerung verurteilt und öffentlich gesteinigt.

die größte Konkurrenz für die neue Religion der unter römischen Soldaten ebenfalls sehr verbreitete Mithraskult war?

das Christentum erst unter Kaiser Trajan (53–117) als eigenständige Religion wahrgenommen und seitdem verfolgt wurde?

Kaiser Konstantin in seiner Jugend den römischen Sonnengott Sol Invictus verehrte und damit bereits eine gewisse Affinität zum Monotheismus an den Tag legte?

Wer verfolgte die Christen?

Zur systematischen Verfolgung der Christen kam es erst ab dem Kaiser Decius (190–251). Zuvor hatte Rom die neue Sekte toleriert, allerdings ohne ihre Anhänger gegen Pogrome zu schützen.

Nach dem Brand Roms 64 n. Chr., den Kaiser Nero (37–68) wohl selbst befohlen hatte, versuchte der Kaiser, die Schuld auf die christliche Minderheit abzuwälzen. In öffentlichen Zirkusspielen wurden die Christen hingerichtet.

Nach weiteren regional begrenzten Pogromen erlebten die Verfolgungen unter den Kaisern Diokletian (240–316) und Galerius (250–311) einen letzten Höhepunkt. Zunächst wurden den Christen die Bürgerrecht aberkannt, schließlich die Todesstrafe gegen alle verhängt, die sich weigerten, dem Kaiser zu opfern.

Christliche Feste: Höhepunkte im Kirchenjahr

Warum wird am 25. Dezember Weihnachten gefeiert?

Seit Anfang des 4. Jahrhunderts feiern die Christen am 25. Dezember die Geburt Jesu. Man vermutet, dass die Kirchenväter dieses Datum wählten, weil die Heiden an diesem Tag das Fest des Sonnengottes Mithras feierten: ein Feiertag, der 274 von Kaiser Aurelian eingeführt worden war und im Volk sehr populär war. Christus war schließlich die »Sonne der Gerechtigkeit« und das »Licht der Welt«. Auch die altrömischen Saturnalien wurden in diesem Zeitraum (am 19. Dezember) gefeiert. Seit dem 4. Jahrhundert wird das Fest der Geburt Christi durch die drei- bis vierwöchige Adventszeit eingeläutet. In der Neuzeit verlagerte sich der Beginn des Weihnachtsfestes auf den Abend des 24. Dezembers.

Was heißt »Epiphanie«?

Der Name des Festtages (6. Januar) ist vom griechischen epiphaneia für »Erscheinung, Offenbarwerden« hergeleitet. Erinnert wird an drei Ereignisse im Leben Jesu, die sich alle an einem 6. Januar zugetragen haben sollen:

Erstens: Die drei Weisen aus dem Morgenland zogen – geleitet durch das Leuchten eines Sterns – nach Bethlehem, dem Geburtsort Christi, und brachten dem Jesuskind in der Krippe Gold, Weihrauch und Myrrhe dar.

Das zweite Ereignis ist die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer. Danach soll sich der Himmel geöffnet haben, der Geist Gottes fuhr in Gestalt einer Taube auf Jesus herab, und eine Stimme ertönte: »Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.«

Drittens verwandelte Jesus auf der Hochzeit zu Kanaa Wasser in Wein. Im Johannesevangelium heißt es: »Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat (…), damit offenbarte er seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.« Bei allen Ereignissen manifestierte sich die Göttlichkeit Christi. Deswegen ist es neben Weihnachten und Ostern eines der bedeutendsten Feste des Christentums.

Woran erinnert die Karwoche?

Die Karwoche, die letzte Woche vor Ostern, beginnt mit dem Palmsonntag, der an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnert. Am Gründonnerstag feierte Jesus mit den Aposteln das Letzte Abendmahl. Am Karfreitag wurde er gegeißelt und ans Kreuz geschlagen.

Was bedeutet Ostern?

Ostern ist das älteste und wichtigste Fest der christlichen Kirchen. Die frühen Christen, die das Osterfest bereits seit der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts feierten, gedachten an diesem Tag nicht nur der Auferstehung, sondern auch der Leiden und des Todes Jesu. Der in gesonderte Feiertage gegliederte Osterzyklus mit der vorbereitenden 40-tägigen Fastenzeit setzte sich erst seit dem 4. Jahrhundert durch. Ob sich das Wort »Ostern« von dem Namen der germanischen Frühlingsgöttin »Ostara« oder der englischen Göttin der Morgenröte »Eostre« herleitet, ist umstritten. Das heutige Datum des Osterfestes, der erste Sonntag nach dem Frühlingsvollmond, wurde 325 auf dem Konzil von Nicäa festgelegt.

Wann wird Christi Himmelfahrt gefeiert?

Ursprünglich war Christi Himmelfahrt eingebunden in die Osterwoche, erst seit dem 4. Jahrhundert wird dieses Fest 40 Tage nach Ostern gefeiert. Laut Apostelgeschichte und Lukasevangelium fuhr der von den Toten Auferstandene an diesem Tag vor den Augen der Apostel zum Himmel auf, nicht ohne ihnen zuvor die baldige Ankunft des Heiligen Geistes (Pfingsten) anzukündigen.

Was geschah an Pfingsten?

Gott sandte den Aposteln den Heiligen Geist. Erst Ende des 4. Jahrhunderts begann man, dieses Pfingstwunder als Kern dieses Festtages zu betrachten. »Pfingsten« leitet sich vom griechischen pentecosta (»fünfzigster Tag«) her. In der Apostelgeschichte heißt es, dass am 50. Tag nach Ostern der Heilige Geist in Form von Feuer auf die Apostel niedergegangen sei und sie befähigt habe, in fremden »Zungen« zu reden. Die Apostel sollen so in ihrer Sendung bestärkt worden sein und noch am selben Tag 3000 Menschen getauft haben. Das Pfingstfest gilt als »Geburtstag« der Kirche, als Aufbruch der neuen Christusgemeinde.

Wussten Sie, dass …

der 6. Januar im Westen immer mehr zum Dreikönigstag wurde, seit 1164 die Gebeine der Heiligen Drei Könige nach Köln überführt wurden?

der Vorläufer von Ostern das jüdische Pessachfest ist, für das ein Lamm geschlachtet wird und bei dem des Auszugs des Volkes Israel aus Ägypten gedacht wird?

erst seit Ende des 19. Jahrhunderts an Christi Himmelfahrt auch der Vatertag gefeiert wird?

Welche Marienfeiertage gibt es?

Mariä Himmelfahrt: Die Ostkirche feierte bereits im 5. Jahrhundert am 15. August den Tod Marias, im 8. Jahrhundert wurde daraus die »Himmelfahrt«. Für diese »Himmelfahrt« gibt es keine »Augenzeugenberichte« wie bei Jesus. Doch Papst Pius XII. erhob 1950 Mariä Himmelfahrt zum Dogma.

Mariä Unbefleckte Empfängnis (8. Dezember): Der Festtag zu Ehren der Jungfrau und Gottesmutter Maria, die ohne Erbsünde empfangen wurde, ist seit dem 10. Jahrhundert nachweisbar. Maria gilt als der einzige Mensch, der frei vom Makel der Erbsünde ist. 1854 wurde das Dogma von Papst Pius IX. zur göttlichen Offenbarung – zum für alle Katholiken verbindlichen Glaubenssatz – erklärt.

Das mittelalterliche Papsttum: Aufstieg und Niedergang

Wie organisierten sich die frühen Christen?

Als das Christentum sich über weite Gebiete des Römischen Reiches und darüber hinaus ausdehnte, verlangte es nach einer Struktur, die die Gemeinden über die regionalen Grenzen hinaus zusammenzuhalten vermochte. Schon Paulus unterschied verschiedene Ämter in der Gemeinde, etwa Apostel, Lehrer und Propheten. Spätere Schriften des Neuen Testaments nennen Bischöfe, Presbyter und Diakone als Verantwortliche in den Gemeinden.

Um auch die durch Mission neu entstandenen Gemeinden unter Kontrolle zu behalten, organisierte sich bald eine kirchliche Bereichsverwaltung. An deren Spitze stand ein Bischof, der vor allem in der Auseinandersetzung mit abweichenden Lehrmeinungen eine besondere Autorität innehatte.

Welche Funktion hatten die Bischöfe?

Sie waren die Wächter der rechten Lehre. Eines der ersten Beispiele dafür ist Irenäus, 178 zum Bischof von Lyon gewählt. Er definierte die Kirche als eine feste Gemeinschaft, die auf drei Säulen ruhe: dem Taufbekenntnis, dem biblischen Zeugnis und der apostolischen Tradition. Vor allem Letztere wurde in der Entwicklung der frühen Kirche entscheidend. Irenäus sah eine wahrheitsgemäße Glaubensüberlieferung vor allem durch die lückenlose Reihe von Bischöfen gewährleistet.

Als Glaubenswächter gewann der Bischof überregionale Bedeutung. Die politischen Verhältnisse trugen dazu bei, dass die Bischöfe in den Hauptstädten, die so genannten Patriarchen, eine besondere Stellung erhielten. Hohes Ansehen gewannen schon früh die Bischöfe der Großstädte Rom, Alexandrien, Antiochien sowie Jerusalem. Als das Christentum zur Staatsreligion wurde, wurden auch die Bischofsämter der beiden Hauptstädte, Rom im Westen und Konstantinopel im Osten, politisch aufgewertet.

Worauf gründet sich der päpstliche Machtanspruch?

Der Apostel Petrus war der Legende nach der erste Bischof von Rom. Auf dem Monte Vaticano, einem Hügel im Westen Roms, soll er den Märtyrertod gestorben und begraben sein. Diese Tradition der Nachfolge Petrus' stellte die eine Säule dar, auf die die Bischöfe von Rom ihre Vorrangstellung stützten. Die andere war rein weltlicher Natur: Nachdem durch den Zerfall des Römischen Reiches im Westen eine Zentralgewalt fehlte, schickte sich die junge, aber bereits gut organisierte Kirche an, die Lücke zu füllen.

Was spaltete die Kirche in Ost und West?

Die sich verändernden politischen Machtkonstellationen führten zu der Spaltung. Durch den Machtzuwachs im Westen trat die Kirche in Konkurrenz zum oströmischen Kaiser in Konstantinopel, der ebenfalls das Erbe Roms beanspruchte. Gelasius I. (Papst 492 bis 496) führte dagegen die Zwei-Gewalten-Lehre ins Feld, die die Dominanz der geistlichen vor der weltlichen Macht behauptete. Den oströmischen Kaiser konnte er damit wenig beeindrucken. Der stellte sich hinter den Patriarchen von Konstantinopel. Zu Beginn des Mittelalters stand fest, dass der Anspruch der Päpste auf den Primat über die gesamte Christenheit gescheitert war. Entsprechend der Teilung des Römischen Reiches kam es zu einer Spaltung der christlichen Kirche in eine östliche und eine westliche.

Wie profitierten Kirche und Staat voneinander?

In der Auseinandersetzung mit der Ostkirche machten die Päpste die Erfahrung, wie wichtig das Bündnis mit einer weltlichen Macht war. Außerdem hatte die Kirche den jungen Königreichen, die sich auf dem Boden des einstigen Römischen Reiches bildeten, viel zu bieten, zum Beispiel erste Verwaltungsstrukturen, Bildung und Schriftlichkeit, das Christentum als identitätsstiftende Religion und moralische Instanz mit hoher Symbolkraft.

Welche Bündnisse gab es?

Im 8. Jahrhundert schloss erstmals ein Papst ein Bündnis mit dem Frankenreich. Stephan II. (Papst 752–757) stellte sich unter den Schutz Pippins des Jüngeren und krönte ihn zum König. Der Frankenkönig revanchierte sich mit der berühmten pippinischen Schenkung: Stephan erhielt das Exarchat Ravenna, wodurch sich der Kirchenstaat weit über die Grenzen Roms hinaus erweitern konnte.

Was macht die Schweizergarde?

Die Schweizergarde ist seit 500 Jahren für die persönliche Sicherheit des Papstes verantwortlich und sichert die Zugänge zur Vatikanstadt. Sie entstand unter dem Pontifikat Julius' II. (Papst 1503 bis 1513), der Söldner aus der Schweiz verpflichtete. Schweizer galten als Elitesoldaten, seitdem sie im 14. Jahrhundert zwei Ritterheere der Habsburger vernichtend geschlagen hatten.

Kamen Kaiser und Papst miteinander aus?

Nicht immer. Die Kaiserkrönung Karls des Großen in Rom bildete im Jahr 800 den Höhepunkt der engen Beziehung zwischen Papsttum und Frankenreich: Leo III. (Papst 795 bis 816) übertrug das weströmische Kaisertum auf Karl und erwarb sich dafür Schutz und Unterstützung des mächtigsten Herrschers Europas.

Überhöhte Ansprüche auf beiden Seiten führten jedoch immer wieder zu Machtkämpfen. Im 10. Jahrhundert bestimmten starke Kaiser die Nachfolge auf dem Stuhl Petri. Um das zu unterbinden, reformierte Nikolaus II. (Papst 1058–1061) die Papstwahl, an der jetzt nur noch Kardinäle teilnehmen durften.

Faktisch war die weltliche Macht des Papstes eng begrenzt, doch als Kirchenoberhaupt konnte er im christlichen Mittelalter auch politischen Einfluss ausüben. Die Päpste nahmen etwa bei der Krönung der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation eine überragende Stellung ein.

Wer musste den »Gang nach Canossa« antreten?

Der deutsche König Heinrich IV. Er hatte in Gregor VII. (Papst 1073–1085) einen mächtigen Gegner, der nicht nur die Vorherrschaft des Papstes über die gesamte christliche Kirche beanspruchte, sondern auch dessen Autorität über jede weltliche Macht behauptete. Der Streit entbrannte um das Recht zur Einsetzung von Bischöfen, daher die Bezeichnung Investiturstreit.

Zunächst entschied Gregor den Konflikt für sich: Er exkommunizierte Heinrich und zwang ihn so zu dem demütigenden »Gang nach Canossa«, bevor er den päpstlichen Bannstrahl wieder aufhob. Doch dann riefen königstreue Bischöfe 1084 den Gegenpapst Klemens III. aus. Heinrich zog mit seinem Heer nach Rom, Klemens krönte ihn zum Kaiser, Gregor musste fliehen. Erst im Wormser Konkordat von 1122 fanden Papsttum und Königtum zu einem Kompromiss im Investiturstreit.

Warum ging Papst Klemens nach Avignon?

Weil er sich in Rom nicht mehr sicher fühlte. Die Vorgeschichte: Bonifatius VIII. (Papst 1294–1303) hatte noch einmal seinen Weltherrschaftsanspruch mit der Bulle »Unam Sanctam« betont. Gerichtet war diese an den französischen König Philipp IV. den Schönen. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Erstarkende Nationalstaaten wie Frankreich waren nicht mehr auf die Symbolkraft des päpstlichen »Segens« angewiesen. Der unaufhaltsame Niedergang des Papsttums begann, als Philipp auf die Bulle kurzerhand mit der Gefangennahme des Papstes antwortete.

1305 gelang es Philipp, einen französischen Kardinal zum Papst wählen zu lassen. Doch Klemens V. (Papst 1305–1314) stieß in Italien auf heftigen Widerstand. Er stellte sich unter den Schutz des französischen Königs und verlegte seine Residenz 1309 nach Avignon. In der so genannten »Babylonischen Gefangenschaft« in Avignon waren die Päpste völlig dem französischen Königtum unterworfen. Erst Gregor XI. (Papst 1370–1378) konnte sich mit Unterstützung der heiligen Katharina von Siena davon befreien. 1376 kehrte er schließlich nach Rom zurück, 1378 fand die Papstwahl wieder in Rom statt.

War die Einheit der Kirche gesichert?

Keineswegs. Nach der Rückkehr des Papstes nach Rom kam es zum Großen Abendländischen Schisma, das erst durch das Konstanzer Konzil (1414–1418) beendet wurde. Aber auch das Konzil steht für eine Entwicklung, die die Einheit der lateinischen Christenheit und die Stellung des Papsttums bedrohte. Zwar wurden in Konstanz die Lehren von John Wycliff und Jan Hus als ketzerisch verurteilt. Aber die protestantische Bewegung, die das Papsttum schärfer denn je kritisierte und im Papst den Anti-Christen sah, war dadurch nicht besiegt. Statt ihr mit innerkirchlichen Reformen zu begegnen, sonnten sich die Päpste der Renaissance in beispielloser Selbstherrlichkeit.

Wie kam es zum Niedergang des Papsttums?

Unter den prunkliebenden Päpsten der Renaissance – zu nennen sind insbesondere Alexander VI. (1492–1503), Julius II. (1503 bis 1513) und Leo X. (1513–1521) – wurde Rom zum kulturellen Zentrum des Abendlandes. Die besten Künstler, unter anderem Michelangelo, Raffael und Leonardo da Vinci, arbeiteten für den heiligen Stuhl und die päpstliche Hofhaltung maß sich mit der der reichsten Fürsten. Die geistliche Funktion der Päpste als Oberhaupt der lateinischen Christenheit trat zugleich aber immer mehr zurück, um auch politischen Ränkespielen Platz zu machen. Man suchte das Territorium des Kirchenstaats auszudehnen und mischte sich in die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Herrschaft über Italien ein.

Ein Lieblingsprojekt der Päpste wurde der gigantische Neubau des Petersdoms, zu dessen Finanzierung bald jedes Mittel recht war. Nie zuvor wurden so viele geistliche Ämter gegen Geld verschachert, auch der berüchtigte Ablasshandel wurde auf die Spitze getrieben. In ganz Europa wurde die Kritik an der Verschwendungssucht und der Sittenlosigkeit der Päpste immer lauter, aber sie erkannten die Zeichen der Zeit nicht. So konnte die Reformation schließlich den Primat der Päpste über die abendländische Christenheit, der lange und mühevoll erkämpft worden war, am Ende des Mittelalters endgültig brechen.

Wussten Sie, dass …

Innozenz III. (Papst 1198–1216) die päpstliche Lehenshoheit, die bisher nur für das Heilige Römische Reich gegolten hatte, auch auf die Königreiche England und Aragonien ausdehnte?

die Kuppel des Petersdoms das größte frei tragende Ziegelbauwerk der Welt ist?

der Papst als oberste Instanz in allen Kirchenfragen auch für die Bestätigung von Ordensregeln zuständig war?

Was zeigt das Papstwappen?

Das Wappen der Päpste, das sie seit Nikolaus V. (Papst 1447–1455) ebenso wie die weltlichen Fürsten führten, zeigt die Herrschaftsinsignien des Papstes: die dreistufige Tiara, seit dem 14. Jahrhundert die Krone des Papstes, sowie die gekreuzten Schlüssel als Zeichen der apostolischen Nachfolge. Sie stellt die Bischöfe von Rom in eine Linie mit dem Apostel Petrus als Oberhaupt der von Jesus gestifteten Kirche.

Die großen Kirchenspaltungen: Schwächung der Papstmacht

Wie unterschieden sich Ost- und Westkirche?

Das Christentum entwickelte sich im Ost- und im Westteil des ehemaligen Römischen Reiches recht unterschiedlich. Im Osten hatte sich eine enge Verflechtung zwischen dem oströmischen Kaisertum und der Kirche ergeben; der Kaiser war zugleich Oberhaupt der Kirche. Zwar wurde dem Patriarchen von Konstantinopel ein gewisser Vorrang vor seinen Kollegen zugebilligt, doch gab es in der Ostkirche nie eine vergleichbar herausragende Stellung, wie die des Papstes in der Westkirche. Im Lauf der Jahrhunderte hatten sich zudem zahlreiche theologische Gegensätze herausgebildet.

Worum stritten sich Papst und Patriarch?

Das Gebiet um Ravenna und Teile Süditaliens gehörten zum Amtsbereich des Patriarchen von Konstantinopel. Als Papst Leo IX. (1002–1054) sich in Süditalien gegen die Normannen engagierte, geriet er mit dem Patriarchen Michael Kerullarios (um 1000–1059) in Konflikt. Eine Gesandtschaft unter Humbert von Silva Candida verhandelte in Leos Auftrag in Konstantinopel über verschiedene strittige Fragen des Glaubens und der Praxis. Der Westen kritisierte den Primat des Kaisers (»Caesaropapismus«) und bestimmte Ansichten über die Natur des Heiligen Geistes. Weiterhin bestand er auf der Ehelosigkeit aller Priester (Zölibat). Der Osten widersetzte sich den Machtansprüchen des Papstes und sah das Byzantinische Reich als alleinigen Rechtsnachfolger des Römischen Reiches. Das Papsttum hielt sich selbst für die höchste Instanz in allen Glaubens- und Disziplinarfragen, während der Osten nur Beschlüsse von Konzilen anerkennen wollte, auf denen sich alle Kirchen gleichberechtigt äußern durften.

Wie kam es zum Bruch?

Nach einer Reihe gegenseitiger Provokationen legte Humbert am 16. Juli 1054 die Exkommunikationsbulle in der Hagia Sophia nieder. Michael Kerullarios sprach den Gegenbann aus. Die Trennung der Patriarchate Konstantinopel, Alexandria, Antiochia und Jerusalem von der Westkirche war so besiegelt. An der Grenze zwischen dem Ost- und dem Weströmischen Reich standen sich nun eine »orthodoxe« (»rechtgläubige«) und eine »katholische« (»allgemeine«) Christenheit gegenüber.

Gab es noch weitere Spaltungen der Kirche?

Auch die Westkirche konnte ihre Einheit nicht immer bewahren. 1378 fand das Konklave, die Versammlung der Kardinäle zur Papstwahl, erstmals wieder in Rom statt. Die Kurie war im Avignonischen Exil (1309–1377), in das sie aufgrund ihres Machtverfalls in Italien zu fliehen gezwungen war, unter den Einfluss des französischen Hofes geraten. Elf der 16 Kardinäle waren Franzosen. Dennoch wählte das Konklave unter dem Druck der Römer Urban VI., einen Italiener, zum Papst. Die Kardinäle leisteten ihm zwar den Eid, erklärten aber kurz darauf die Wahl für ungültig und wählten Clemens VII. (1342–1394), der nun – als Gegenpapst – wieder in Avignon residierte. Auch die Mehrzahl der italienischen Kardinäle stellte sich auf seine Seite. Nur zwei folgten Urban. Beim Tod eines der beiden Päpste wurde für ihn ein Nachfolger gewählt, so dass das Schisma bestehen blieb. In Rom kamen so Bonifaz IX., Innozenz VII. und Gregor XII. auf den Stuhl Petri, in Avignon Benedikt XIII.

Was rettete die Einheit?

An der Pariser Universität, dem theologischen Zentrum jener Zeit, wurden verschiedene Möglichkeiten zur Lösung des Konfliktes erarbeitet. Ein Konzil sollte entscheiden, welcher Papst der rechtmäßige war. Das Konzil von Pisa 1409 endete zwar mit der Wahl Papst Alexanders V. und der Absetzung von Benedikt XIII. und Gregor XII., aber keine der beiden Parteien war bereit zurückzutreten. Nun gab es drei Päpste. Das Konzil von Konstanz im Jahr 1414 setzte schließlich alle drei ab. 1417 wurde dieser Beschluss umgesetzt und Martin V. (1368–1431) zum alleinigen Papst gewählt. Entscheidend war hierbei das Bestreben der Kirche, sich dem Einfluss der französischen Krone zu entziehen. Folgerichtig residierte Martin auch nicht in Avignon, sondern in Rom.

Gab es Versuche, die beiden Kirchen wieder zu versöhnen?

Es gab mehrere Unionsversuche, um die west- und oströmische Kirche wieder zu einen. 1274 scheitert die Union auf dem zweiten Konzil von Lyon und 1439 auf dem Konzil von Basel. Die beiden Seiten gingen jeweils von unterschiedlichen Voraussetzungen aus. Für Rom bedeutete eine Union Unterordnung unter den Papst, der Osten erwartete eine Verhandlung unter Gleichberechtigten. Die Plünderung Konstantinopels während des 4. Kreuzzuges (1204) besiegelte den Bruch; danach blieben alle Versöhnungsversuche erfolglos.

Wussten Sie, dass …

der Ausdruck »Schisma« vom griechischen Wort für »Trennung« kommt?

im Lauf der Zeit insgesamt zwölf Päpste im französischen Avignon residierten?

beim Konzil von Konstanz, das das Abendländische Schisma beendete, der böhmische Reformer Jan Hus als Ketzer verbrannt wurde, obwohl ihm freies Geleit zugesichert worden war?

Die orthodoxen Kirchen: Kampf um den rechten Glauben

Wie viele orthodoxe Christen gibt es?

Von weltweit zwei Milliarden Christen sind rund 250 Millionen Anhänger der orthodoxen Kirchen. Neben Katholiken und Protestanten bilden sie die dritte Gruppe der Weltchristenheit. Auch wenn orthodoxe Christen in allen Erdteilen leben, so liegt der Schwerpunkt doch in Osteuropa. Und das hat historische Gründe. Am Anfang stand die Teilung des Römischen Reichs (395 n. Chr.) in ein oströmisches Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel und ein weströmisches mit der Hauptstadt Rom. Später spaltete sich auch die Christenheit in eine »griechische« Ostkirche und eine »lateinische« Westkirche.

Worum stritten die beiden Zentren der Welt?

Schon früh ging es um die Vorherrschaft über die gesamte Christenheit. Der Bischof von Konstantinopel widersetzte sich der vom Bischof von Rom geforderten Unterordnung. Er konnte seine herausgehobene Stellung nicht zuletzt politisch rechtfertigen: Rom verlor nach der Reichsteilung an Bedeutung, die römische Kirche war auf den Schutz germanischer Fürsten angewiesen, Konstantinopel dagegen führte Glanz und Macht des römischen Kaisertums noch Jahrhunderte lang fort.

Je größer der Einfluss der mitteleuropäischen Fürsten – allen voran der Frankenkönige und der Sachsenkaiser – auf die lateinische Kirche wurde, umso stärker fühlte sich der Patriarch von Konstantinopel dazu berufen, die Traditionen der Kirche zu bewahren.

Wie gelang eine Annäherung zwischen Westkirche und Orthodoxen?

Nachdem im Jahr 1054 die Trennung von katholischer (allgemeiner) und orthodoxer (rechtgläubiger) Kirche offiziell besiegelt worden war, gab es Jahrhunderte keinen Kontakt zwischen den beiden Kirchen. Zu einer Annäherung kam es erst im 20. Jahrhundert. Im Jahr 1948 wurde der Ökumenische Rat der Kirchen begründet. Ein Grund dafür mag die Bedrohung gewesen sein, der sich die orthodoxen Kirchen in der Zeit der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa ausgesetzt sahen. Die stalinistischen »Säuberungen« brachten viele neue Märtyrer hervor. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Demokratisierung erfreuen sich die orthodoxen Kirchen wieder regen Zulaufs, besonders in Russland erfährt die Religiosität eine Renaissance.

Wie hat sich die orthodoxe Kirche verändert?

Im Gegensatz zur katholischen Kirche, die mehrere Liturgiereformen erlebte, hat sich in den orthodoxen Kirchen der Abendmahlsritus seit der Spätantike in den Grundzügen erhalten. Dabei beruft sich die liturgische Tradition auf zwei bedeutende Kirchenlehrer: Johannes Chrysostomos (344–407), Patriarch von Konstantinopel, und Basilius der Große (um 330–379), Bischof von Cäsarea.

Was geschieht im orthodoxen Gottesdienst?

Im Gottesdienst wird das Heilsgeschehen vergegenwärtigt, die Grenzen zwischen Erde und Himmel, zwischen Gegenwart und Zukunft des Reiches Gottes verschwinden. Auch wenn die rituellen Handlungen der Priester von der Gemeinde räumlich getrennt vollzogen werden, sind die versammelten Gläubigen aktiv beteiligt. Sie verstehen sich in der liturgischen Anbetung des dreieinigen Gottes als Abbild der himmlischen Mächte, die sich im Höhepunkt des Gottesdienstes, der mit ungesäuertem Brot und Wein gefeierten Eucharistie (Abendmahl), mit Christus vereinigen und an seinem Opfer für die Menschen teilhaben.

»Gott in rechter Weise preisen und anbeten« – diese wörtliche Übertragung des Begriffes »orthodox« zeigt sich deshalb vor allem im Gottesdienst. Die besondere Gegenwart Gottes drückt sich auch in der Bedeutung der Kirchenbauten aus, die als Repräsentation des Tempels von Jerusalem betrachtet werden. Durch die Kirche teilt sich das Reich Gottes im Vollzug des Gottesdienstes der Gemeinde mit und wird zur spirituell erfahrbaren Wirklichkeit.

Welche Rolle spielen Ikonen in der Orthodoxie?

Eine gewaltige Erschütterung erlebte die östliche Christenheit im Bilderstreit. Die Frage war, ob religiöse Inhalte abgebildet werden dürfen. 843 fand man zu einem Kompromiss, der die Darstellung erlaubte, nicht aber die Anbetung. Seither nehmen die Ikonen einen hohen Stellenwert in der Alltagsfrömmigkeit ein. Ikonen stellen ein Fenster zur himmlischen Wirklichkeit dar, vermitteln die Gegenwart der verehrten Person und ermöglichen den direkten Kontakt. Durch Küsse und Berührungen kommt der Gläubige dem Objekt seiner Verehrung noch näher. Deshalb sind Ikonenmalereien oft durch Metall geschützt.

Die Ikonenmalerei ist ein spiritueller Akt. Vom Künstler werden Frömmigkeit und Hingabe erwartet sowie die Kenntnis der Traditionen und Regeln, die bei der Fertigung von Ikonen zu beachten sind. Daraus erklärt sich auch der recht einheitliche Stil der Ikonen über die Jahrhunderte hinweg – im Gegensatz zur religiösen Kunst des Westen, die sämtliche Kunstepochen durchlief.

Was kennzeichnet die orthodoxe geistliche Musik?

So wie die meist prächtig mit Gold unterlegten Ikonen die orthodoxen Kirchenräume prägen, so eindrucksvoll ist die Wirkung der Gesänge während der liturgischen Feiern. Sie werden ohne Begleitung von Musikinstrumenten gesungen. Seit sich die orthodoxe Liturgie im Mittelalter mit Ikonenverehrung, Verwendung von Weihrauch, prächtigen Gewändern und räumlicher Trennung von Altar- und Kirchenraum herausbildete, sind eine Vielzahl von Hymnen entstanden, in denen bestimmte Heilige gepriesen werden oder die man wie Stundengebete zur Vesper oder zum Morgenlob singt. Diese Liturgie ist in ihrer Form bis heute erhalten geblieben.

Wie wurde Russland orthodox?

Vorausgegangen war die christliche Missionierung des osteuropäischen Raums, die seit dem 9. Jahrhundert von Konstantinopel ausging. Ein Meilenstein in der Christianisierung Osteuropas war die Taufe des Großfürsten Wladimir im Jahr 988 anlässlich seiner Hochzeit mit einer Schwester des oströmischen Kaisers. Wladimir, der den Beinamen »der Heilige« erhielt, herrschte über das mächtige Kiewer Reich, das alle ostslawischen Stämme vereinigte. Durch seine Taufe führte er sein Herrschaftsgebiet dem Christentum zu.

Keimzellen der Christianisierung waren die Klöster, die in Osteuropa entstanden. Bis heute ist das Mönchtum ein wesentliches Element orthodoxer Religiosität. Die Mönche sind zu Armut, Gehorsam und Keuschheit verpflichtet. Der hohe Stellenwert des Mönchtums geht auf orientalische Traditionen zurück. So entstanden die ersten Klöster des Frühchristentums in Ägypten, Palästina und Syrien.

Was erhielten die Slawen von den Mönchen?

Auch im Osten war die Christianisierung mit der Verbreitung der Schrift verbunden. So verdankt die kyrillische Schrift – entwickelt aus der griechischen Minuskelschrift – ihren Namen einem Missionar: Kyrillos und Methodios stammten aus dem griechischen Saloniki. Sie lebten im 9. Jahrhundert und werden als »Slawenapostel« und »Slawenlehrer« verehrt. Sie übersetzten die griechischen Schriften in die Volkssprachen der Slawen.

Gibt es eine Trennung zwischen Kirche und Staat?

Nein. Typisch für die Ostkirche war die enge Verbindung zwischen weltlicher Herrschaft und Kirche, zwischen Thron und Altar. Der Kaiser war faktisches Oberhaupt der Kirche. Auf dieser oströmischen Tradition basierend, haben sich die orthodoxen Kirchen im Osten Europas als Nationalkirchen herausgebildet.

Der Patriarch von Konstantinopel behielt zunächst die oberste Jurisdiktionsgewalt über die neuen Nationalkirchen. Erst mit der Zeit lösten sich die neuen Kirchen und wurden autokephale, sich selbst verwaltende und kirchenrechtlich eigenständige Kirchen. Zwar nimmt der Patriarch von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, aufgrund seiner historischen Bedeutung noch immer eine besondere Stellung ein und trägt seit dem 6. Jahrhundert den Titel »ökumenischer Patriarch«. Doch im Gegensatz zum Papst in der katholischen Kirche begreift er sich in Beziehung zu den anderen Patriarchen als primus inter pares, als Erster unter Gleichen.

Das altehrwürdige Patriarchat von Konstantinopel ist von der Größe her heute eher unbedeutend. Die weitaus größte orthodoxe Kirche ist, mit rund 100 Millionen Mitgliedern, die Russische Orthodoxe Kirche mit dem Patriarchat Moskau.

Nach welchem Kalender feiern die orthodoxen Kirchen?

In der orthodoxen Kirche werden, abgesehen von speziellen Heiligenfesten, die gleichen Feiertage begangen wie in anderen christlichen Kirchen auch. Weil aber die Mehrheit der orthodoxen Kirchen die Kalenderreform von Papst Gregor VIII. im 12. Jahrhundert nicht mitvollzogen hat und am alten julianischen Kalender festhält, ist das orthodoxe Kirchenjahr gegenüber dem der westlichen Kirchen um 13 Tage verschoben. Auch die beweglichen Festtage, Ostern und Pfingsten, werden an späteren Terminen gefeiert.

Wussten Sie, dass …

die orthodoxen Kirchen bis heute darauf beharren, jenen wahren christlichen Glauben zu vertreten, der die gesamte Christenheit während der ersten 1000 Jahre ihrer Existenz verband?

die Beschlüsse der früheren Konzilien, die mit den lateinischen Bischöfen gefasst wurden, in den orthodoxen Kirchen trotzdem bis heute anerkannt sind?

der Julianische Kalender, nach dem die Orthodoxie nach wie vor ihre Festtage errechnet, von Julius Cäsar im Jahr 46 v. Chr. eingeführt wurde?

Wer lebt auf dem Berg Athos?

Orthodoxe Mönche. Wie lebendig das Mönchtum in der orthodoxen Kirche bis heute ist, beweisen die rund 1000 Brüder, die auf dem heiligen Berg Athos, einer Landzunge der nordgriechischen Halbinsel Chalkidiki, leben. 20 Mönchsgemeinschaften verschiedener Größe verwalten sich in dieser »Mönchsrepublik« selbst, deren spezieller Status auf die Zeit des oströmischen Kaiserreichs zurückgeht. Die gesamte Klosterlandschaft steht heute auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Doch der Blick auf die herrlichen Kunstwerke, vor allem Ikonen und Buchmalereien, bleibt den Mönchen und ausgewählten Besuchern vorbehalten. Frauen dürfen den Berg Athos überhaupt nicht betreten, Männer nur bedingt.

Wussten Sie, dass …

das aufstrebende Moskau im 15. Jahrhundert die Bezeichnung »drittes Rom« für sich reklamierte? Konstantinopel galt im 4. Jahrhundert als »neues Rom«.

die orthodoxen Priester im Gegensatz zu den Mönchen – und zu den katholischen Priestern – heiraten dürfen?

eines der ältesten Klöster der Welt, das im 6. Jahrhundert begründete Katharinenkloster auf dem Sinai, bis heute von griechischen Mönchen bewohnt wird?

Das mittelalterliche Mönchtum: Zwischen Reform und Verfall

Welchen Einflüssen waren die Klöster ausgesetzt?

Die Geschichte der mönchischen Lebensform ist geprägt von Aufbau- und Zerfallsbewegungen, geleitet vom Versuch, geistlichen Bedürfnissen ebenso gerecht zu werden wie den weltlichen Funktionen der Klöster. Die Einflüsse kamen dabei sowohl aus den Orden selbst als auch aus der Gesellschaft, vor allem auch von den Trägern der weltlichen und kirchlichen Gewalt.

Wie reformierte sich das Mönchtum?

Wenn auch der Begriff »Reform«, der den gestalterischen Veränderungswillen unter Wahrung der Tradition bezeichnet, erst ab dem 13. Jahrhundert in Bezug auf das Mönchtum gebraucht wird, so sehen wir entscheidende Reformbemühungen schon im Versuch der Aachener Bestimmungen der Jahre 816–819, die Frage nach der wahrhaft gottgefälligen Lebensform neu zu beantworten. Der französische Klostergründer Benedikt von Aniane (gestorben 821) verpflichtete hier in Zusammenarbeit mit dem fränkischen Kaiser Ludwig dem Frommen (Reg. 814–840) das Mönchtum zu einer strengen Einhaltung der Regel des Benedikt von Nursia (um 480–547) und einer einheitlichen alltäglichen Lebensführung.

Was wollten die Mönche von Cluny ändern?

Bereits ab 900 zeigte sich erneut ein Bedürfnis nach Reformen in Mönchtum und Kirche, zum Teil bedingt durch politische Auflösungs- und Krisenerscheinungen. Zahlreiche Klöster waren von den strengen Regeln der Askese und des Gottesdienstes abgekommen, so dass eine neue Spiritualität gesucht wurde. Sie hob etwa die liturgischen Pflichten hervor, da die Mönche letztlich für die Gemeinschaft aller Christen beteten und Spender wie Stifter von Klöstern Fürbitte für ihr Seelenheil erwarteten. Neben Zentren wie Gorze, Fruttuaria und Hirsau nahm vor allem das 910 gegründete Cluny den Reformgedanken auf. Solche Neugründungen waren immer auch Versuche, den Einflüssen weltlicher Mächte zu entkommen. In den folgenden Jahrzehnten schlossen sich zahlreiche Häuser dieser Abtei an und bildeten mit ihr einen straff organisierten Verband.

Welche Orden wurden im Hochmittelalter neu gegründet?

Die Konzentration Clunys auf liturgische Dienstleistungen und der große Einfluss seiner Äbte gerade auch in politischen Fragen führten rasch wieder zum Verlangen nach größerer Verinnerlichung der mönchischen Ideale. Im Jahr 1098 gründete Robert von Molesmes das Kloster Cîteaux, die Keimzelle des Zisterzienserordens, mit dem Ziel der Weltabgeschiedenheit. Bereits 1153, im Todesjahr des wohl berühmtesten Vertreters des Ordens, Bernhard von Clairvaux, gehörten 350 Häuser diesem Orden an. Der mit dem Wachstum verbundene wirtschaftliche und politische Machtgewinn ging aber wiederum bald am Verlangen vieler Menschen nach spirituellen Werten vorbei.

Wer war außerdem an den spirituellen Reformen beteiligt?

Ab dem Ende des 12. Jahrhunderts entstand eine breite Laienbewegung, die nach Formen apostolischen Lebens und strengen Idealen strebte. Geführt von Predigern, die vor allem in den Städten Südfrankreichs und Italiens starken Anklang fanden, stellten diese Gruppen die weltliche Macht der Kirche in Frage. Da man sie aufgrund ihrer großen Zahl nicht vollständig als Häretiker aus der Kirche ausgrenzen konnte, versuchte Papst Innozenz III. (Papst 1198–1215) ihre gemäßigten Teile zu reintegrieren, indem er die später so genannten Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner unterstützte.

Mit ihrem gelebten Armutsideal und ihrer Predigttätigkeit griffen sie die Bedürfnisse der Bevölkerung stärker auf als die unterdessen reich gewordenen Zisterzienser. Schon die geschätzten Zahlen von etwa 15000 Dominikanern und 30000 bis 40000 Franziskanern um 1300 vermögen dies zu belegen.

Wer profitierte von den Klöstern?

Deutsche Herrscher gründeten oft Klöster an strategisch wichtigen Punkten, um das teilweise nur oberflächlich christianisierte Land zu kontrollieren. Solange das Recht dem Erstgeborenen das gesamte Erbe zusprach, waren Klöster immer auch Anlaufstellen für besitzlose Nachgeborene. Gleiches galt für Töchter aus armen Familien, die mangels Mitgift nicht verheiratet werden konnten. Zu Zeiten von Kriegen und Hungersnöten strömten wahre Massen in die Klöster, wobei viele nicht an einem asketischen Leben interessiert waren.

Wie unterscheiden sich die Orden?

An der Frage, wie streng die Armutsvorschrift auszulegen sei, spaltete sich nicht nur der Orden der Franziskaner. Auch andere Mönchsorden hatten im 14. und 15. Jahrhundert mit Problemen zu kämpfen: Pest, Krieg und das große Kirchenschisma ließen ein Krisenbewusstsein entstehen, das zu asketischen Reformbewegungen führte. In den Bettelorden entstanden Observanzbewegungen mit dem Ziel einer strengen Lebensführung. Auch bei den Benediktinern sind entsprechende Reformansätze zu einer Erneuerung des Mönchtums zu beobachten, und der strikte Einsamkeit vorschreibende Kartäuserorden erfreute sich in dieser Zeit großer Beliebtheit.

Wussten Sie, dass …

Benedikt von Nursia, der Begründer der Benediktinerregel, in der katholischen Kirche als Heiliger verehrt wird und seit 1964 Schutzpatron Europas ist?

kirchliche Reformen im 11. Jahrhundert vor allem gegen Ämterkauf, Priesterehe und Laieninvestitur – die Vergabe kirchlicher Ämter durch weltliche Herrscher – vorgingen?

sich die cluniazensischen Reformen auch gegen weltliche Einflussnahme auf den Papst richteten?

der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux mit seinen Reden maßgeblich am Zustandekommen des Zweiten Kreuzzugs (1147–1149) beteiligt war?

Kreuzzüge: Zweihundert Jahre Kampf um die heiligen Stätten

Welches Ziel hatten die Kreuzzüge?

Offizieller Grund für die ersten Kreuzzüge war die Befreiung der christlichen Pilgerstätten. Mitte des 11. Jahrhunderts wurde das Gleichgewicht der politischen und militärischen Kräfte im Vorderen Orient empfindlich gestört: Neben die beiden Großmächte Ägypten und Byzanz, die bisher das friedliche Nebeneinander von Muslimen und Christen und den freien Zugang zu den Pilgerstätten des Heiligen Landes garantiert hatten, trat eine dritte, unruhige Kraft: muslimische Türken, die sich Seldschuken nannten. Sie eroberten Jerusalem und schließlich auch Anatolien, wodurch sie das orthodoxe Kaiserreich Byzanz in arge Bedrängnis brachten. Man bat die christlichen Brüder im Westen um Unterstützung. Aber statt des erwarteten Hilfskorps traf eine ungeordnete Masse »heiliger Krieger« ein, die letzten Endes zum Untergang des christlichen Bollwerks im Osten beitrug.

Wer initiierte den ersten Zug nach Jerusalem?

Der Auslöser für die Massenbewegung war die Rede Papst Urbans II. im Jahr 1095 auf der Synode von Clermont, in der er zum Kampf gegen die Ungläubigen und zur Befreiung des Heiligen Landes aufforderte. Dass seinem Ruf ein derart gewaltiges Echo folgen würde, war nicht abzusehen, entsprach aber dem Zeitgeist. Die vom burgundischen Kloster Cluny ausgehende Reformbewegung förderte den religiösen Eifer in allen Schichten. Hier war auch die Idee entwickelt worden, die aggressiven Energien der abendländischen Ritterschaft gegen den gemeinsamen Feind, den Islam, zu lenken. Auf der Iberischen Halbinsel hatte man bereits Erfolge in der Reconquista, dem Kampf gegen die Mauren, errungen.

Nun wurde das Ziel der europäischen Christenheit wesentlich höher und weiter gesteckt: Jerusalem, das »Zentrum der Welt«, sollte endlich den Christen gehören. Die Teilnahme am Kreuzzug versprach das Seelenheil, und über die irdischen Güter der Kreuzfahrer wachte während ihrer Abwesenheit die Kirche. Man hatte also nichts zu verlieren – nur das Leben; und das ließen Unzählige in den Kämpfen im Heiligen Land, aber auch auf dem gefährlichen und beschwerlichen Weg.

Wie sahen die Motive der Teilnehmer aus?

Dem Aufruf zum Kreuzzug folgten vor allem Ritterheere, aber auch Bauernhaufen und Scharen von Armen. Nach mehreren Missernten war man besonders in Frankreich und Flandern bereit, das Kreuz zu nehmen. Unter dem Motto »Gott will es!« suchte man sein Glück im reichen Orient. Die Massen französischer Habenichtse, die der asketische Eiferer Peter von Amiens hinter sich sammelte, wurden schließlich von den Seldschuken aufgerieben.

Doch das Hauptheer eroberte im Juli 1099 Jerusalem. Dabei ging der Triumph des Kreuzes mit einem furchtbaren Massaker unter der Bevölkerung einher. Schließlich besetzten die Kreuzfahrer Palästina und Syrien und gründeten das Königreich Jerusalem, dem kleinere christliche Lehnsstaaten wie Antiochia, Edessa und Tripolis angeschlossen waren.

Was verursachte das Ende der Kreuzzugsbewegung?

Der mangelnde Nachschub. Ständig muslimischen Angriffen ausgesetzt, brauchte der Außenposten des Abendlandes immer neue Zufuhr von Menschen. Dem Ersten Kreuzzug folgten weitere, das Kriegsglück wechselte. Auf Dauer konnten sich die christlichen Enklaven in der muslimischen Welt nicht halten. Im Jahr 1291 fiel Akkon, die letzte Bastion.

Ausschlaggebend für das Scheitern der Kreuzzüge war nicht zuletzt die mangelnde Geschlossenheit des Abendlandes. Als nach dem unrühmlichen Verlauf des Zweiten Kreuzzugs die Begeisterung verpuffte, zählte nur mehr das eigene Interesse. So nutzte etwa Venedig, das am Schiffstransport von Kreuzfahrern und Pilgern im Übrigen gut verdiente, den Aufbruch zum Vierten Kreuzzug (1202 bis 1204), um einen unliebsamen Konkurrenten zu schädigen: Man brachte das Kreuzzugsheer nur bis Konstantinopel, das geplündert und völlig verwüstet wurde. Die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches sollte sich davon nie wieder erholen – und Venedig übernahm im Anschluss dessen Vormachtstellung im östlichen Mittelmeer.

Wann waren welche Kreuzzüge?

1096–1099: Erster Kreuzzug unter Führung französischer und flandrischer Adeliger wie Gottfried von Bouillon

1099: Eroberung Jerusalems; Errichtung des Königreichs Jerusalem

1147–1149: Zweiter Kreuzzug nach Aufruf des heiligen Bernhard von Clairvaux; scheitert unter dem französischen König Ludwig VII. und dem Staufer Konrad III.

1187: Sultan Saladin erobert Jerusalem

1189–1192: Dritter Kreuzzug, initiiert von Friedrich I. Barbarossa, der unterwegs im anatolischen Fluss Saleph ertrinkt. Die Könige von England und Frankreich, Richard Löwenherz und Philipp II. August, nehmen Akkon ein; Saladin garantiert freien Zugang zu den Pilgerstätten

1202–1204: Vierter Kreuzzug, von Venedig nach Konstantinopel gelenkt, das vollkommen zerstört wird

1217–1221: Die Truppen Andreas' II. von Ungarn und Herzog Leopolds IV. von Österreich werden bei Al-Mansura zurückgeschlagen

1228: Fünfter Kreuzzug: Friedrich II. von Hohenstaufen erreicht Akkon und handelt mit Sultan Al-Kamil einen Kompromiss über die heiligen Stätten aus

1248–1254: Sechster Kreuzzug Ludwigs IX. von Frankreich mit Ziel Ägypten scheitert, ebenso der von Ludwig angeführte Siebte Kreuzzug nach Tunis (1270)

1291: Fall von Akkon, der letzten christlichen Bastion im Heiligen Land

Wussten Sie, dass …

Teilnehmer des Ersten Kreuzzugs bereits im Rheinland dort ansässige Juden ermordeten und vertrieben?

zum Schutz der Pilger die Ritterorden der Templer und Johanniter (später Malteser) sowie der Deutsche Orden gegründet wurden?

es auch gegen europäische Nichtchristen und Ketzer Kreuzzüge gab, etwa gegen die Wenden im Nordosten (1147), die Albigenser in Südfrankreich (1209–1229) und die Stedinger Bauern an der Unterweser (1233/34)?

Die großen Sekten: Widerstand gegen das Papsttum

Was machte die Katharer zu Häretikern?

Die Abweichung von zentralen katholischen Glaubenssätzen. Die Katharer, deren Glaube auf dem Balkan entstand und sich von dort über Oberitalien bis nach Südfrankreich ausbreitete, glaubten nicht an die Inkarnation Christi und lehnten auch die heiligen Sakramente ab (Taufe, Firmung, Priesterweihe, Eucharistie, Buße, Krankensalbung und Ehe). Die physische und materielle Welt galt ihnen als böse, nicht von Gott, sondern vom Teufel erschaffen. Christi Körperlichkeit war in ihren Augen eine bloße Erscheinung. Wichtig sei nur die Botschaft der Erlösung, die Gott uns durch ihn gesandt habe. Das sei die von Christus eingeführte, durch Handauflegen vollzogene Geisttaufe, die dem Empfänger den Heiligen Geist spende und den Weg zur Rückführung der verlorenen Seele ebne.

Das Consolamentum, die Geisttaufe, war das zentrale Sakrament der Katharer. Wer es empfing, verpflichtete sich, fortan ein streng moralisches und asketisches Leben zu führen, sexuell enthaltsam zu sein, keine weltliche Macht anzustreben und jeglichem Besitz zu entsagen. Die »guten Christen«, wie sie sich selbst nannten, gelobten, nie mehr zu lügen und Tiere weder zu töten noch zu essen. Diejenigen, die das Consolamentum empfingen und die damit verbundene »Vollkommenheit« lebten, wurden von den katharischen Gläubigen wie Heilige verehrt. Nicht alle nahmen diese Bürde in der Blütezeit ihres Lebens auf sich. Erlaubt war auch, das Consolamentum erst kurz vor dem Tod zu erhalten, was einem Großteil der Katharer bis ins hohe Alter ein recht »sündiges« Leben erlaubte.

Wie reagierte der Papst auf die Ketzer?

Die Kirche antwortete mit Gewalt. Die radikale Nachfolge Christi fernab der dogmatischen Amtskirche und die zunehmende Ausbreitung der Katharer in Südfrankreich und Norditalien missfiel den Kirchenoberen, die den katharischen Anspruch, »gute Christen« zu sein, als eine Herabsetzung der Gesinnung der römischen Kirche sahen und die Entstehung einer »Gegenkirche« befürchteten. 1209 begann Papst Innozenz III. einen Kreuzzug gegen eine Gruppe der Katharer, die südfranzösischen Albigenser, die nach ihrem Zentrum, der Stadt Albi, benannt wurden und großen Einfluss auf die Kultur und Politik dieser Region hatten. 1231 bis 1233 wurde die päpstliche Inquisition eingesetzt. Die Inquisitoren stellten die Häretiker vor die Wahl, entweder ihrem Irrglauben abzuschwören oder auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Viele blieben standhaft und zogen den Tod der Lossagung vor. Mit dem Ende des 13. Jahrhunderts gab es in Frankreich keine Katharer mehr, in Italien hielten sie sich noch bis ins späte 14. Jahrhundert.

Wer waren die Waldenser?

Die Waldenser waren ursprünglich eine kleine Gruppe von in Armut lebenden Laienpredigern, die der orthodox-katholischen Kirche nahestanden und deren Lehre anerkannten. Papst Alexander III. erlaubte ihnen das Predigen unter der Bedingung, dass sie jeweils die Erlaubnis des örtlichen Bischofs einholten. Ihr Gründer Petrus Waldes war ein reicher Kaufmann aus Lyon, der 1175 seinen Besitz aufgab, um fortan in der Nachfolge Christi zu leben. Die »Armen von Lyon«, wie sie auch genannt wurden, predigten die Botschaften der Bibel, die sie in ihre Landessprache übersetzt hatten.

Blieben die Waldenser toleriert?

Nein. Der Lyoner Bischof empfand die Laien, die sich anmaßten, das Evangelium zu interpretieren, schon bald als bedrohlich und verbot ihnen das Predigen, was sie jedoch ignorierten. 1184 wurden sie von Papst Lucius III. exkommuniziert und der Ketzerei bezichtigt. Das führte zu einer Radikalisierung der Bewegung, deren Anhängerschaft sich in Mittel- und Südeuropa ausbreitete. Die Waldenser wählten eigene Bischöfe und Diakone und sahen sich nun als Alternative zur Kirche, die sich in ihren Augen längst vom Urchristentum entfernt hatte. In der weitgehenden Ablehnung der Sakramente, der Heiligen- und Reliquienverehrung sowie der päpstlichen Autorität glichen sie den Katharern, doch das Wesen ihrer Bewegung war ein anderes. Zentral blieb die Botschaft der Bibel, deren Auslegung jedem würdigen Laien zugänglich und erlaubt war.

Was glaubten die Katharer?

»Sie leugneten die Gnade der heiligen Taufe sowie die Weihe des Blutes und Leibes des Herrn und die Vergebung der Sünden. Sie wandten sich von den Bindungen der Ehe ab und enthielten sich einer Nahrung, die Gott selbst geschaffen hat, des Fleisches und des Fetts, als unreiner Dinge«, so schrieb der mittelalterliche Mönch Jean aus der Benediktiner-Abtei Fleury in einem Brief über die Lehre der Katharer.

Wussten Sie, dass …

es neben den Sekten auch einzelne »Ketzer« wie John Wyclif oder Girolamo Savonarola gab, die aus Sicht der Amtskirche vom einzig wahren Glauben abgefallen waren?

der Begriff »Ketzer« von »Katharer« abstammt? »Katharer« wiederum geht auf das griechische »katharoi«, »die Reinen«, zurück. So bezeichnete der Zisterziensermönch Ekbert von Schönau die Sekte.

es in Italien noch heute Waldenser gibt?

die Waldenser apostolisch gesinnten Laien erlaubten, Taufe, Beichte und Eucharistiefeier auszuführen?

Die Inquisition: Verfolgung im Namen Gottes

Was war die Inquisition?

Die Inquisition im engeren Sinne war eine Behörde der römisch-katholischen Kirche, die 1232 von Papst Gregor IX. eingeführt wurde. Sie sollte Abweichler von der kirchlichen Lehre aufspüren und bestrafen. Eine führende Rolle bei der Organisation und Durchführung der Inquisition spielten die Franziskaner und insbesondere auch die Dominikaner.

Die Inquisition führte die Untersuchung und den Prozess, die Bestrafung der Ketzer wurde hingegen der weltlichen Gewalt übertragen. Auf eine solche weltliche Macht, auf Friedrich II., der aus politischen Gründen die Häretiker in Oberitalien bekämpfte, geht die Einführung des Scheiterhaufens (1224) zurück. Gregor IX. übernahm die Hinrichtungsmethode in den so genannten Ketzerdekreten von 1231 mit der Begründung, dass durch das Verbrennen des Leibes zumindest die Seele durch Fürbittgebete gerettet werden könne. Gregors Nachfolger Innozenz IV. genehmigte 1252 ausdrücklich die Folter bei Inquisitionsprozessen.

Wurden Andersgläubige schon immer verfolgt?

Nein. Die Inquisition brachte etwas völlig Neues in die Geschichte des christlichen Abendlandes, denn systematische Verfolgungen Andersdenkender hatte es zuvor nur kurze Zeit in der spätantiken Kirche gegeben, als das Christentum im 4. Jahrhundert gerade zur offiziellen Staatsreligion des Römischen Reiches geworden war.

Danach sah man im christlichen Abendland für fast ein Jahrtausend von der gewaltsamen Verfolgung Andersgläubiger ab, zumal es sie in größeren Gruppen gar nicht gab. Zwar wurden gegen einzelne Abweichler manchmal Kirchenstrafen verhängt, die zumeist aus Bußübungen bestanden, höchstens aus Verbannung, und spontaner Volkszorn führte immer wieder vereinzelt zur Tötung religiöser Abweichler. Doch wurden solche Auswüchse zunächst von der staatlichen und kirchlichen Obrigkeit abgelehnt. Diese relative Toleranz fand im 12. Jahrhundert mit dem Kampf gegen die Waldenser und die Katharer ein Ende. Die Inquisition wurde für Jahrhunderte zur ständigen Begleiterin der Kirche, aber auch viele weltliche Herrscher gebärdeten sich als eifrige Ketzerverfolger. Der Lohn, der nach einer erfolgreichen Verurteilung winkte, war immerhin der Einzug aller Güter und Ämter des der Ketzerei Überführten.

Die Inquisition konnte im Christentum einen so großen Raum einnehmen, weil der Universalitätsanspruch der Kirche, der sich auf den so genannten Tauf- und Missionsbefehl des Matthäusevangeliums stützt (»Gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker«), als unvereinbar mit dem Gedanken eines friedlichen Nebeneinanders verschiedener Auffassungen angesehen wurde.

Wo waren die Zentren der Verfolgung?

Ende des 15. Jahrhunderts wütete die organisierte Verfolgung Andersgläubiger in Spanien. König Ferdinand, genannt »der Katholische«, räumte dem Großinquisitor Tomás de Torquemada große Macht ein. Zwischen 1483 und 1498 fielen ihm zahllose Menschen zum Opfer, meist ehemalige Juden oder muslimische Mauren, denen man ihre Bekehrung zum Christentum nicht glaubte und die man verdächtigte, heimlich noch dem alten Glauben anzuhängen. Oft hatte man es vor allem auf das Hab und Gut der Verfolgten abgesehen oder neidete den zum Christentum Übergetretenen ihren gesellschaftlichen Aufstieg.

Mitte des 16. Jahrhunderts richtete sich die Inquisition in Italien, Portugal und Spanien mit unbarmherziger Härte gegen alle, die sich den Ideen der Reformation gegenüber aufgeschlossen zeigten. Papst Paul III. richtete im Jahr 1542 in Rom eine Inquisitionszentrale für die ganze Welt ein. Die heilige Versammlung der weltweiten Inquisition (»Sacra Congregatio Universalis Inquisitionis«) richtete 1559 einen Index für verbotene Bücher ein, der in abgeschwächter Form bis heute Bestand hat. Auch wurden Wissenschaftler wie Giordano Bruno (1592) und Galileo Galilei (1633) von der Inquisition angeklagt. Sie sollten ihre astronomischen Erkenntnisse widerrufen, nach denen sich die Erde um die Sonne drehe. Bruno weigerte sich und wurde 1600 öffentlich verbrannt. Galilei kam zwar mit dem Leben davon, stand aber den Rest seines Lebens unter strikter Beobachtung und Hausarrest.

Wie liefen die Prozesse ab?

In den Prozessen der Inquisition wurden grundlegende Regeln der Rechtsprechung auf den Kopf gestellt. Dieselbe Instanz erhob Anklage, leitete die Untersuchung und sprach das Urteil. Angeklagt wurde aufgrund von Denunziation, zwei Zeugenaussagen galten oft schon als Beweis und Geständnisse wurden durch Folter erpresst. Erst die Aufklärung mit ihrer Trennung von religiöser und staatlicher Gewalt erschwerte solche Willkürakte.

Existiert die Inquisition noch?

In einigen Ländern (Spanien, Portugal, Italien, Vatikanstaat) bestand die Inquisition bis ins 19. Jahrhundert. Nach dem zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), auf dem sich die römisch-katholische Kirche vielen Aspekten der Moderne öffnete, wurde die Inquisitionsbehörde in »Heilige Kongregation für die Glaubenslehre« umbenannt, die bis heute die Lehren der römisch-katholischen Kirche prüft. Erst 1992 gab die katholische Kirche offiziell ihren Irrtum zu und rehabilitierte Galilei und sein heliozentrisches Weltbild.

Martin Luther und die Reformation: Eine Idee mit Zündstoff

Wie wurde Martin Luther zum Mönch?

Dem im Jahr 1483 in Eisleben (Sachsen-Anhalt) geborenen Luther war es nicht in die Wiege gelegt, einmal als bedeutender Reformator des Christentums in die Geschichte einzugehen. Eigentlich sollte der Sohn eines aufstrebenden Bergwerkunternehmers Jurist werden. Doch im Sommer 1505 überraschte ihn auf freiem Feld ein Gewitter. Unter Todesangst versprach der 22-Jährige, er wolle Mönch werden, wenn ihn das Unwetter verschone. Luther überlebte und trat zum Entsetzen seiner Eltern in den Augustinerorden in Erfurt ein.

Wie fand Luther zu seiner neuen Theologie?

Der Orden erkannte Luthers Begabung und bestimmte ihn zum Theologiestudium, in dem der Novize schnell voranschritt und das er bald abschloss. 1512 promovierte Luther zum Doktor der Theologie und wurde Professor an der Universität zu Wittenberg. Die Lektüre der Bibel, besonders des Römerbriefes, brachte Luther eine befreiende Erkenntnis, die zum Bruch mit der römischen Kirche führen sollte. Wenn das Heil des Menschen ein Geschenk eines liebenden Gottes ist, so Luther, dann muss es sich der Mensch auch nicht durch gute Werke vor Gott verdienen – schon gar nicht mit dem Kauf von Ablassbriefen, die zu dieser Zeit besonders erfolgreich der Dominikaner Johannes Tetzel im Auftrag des Vatikans verkaufte, um den Bau des Petersdoms in Rom zu finanzieren.

Was verkündeten die 95 Thesen?

Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Luther in Wittenberg seine berühmten 95 Thesen, in denen er sich gegen den Ablasshandel wandte. Die berühmte erste These lautet: »Unser Herr Jesus Christus will, dass unser ganzes Leben eine Buße sei.« Luthers Erkenntnis war, dass nicht einmalige Werke, sondern eine neue Lebens- und Existenzhaltung im Sinne der Bibel den Menschen zum Heil führen.

Die noch neue Erfindung des Buchdrucks sorgte dafür, dass Luthers Thesen und seine anderen reformatorischen Schriften schnell verbreitet wurden. Luthers Ideen waren der Funke, an dem sich die seit Jahrzehnten brodelnde Unzufriedenheit mit einer verkommenen und selbstzufriedenen Kirche vollends entzündete.

Wie verhielt sich die kirchliche Obrigkeit?

Die römische Kirche reagierte mit Ablehnung und Repression: Luther wurde erst gemahnt, dann gebannt. »Hilf Herr, ein Wildschwein verwüstet deinen Weinberg«, schrieb der Papst in seiner Bannbulle von 1520, die Luther mit Studenten in Wittenberg öffentlich verbrannte. Während sich viele Fürsten Luther anschlossen und die Reformation in den ersten Jahren in Deutschland eine Volksbewegung wurde, stand Kaiser Karl V. fest zum Papst. Ihm war die Einheit von weltlichem und geistlichem Reich wichtiger als die neuen Ideen. Der Kaiser zitierte Luther vor den Reichstag zu Worms. Er sollte seine Lehren widerrufen. Aber Luther widerstand und am Ende fiel angeblich der berühmte Satz: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir!«

Wo übersetzte Luther die Bibel ins Deutsche?

Nach dem Wormser Reichstag musste Luther über ein Jahr inkognito auf der Wartburg in Thüringen verbringen, da er für vogelfrei erklärt worden war und somit von jedem straffrei getötet werden konnte. In dieser Zeit übersetzte er die Bibel ins Deutsche. Damit waren die heiligen Bücher der Deutungshoheit einiger weniger gebildeter Kleriker, die Griechisch und Latein konnten, entrissen. Kaiser Karl versuchte die Fürsten, die die Reformation unterstützten, mit Gewalt wieder zum alten Glauben zu zwingen. Es begann eine Reihe von Kriegen, in denen nicht wenige Fürsten aus machtpolitischen Gründen immer wieder die Seiten wechselten.

Wie wurde der Religionskonflikt geschlichtet?

Erst neun Jahre nach Luthers Tod 1546 war man des Religionsstreites müde. Im Augsburger Religionsfrieden wurde 1555 der Status quo festgelegt. Es galt der Grundsatz »cuius regio, eius religio« (wessen das Land, dessen der Glaube): Die Untertanen hatten sich also nach der Konfession ihres jeweiligen Landesherren zu richten. Doch der Friede sollte sich als brüchig erweisen. Die große Zeit der Konfessionskriege stand Europa noch bevor.

Wussten Sie, dass …

unklar ist, ob Luther seine berühmten 95 Thesen wirklich an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg schlug? Vielleicht wählte er doch den weniger provokanten Weg und hängte sie nur in der Universität aus.

Luther seinen Nachnamen erst 1517 von ursprünglich Luder zu Luther änderte? Dies geschah in Anlehnung an das griechische »eleutheros«, was so viel wie »Befreiter« oder »frei« bedeutet. Damit wollte er wohl seinen geistigen Reifeprozess dokumentieren.

Kalvinismus: Wirtschaftlicher Erfolg als Zeichen der Erwählung

Wie hießen die beiden wichtigsten Reformatoren neben Luther?

Der Schweizer Ulrich Zwingli (1484–1531) und der gebürtige Franzose Johannes (Jean) Calvin (1509–1564) sind die bedeutendsten Reformatoren des Protestantismus nach Martin Luther. Beide wurden von dessen Theologie aufgerüttelt und geprägt, beide entwickelten sie weiter und betonten in besonderer Weise die Ethik.

Stärker noch als bei Martin Luther stand bei den beiden in der Schweiz wirkenden Reformatoren die Erwählung und die Heiligung des Einzelnen im Mittelpunkt ihrer Lehre. Beide nahmen großen Einfluss auf das politische Leben ihrer Wirkungsstätten Zürich und Genf.

Wer brachte die Reformation in die Schweiz?

Ulrich Zwingli wurde 1518 Priester am Großmünster in Zürich und führte sogleich neue Sitten ein. Der humanistisch gebildete Theologe stürzte den Predigtplan um und legte mit größter wissenschaftlicher Genauigkeit der Reihe nach alle biblischen Schriften aus. Beflügelt von Martin Luthers Erfolg im Deutschen Reich, griff Zwingli die bestehende Kirche systematisch an. Demonstrativ brachen Zwingli und seine Getreuen mit den kirchlichen Gebräuchen. Zur Fastenzeit veranstalteten sie etwa ein Wurstessen. Zwingli verteidigte sein Vorgehen mit dem Argument, die kirchlichen Fastengesetze hätten keine Begründung in der Heiligen Schrift. 1522 heiratete Zwingli Anna Reinhart, zu der er schon länger eine inoffizielle Beziehung unterhielt. Der zuständige Bischof protestierte gegen den Bruch des Zölibats, aber der Stadtrat von Zürich stärkte Zwingli den Rücken.

Als aber 1524 die Zürcher die Heiligenbilder in den Stadtkirchen zerstörten und sämtliche Orgeln herausrissen, lenkte Zwingli die wilden Bilderstürmer wieder in geordnetere Bahnen. Im Prinzip aber sympathisierte er mit ihrem Vorgehen, denn die aufwendige Ausschmückung der Kirchen, so urteilte der Reformator in drastischer Weise, sei »nichts denn ein Beschiss«. So legte Zwinglis Reformation den Grundstein für die evangelisch-reformierte Kirche. In der Abendmahlslehre erreichte er mit dem deutschen Reformator keine Einigung. Während Zwingli das Abendmahl als rein symbolisches Geschehen interpretierte, beharrte Luther auf der Realpräsenz Christi in den Sakramenten.

Wie errichtete Calvin in Genf eine strenge Gottesherrschaft?

Schon wenige Jahre nach Ulrich Zwinglis Tod machte ein weiterer Reformator in der Schweiz von sich reden: Johannes Calvin. Der 25-Jährige hatte aus Glaubensgründen seine Heimat Frankreich verlassen müssen. In Basel veröffentlichte er 1536 seine »Institutio religionis christianae«, eine ausführliche, systematische Darstellung der reformatorischen Lehren, die in den folgenden Jahren immer wieder neu aufgelegt wurde. Im selben Jahr ging Calvin nach Genf, wo er mit einigen kurzen Unterbrechungen bis zu seinem Tod im Jahr 1564 wirkte. 1541 erreichte Calvin beim Rat der Stadt, dass die Bevölkerung Genfs auf eine Kirchenordnung verpflichtet wurde. Gottesdienstbesuch war Pflicht jedes Bürgers und moralische Verfehlungen konnten den Ausschluss vom Abendmahl und sogar die Ausweisung aus der Stadt zur Folge haben.

Unrühmlicher Höhepunkt der Calvin'schen Gottesherrschaft in Genf war die Hinrichtung von Michael Servet im Oktober 1553. Servet, der die Trinitätslehre ablehnte, wurde in ganz Europa als Ketzer gesucht und bei einem Gottesdienstbesuch in Genf erkannt. Auf Betreiben Calvins machte ihm der Magistrat der Stadt den Prozess, der zu Servets Verbrennung führte.

Wo wich Calvin von der Lehre Luthers ab?

Im Gegensatz zu Luther, dem nur die rechte Verkündigung des Evangeliums und die Darreichung der Sakramente als entscheidendes Kennzeichen der Kirche galten, war für Calvin die Gemeindeverfassung und ihre strikte Einhaltung das wesentliche Kennzeichen. Dieser ethische Rigorismus des Reformators speiste sich aus der Eigenart seiner Theologie. Zwar stand Calvin in vielem Luther nahe, doch ähnlich wie Zwingli legte er viel Wert auf das persönliche Verhalten des einzelnen Christen, auf die Heiligung, wie es in theologischer Sprache hieß. Grundlage dieser Auffassung war Calvins Lehre von der Vorherbestimmung, der Prädestination, jedes einzelnen Menschen zum Heil oder zum Unheil.

Was behauptet die Prädestinationslehre?

Den Charakter der Erwählung, so glaubte Calvin, könne man am weltlichen und beruflichen Erfolg des einzelnen Christen ablesen. Zwar lehnte Calvin wie Luther die Lehre von der Erlangung des Heils durch menschliche Werke ab. Aber durch die Prädestinationslehre schlich sie sich gleichsam durch die Hintertüre wieder ein. Diese leistungsbezogene Ethik passte zum beginnenden Kapitalismus des 16. Jahrhunderts. Erfolg im Wirtschaftsleben galt als Zeichen der Erwählung, deshalb blühte in den meisten kalvinistisch geprägten Ländern der Handel. Die Reformation gewann durch den Protestantismus Calvins und Zwinglis an weltgestaltender Macht. Eine Dynamik, die dem meist obrigkeitstreuen Luthertum fremd war.

Wussten Sie, dass …

Ulrich Zwingli wie sein Vorbild Martin Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte?

der deutsche Soziologe Max Weber die stark leistungsbezogene Ethik des Kalvinismus später treffend als »innerweltliche Askese« bezeichnet hat? In »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« von 1905 untersucht der Mitbegründer der deutschen Soziologie die Auswirkungen der protestantischen Arbeitsethik auf den Aufstieg des Kapitalismus in der westlichen Welt.

Der Anglikanismus: Heinrich VIII. sagt sich von Rom los

Was war der Auslöser für den Bruch mit dem Papst?

Papst Leo X. verweigerte die Zustimmung, als der englische König Heinrich VIII. seine Ehe mit Katharina von Aragonien scheiden lassen wollte. Dies versetzte Heinrich VIII. so in Zorn, dass er sich 1531 von Rom lossagte und den englischen Klerus zwang, ihn selbst als Oberhaupt der Kirche anzuerkennen. 1534 billigte das englische Parlament die so genannte Suprematsakte, die den König offiziell als »oberstes Haupt der englischen Kirche auf Erden« anerkannte.

Als nunmehr ranghöchster Geistlicher der englischen Kirche erklärte der Erzbischof von Canterbury die Ehe Heinrichs VIII. mit Katharina für nichtig und der König heiratete die von ihm geliebte Hofdame Anna Boleyn. Allerdings hielt er auch ihr nicht sehr lange die Treue, sondern schickte sie 1536 bereits aufs Schafott. Danach ging er bis zu seinem Tode 1547 noch vier weitere Ehen ein.

Warum war Heinrich ein Reformer wider Willen?

An theologischen und den Kultus betreffenden Reformen hatte er wenig Interesse. Die von Heinrich VIII. begründete englische (auf Latein »anglikanische«) Staatskirche orientierte sich in Sachen Verfassung und Dogma – mit Ausnahme der Anerkennung des Papsttums – zunächst eng am römisch-katholischen Vorbild. Dann erließen seine Theologen 1536 zehn Glaubensartikel, die die Prinzipien der Bibelauslegung und der Rechtfertigungslehre der deutschen Reformatoren unterstützten. Überdies enteignete Heinrich – für die Krone sehr lukrativ – 300 Klöster in England.

Doch nur drei Jahre später schenkte der König den konservativen Vertretern der Geistlichkeit sein Vertrauen und diese lehnten sich theologisch wieder enger an die römische Kirche an. Das so genannte Blutige Statut von 1539 verpflichtete die Engländer unter Androhung schwerster Strafen auf die römische Abendmahlslehre, bekräftigte das Zölibat der Priester und führte die Ohrenbeichte und Privatmessen wieder ein. Der äußerst rabiate König ließ 1540 seinen engen Mitarbeiter Thomas More enthaupten. Dieser hatte sich geweigert, die antipäpstliche Politik des Königs zu unterstützen.

Wann gelangte die Reformation nach England?

Erst als Heinrich VIII. 1547 starb, kam die Reformation in England substanziell weiter voran. Thronfolger Eduard war neun Jahre alt und der Lordprotektor Somerset nutzte seinen Einfluss, um die Reformation der englischen Kirche voranzutreiben. Die katholische Messe wurde endgültig abgeschafft und die Vorstellung vom Fegefeuer verworfen. Bezüglich der Rechtfertigungslehre orientierte man sich immer stärker an den Lutheranern. Außerdem wurde das Zölibat der Priester aufgehoben. Die neue reformatorische Liturgie fand im 1549 eingeführten allgemeinen Gebetbuch (Book of Common Prayer) ihren Niederschlag. Zu dieser Zeit wurde der theologische Einfluss der Lutheraner auf die anglikanische Kirche abgelöst durch den der reformierten Theologen, die sich an den Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin orientierten. So wirkte der reformierte Theologe Martin Bucer mehrere Jahre in Cambridge.

Wer versuchte, England zu rekatholisieren?

1553 kam es zu einer erneuten Wende, als Maria Tudor dem bereits mit 15 Jahren verstorbenen Eduard auf den Königsthron folgte. Die Tochter Heinrichs VIII. und Katharina von Aragoniens begann sofort, eine völlige Rekatholisierung Englands in die Wege zu leiten. Sie führte nach über 20 Jahren wieder die päpstliche Rechtsprechung in der englischen Kirche ein und verfolgte erbarmungslos alle protestantischen Regungen. Viele Engländer flohen aus religiösen Gründen in die Niederlande und Maria erhielt den Beinamen »die Blutige«. Ihr Schreckensregiment und ihre spanienfreundliche Politik förderten jedoch unter Englands Adel und Volk nur die Abneigung gegen das Papsttum und den römischen Katholizismus.

Wie festigte Elisabeth I. den Protestantismus?

Als Maria Ende 1558 einer Krankheit erlag, atmete das Land auf, und Elisabeth I., die Tochter Heinrichs VIII. und Anna Boleyns, bestieg den Thron. Sie errichtete von neuem eine von Rom unabhängige englische Staatskirche und führte England endgültig in das protestantische Lager. 1559 wurde die Suprematsakte von 1534 erneuert und die evangelische Liturgie aus der Zeit vor Maria wiederhergestellt. Im Jahr 1563 erhielt die anglikanische Kirche 39 Glaubensartikel, die die Lehre der englischen Kirche im reformatorischen Sinn formulierten. Damit war England endgültig ins protestantische Lager übergewechselt und wurde in der weiteren Geschichte ein, wenn nicht sogar das Hauptland des Protestantismus.

Wussten Sie, dass …

König Heinrich VIII. als junger Mann eine umfangreiche theologische Ausbildung genossen hatte und der Reformation Martin Luthers auf dem Festland zunächst sehr ablehnend gegenüberstand?

Heinrich im Jahr 1521 sogar eine Streitschrift gegen die lutherische Sakramentenlehre verfasste und dafür von Papst Leo X. den Titel »Verteidiger des Glaubens« verliehen bekam?

Reformation und Gegenreformation: Das Zeitalter der Konfessionen

Was löste Luther mit seinem Protest aus?

Mit seiner hartnäckigen Forderung nach einer grundlegenden Erneuerung der katholischen Kirche rührte er an die Grundfesten der europäischen Herrschaftsordnung und leitete einen 150-jährigen Umbruchprozess ein, der Europa nicht nur das zweite große christliche Schisma bescherte, sondern den Kontinent auch politisch grundlegend veränderte. Luthers heftiger Protest gegen die Missstände in der Papstkirche hatte Folgen, die der Reformator weder voraussah noch beabsichtigte.

Warum kam es zum Kampf zwischen Territorialfürsten und Kaiser?

Ein Kernproblem des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation lag seit jeher im schwierigen Interessenausgleich zwischen kaiserlicher Zentralmacht und fürstlichen Territorialgewalten. Kaum mehr als zwei Jahrzehnte nach dem gescheiterten Versuch einer politischen Neuordnung des Reiches am Ende des 15. Jahrhunderts riss die Reformation die Gräben noch weiter auf. Viele Fürsten verstanden nur zu gut, die Chance zu nutzen, die in der nun möglichen Unterwerfung der Religion unter die Staatsmacht lag, und gefielen sich in der Rolle des Schutzherren des neuen Bekenntnisses.

Machtbewusste protestantische Landesherren, wie Landgraf Philipp von Hessen oder Kurfürst Moritz von Sachsen, nutzten die Abwesenheit Kaiser Karls V., der mit habsburgischer Universalpolitik beschäftigt war, um ihre Einflussbereiche auszudehnen. Im so genannten Schmalkaldischen Krieg (1546–1547) – benannt nach dem von protestantischen Fürsten und einigen Reichsstädten gegründeten Schmalkaldischen Bund zur Verteidigung des Protestantismus gegen die Habsburger – triumphierte zunächst der Kaiser.

Wie wurde die Gegenreformation eingeläutet?

Während die protestantischen Fürsten nach der Niederlage von 1547 langsam wieder erstarkten und sich Johannes Calvin, neben Luther und Zwingli der dritte große Reformator des 16. Jahrhunderts, die Stadt Genf unterwarf und zum Zentrum seiner radikalen Spielart des Protestantismus umgestaltete, versuchte die römisch-katholische Kirche ihr dogmatisches Profil gegenüber der Reformation zu schärfen, ja teils neu zu bestimmen. Das in der norditalienischen Stadt Trient abgehaltene Konzil (1545–1563) gilt als der programmatische Beginn der Gegenreformation, deren wichtigste Propagandisten die jesuitischen Glaubenssoldaten des Ignatius von Loyola wurden. In weit nach Übersee ausgreifender Missionstätigkeit versuchten sie die Ideologie vom Orbis catholicus geografisch weiträumig und fantasiereich zu verbreiten. Universitätsgründungen, Jesuitentheater und prachtvolle frühbarocke Kirchenbauten gehörten zu den wichtigsten Bausteinen ihres Repertoires.

Im Reich schrieb unterdessen der Augsburger Religionsfrieden von 1555 die Spaltung in katholische und lutherische Gebiete endgültig fest. Das Prinzip »cuius regio, eius religio« (wessen das Land, dessen der Glaube) löste nicht den Glaubenszwist, sondern nahm ihn hin und versuchte ihn politisch in den Griff zu bekommen.

Welche politisch-religiösen Konflikte gab es?

Trotz des Religionsfriedens kam die Mitte Europas nicht zur Ruhe, eine wichtige Rolle spielte die Tatsache, dass sich die konfessionellen Spannungen mit den verschiedenen politischen Konflikten in Deutschland und Europa verbanden. In Deutschland ging es den protestantischen Reichsfürsten in ihrem Widerstand gegen den Kaiser nicht nur um religiöse Fragen, sie suchten auch die habsburgische Macht zurückzudrängen. Überlagert wurde dieser Konflikt von der Konfrontation zwischen den Habsburgern, die in Deutschland und Spanien herrschten, und Frankreich, das – obgleich mehrheitlich katholisch – die protestantischen Reichsfürsten in ihrer Haltung gegenüber dem Kaiser unterstützte. Im Hintergrund standen zudem protestantische Staaten wie Dänemark und Schweden, die ihre Stellung auf Kosten der Habsburger ausbauen wollten, während die protestantischen Niederlande bestrebt waren, ihre Unabhängigkeit von dem katholischen Spanien zu sichern. Die außenpolitische Konstellation des Dreißigjährigen Krieges begann Gestalt anzunehmen.

Wie kam es zum Dreißigjährigen Krieg?

1618 brachte der Anspruch der böhmischen Stände, sich einen Kalvinisten zum König zu wählen und die habsburgische Herrschaft zurückzuweisen, die Spannungen zur Entladung. Was als Scharmützel begann, weitete sich zu einer europäischen Auseinandersetzung zwischen Habsburg und den katholischen Reichsfürsten auf der einen und den protestantischen Mächten und Frankreich auf der anderen Seite aus. Der dreißigjährige »Religionskrieg« endete im Westfälischen Frieden von 1648 mit der faktischen Wiederherstellung der Beschlüsse des Augsburger Religionsfriedens, brachte also gegenüber 1555 wenig Neues. Hingegen bestand das Ergebnis des internationalen Hegemonialkrieges in der Stärkung Frankreichs und der Verwüstung und Neutralisierung der Mitte Europas; in weiten Teilen war Europa regelrecht entvölkert.

Wussten Sie, dass …

das konfessionelle Zeitalter 1685 einen letzten Nachklang in der Rücknahme des Ediktes von Nantes durch Ludwig XIV. fand? Religionspolitik war Teil einer groß angelegten absolutistischen Machtpolitik, die zum Ziel hatte, Frankreich als den dominierenden Staat ins 18. Jahrhundert zu führen.

Die Jesuiten: Der Orden der Gegenreformation

Welche Ausrichtung hatten die Jesuiten?

Gegründet wurde die Societas Jesu (Gesellschaft Jesu) im Jahr 1534 von Ignatius von Loyola (1491–1556), einem baskischen Edelmann. 1540 wurden die Jesuiten von Papst Paul III. offiziell als Orden anerkannt. Im Gegensatz etwa zu den Bettelorden, die auch Konflikte mit dem Papsttum austrugen, unterwarfen sie sich ganz dem Willen des Papstes. Einen Eindruck vom Selbstverständnis dieses reinen Männerordens gibt schon die Bezeichnung »milites Christi«. Schlagkraft verlieh diesen »Soldaten Christi« eine straffe, strikt hierarchisch gegliederte Organisation mit dem Ordensgeneral an der Spitze.

Was unterschied sie von anderen Orden?

Die Jesuiten unterschieden sich von anderen Orden auch durch den Verzicht auf ein bestimmtes Ordenskleid und auf das gemeinsame Chorgebet. Sie lebten nicht abgeschieden von der Welt hinter dicken Klostermauern, sondern unter den Menschen, die sie erreichen wollten. Denn als ihre Hauptaufgabe begriffen die Jesuiten die Verkündung der katholischen Lehre, die sie von der protestantischen Reformation bedroht sahen.

Wie verbreiteten die Jesuiten ihre Lehre?

Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit lag in der Predigt, aber auch in der Erziehung junger Menschen im »rechten Glauben« in ihren Kollegien und Schulen. Bis heute gelten Jesuiten als herausragende Vertreter von Lehre und Bildung, bestens geschult in argumentativen Praktiken und theoretischen Grundlagen. Um 1600 war die Gesellschaft Jesu bereits in sämtlichen katholischen Ländern Europas vertreten und erlangte durch ihre Arbeit an Schulen und Universitäten und in der Seelsorge erheblichen Einfluss.

Ein Ziel der Jesuiten war der Einfluss auf die Mächtigen. Den übten sie oft als Beichtväter und Seelsorger an katholischen Königs- und Fürstenhöfen aus, was in Zeiten der Aufklärung heftig kritisiert wurde. So kamen die Jesuiten in den Ruf, hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Häufig verdächtigten ihre protestantischen, aber auch katholischen Gegner sie der Verschwörung.

Wie entwickelte sich der Orden bis heute?

1773 wurde der Jesuitenorden auf Betreiben Spaniens und Frankreichs von Papst Klemens XIV. aufgehoben. Zahlreiche Jesuiten fanden in Preußen und Russland Zuflucht, wo die päpstliche Autorität nicht galt. Insbesondere Friedrich der Große wollte die Vorteile des jesuitischen Schulsystems nicht missen. 1814 ließ Papst Pius VII. die Gesellschaft Jesu wieder zu, die schnell zu alter Größe wuchs.

Im Deutschen Kaiserreich wurden die Jesuiten als Folge des Kulturkampfs 1872 durch Bismarcks »Jesuitengesetz« des Landes verwiesen. Die Aufhebung dieses Gesetzes erfolgte erst 1917. Sein größtes Wachstum erlebte der Orden weltweit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Zahl der Mitglieder erreichte mit 36000 ihren bisherigen Höchststand. Die NS-Diktatur bezeichnete die Jesuiten als »Volksschädlinge«, mehrere Ordensmitglieder erhielten Predigtverbot oder kamen in Konzentrationslager. Pater Rupert Mayer (1876–1945), der große Münchner Männerseelsorger, wurde im Kloster Ettal interniert.

Heute gibt es rund 21 000 Jesuiten in 120 Ländern. Die Ordensleute unterhalten Gymnasien, betätigen sich in der Jugendarbeit und sind durch die Publikationen ihrer Wissenschaftler in der Welt der Forschung präsent. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist der Orden auch in mehreren osteuropäischen Ländern wieder zugelassen.

Warum waren die Jesuiten häufig Missionare?

Die Jesuiten kannten keine stabilitas loci, keine »Beständigkeit des Ortes«, keine Bindung an ein Kloster. Vielmehr wurde ihnen höchste Flexibilität und Mobilität abverlangt. Sie hatten an dem Ort und in der Funktion zu dienen, die ihnen der Papst zuwies, nicht zuletzt als Missionare in fernen, unbekannten Ländern. So wurden sie oft zu Entdeckern, Geografen – und zu Kämpfern gegen die Auswüchse des europäischen Kolonialismus.

Im heutigen Paraguay und in Brasilien bestand von 1610 bis 1767 sogar ein Jesuitenstaat mit christlichem Sozialsystem, in dem die indianische Bevölkerung in so genannten Reduktionen – gemeinwirtschaftlichen Siedlungen – in Sicherheit vor den spanischen und portugiesischen Kolonialherren lebte und arbeitete. 1767 vertrieben die Spanier die Jesuiten aus Südamerika.

Wussten Sie, dass …

ein wichtiges Element der jesuitischen Pädagogik das Jesuitentheater war? Es handelte sich dabei um eine Kombination von moralisch-religiöser Unterweisung und Spaß am Spiel – ein geeignetes Mittel, um die einfache Bevölkerung auf anschauliche Weise weiterzubilden; gleichzeitig stellte es einen Meilenstein in der Entwicklung des neuzeitlichen Theaters dar.

Die Hexenverfolgung: Aberglaube mit christlicher Fundierung

Wann fanden die Hexenverfolgungen statt?

Vom 15. bis zum 18. Jahrhundert wurden unter dem Vorwurf der Hexerei mehr als 50000 Menschen in Europa hingerichtet. Schon im Früh- und Hochmittelalter gab es vereinzelte Prozesse und Fälle von Lynchjustiz gegen so genannte Hexen und Zauberer, die man beschuldigte, für Unwetter und Krankheiten verantwortlich zu sein. Der Glaube an Zauberei, Magie und Wahrsagerei war im einfachen Volk, in dem vorchristliche Traditionen teilweise noch lebendig waren, tief verwurzelt. Eine ausschließlich negative Bedeutung erhielten diese Dinge erst unter dem Einfluss der christlichen Theologie, die einen theologisch-philosophischen Hexereibegriff einführte.

Worin bestand der Hexenglauben?

Besonders wichtig war der Aspekt der Teufelsbuhlschaft. Demnach konnten sich Dämonen mit einem dafür prädestinierten, leicht verführbaren Menschen geschlechtlich vereinigen und einen Pakt zur Vermehrung des Bösen schließen. Man war davon überzeugt, dass sich die Hexen regelmäßig auf einer Versammlung, dem Hexensabbat, treffen, um Unzucht zu treiben und dem Teufel zu huldigen.

Ferner wurden Elemente des volkstümlichen Hexenglaubens übernommen: Hexen konnten des Nachts auf einem Besen durch die Lüfte schweben, was erklärte, warum sie sich an weit entfernten Orten spontan und zahlreich versammeln konnten, um den Hexensabbat zu feiern. Hexen konnten sich in Tiere verwandeln, wie in eine Nachteule, und den Kindern das Blut aussaugen. Zu den besonders gefürchteten Fähigkeiten gehörten der Schadenzauber und die Wettermacherei.

Was waren die Gründe für die Verfolgungen?

Als ein Auslöser kann wohl der zum Teil haarsträubende Aberglaube gelten, den die Kirche lange als sündhaft und jeder realen Grundlage entbehrend abgelehnt hatte, der aber nun plötzlich zum Bestandteil der christlichen Doktrin wurde. Doch das alleine reicht nicht aus, um die nun einsetzende Massenverfolgung der »Hexensekte« zu verstehen. Die europäischen Hexenverfolgungen, die um 1430 begannen und ihren Höhepunkt zwischen 1560 und 1630 erreichten, entwickelten sich aus den Ketzerverfolgungen der vorausgehenden Jahrhunderte. Auch den Ketzern hatte man vorgeworfen, sie hätten sich mit dem Teufel verbündet. Die damals eingerichteten Inquisitionsgerichte bildeten auch jetzt die Speerspitze der Glaubenswächter.

Welches gesellschaftliche Klima begünstigte die Hexenverfolgungen?

Bauern- und Religionskriege, Reformation und Gegenreformation, wirtschaftliche Instabilität und Naturkatastrophen ließen eine Endzeitstimmung entstehen, in der der Glaube an übernatürliche Ursachen gedieh. Insbesondere die zu dieser Zeit zu Klimaverschlechterungen führende Kleine Eiszeit erklärt nach Meinung einiger Historiker, warum es in weiten Teilen Europas nahezu gleichzeitig zu ausgedehnten Hexenjagden kommen konnte. Missernten, lange Winter, Überschwemmungen und Epidemien trafen die von der Landwirtschaft abhängige Bevölkerung ins Mark. Mit den Hexen fand man einen Sündenbock.

Welche Rolle spielte die Kirche?

Sie untermauerte die Existenz des unheilbringenden Bösen in Gestalt von Hexen mit gelehrten Traktaten. Schriften wie der berüchtigte »Hexenhammer« der Dominikaner Heinrich Institoris (1430–1505) und Jakob Sprenger (um 1435–1495), mit einem päpstlichen Vorwort versehen, wurden zu einem Bestseller und dienten den Hexenjägern als praktische Anleitung bei Verfolgung und Prozessen. Eine bloße Verdächtigung reichte aus. Unter der Not der als legitim geltenden Folter sollten die Verdächtigten nicht nur ein Geständnis ablegen, sondern auch weitere Mitglieder der Hexensekte preisgeben. So kam es, dass ganze Familien und zahlreiche Menschen aus dem Bekanntenkreis der Verdächtigten hingerichtet wurden.

Warum waren die meisten Opfer Frauen?

Dass etwa 80 Prozent aller Opfer Frauen waren, ist unter anderem auf die Tatsache zurückzuführen, dass die »Minderwertigkeit« und sexuelle Zügellosigkeit der Frau besonders im »Hexenhammer« behauptet wurde. Das Wissen von Frauen wie etwa der Hebammen um Naturheilkräuter und ihre Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit, aber auch um Abtreibungsmittel tat das seine zu ihrer Diskriminierung. Mutige Männer wie Johannes Weyer, Friedrich von Spee und Christian Thomasius wandten sich mit klugen Schriften gegen den Hexenwahn und die Verfolgungen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam es zu einem allmählichen Rückgang der Prozesse. Doch bis zur letzten Hexenhinrichtung in Europa dauerte es noch lang: Sie fand 1793 im polnischen Posen statt.

Lebt der Hexenmythos weiter?

Ja, auch heute noch glauben Menschen an das personifizierte Böse in Gestalt von Hexen und an die Möglichkeit von Schaden- und Krankheitszauber. Und die katholische Kirche hält nach wie vor fest an ihrer Überzeugung, dass es einen personalen Teufel gibt. Doch auch außerhalb des christlichen Kulturkreises existierte und existiert der Glaube an Hexerei. Und Verfolgungen gab es auch dort – sogar noch in jüngster Zeit, wie Beispiele aus Afrika zeigen.

Nordamerika im 17. Jh.: Eine puritanische Gesellschaft

Wie entstanden die Kolonien in Nordamerika?

Die ersten Einwanderer aus Europa kamen zu Beginn des 17. Jahrhunderts: 1607 entstand in Virginia die erste englische Kolonie; 1620 landeten die ersten Puritaner, die so genannten Pilgrim Fathers (»Pilgerväter«) mit ihrem Schiff Mayflower an der Küste von Massachusetts. Ihnen folgten viele Gruppen, die in Europa, der Alten Welt, unterdrückt und verfolgt wurden. Meist waren es Protestanten, aber auch Katholiken, die aus England kamen. Sie gründeten 1634 in Maryland eine Kolonie, in der offiziell Religionsfreiheit herrschte. Trotz des fehlenden Drucks der Obrigkeit prägten nicht der Pragmatismus und eine lockere Haltung in religiösen Dingen die an der Ostküste gelegenen so genannten Neuengland-Staaten des 17. Jahrhunderts, sondern das bemerkenswerte religiös-gesellschaftliche Experiment der Puritaner.

Wer waren die Puritaner?

Der Name Puritaner (von dem lateinischen Wort »purus« für »rein« abgeleitet) war in England zunächst ein Spottname für eine Gruppe kalvinistisch geprägter Protestanten gewesen, die eine strenge Ethik propagierten. Bald aber übernahmen die Frommen dies ganz bewusst als Selbstbezeichnung. Denn ein gottgefälliges Leben nach der reinen christlichen Lehre war ihr vorrangiges Ziel. Jeder Puritaner musste vor der Gemeinde bezeugen, dass er oder sie eine persönliche Bekehrung erlebt hatte. Wenn das der Fall war, dann wurden sie in die puritanische Gemeinschaft aufgenommen. Die Männer wurden durch dieses Bekenntnis auch stimmberechtigte Mitglieder der politischen Gemeinde. Als Vorbild für ihre Gemeinschaften galt den Puritanern der Bund Gottes mit dem Volk Israel.

Wie sah die puritanische Gesellschaft aus?

Die Puritaner waren äußerst sittenstreng. Sie glaubten daran, dass die Erwählung des Einzelnen von Gott sich in einem gehorsamen, tugendhaften Leben niederschlagen müsse. Ließ sich jemand in den Augen der Gemeinde ein Verschulden zukommen, so konnte das als Gottesverlassenheit interpretiert werden. Mitglieder der Gemeinschaft, die diese rigorosen Wege nicht mitgehen wollten, wurden mit Sanktionen belegt oder aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. In Massachusetts, der puritanischen Hochburg, wurden zwischen 1659 und 1661 sogar von Amts wegen vier Menschen hingerichtet, die sich ihrer Verbannung widersetzt hatten.

Zu keiner Zeit unterstützten alle Einwohner Neuenglands das puritanische Gesellschaftsexperiment, doch mehrere Jahrzehnte lang wuchs und gedieh die Vorform eines protestantischen Gottesstaates. Wirtschaftlich ging es den Kolonien gut und, gemessen an den absolutistischen Monarchien in Europa, hatten die Mitglieder der Gemeinschaften, zumindest was die Männer anging, ein Mitbestimmungsrecht in allen wichtigen politischen Entscheidungen. Deshalb erfuhr das puritanische System in Neuengland große Zustimmung.

Wann begann der Niedergang des Puritanismus?

Schwierig wurde es, als in der zweiten Generation der Puritaner gegen Ende des 17. Jahrhunderts der Glaubenseifer allmählich nachließ. Immer weniger Söhne und Töchter der Puritaner erlebten die geforderte persönliche Bekehrung. Eine Weile lang versuchte man sich mit einem Kompromiss zu helfen. Wer keine Bekehrung erlebte, durfte, sofern er sittlich einen einwandfreien Lebenswandel führte, trotzdem vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft werden und seine Kinder zur Taufe bringen. Lediglich die Teilnahme am Abendmahl blieb ihm verwehrt.

Dieser Kompromiss, bezeichnet als Half Way Covenant, zögerte das Ende der puritanischen Gesellschaftsform noch eine Weile heraus. Aber um 1720 war der Puritanismus als umfassende Lebensweise in Neuengland verschwunden. Tragende Elemente der puritanischen Mentalität aber, besonders eine charakteristische Mischung aus Erwählungsbewusstsein, Schaffenskraft und zuweilen bizarrer Sittenstrenge, prägen die Vereinigten Staaten von Amerika bis auf den heutigen Tag.

Wussten Sie, dass …

die Gewährung von Religionsfreiheit durch die englische Krone in Nordamerika zunächst aus einem ganz pragmatischen Grund erfolgte? Man benötigte Siedler, die bereit waren, das riesige Land zu kultivieren.

neben den Puritanern auch die Quäker ein »heiliges Experiment« eines demokratischen Staatswesens wagten? William Penn gründete 1682 den Quäkerstaat Pennsylvania.

Aufklärung und Romantik: Religion zwischen Vernunft und Gefühl

Wer entfachte die aufklärerische Religionsdebatte?

Der englische Philosoph und Staatstheoretiker John Locke (1632–1704) gab 1695 mit seinem Werk »Die Vernünftigkeit des Christentums« die entscheidenden Stichworte für die nächsten 100 Jahre vor. Locke, der mit seinem Hauptwerk »Versuch über den menschlichen Verstand« den englischen Empirismus begründete, betrachtete die Religion als Ansammlung von moralischen Grundsätzen, die auch der Vernunft entsprechen. Dabei ging er davon aus, dass der Mensch an sich gut sei. Dieses Leitmotiv wurde in der Folgezeit aufgegriffen und weiter entfaltet.

Wie verbreiteten die Aufklärer ihre Ansichten?

Eine wichtige Arena für die philosophischen Debatten der Aufklärung bildeten die 35 Bände der von Denis Diderot und Jean Le Rond d'Alembert herausgegebenen »Encyclopédie« (1751–1780). Diderot kritisierte in seinen Artikeln die von Kirche und Staat aufgestellten Ordnungen und Forderungen, da sie der Gerechtigkeit und Vernunft widersprächen. Mit ihrer nur angemaßten Autorität versuchten Monarchie und Klerus, die Menschen einem unnatürlichen Zwang zu unterwerfen. In der »Encyclopédie« sowie in zahlreichen anderen Werken stritt auch Voltaire (1694–1778) mit seinem gefürchteten bissigen Witz für Toleranz und Gerechtigkeit. An der Religion kritisierte er Fanatismus, Aberglauben, Dogmatismus und Mystizismus.

Was spricht gegen die Vereinbarkeit von Religion und Vernunft?

Dass die menschliche Erkenntnisfähigkeit begrenzt ist. Schon der schottische Philosoph David Hume (1711–1776) erkannte die Grenzen der menschlichen Vernunft. Die Grenze des Erfahrbaren ist für ihn zugleich die Grenze des Erkennbaren. Über die im metaphysischen Bereich beheimatete Religion lassen sich Hume zufolge daher keine wissenschaftlichen Aussagen treffen. In seiner »Kritik der reinen Vernunft« (1781) kam Immanuel Kant zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Wie Hume betonte auch er, dass das menschliche Erkenntnisvermögen an die Anschauungsformen von Raum und Zeit gebunden und daher nicht zur Erkenntnis des Übernatürlichen geeignet sei. Damit wurde der Horizont der Aufklärung bereits überschritten.

Wie unterschied sich Rousseau von den anderen Aufklärern?

Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) stellte den Erkenntnisoptimismus auf eine ganz andere Weise in Frage: Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen stellte er die Natur an die oberste Stelle, sah in ihr Freiheit, Selbstbestimmung und natürliche Religion verwirklicht. Von dem Standpunkt einer solchermaßen idealisierten Natur aus verspottete Rousseau die Vernunft als eine Form der Degeneration.

Was dachten die Romantiker?

Die Dichter und Denker des »Sturm und Drang« hatten Ende des 18. Jahrhunderts den menschlichen Geist als schöpferische, nicht mehr nur analytisch-denkende Kraft entdeckt. Dieser Gedanke wurde von den Romantikern aufgegriffen und weitergeführt. Sie spürten, dass dem Menschen etwas fehlt, wenn die alten Überlieferungen auf einen vernünftigen Kern reduziert werden: »Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen, für das ich kein schöneres Symbol bis jetzt kenne, als das bunte Gewimmel der alten Götter« – so Friedrich Schlegel 1800.

Die Phantasie wurde zum Schlüssel für den »geheimnisvollen Weg nach Innen«, die Sehnsucht zum Mittel, das Universum und das Jenseits zu erfassen. Zahlreiche Romantiker, darunter Schlegel und seine Frau Dorothea, traten zur katholischen Kirche über, in der sie – stark idealisierend – das Sinnbild eines neuen religiösen Zeitalters sahen.

Besitzt der Mensch eine religiöse Natur?

Das behauptete zumindest der protestantische Freund der Schlegels, Friedrich Daniel Schleiermacher (1768–1834). Er brachte den Zeitgeist theologisch auf den Punkt. In seinen Reden »Über die Religion (…) an die Gebildeten unter ihren Verächtern« (1799) vertrat der junge Prediger den Standpunkt, »dass Religion aus dem Innern jeder bessern Seele nothwendig von selbst entspringt«, weil der Mensch stets auf der Suche nach dem »Unendlichen« und »Erhabenen« sei. Religion bezeichnete er als das Gefühl, das bei der »Anschauung des Universums« entstehe, worunter er Natur und Geschichte verstand. Erstmals seit der Aufklärung gründete damit ein akademisch gebildeter Theologe das Christentum wieder allein auf das menschliche Gemüt.

Wussten Sie, dass …

der Roman »Émile« des auch als Schriftsteller tätigen Philosophen Jean-Jacques Rousseau wegen religionskritischer Passagen verboten wurde? Rousseau selbst entzog sich einer drohenden Verhaftung durch Flucht.

der Theologe Friedrich Schleiermacher zu Lebzeiten äußerst populär war? Bei seiner Beisetzung 1834 schlossen sich mehr als 20000 Menschen dem Trauerzug an.

Weltreligion Christentum: Lebendiger Glaube in vielerlei Gestalt

Wie wurde das Christentum zu einer Weltreligion?

Durch meist gewaltsame Mission brachten Eroberer und Missionare das Christentum vom 15. bis 19. Jahrhundert nach Amerika, Afrika und Asien. Seit dem Ende der Kolonialzeit entwickeln sich diese so genannten jungen Kirchen eigenständig weiter. Dieser Prozess verdeutlicht, dass es eine große Stärke des Christentums ist, sich in vielfältigen kulturellen Zusammenhängen etablieren zu können.

Überall dort, wo die Ausbreitung des Christentums friedlich vor sich ging, versuchten die Missionare, die christliche Botschaft losgelöst von abendländischen Kulturmustern zu transportieren. So passte sich der Jesuit Matteo Ricci, der ab 1583 in China als Missionar wirkte, weitgehend den einheimischen Gepflogenheiten an. Er gestattete den Ahnenkult und trug statt seines Mönchsgewands die chinesische Gelehrtentracht. Ähnlich wie er missionierten Jesuiten in Indien und Japan.

Wie entwickelte sich die ökumenische Bewegung?

Das Zeitalter der Ökumene begann mit dem langsamen Rückgang der kolonialistischen Bestrebungen im 20. Jahrhundert. Auf der ersten ökumenischen Vollversammlung 1948 in Amsterdam wurde der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) gegründet. Mitglieder wurden protestantische und orthodoxe Kirchen aus aller Welt. Die römisch-katholische Kirche beharrte damals noch strikt auf ihrem Alleinvertretungsanspruch. In ihren Augen hatten alle Kirchen der Welt ursprünglich zur römisch-katholischen Kirche gehört und waren im Lauf der Zeit von ihr abgefallen. Heute schickt der Vatikan zumindest Beobachter zu den ökumenischen Versammlungen. Seit den 1960er Jahren kamen zunehmend die drängenden politischen und wirtschaftlichen Probleme auf die Agenda der ökumenischen Vollversammlungen.

Was besagt die Theologie der Befreiung?

Ihr Begründer, der peruanische Theologe Gustavo Gutiérrez, formulierte, wahre christliche Theologie sei »eine Reflektion, die zugleich vom Evangelium und von den Erfahrungen der Männer und Frauen ausgeht, die sich in diesem von Unterdrückung und Beraubung beherrschten lateinamerikanischen Kontinent dem Prozess der Befreiung verpflichtet haben.« Der Arme sei nicht nur »der Nächste par excellence«, so Gutiérrez, sondern im Armen begegne uns »Gott selbst«. Angeregt durch seine Ansichten, nahm die Kirche in Lateinamerika in großen Teilen einen bedeutsamen Perspektivwechsel vor. Die Armen wurden nicht mehr auf das Himmelreich vertröstet, wie es die katholische Kirche Lateinamerikas lange Zeit getan hatte.

Warum stieß die Befreiungstheologie auf Kritik?

Die Identifikation der christlichen Botschaft und ihrer Institution mit der sozialen Frage führte die Kirche nicht nur in Lateinamerika zwangsläufig in die Nähe marxistischer Befreiungsbewegungen. Dies wiederum löste bei anderen Christen Widerspruch aus. Sie warfen den Befreiungstheologen vor, ihr Glauben sei rein politischer Natur. Trotz dieser Widersprüche übt die Theologie der Befreiung bis heute einen großen Einfluss auch auf die Kirchen in Europa und Nordamerika aus. Hier diskutierten Theologen besonders die Fragen von Krieg und Frieden und die Konsequenzen der atomaren Hochrüstung.

Wo liegt die Zukunft des Christentums?

Von den Mitgliederzahlen und der gesellschaftlichen Bedeutung her gesehen verschiebt sich das Zentrum des Christentums mehr und mehr vom christlichen Abendland nach Lateinamerika, Afrika und Asien und der Einfluss der jungen Kirche in der Ökumene wächst beständig. Während die gesellschaftliche Verankerung der großen Kirchen in Europa und Nordamerika stagniert oder rückläufig ist, wachsen viele Kirchen in Afrika, Lateinamerika und Asien immer noch stark an. Die strikte Politisierung hat seit 1989 nachgelassen und spirituellen Bedürfnissen wird wieder mehr Raum gegeben. Mittlerweile kommen sogar Missionare aus Afrika, Lateinamerika und Asien nach Europa, um den säkularisierten und defensiv agierenden Kirchen der Alten Welt wieder auf die Beine zu helfen und neues Leben einzuhauchen.

Wussten Sie, dass …

das Christentum mit seinen vielen unterschiedlichen Ausprägungen auch heute noch die mitgliederstärkste Religion der Welt ist?

die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit des Christentums bereits in der Bibel angelegt ist? Der Apostel Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Korinther, er sei den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche geworden (1. Korinther 9,20).

Was ist der wahre Wesenskern der Missionierung?

Bischof Pagura aus Guatemala formulierte ihn 1974 so: »Missionar, wenn Du das ewige Wort Gottes nicht zu unterscheiden vermagst von den Formen der Kultur, in der Du aufgewachsen bist, geh nach Hause!

Wenn Du aber beginnst, Dich mit unseren Völkern zu freuen an der Freude, dass das Evangelium nicht nur eine weit entfernte Hoffnung ankündigt und zusichert, sondern eine Befreiung ankündigt, die bereits die Geschichte verändert, dann bleib!«

Die Kirchen und das NS-Regime: Anpassung und Widerstand

Welche Haltung nahm die katholische Kirche ein?

Am Heiligen Stuhl unter Papst Pius XI. (1857–1939) wurde der Nationalsozialismus als Verhängnis für Deutschland und Europa betrachtet. Im deutschen Episkopat dagegen stand strikte Ablehnung neben der Bereitschaft, dem neuen Regime einen gewissen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Kardinal Bertram aus Breslau, der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, war geneigt, Hitlers beschwichtigenden Erklärungen nach der Machtübernahme Gehör zu schenken; auch Kardinal Faulhaber aus München schloss sich jener »Friedenserklärung« der Bischöfe vom März 1933 an, deren Inhalt die deutschen Katholiken in ihrer prinzipiell distanzierten Haltung zum Nationalsozialismus stark verunsicherte.

Wie wollte der Vatikan die Kirche schützen?

Der Vatikan nutzte noch im Sommer 1933 die Möglichkeit, ein Konkordat (einen Vertrag zwischen Kirche und Staat) mit dem Deutschen Reich abzuschließen, um eine Rechtsbasis zu schaffen, von der aus Kirchenverfolgungen im NS-Staat aufs Schärfste angeprangert werden konnten. Wie berechtigt das Drängen Roms auf das Konkordat war, zeigte schließlich der von den Nationalsozialisten im Herbst 1933 begonnene Kirchenkampf, der mit allen Mitteln darauf abzielte, das kirchliche Leben zu unterbinden. Doch die Aversion von Papst Pius gegen den Kommunismus ließ ihn zunächst weiterhin mit Mussolinis, Francos und Hitlers diktatorischen Regimen Kompromisse suchen. Im März 1937 prangerte schließlich Pius XI. in seiner Enzyklika »Mit brennender Sorge« das nationalsozialistische Unrechtssystem vor aller Welt an. Die Folge: Ein noch unerbittlicheres Toben der Machthaber in Deutschland gegen Geistliche, Ordensangehörige, kirchliche Bildungs- und Sozialeinrichtungen begann.

Wie verhielt sich die protestantische Kirche?

Während sich die katholische Kirche unter dem wachsenden Druck in ihrer Gegnerschaft zum Regime eher einte, spalteten sich die Protestanten. In Bischof Ludwig Müller verfügte Hitler über einen treuen Parteigänger. Der »Reichsbischof« schaltete die evangelische Kirche gleich und unterwarf sie als »Deutsche Christen« dem Regime. Dagegen sammelte sich der protestantische Widerstand in der »Bekennenden Kirche«, deren Berliner Synode 1934 zum offenen Ungehorsam gegenüber den Organen der »Deutschen Christen« aufrief.

Welche Kritik richtete sich gegen Pius XII.?

Papst Pius XII. wurde nach dem Ende des NS-Regimes Opportunismus vorgeworfen. Der Krieg drängte die terroristischen Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen die Kirchen etwas in den Hintergrund. Je mehr Unrecht und Verbrechen zutage traten, desto mehr stellte sich aber die Frage nach konkreten Hilfestellungen für die Opfer, besonders auch für die Juden. Papst Pius XII. (1876–1958), der als ehemaliger Nuntius für Deutschland über den Völkermord an den Juden informiert war, verschwieg jedoch die Gräueltaten der Nationalsozialisten und unterband auch jeden Versuch, diese aus Kirchenkreisen heraus publik zu machen – ein Vorgehen, das man später als »stille Diplomatie« zu rechtfertigen versuchte.

Die Haltung der Kirchen zum Nationalsozialismus war nicht frei von Fehleinschätzungen, menschlichem Versagen und schuldhafter Verstrickung. Doch gab es auch aus Kirchenkreisen beider Konfessionen vielfältigen Widerstand gegen die menschenverachtende Gewaltherrschaft. Persönlichkeiten wie Martin Niemöller, Hans Lilje, Dietrich Bonhoeffer, Heinrich Grüber, Alfred Delp, Rupert Mayer, Bernhard Lichtenberg oder Clemens Graf von Galen legten mit ihrem mutigen Verhalten davon eindrucksvoll Zeugnis ab.

Wer gehörte zu den führenden Köpfen des Widerstands?

Dietrich Bonhoeffer, der in der evangelischen »Bekennenden Kirche« aktiv war, trat offen für die Freiheit des Evangeliums, gegen die nationalsozialistische Rassenideologie und für die verfolgten Juden ein. Im Widerstandskreis um die Generäle Oster und Beck aktiv, wurde er 1943 verhaftet, in Konzentrationslagern gefangen gehalten und 1945 hingerichtet.

Clemens August Graf von Galen, Bischof von Münster, widersprach bereits 1934 öffentlich dem NS-Ideologen Alfred Rosenberg. Aufgrund seines Protests ließ Hitler das Euthanasie-Programm vorläufig einstellen. Von Galen wurde unter Bewachung gestellt, blieb aber sonst unbehelligt.

Wussten Sie, dass …

Kardinal Faulhaber schnell seinen Irrtum einsah, nachdem er 1933 zunächst die »Friedenserklärung« unterzeichnet hatte? Bereits im Advent 1933 stieg er auf die Kanzel, um den fundamentalen Gegensatz zwischen Christentum und Nationalsozialismus zu bekräftigen.

der deutsche Katholizismus über eine eigene politische Interessenvertretung verfügte? Die Zentrumspartei wurde allerdings, wie alle anderen Parteien außer der NSDAP, nach dem »Ermächtigungsgesetz« sofort ausgeschaltet.

Zweites Vatikanisches Konzil: Positionsbestimmung der Katholiken

Welches Ziel verfolgte Johannes XXIII. mit dem Konzil?

»Aggiornamento« oder »Fortentwicklung« hieß das Motto, unter dem Papst Johannes XXIII. die Bischöfe der Welt zum Zweiten Vatikanischen Konzil nach Rom berief. Die Kirche neu auszurichten, zielte nicht darauf, ihre unveränderlichen Glaubenssätze zur Disposition zu stellen oder zu ändern. Eines der ersten wichtigen Ergebnisse, die Konstitution über die Liturgie, zeigte, dass es vielmehr darum ging, sich von Erstarrtem zu lösen und als ungünstig empfundene Entwicklungen, wie die starke Trennung von Priestern und Laien in der Heiligen Messe, zu beseitigen. Die unveränderliche Substanz sollte besser, stärker, neu erfahrbar zum Ausdruck gebracht werden.

Auf welchen Ansatz gründeten sich die Reformen?

Gegenüber seinem unmittelbaren Vorgänger, dem auf die Person und insbesondere die Unfehlbarkeit des Papstes fixierten Ersten Vatikanischen Konzil der Jahre 1869 und 1870, hob das Zweite Vatikanum die Kirche als Organismus in den Vordergrund und entwickelte so eine echte Eigenständigkeit. Diesem Grundansatz entsprechend widmete sich das Konzil sowohl der Kirche als Ganzheit, als auch ihren einzelnen Teilen, den Bischöfen, Priestern, Ordensleuten sowie, sehr zentral, den Laien. Lehramt und christliche Erziehung blieben als wichtige Teilgebiete des inneren Lebens der Kirche gleichfalls nicht ausgespart.

Welchen Schwerpunkt setzte Papst Paul VI.?

Im Juni 1963 starb Papst Johannes XXIII. Sein Nachfolger, Papst Paul VI., führte das Konzil weiter. Mit seiner Pilgerreise ins Heilige Land im Januar 1964 setzte Paul VI. sogleich einen eigenen Akzent in Richtung einer zukünftigen weltfriedenspolitischen Rolle des Papstes und des Heiligen Stuhles.

Gleichzeitig trug diese Reise zum Erfolg des Konzils wesentlich bei. Pauls Treffen mit dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras in Jerusalem erfüllte das gegen Ende der zweiten Sitzungsperiode vorgelegte Dekret über den Ökumenismus unmittelbar mit Leben und führte eine deutliche Entspannung im Verhältnis der römisch-katholischen zu den christlich-orthodoxen Kirchen des Ostens herbei. Die Präsenz des Papstes in Jordanien und Israel bereitete schließlich den Boden für die Verabschiedung einer der umstrittensten Erklärungen des Konzils, derjenigen über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen und insbesondere zum Judentum. Dieser Versuch einer Positionsbestimmung vor allem gegenüber den beiden anderen großen monotheistischen Religionen führte das Konzil wohl am weitesten aus der Sphäre des Glaubens in die Wirren der internationalen Politik und des Krisenherdes Nahost.

Abseits von der eher aufgezwungenen Tagespolitik bildete die Frage nach der Außenwirkung der Kirche neben der Erörterung des grundsätzlichen Selbstverständnisses und des inneren Lebens den dritten wichtigen Komplex der Arbeit des Konzils. In seinen Äußerungen über soziale Kommunikationsmittel und Religionsfreiheit griff es ebenso spezifische Probleme der modernen Welt auf, wie es über die pastorale Rolle der Kirche in der Welt von heute insgesamt nachdachte.

Was war das Ergebnis des Konzils?

Als Papst Paul VI. das Konzil am 8. Dezember 1965 feierlich schloss, waren 16 Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen erarbeitet und beschlossen worden, die das Bild der katholischen Kirche tief greifend wandeln sollten und in ihrer Ausdeutung und Anwendung die Theologen bis heute beschäftigen. Am unmittelbarsten wird der Gläubige die Wirkungen des Konzils noch immer in der veränderten Gestalt der Heiligen Messe wahrnehmen können. Dahinter verbirgt sich ein ganzer Kosmos von Reformen, der freilich nur jenem Ziel dient, das die katholische Kirche seit jeher als ihr ureigenstes angesehen hat: nämlich die Offenbarung Gottes durch den Wandel der Zeiten hindurch rein zu überliefern.

Fand das Konzil unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt?

Nein, denn trotz des elegant-gemessenen Lateins der bischöflichen Diskussionsbeiträge haftete dieser Generalversammlung nichts Geheimniskrämerisches an. Sie war ein öffentliches, aufregendes Ereignis von globalem Interesse. Mehr als 2000 Bischöfe, unzählige Theologen, Berater, Beobachter sowie ein Heer von Berichterstattern ließen zwischen 1963 und 1965 den alten Ruf Roms, Mittelpunkt der Welt zu sein, wieder aufleben. In vier Sitzungsperioden debattierten die Kirchenmänner über die Kirche in ihrer Stellung zur und in der modernen Welt.

Wussten Sie, dass …

Papst Johannes XXIII. im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils gegen starken innerkirchlichen Widerstand zu kämpfen hatte? Vor allem die Kurienkardinäle fürchteten eine Verwässerung der Lehre.

bis zum Konzil die katholische Messfeier weitgehend in lateinischer Sprache abgehalten wurde? Nach dem Konzil verschwand Latein innerhalb kürzester Zeit aus der Liturgie, obwohl das Konzil den Erhalt der Sprache propagiert hatte.

Christliche Bewegungen in den USA: Konservative mit Einfluss

Welche Bedeutung hat die Religion in den Vereinigten Staaten?

In den USA prägen Religionsgemeinschaften noch immer sehr viel mehr als in Europa das öffentliche Leben. Typisch ist einerseits die Trennung von Staat und Kirche, andererseits der Glaube an eine besondere Mission der Vereinigten Staaten und an die Rolle der Amerikaner als »auserwähltes Volk Gottes«.

Religiöse Rhetorik und Symbolik sind ein selbstverständlicher Teil des Alltags. Politische Parteien erhalten zum Teil sicher wahlentscheidende Hilfe von Religionsgemeinschaften; so wurde der Präsident Ronald Reagan bei seiner Wahl durch die »elektronische Kirche« protestantischer Fundamentalisten unterstützt. Diese so genannte Zivilreligion mit einem tief sitzenden emotionalen Patriotismus prägt auch alle außerkirchlichen gesellschaftlichen Ereignisse in den Vereinigten Staaten. Dennoch finanzieren sich alle Gruppierungen ausschließlich über private Spendengelder.

Welche christlichen Religionsgemeinschaften gibt es in den USA?

Die Entwicklung einer Vielzahl neuer religiöser Gemeinschaften wie Holiness-, Pfingst- und Adventisten-Gruppen zu Beginn des 20. Jahrhunderts schuf die Voraussetzung für den heutigen amerikanischen Pluralismus der protestantischen Kirchen. Charakteristisch für ihren Evangelikalismus ist die zentrale Rolle von persönlichen Erlebnissen der Bekehrung und Glaubenserweckung, von religiösem Handeln und die zentrale Stellung der Bibel.

Die Mehrzahl der Amerikaner bekennt sich zum Protestantismus. Abgesehen von einer Minderheit von Protestanten im klassischen Sinne, wie wir sie etwa aus Deutschland kennen, stammen die meisten Gruppen aus dem evangelikalen Spektrum. Zu unterscheiden sind dabei fundamentalistische, konservative und liberale evangelikale Bewegungen. Als gemäßigt gelten zum Beispiel die Methodisten, die Vereinigten Lutheraner, die Disciples of Christ und die Reformierten. Bekanntester Vertreter der afro-amerikanischen Kirchen war der farbige Bürgerrechtler und Baptist Martin Luther King. Die prägnanteste Gemeinsamkeit all dieser protestantischen Gruppierungen ist die protestantische Arbeitsethik, die nach kalvinistischer Lehre weltlichen Erfolg als Zeichen für das Wohlwollen Gottes aufgrund gerechten Verhaltens interpretiert.

Die Katholiken, eine von jeher kleinere Gruppe, spielen bis heute eine weniger gewichtige Rolle. An politischem Ansehen und Gewicht gewannen sie erstmals bei der Wahl des Präsidenten John F. Kennedy. Durch Einwanderer – vorwiegend aus Mexiko – nahm und nimmt die Zahl der Katholiken in den USA weiter zu.

Für welche Glaubensinhalte steht die Pfingstbewegung?

Sie stellt das Wirken des Heiligen Geistes in den Vordergrund. Charakteristisch sind vor allem das »In-Zungen-Reden« als Zeichen des empfangenen Heiligen Geistes, dessen Wunderheilungen, apokalyptische Endzeitprophezeiung und der Glaube an die nahe Wiederkunft des Erlösers Christus. Entstanden ist die Pfingstbewegung 1906 in Los Angeles. Ihre bekannteste Gruppierung ist die Assemblies of God. Sie kann als Reaktion auf die durch die industrielle Revolution hervorgerufene Verunsicherung gedeutet werden. Die Pfingstbewegung expandierte durch Missionierungen in alle Welt. Die Bewegung gewinnt bis heute zunehmend an Bedeutung und ist eine der am stärksten wachsenden Strömungen des Christentums. Seit den 1960er Jahren werden von den charismatischen Predigern vermehrt Teufelsaustreibungen durchgeführt.

Was ist der christliche Fundamentalismus?

»Fundamentalismus« ist eine Selbstbezeichnung der konservativen protestantischen Sammelbewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus einer öffentlichen, religiösen Kritik an der Moderne entstand. Sie ist seit der Jahrhundertwende bis heute bedeutsam. Die Fundamentalisten wenden sich sowohl gegen Alkoholismus und Prostitution als auch gegen sozialdarwinistische und atheistische Lehren an den Schulen.

Sie predigen folgende fünf Glaubensprinzipien: Unfehlbarkeit der Bibel und deren wörtliche Interpretation, Jungfrauengeburt, leibliche Auferstehung Christi, sein stellvertretendes Sühneopfer und seine baldige physische Wiederkehr. Sie verbinden dabei persönliche Erweckungserlebnisse mit millenaristischen, nationalistischen und pazifistischen Ideen.

Wie verbreiten die Fundamentalisten ihre Botschaft?

Der protestantische Fundamentalismus erlebt seit den 1970er Jahren eine Renaissance. Diese neue Mobilisierung ist gekennzeichnet durch den Aufbau der »elektronischen Kirche«. Auch andere protestantische und charismatische Religionsgemeinschaften nutzen die neuen Wirkungsmöglichkeiten der Medien Fernsehen, Radio und Internet. Die Fernsehkirchen mit ihren Predigten entsprechen dem Bedürfnis vieler nach Privatsphäre und Individualismus. Sie haben zu einer starken Kommerzialisierung der Religionen geführt. Auf dem Programm stehen berühmte Prediger, Wunderheiler und religiöse Talkshows, die Spendengelder einwerben. Religiöse Großunternehmen mit eigenen Kirchen, Schulen, Kindergärten, Universitäten und Vergnügungsparks ergänzen das breite Angebotsspektrum.

Wie viele Mitglieder zählen die Gruppierungen?

Die Stärke der einzelnen christlichen Religionsgemeinschaften der USA kann nur geschätzt werden. 1999 wiesen die Gruppierungen folgende Mitgliederzahlen auf:

Katholiken: 62 Mio.

Baptisten: 28,3 Mio.

Methodisten: 13,1 Mio.

Pfingstler: 11,3 Mio.

Lutheraner: 8,3 Mio.

Mormonen: 5,1 Mio.

Presbyterianer: 4,1 Mio.

Orthodoxe: 4 Mio.

Churches of Christ: 3,5 Mio.

Episcopal Church: 2,4 Mio.

Reformierte:2,4Mio.

Zeugen Jehovas:1Mio.

Die Jungen Kirchen: Religion im gesellschaftlichen Kontext

Welche Lehren entstanden in den Jungen Kirchen?

Eine davon war die »Befreiungstheologie«, die Mitte der 1960er Jahre in Lateinamerika entstand. Sie reagierte auf historische und soziale Entwicklungen, die vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Ausbeutung und politischer Unterdrückung zu Verarmung und Verelendung breiter Bevölkerungsschichten geführt hatten. Als »Vater der Befreiungstheologie« gilt der aus Peru stammende katholische Theologe Gustavo Gutiérrez. Er forderte die Wende von einer »spekulativen« zu einer »pastoralen« Theologie, die auf die Praxis der Befreiung ausgerichtet ist. Entsprechend versteht sich die Befreiungstheologie als kritische Reflexion historischer Praxis. Zentrale Bedeutung kommt dabei den so genannten Basisgemeinden zu – kleinen, nach dem demokratischen Prinzip organisierten Gemeinschaften, die sich gemeinsam um Problemlösungen bemühen und für die Rechte der Armen eintreten.

Wie beurteilte Rom den theologischen Neuansatz?

Auf der lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Medellín (Kolumbien) im Jahr 1968 fand die Befreiungstheologie erstmals auch seitens der kirchlichen Hierarchie Anerkennung und das Selbstverständnis der Kirche als »Kirche von unten« setzte sich weithin durch. Seit dem Amtsantritt Papst Johannes Pauls II. 1978 geriet die Befreiungstheologie allerdings zunehmend in Bedrängnis. Die Kritik richtete sich insbesondere gegen den weithin üblichen Gebrauch marxistischer Methoden der Gesellschaftsanalyse und führte dazu, dass Theologen wie Leonardo Boff mit Sanktionen belegt wurden.

Welchen Ansatz verfolgt die Minjung-Theologie?

In ähnlicher Weise wie die Befreiungstheologie will auch die seit den 1970er Jahren in Korea entstandene Minjung-Theologie die gesellschaftliche Wirklichkeit »von unten«, aus der Perspektive der »Volksmassen« (Koreanisch »Min Yung«) betrachten. In dieser »Kirche des Volkes« nehmen die leidenden Menschen ihr Geschick selbst in die Hand und entdecken ihre gemeinsame Geschichte mit Gott und Jesus. Auch in der Minjung-Theologie zielt die theologische Reflexion auf die Anwendung in der Praxis: Für das unverschuldete Leid des einfachen Volkes werden die »Machthaber« verantwortlich gemacht.

Intellektuelle und Theologen begeben sich zusammen mit dem unterdrückten Volk auf die Suche nach Wegen, um aus der Unterdrückung und dem Elend zu entkommen. Sie entdecken dabei die befreienden Elemente der volksreligiösen Traditionen Koreas wieder. Die Minjung-Theologie hat messianische Strömungen aus dem koreanischen Volksbuddhismus des 8. Jahrhunderts rezipiert und eine im 19. Jahrhundert entstandene Mischreligion, die Chondogyo genannt wird, wegen ihrer Kritik an Feudalismus, Kolonialismus und Verwestlichung zum Leitbild genommen.

Was ist das Ziel der Schwarzen Theologie?

Die Schwarze Theologie zielt nach den Worten eines ihrer Hauptvertreter, Allan Boesak, auf die Wiedergewinnung dessen, was »heilig war, lange, bevor die Weißen kamen: Solidarität, Ehrfurcht vor dem Leben, Humanität und Gemeinschaftlichkeit.« Damit nähert sie sich anderen Formen afrikanischer Theologie, deren Anliegen es vornehmlich ist, christlichen Glauben und afrikanische Kultur in Beziehung zu setzen und die religiösen Traditionen Afrikas auch in der kirchlichen Praxis auf neue Weise lebendig werden zu lassen.

Durch methodistische, anglikanische, katholische und lutheranische Mission mit dem Christentum bekannt gemacht, entwickelten die durch das Apartheidsystem der Kolonialherren im südlichen Afrika unterdrückten Farbigen bald ihre eigene »Schwarze Theologie». Als »politische« Theologie dient sie dazu, das Evangelium im Lichte der Erfahrung rassistischer Unterdrückung neu zu interpretieren.

Worauf bezieht sich der Begriff der Tertiaterranität?

Von der »Tertiaterranität« des Christentums haben in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts manche Theologen gesprochen. Damit wurde das Phänomen beschrieben, dass das Christentum seinen Schwerpunkt allmählich in die damals so genannte Dritte Welt verlagerte. Den sinkenden Mitgliederzahlen in den Kirchen der nördlichen Hemisphäre steht ein einzigartiges Kirchenwachstum in Gebieten der südlichen Halbkugel gegenüber. Die besondere gesellschaftliche Situation in diesen Ländern stellte die Theologen der »Jungen Kirchen« aber auch vor neue Fragen – und die verlangten nach ganz anderen Antworten als denen, die ihnen die abendländische Theologie bisher bot.

Das Papsttum seit Johannes Paul II.: Tradition und Moderne

Warum war die Wahl von Karol Wojtyla zum Papst eine Sensation?

Der neue Papst stammte, anders als seine Vorgänger in den letzten 455 Jahren, nicht aus Italien – und war zum ersten Mal überhaupt ein Slawe. Karol Wojtyla wurde am 16. Oktober 1978 zum 264. Bischof von Rom gewählt. Johannes Paul II., wie er sich als Papst nannte, geboren am 18. Mai 1920 in Wadowice, begann seine Amtseinführung mit einem langen, stillen Gebet am Grab des Petrus. Damit verdeutlichte er die Eckpfeiler seines Wirkens: Spiritualität, Demut, eine große Begeisterung für die Jugend und der feste Wille, am Lauf der Welt etwas zu ändern, wann immer es nötig erscheint.

Wie wirkte der neue Pontifex auf die Politik ein?

Seine große Sorge galt zunächst dem Leid der Menschen in den kommunistischen Diktaturen. Die Reisen in die alte Heimat wurden zu machtvollen Demonstrationen gegen das dortige Regime. Der beharrliche Einsatz des Papstes für die Menschenrechte und die Glaubensfreiheit beschleunigte den Zusammenbruch des Warschauer Paktes. Den zweiten politischen Schwerpunkt bildeten die Krisenregionen Afrikas und Südamerikas. Dort mahnte er eine gerechte Verteilung der Güter an, forderte einen Schuldenerlass der Ersten zugunsten der Dritten Welt. Viel Beifall hat ihm auch der Versuch eingetragen, durch Diplomatie, Appelle und Gebete einen zweiten Irak-Krieg zu verhindern.

Welche Moralvorstellungen vertrat der Papst?

Johannes Paul II. praktizierte ein Nebeneinander von fast schon revolutionärer Politik und konservativer Theologie. Besonders eindringlich geriet seine Moralenzyklika »Veritatis splendor« (Glanz der Wahrheit) aus dem Jahr 1993. In ihr forderte er »Gehorsam gegenüber den universalen sittlichen Normen« und berief sich auf das »Recht der Gläubigen, die katholische Lehre rein und unverkürzt zu empfangen«. Angesprochen sollten sich in erster Linie jene Theologen und Priester fühlen, die in öffentlicher Rede abweichen vom strikten Nein des Papstes zu Abtreibung, Empfängnisverhütung, vorehelichem Geschlechtsverkehr und vom strikten Ja des Papstes zu Pflichtzölibat und Männerpriestertum.

Wie wurde der interreligiöse Dialog intensiviert?

Als erster Papst besuchte Johannes Paul II. islamische und buddhistische Staaten, als erster Papst betrat er eine Moschee und legte ein Schuldbekenntnis ab für die Verfehlungen der Kirche gegenüber den Juden. Als erster Papst besuchte er das orthodoxe Bulgarien, als erster Papst bat er um Vergebung für die Verbrechen an der orthodoxen Kirche Griechenlands und bekannte die Mitschuld der Kirche an den Morden der »Bartholomäus-Nacht«, als 1572 rund 70 000 französische Hugenotten starben.

Welches Weltverständnis hatte Johannes Paul II.?

Johannes Paul II. hatte ein sehr dramatisches Weltbild. Er war davon überzeugt, dass in der Seele eines jeden wie auch auf der Erde im Ganzen gute und böse Kräfte miteinander ringen. Jeden Augenblick aber kann der Mensch dem Bösen entsagen und so ein Beispiel seiner Würde geben. Ebendiese Würde heiligte dem Papst zufolge das ganze menschliche Leben und stellte es unter besonderen Schutz, von der Zeugung bis zum letzten Atemzug. Darum lehnte er Embryonenversuche, Abtreibung, Euthanasie, Ausbeutung und Krieg gleichermaßen ab.

Die letzten Jahre des Papstes waren geprägt von Krankheit, die er aber mit Würde annahm und der er Tag für Tag in einer großen Kraftanstrengung seinen päpstlichen Dienst abrang. Unter größter Anteilnahme der Weltöffentlichkeit starb Johannes Paul II. am 2. April 2005 in Rom. Seine Beisetzung wurde zu einer der eindrucksvollsten Trauerfeierlichkeiten in der Geschichte.

Wie richtet Benedikt XVI. sein Pontifikat aus?

Zum Nachfolger von Johannes Paul II. wurde am 19. April 2005 der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger gewählt, mit Papstnamen Benedikt XVI. Mit seiner Hinwendung zur Jugend, die er durch den Besuch des XX. Weltjugendtages in Köln im August 2005 demonstrierte, und seiner konservativen Haltung in Fragen der Moraltheologie knüpfte er an das Pontifikat seines Vorgängers an. Erste Ansätze zu einer Erneuerung der starren innerkirchlichen Strukturen sind in einer vorsichtigen Reform der römischen Kurie zu erkennen. Auch sucht Benedikt XVI. das Gespräch mit außer- und innerkirchlichen Kritikern.

Wussten Sie, dass …

Johannes Paul II. als junger Mann Theaterstücke schrieb und während der deutschen Besetzung Polens ein Untergrundtheater gründete?

das Pontifikat von Papst Johannes Paul I., dem Vorgänger von Johannes Paul II., nur 33 Tage währte? In der Nacht vom 28. auf den 29. September 1978 erlag er überraschend einer Herzattacke.

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